I. Kinderjahre in Tirol, 1815–1827.

An der Grenze von Tirol und der Schweiz, unweit von Finstermünz, wo der Fluß Inn zwischen himmelhohen Felsen schäumend und mit ewigem Brausen hervorstürzt, liegt hoch in den Bergen das Dorf Nauders. Eine halbe Stunde davon entfernt zieht sich die Straße von einer waldigen Anhöhe, Norwerzerhöhe genannt, links steil in das tiefe Thal hinab, wo der erste schweizerische Ort Martinsbruck liegt. Man genießt hier eine der großartigsten Fernsichten in das Schweizerthal, wo sich der Inn zwischen hohen Bergen wie ein Silberfaden durchschlängelt, auf Gehöfte, Dörfer, schwarzgrüne Wälder, Felder und Wiesen und auf die mit ewigem Schnee bedeckten Ferner.

Auf dieser Anhöhe stand am 28. April 1815 Nachmittag zwischen 4–5 Uhr ein Mann von 55 Jahren und schaute mit Ungeduld und Sehnsucht in das Thal hinunter. »Kommen sie denn noch nicht, rief er, mir scheint, sie unten an der Martha herumfahren gesehen zu haben; freilich ist der Berg steil und nichts geschieht, um diesen Marterweg auszubessern.« Nach langem Warten kam eine alte Kalesche, mit zwei Schimmeln bespannt, welche schnaufend heraufzogen.[1] Im Wagen saß eine Frau mit einem dreijährigen Knaben, neben den Pferden ging ein rüstiger Junge von 18 Jahren, der die Pferde leitete, und hintennach schritten drei Mädchen, seine Schwestern. Der Mann eilte dem Wagen zu und grüßte seine Genovefa und die Kinder. »Ach, mein lieber Johann, sagte die Frau, mach' nur geschwind, daß ich nach Nauders komme, denn ich fühle die Wehen sehr stark.« Alle saßen auf und schnell ging es dem Dorfe zu. Beim Traubenwirthshaus, wo die neue Wirthschaft anfangen sollte, angelangt, wurde die Frau in das hintere Zimmer gebracht und nach einer Viertelstunde, um 7 Uhr Abends, von einem gesunden Knaben entbunden. Dieser Knabe, das zehnte und letzte Kind der Familie, war ich, der Maler Karl Blaas, und damit beginne ich meine Selbstbiographie.

Die Welt lebt heutzutage schnell. Man muß fast alles übereilen, um mitzuleben, der Kampf um's Dasein läßt uns kaum Zeit die Zeitungen zu lesen, viel weniger wissenschaftliche Werke oder die Lebensgeschichte eines Malers. Ich bilde mir nicht ein, daß diese Blätter einst gelesen werden und schreibe deswegen nur für meine Kinder, Freunde und mir selbst zum Vergnügen, um mich an mein vergangenes Leben zu erinnern.

Mein Großvater Karl Blaas hatte eine große Familie, war Bauer und Müller im Thale Langtaufers, und eine halbe Stunde vom Dorfe Graun entfernt stand sein Bauernhof und die Mühle. Sein jüngster Sohn, Johann Joseph, war mein Vater. Er lernte in der Dorfschule, soviel man lernen konnte, schnitzte und zeichnete Figuren, studirte in der Mühle in den Stunden, bis das Getreide aufgeschüttet[2] wurde, Mathematik und Geometrie. Er wollte Maler werden, aber Mittel und Gelegenheit fehlten dazu, jedenfalls ist in ihm ein großes Talent für die Kunst und Wissenschaft verloren gegangen. Er lernte das Müllerhandwerk, die Bäckerei, und heiratete ein armes Bauernmädchen, eigentlich eine Dienstmagd. Meine Mutter erzählte mir oft, wie arm sie und der Vater zur Zeit ihrer Heirat waren. Er hatte bereits eine Bäckerei angefangen und in aller Frühe, bevor er die Braut in die Kirche führte, machte er den Teig zurecht und als sie als Gatten vereint nach Hause gingen, wurde das Brod gebacken, in Ordnung gebracht und dann erst zum Hochzeitsschmaus in das Gasthaus gegangen.

