1. Kurzer Lebenslauf.

[3] Ich bin im Jahr 1758 am 11. Dezember zu Berlin geboren. Mein Vater, ein Sachse, aus einem Dorfe bei Dresden gebürtig, ließ mich in meinen Kinder- und Jünglingsjahren in verschiedenen angenehmen und nützlichen Kenntnissen unterrichten. Bis an mein siebzehntes Jahr besuchteich das Joachimsthalsche Gymnasium und hierauf kam ich in die Lehre, um meines Vaters Gewerbe, die Maurerprofession, zu erlernen. Bisher hatte ich wenig Luft zur Musik, und bei dem Unterricht, den ich durch einen hiesigen Organisten im Klavier- und Orgelspielen erhielt, wenig Aufmerksamkeitund Anlagezu dieser Kunst bewiesen. Nach einer im achtzehnten Jahreüberstandenen schweren Krankheit, die mich beinahe ins Grab legte, erwachte eine große Liebe zur Musik in mir; da aber jetzt die Erlernung meiner Handwerksgeschäfte alle meine Zeit erforderte, so blieb mir nur derspäte Abend übrig, meinem Durst nach Musik zu genügen. Ich brachte viele Nächte mit Notenschreiben zu und um mir einige Fertigkeit im Klavier- und Violinspielen zu erwerben, allein diese Freude dauerte nicht lange. Der Musikmeister mußte andern Lehrstunden seinen Platz lassen, und mein Vater untersagte mir daneben noch meine zu große Tätigkeit in der Musik, weil er fürchtete, das Nachtwachen könnte meiner Gesundheit nachteilig werden. Dies alles hielt mich indessen nicht ab, in der Musik fortzurücken, und ich fing an, da es mir an Musikalien gebrach, selbst zu komponieren. (Ein seines Mittel, sich aus der Verlegenheit[3] zu ziehen.) Ich hatte dabei keine Regel als das absolute Bedürfnis, meine Gedanken zu Papier zu bringen, wobei es mir dann alle Augenblicke an den nötigen Kompositionskenntnissen fehlen mußte. Da ich keine Bekanntschaft mit wissenschaftlichen Musikern hatte, so nahm ich meine Zuflucht dazu, mir teils durch Freunde, teils durch List Partituren zu verschaffen, die ich mir abschrieb. Ich war so glücklich, gleich im Anfange einige Partituren von Carl Philipp Emanuel Bach und Hasse zu bekommen. Durch das Studium dieser Meister lernte ich zuerst zwei wesentliche Eigenschaften guter Kunstwerke – Ordnung und Einheit – kennen. Dadurch gewann ich eine Art von Fertigkeit, meinen Gedanken Leichtigkeit und meinen Mittelstimmen einigen Fluß zu geben. Hier fing meine Gesundheit an, durch anhaltenden Fleiß und durch manchen kleinen Kummer, den meine Anhänglichkeit an die Musik zuwege brachte, in Unordnung zu geraten. Ich hatte keinen Gedanken mehr als an die Musik, alles andere flog meinen Sinnen vorüber; nur allein die Musik ließ feste Eindrücke bei mir zurück, die meine ganze Seele füllten. Meine Modelle, Bach und Hasse, waren meine Gottheit; zu diesen betete ich, für diese arbeitete ich, – litt ich; mit diesen tröstete ich mich. Mein Vater erweckte mich aus dieser Schwärmerei durch den Befehl, die Musik für jetzt ganz beiseite zu legen. Die Geschäfte, meinte er, würden darüber versäumt und die Gesundheit zerstört; Musik sei eine Sache, von der man kein Brot essen, mit der man keine Krankheiten heilen könnte. Der Geschmack an den schönen Künsten beruhe auf körperlicher Gesundheit und sorgenfreier Existenz etc. Diesen ernsthaften Vorstellungen wußte ich nichts entgegenzusetzen als willigen Gehorsam. Ich versprach, mich zu[4] bessern, schlief etwas mehr und war treuer in meinen Berufsgeschäften, allein nach vier Wochen ward alles wieder beim alten. – Genug, ich tat, was in meinem Vermögen war; ich lernte mein Handwerk, meine Geometrie, ging in meine Zeichenstunden und trieb dabei meine geliebte Musik mit aller Kraft, die mir übrig war. Im Jahr 1783 wurde ich auf mein Handwerk Meister. Nach dieser Zeit erst war der Königliche Kammermusikus Herr Fasch so gütig, mir den eigentlichen Unterricht im reinen Satz und im doppelten Kontrapunkt mitzuteilen, und ich habe diesen vortrefflichen Unterricht so gut genützt, als es sich bei meinen vielen andern Geschäften hat wollen tun lassen. Diesem würdigen Herren Fasch habe ich das Gute, was manche meiner Kompositionen haben mögen, gänzlich zu danken. Sein seiner kritischer Geist, sein scharfes, durch vieljährigen Unterricht geübtes Auge, sein redlicher, freimütiger und anständiger Tadel, sein seltenes und mäßiges Lob und die mir unaussprechlich werte väterliche Liebe, die dieser edle Mann mir geschenkt hat, haben mir mehr Nutzen in kurzer Zeit gestiftet als vorher mein langes und eifriges Suchen und alles Lesen selbst in den besten Lehrbüchern.

Was ich bis jetzt komponiert habe, besteht in drei kleinen Werken, Variationen über drei verschiedene Thema‹ta› und einer Klaviersonate, die in Berlin bei Herrn Rellstab gedruckt sind; ferner in einer nicht geringen Anzahl von kleinen Liedern, wovon die besten in verschiedenen Werken zerstreut abgedruckt sind. Allein selbst diese besten sind nicht von besonderm Wert, weil mir diese Art von Kompositionen niemals recht hat gelingen wollen. Sie sind meistenteils auf Ansuchen meiner Freunde oder besondere Gelegenheiten gemacht. Innern[5] Drang zu dieser Art von Kompositionen hab' ich nie gehabt. Außerdem habe ich einige Gelegenheitsmusiken gemacht. Die besten darunter sind: eine Kantate auf den Tod Friedrichs des IIten im Jahr 1786, und eine Kantate auf den Geburtstag einer geliebten Mutter im Jahr 1793 komponiert. Eine Menge einzelner Arien und Szenen von mir kommen nicht in Betrachtung. Das Bratschenkonzert, dessen im Gerberschen Lexikon gedacht wird, habe ich vor dreizehn Jahren gemacht, und wenn es auch einige Spuren von Geist hat, so hat es dagegen viele Fehler und ist nicht im Satz rein. Alle meine übrigen musikalischen Arbeiten sind Studien, die in figurierten Chorälen und Fughetten bestehn, die ich niemals des Aufbewahrens wert gehalten habe. Sollte künftig meine Existenz sich einmal dahin abändern, daß ich meiner geliebten Kunst mehrere Zeit zu opfern imstande bin, so hoffe ich, die Freunde meiner Muse für diejenigen meiner Arbeiten zu entschädigen, die aus Übereilung oder ohne meine Schuld ins Publikum gekommen sind.

Berlin, den 1. November 1793.

Carl Friedrich Zelter.[6]

Quelle:
Zelter, Carl Friedrich: Carl Friedrich Zelters Darstellungen seines Lebens. Weimar 1931, S. 3-7.
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