In Graun war keine Aussicht auf Erwerb, daher zogen sie eine Stunde nördlich nach Nauders, ein großes Dorf an der Schweizergrenze. Hier konnte ein Bäcker leichter seinen Unterhalt erwerben, weil in dem nahen Schweizerthal Unterengadin in damaliger Zeit kein Bäcker lebte und das Volk bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten gerne viel Weißbrot (Bangformaint) verzehrte. Die Einwohner sind romanische Calvinisten, haben eine eigene Tracht und andere Gebräuche und Sitten als die nahen Tiroler. Sie leben vom Wiesen- und Feldbau, viele ziehen in der Jugend in die Fremde, nach Italien, Spanien, werden Kaffeesieder, Zuckerbäcker, kommen meist wohlhabend zurück, bauen sich schöne Häuser, heiraten und werden wieder Bauern.

Anfangs ging bei meinen Eltern das Geschäft gut. Mein Vater kaufte sich Aecker, Wiesen, hielt Pferde und Kühe, und baute sich nach seinem eigenen Plane ein Häuschen. Die Familie wuchs heran, das erste Kind war noch[3] in Graun gestorben. Die anderen neun wurden in Nauders geboren und groß gezogen. Alles mußte arbeiten und helfen, der älteste Bruder Franz besorgte die Pferde und das Fuhrwerk, der zweite, Jacob, wurde nach Innsbruck in's Gymnasium geschickt; Bruder Reinhart, die Schwestern Caroline, Victoria, Therese und Anna, alle wurden zur Arbeit angehalten und, soweit die Mittel reichten, auch für ihre Erziehung gesorgt. Vor und nach dem Essen und Abendmahl wurde gemeinschaftlich gebetet und auch sonst in Gottesfurcht und Eintracht gelebt. Mein Vater war kein gewöhnlicher Bauer, die Beamten des Landgerichtes, der Doctor und Geistliche suchten seinen Umgang, weil er ein gescheidter Mann war. 1809 hatte er als Commandant einer Compagnie Bauern den Landsturm mitgemacht, war öfters im Gefechte und hatte auch bei Hinterlan an der bairischen Grenze eine Kugel in die Wade erhalten. Später mußte er sich, um der Rache der Franzosen zu entgehen, über den Jaufen durch das Pusterthal nach Kärnten und Wien flüchten. Er war im Vintschgau und im Oberinnthal der beste Scheibenschütz und in seiner Jugend ein verwegener Gemsenjäger. Auf dem Schaft seines Stutzens hatte er sich selber auf der einen Seite eine Gemsenjagd, auf der anderen eine Bärenjagd geschnitzt, erst später verkaufte er ihn für ein gutes Stück Geld an einen Engländer. Er zimmerte sich selbst einen praktischen Landfuhrwagen und war überhaupt ein erfinderischer Kopf; tagelang rechnete er die schwierigsten mathematischen Aufgaben, machte Projecte zu neuen Häusern und baute nach und nach fünf Häuser, die schönsten und zweckmäßigsten in Nauders; leider konnte er sie nicht selbst oder nur kurze Zeit bewohnen, denn die Gläubiger[4] zwangen ihn sie wieder zu verkaufen. Er gab die Bäckerei auf und trieb einen Handel mit Pferden, mit Getreide, Wein und Früchten und fuhr das Land auf und ab. Aber bei allem Glücke hatte er auch viel Unglück und konnte auf keinen grünen Zweig kommen. Drei Jahre vor meiner Geburt verpachtete er sein Gütchen, nahm in Tarasp, einem Dorfe in Graubünden, einen Bauernhof in Pacht und errichtete dort wieder eine Bäckerei. Tarasp ist der einzige katholische Ort im Engadin, heutzutage ein Curort, und weltberühmt durch sein schönes Hôtel, das von Engländern und Deutschen viel besucht wird. Damals kamen nur Bauern und Wirthe hin, um den Sauerbrunnen von dem nahen Schuls zu trinken.

Die Wirthschaft ging jedoch in Tarasp weniger gut als man hoffte und meine Mutter drängte den Vater nach Nauders zurück, denn sie wollte ihr letztes Kind in Tirol zur Welt bringen. Der Vater kaufte das Traubenwirthshaus und da er mit der Schwester Caroline und Bruder Reinhart schon einige Tage vorausgereist war, erwartete er die Mutter und die Anderen auf der Norwerzer Höhe.

Das erste Empfinden meiner Existenz fing im Jahre 1820 an. Ich erinnere mich noch an das Haus, in dem wir damals wohnten, an den Sonntag, an dem ich das erste Höschen trug und meine Mutter mich zu einer Nachbarsfrau mitnahm, an den schwarzen Pudel, den ich dort antraf und der mich in's Gesicht biß, daß mir das Blut von der Stirne rann. Wie andere Kinder liebte ich geschnitzte Pferdchen und Peitschen zum Knallen, mit denen ich sehr viel Lärm machte. Das Haus war nicht mehr dasselbe, in dem ich geboren wurde, und 1821 wurde wieder Wohnung[5] gewechselt. Beim Einzug setzte mich mein ältester Bruder Franz auf das Pferd vor dem Möbelwagen, ich ritt zum erstenmale und zog mit Jubel in das Haus, an das sich viele meiner Erinnerungen knüpfen. Das erste Ereigniß war freilich ein schmerzliches. Als ich eines Sonntags, wo Niemand in der Küche war, eine Figur von einer Spielkarte, die ich mir als Hexe vorstellte, verbrennen wollte, verbrannte ich dafür meine eigenen kleinen Hände, daß ich jämmerlich schrie. Schwester Victoria, deren Liebling ich war, kam zu Hilfe und steckte meine Hände, um die Schmerzen zu mildern, in eine Schüssel mit Oel und frischen Eierdottern. Bald mußte ich auch in die Schule gehen; da ich aber sehr lebhaft und immer zerstreut war, lernte ich wenig; der Lehrer, ein grober Bauer, konnte auch nicht viel und im Sommer gab es gar keine Schule. Am liebsten war ich mit anderen Buben auf der Gasse; wir spielten Räuber, gingen in die Wälder und machten mit unseren Peitschen viel Lärmen. In der Nachbarschaft lebte eine Mutter mit mehreren Kindern, der Aelteste war in meinem Alter und mir sehr zugethan. Deswegen war ich oft in diesem Hause und die Frau liebte mich fast mehr als ihren Aeltesten, der beim geringsten Anlaß weinen konnte. Eines Tages saßen die Mütter vor unserem Hause auf einer Bank. Die Frau nahm mich auf ihren Schoß und sagte zu der Mutter: »Vesa, euer Karl wird einmal ein großer Herr.« »Warum?« fragte diese. »Weil er so gescheidt und von allen Knaben der muthigste ist.« Nun, ein großer Herr bin ich zwar nicht geworden, aber ich habe mich doch vor allen diesen Knaben auf eine bessere Lebensstufe geschwungen.[6]

Damals war ich ein ausgelassener Bube; oft ergriff ich meine Schwestern, auch zwei auf einmal bei ihren Zöpfen und wollte sie als meine Pferde kutschiren. Im Winter kamen Weiber und Mädchen mit ihren Spinnrädern in unsere große Stube und spannen Flachs. Die Männer und Knaben saßen hinter dem großen Tische oder auf der Ofenbank. Dann wurde gesungen, oder ein altes Weib erzählte Gespenstergeschichten, die mich so aufregten, daß ich vor Furcht meine Füße unter dem Tische nicht mehr sicher wußte. Einmal kam mein Vater, der selten Abends zu Hause war, etwas früher heim. Er horchte auf die Geschichte, nahm jedoch die Alte bei der Hand und führte sie bei der Thüre hinaus, indem er ihr sagte, sie solle sich nicht mehr blicken lassen, er wolle nicht, daß die Erziehung seiner Kinder durch solchen Unsinn verdorben würde. Da er erkannte, wie ich mich seit diesen Geschichten fürchtete, erzählte er mir Geschichten des Gegentheils und überzeugte mich und die Geschwister, daß es gar keine Geister gebe, vor denen man sich zu fürchten brauche; destomehr müsse man vor bösen Menschen auf der Hut sein. Zur Nachtzeit schickte er mich zum Krämer um Schnupftabak, so daß ich mir die Furcht abgewöhnte und auch zeitlebens keine Furcht mehr vor Tod oder Gespenstern hatte.

Da ich der Liebling der Eltern und Geschwister war, wurde ich etwas verzogen und konnte mir viele Freiheiten erlauben. Ich machte alle Bubenspiele mit, gewöhnlich als Anführer, in der Schule wollte ich nicht lernen und wurde oft gestraft, die Aufgaben wurden entweder gar nicht oder im letzten Augenblicke vor der Schule gelernt; immer und immer den Katechismus auswendig lernen, war mir keine[7] Freude. Dafür war ich mit meinem kleinen Schlitten der verwegenste Renner von dem Berge herab und das bei einer Kälte von 20° ohne Handschuhe in einem einfachen Spenser von Loden und Lederhosen spärlich gekleidet. Oft kam ich erst, wenn ich zum Abendessen nach Hause gerufen wurde, und wenn ich dann mit rothen Backen und vergnügtem Gesichte in die Stube trat, erzählte ich, wie ich dem Einem vorgeritten und den Anderen in den Schnee geworfen hatte.

In diesem Hause wohnten wir mehrere Jahre. Weil damals auf der Straße von Landeck bis Bozen keine Fahrpost eingerichtet war, erhielten 1814 mein Vater und ein gewisser Pali von der Regierung den Postbotendienst. Jeder mußte mit seinem eigenen Pferde einmal in der Woche nach Landeck und einmal nach Bozen fahren. Diese Post, mit der alles, Menschen, Waaren und Briefe befördert wurden, bestand aus einem sogenannten Steirerwagen; vorne waren ein oder zwei Sitze für die Passagiere, hinten im Wagen stand eine verschlossene Kiste mit den Briefen. Für diesen Dienst sowohl, als für die Wirthschaft hatten wir immer 3–4 Pferde, und da mein Vater immer den ältesten Bruder fahren ließ, nahm mich dieser auf mein dringendes Bitten einmal nach Bozen mit. Ich war 7 Jahre alt und dies war meine erste Reise in die Welt. Den zweiten Tag der Reise kamen wir Abends nach Terlan, zwei Stunden von Bozen, wo der schiefe Thurm steht. Da wir sehr früh von Schluderns weggefahren waren, und ich auf dem Sitze eingeschlafen war, mußte mich der Bruder anbinden, daß ich nicht herunterfiel. Tags darauf wollte der Bruder wegen des Jahrmarktes zeitlich nach Bozen und überließ mich daher[8] der Wirthin bis zum anderen Tag. Morgens früh 4 Uhr fuhr der Bruder fort, um 7 Uhr wollte die Wirthin nachsehen, ob ich schlafe oder wache, fand jedoch das Bett leer und die Kleider auf dem Stuhle daneben. Man suchte und rief mich im ganzen Hause, bis ich von dem Lärmen aufwachte und hinter dem Bette von dem Boden aufstand, wohin ich im Schlafe sammt dem Federkissen hinuntergefallen war. Nach dem Frühstück führte man mich in den Weinberg, wo die köstlichen Trauben wachsen, aus denen der berühmte Terlaner Wein gepreßt wird. Ich sah zum erstenmale die Rebe und genoß übermäßig viel Trauben. Wie glücklich war ich und wie viel erzählte ich nach der Heimkehr. Da mein Vater so viel als Postmeister war, gab es noch oft Gelegenheit mit meinem Bruder eine Reise zu machen, worüber ich immer sehr glücklich war.

Wie ich acht Jahre alt war, ging ich das erstemal beichten und communiciren; in meinem Leben war ich nie wieder so fromm wie damals, denn ich glaubte aller Sünden ledig dem Himmel zuzugehören.

Einen besonderen Gefallen hatte ich daran, die Pferde zum Brunnen zu führen; mein Bruder hob mich auf ein Pferd und ich konnte reitend die anderen führen und treiben. Eines Tags saß ich auf einem launigen Pferde und als wir vom Brunnen heimkehrten, lief das Thier in gestrecktem Galopp durch ein paar Gassen und dann in den Stall zurück. Ich hielt mich fest, aber meine Mutter hatte Todesangst, als sie mich vom Fenster aus in den Stall reiten sah; wenn ich mich nicht ganz auf das Pferd niedergelegt hätte, konnte es mich abstreifen oder ich mir an der niederen Stallthüre den Kopf zerschmettern. Dieses Pferd wurde mein Liebling[9] und ich wollte es immer selbst füttern, bis es mich eines Tages in's Gesicht biß und ich mit einer Mistgabel auf dasselbe losschlug. Mein Bruder wies mich zurecht, freute sich aber über meinen Muth.

Wo es darauf ankam, war ich immer der Erste unter den Buben. Da ich gerne auf dem Kirchthurm die Glocken läutete, schlich ich mich in der Weihnacht um 11 Uhr ohne Erlaubniß der Eltern fort, die Mette zu läuten. Aber die Kirche steht eine Viertelstunde weit von unserem Hause auf einer Anhöhe und ich ging den kürzeren Weg in einem furchtbaren Schneesturm vorwärts, bis ich im tiefen Schnee stecken blieb. Wie es mir gelungen mich zu retten, weiß ich nicht mehr. Aber mißvergnügt und still kam ich zurück und ging verdrießlich in's Bett, während die Familie durch eine andere Gasse in die Kirche ging.

In der Dorfschule lernte ich durch drei Jahre nichts als schlecht lesen und noch schlechter schreiben. Von einer Orthographie war keine Rede, dafür lehrte uns der Bauer Schulmeister eine falsche Aussprache, in dem er b wie p, d wie t, w wie b u.a. betonte. Es ist kaum zu glauben, aber doch wahr, daß man sich eine so falsche Art zu lesen und zu schreiben nur schwer abgewöhnen kann. Bei mir hat sich das leider bewährt, denn ich mache noch im Schreiben und Sprechen solche Fehler. Für das Rechnen hatte ich kein Talent und gegen das Lernen des Katechismus einen Widerwillen, so daß mich der Pfarrer oft strafte. Er weissagte mir auch viel Schlechtes, was aber, Gott sei Dank, nicht in Erfüllung ging. In der Schule zeichnete ich lieber als ich lernte, und mein Vater konnte mir keine größere Freude machen, als wenn er mir Federmesser, Papier und[10] Bleistift kaufte. Zu Hause, besonders im Winter, zeichnete ich Pferde, Hunde, Kühe oder schnitzte Figuren aus Zirbelholz. Mein Vater konnte alle Thiere in dem Umrisse ähnlich zeichnen, und es war mir immer das höchste Vergnügen ihm zuzusehen und es ebenso zu machen. Einmal brachte er mir von Bozen schlechte Aquarellfarben mit, aber der Pinsel ging verloren; meine Schwester Victoria machte mir dann einen neuen aus Katzenhaaren in einem Taubenkiel und damit fing ich zum erstenmale in meinem Leben zu malen an. Diese Schwester erkrankte bald darauf und starb im 15. Jahre am Nervenfieber. Ich war untröstlich darüber, denn sie war stets meine Beschützerin. Mutter und Geschwister erzählten mir von ihrer Güte und Unschuld, acht Tage vorher hatte sie die Stunde des Todes vorausgesagt.

Im Frühjahre, wo die Schule aufhörte, trieben wir Buben uns viel herum, singen Räuber, spielten Soldaten, wobei es manchmal Ernst wurde. Eines Tages ließ mich meine Mutter durch Bruder Johann, der drei Jahre älter als ich war, aber ein ruhiges, phlegmatisches Temperament hatte, zum Essen rufen; ich wollte nicht folgen und als er mich packte, hieb ich ihm mit meinem Holzsäbel über den Kopf, daß er blutete. Darüber wurde ich sehr traurig und auch von der Mutter gestraft.

Hinter unserem Hause waren Aecker und etwa 200 Schritte davon zog sich eine steile Wiese hoch hinauf, den Bergen zu. An einem Wintertage in den Weihnachtsferien machten wir Knaben von frisch gefallenem Schnee eine Kugel und wälzten sie herab, bis sie in der Ebene still stand. Da die Masse Schnee fast 11/2 Stock hoch und breit geworden war, nahmen wir Schaufeln, machten das Ganze zu einem[11] Vierecke, gruben einen Eingang, eine Vorhalle und zwei Zimmer mit Fenster aus, und legten als Teppich Stroh auf den Boden. Ein anderer Schneeball wurde herabgelassen, aus dem wir einen Riesen machten, der mit einer langen Stange als Lanze das Haus bewachte. Der Gedanke und die Anordnung der Arbeit ging von mir aus, aber ich mußte auch die Klage und Drohung des Nachbarn anhören, daß ich so viel Schnee in seinen Garten gebracht. Erst die Juli-Sonne konnte die Masse Schnee zerschmelzen. Dann kam wieder der ersehnte Tag, mit welchem die Schule aufhörte. Die Pferde, welche nicht gebraucht wurden, mußten auf die Weide getrieben werden. Ich wurde ein Pferdehirt meines Vaters, und ich und andere Knaben, welche Pferde hüten mußten, trieben die Thiere in die Wälder und blieben den ganzen Tag draußen. Wir bauten uns im Walde Hütten gegen Regen und Wind, machten Feuer und brieten uns Erdäpfel. Da auch eine Kuhherde im Walde war, melkten wir die Kühe in einen Hut, um zu unserem Schmause gute Milch zu haben. Das wurde uns aber vom Beichtvater streng verboten, weil es unrecht war, und wir thaten es in Zukunft nicht mehr. Abends ritten wir um die Wette nach Hause. Mein Vater hatte einen jungen schwarzen Hengst gekauft, den ich auch eines Tages auf der Weide hatte. Da kam ein Fremder, der dieses schöne Pferd kaufen wollte, und der Vater schickte die Schwester Anna in den Wald, ich solle das Pferd nach Hause führen; weil sich aber das Pferd nicht fangen ließ, machte ich meinen Kameraden den Vorschlag, das Pferd langsam durch den Hohlweg zu treiben, ich wolle auf dem Aste eines alten Baumes sitzen, und wenn der Schwarze kommt, rasch herunterspringen. Das geschah.[12] Das Thier kam ganz harmlos unter mir her und mit einem Satze war ich auf seinem Rücken. Wie besessen rannte es mit mir fort, wieder in den Wald hinein, aber ich klammerte mich mit Händen und Füßen an bis es müde wurde und zur Herde zurückkehrte. Dann gelang es mir, ihm die Halfter über den Kopf zu werfen, den Strick um die Nase zu drehen, es mußte mir pariren und ich ritt mit ihm nach Hause.

Im Winter schleiften wir mit kleinen Schlitten, wo nur ein Bube sitzen konnte, von der Höhe, wo die Kirche steht, fast eine halbe Stunde lang durch's Dorf herab bis zum Bach. Wie ich einmal auf dem spiegelglatten Wege herabfuhr, kam gerade hinter unserem Hause ein mit Ochsen bespannter Holzschlitten hervor. Da ich nicht aufhalten und nicht ausweichen konnte, duckte ich mich ganz ausgestreckt mit dem Kopfe zurück und kam unter der Zugstange zwischen den Ochsen und dem Schlitten unversehrt durch, aber mein Nächster hinter mir fuhr so unglücklich in den Schlitten, daß er sich ein Schenkelbein brach. Mit beklommenem Herzen ging ich zurück und fand viele Menschen bei dem Unglücklichen versammelt, die ihn in seine Wohnung trugen. Dieser Knabe hieß Cyprian Morriggi, war der Sohn eines Wirthes und ein Jahr jünger als ich. Da er amputirt wurde, so geht er heute noch mit einem hölzernen Fuße und lebt als armer Beamter in Tirol. Ich wurde immer verwegener und hatte auch Nachahmer und Gehilfen unter meinen Kameraden. So legten eines Tages ich und andere Buben von der Diele des Nachbarhauses, wo wir oft spielten, ein Brett zum Fenster hinaus, um uns darauf zu schaukeln; die lange Seite des Brettes blieb im Inneren[13] und der eine Bub Nanz (Vinanzius) mußte sich als starkes Gewicht auf diese Seite setzen; ich kroch zum anderen Ende des Brettes hinaus und wir singen an zu schaukeln. Die Mutter, welche von ihrem Fenster mich in der Luft schweben sah, wurde ohnmächtig und die Drohungen einiger Bauern trieben mich auch in das Haus zurück; vom Vater bekam ich dafür meine wohlverdiente Strafe. Wie es in Tirol üblich ist, waren auf dem Dach desselben Hauses Steine und darunter einige Schiefersteine gelegt; um die Kreuzer für den Griffel zur Rechentafel anders verwenden zu können, krochen ich und Nanz bis auf den First des Hauses, um ein Schieferstück los zu machen; aber ein Brett brach unter mir, ich fiel in die Scheune hinab, zum Glücke nicht auf die Tenne, wo Leiterwägen standen, sondern auf eine erhöhte Bühne, wo etwas Stroh lag. Ich blieb eine Zeit betäubt, aber als mich der Onkel des Nanz auf einer Leiter herabnahm, lief ich davon, daß er mich nicht einholen konnte.

Ungefähr um dieselbe Zeit gingen zwei meiner Schwestern, Therese und Anna, mit mir und anderen Knaben und Mädchen, jedes mit einem Korbe oder Milchkübel versehen, gegen Finstermünz in ein Waldthal, wo immer sehr viele Himbeeren wachsen. Wir trafen alle Gesträuche von den edlen Früchten roth überhängt und ebenso Erdbeeren zur Genüge. Ich kletterte immer höher, suchte mir die schönsten Büsche und als ich meinen kleinen Kübel voll hatte, wollte ich auf ein erhöhtes Felsstück steigen und den anderen zujauchzen, als ich ein gewaltiges Rauschen hörte und gerade über mir einen riesigen Lämmergeier erblickte; ich erschrak so, daß mir der Kübel mit den Beeren aus[14] der Hand fiel und den Berg bis in den Wildbach hinunterrollte. Der Lämmergeier hätte mich forttragen oder verwunden können, und noch heute, wenn ich gute Himbeeren esse, schwebt mir das Bild vor Augen.

Der Glücksstern meines Vaters schien nur selten klar und unbewölkt. Er konnte sich, wenn auch sorgenvoll, doch anständig und ehrlich mit der zahlreichen Familie durchschlagen, aber das Unglück kam bald wieder in unser Haus. Auf unserer Straße wurde, wie im ganzen Kaiserstaate, eine geregelte Eil- und Briefpost eingeführt, der Postbotendienst hörte auf, mein Vater konnte die Postmeisterstelle nicht erhalten, und die ergiebigste Quelle des Lebensunterhaltes für die Familie ging damit verloren. Wie selten ein Unglück allein kommt, so häufte sich damals, 1825, auch eines auf das andere. Eine Viehseuche vertilgte uns mehrere Schafe und Kühe, zwei schöne Pferde stürzten von einem Felsen und fielen sich todt. Mehrere Gläubiger verlangten ihr Geld und der Vater mußte seine Habe verkaufen. Die erwachsenen Söhne und Töchter gingen in die Fremde, um sich ihren Lebensunterhalt selbst zu erwerben, nur ich und Bruder Johann blieben zu Hause. Der Vater fing wieder das Bäckereigeschäft an; da nun in Nauders Bäcker genug waren, konnte er nicht aufkommen. Bisher hatten wir keine Noth gelitten, aber jetzt zog sie ein und wurde drückend. Ich erinnere mich noch, wie wir manche Tage nicht schwarzes Brot und Erdäpfel hatten, um den Hunger zu stillen. Der Vater dachte wieder an die Schweiz, pachtete in Martinsbruck ein Bauernhäuschen mit einem kleinen Gute und errichtete eine Bäckerei. Bruder Reinhart und die Schwestern wurden nach Hause gerufen und das Geschäft ging wieder[15] besser, da die Kinder Brot auf Rückkörben in die Dörfer trugen und hausirten. Ich selbst trug schon einen Sack voll Semmeln in die hohen Berge hinauf; ich und mein Bruder Johann hausirten oft tagelang, aßen spärlich und schliefen auf der Ofenbank bei den Bauern. Ich half zu Hause auch Semmeln backen, d.h. ich wog die Stücke Teig ab, spaltete und trug Holz und griff alles mit viel Geschick an, so daß ich mehr leistete als der unbeholfene Bruder. Hatte ich freie Zeit und bekam ich ein Blättchen Papier, so zeichnete ich alles, was mir vorkam. Die Bauern in Martinsbruck sind Calvinisten. Ihre Kirche war öde, nichts als ein Tisch stand darin; sie sind fast nur schwarz gekleidet, denn sie sind fast immer in Trauer, weil sie für ihre Eltern fünf Jahre lang trauern müssen. Sie dürfen nicht einmal in Hemdärmeln auf dem Felde arbeiten. Die Mädchen sind außer der Trauer hochroth gekleidet. Ihre Sprache ist romanisch, weil sie von einer römischen Colonie abstammen. Auch in Nauders wurde vor 300 Jahren noch nicht deutsch gesprochen. Die Thäler, Berge und Hügel, sogar die Meierhöfe haben noch romanische Namen. So hießen die acht Bauernhöfe, welche links und rechts ober dem Dorf in den Bergen zerstreut liegen: Stables (von stabile), Arbelles (aria bella), Bartitsch, Compatsch, Gufres, Tenres, Tif, Ariatsch (ariaccia, d.h. schlechte Luft, weil in der Nähe ein großer Sumpf ist). Die Mehrzahl der Einwohner von Nauders scheint also lateinischer Abstammung zu sein. Der Name Blaas kommt auch in Spanien vor und vielleicht sind meine Ahnen vor der Inquisition aus Spanien geflohen und haben sich in diesen Bergen angesiedelt. Eine[16] Viertelstunde außer dem Dorfe ist die Brücke über den Innfluß.

Auf der österreichischen Seite stehen das Zollamt und eine Capelle; dahin ging unsere Familie zur Messe, nur im Hochsommer nach Nauders, das eine Stunde weit über dem Berge liegt. Der Geistliche im Zollamte liebte mich, da ich ihn bei der Messe bediente, und er gab mir nach der Messe etwas Unterricht im Lesen und Schreiben. Als ich eines Tages bemerkte, daß er auf Elfenbein Porträte malte, wurde er auch mein Liebling und ich bat ihn mir etwas zum Zeichnen zu geben. Aber er hatte nur einige schlechte Vorlagen und war selbst nur ein schwacher Dilettant. Er hatte mehr Luft auf die Jagd zu gehen und nahm mich auch oft mit, um Wildtauben zu schießen, die er gut locken konnte. Auch mein Bruder Reinhart, der ein junger starker Mann war, ging öfters auf die Gemsenjagd in das Gebirge. Einmal machte ein Hirte großen Lärm, weil ein Bär eine Kuh getödtet und verschleppt hatte. Mehrere Schützen gingen auf die Bärenjagd und ich lief in der Nacht meinem Bruder bis zum Sammelplatz nach, daß er mich nicht zurück schicken konnte. Die Schützen wurden wie bei einem Treibjagen aufgestellt, mein Bruder stand am Rande des Waldes und hieß mich auf einen hohen Baum klettern, womit ich zufrieden war. Von dort sah ich, während die Treiber durch den Wald einen großen Lärm machten, den Bären gegen das Joch hinauslaufen und rief meinem Bruder zu: »Schau, dorthin gegen das Joch läuft ein zottiger Hund.« »Ja, das ist der Bär«, erwiderte er, »der schon lange von uns Wind hatte und nun sicher ist.« Die Jagd wurde eingestellt und alle gingen nach Hause,[17] ohne mir gram zu sein, da sie sonst den ganzen Tag gepaßt hätten. Mit meinem Bruder ging ich noch öfter auf die Jagd und ich fing an ein kleiner Nimrod zu werden. Im Frühjahr nahmen mich der Vater und die Brüder mit, um Holz zu fällen, und ich wurde mit der Axt bald geschickter als der Bruder Johann. Im Winter gingen wir mit Handschlitten in's Gebirge, um das gespaltene Holz zu holen. Auf dem Schlitten wurde das Holz zusammengebunden, ich saß voran und kam glücklich den steilen Weg herab; aber mein Bruder fiel eines Tages in den Schnee und verwundete sich am Fuße. Ich verband ihn mit meinem Halstuch so gut als es ging, legte ihn auf den Schlitten und fuhr nach Hause. Wir hatten ein paar Kühe, ein kleines Pferd, einige Ziegen und Schafe, aber nur wenig Feld, so daß das Gras und Heu nicht zum Futter ausreichte. Wir mußten nun oft früh Morgens in's Gebirge, um von den Felsen und aus den Felsspalten Gras zu holen. Dabei kletterte und sprang ich von Stein zu Stein wie eine Gemse; Schwindel und Furcht kannte ich nicht. Wenn ich jetzt daran denke, glaube ich ein bleierner Mensch zu sein. Gegen Mittag kamen wir nach Hause, die Mutter hatte das Essen bereitet und Knödel und Kraut schmeckten uns wie die besten Leckerbissen.

Als der Jüngste hatte ich mehr Freiheit und konnte Nachmittag meine Wege gehen. Dann zeichnete oder schnitzte ich bald unseren Pintsch, bald eine Katze oder ein Pferdchen. An meiner linken Hand finde ich noch alle kleinen Narben als Erinnerung an die Verwundungen, die ich mir mit dem Messer beibrachte. Vom Vater hatte ich wohl von Malern und Bildhauern gehört, aber ich hatte noch keinen gesehen. Ich kannte nur die Bilder in den drei Kirchen zu[18] Nauders und hielt sie für große Kunstwerke, besonders das eine in der Liebfrauenkirche, welches die heilige Nothburga vorstellt. Mir gefiel der Lichtschimmer, den der Maler nicht ohne Geschick in das Zimmer, in dem sie betete, leuchten ließ. In Martinsbruck war kein Bild in der Kirche, aber ich fühlte mich doch als Knabe dort glücklicher als in Nauders, denn das Schweizerdorf liegt tief im Thal und ist fruchtbarer, während in Nauders nur Nadelholz und nur hie und da ein belaubter Strauch vorkommt. Ich war in Martinsbruck sehr glücklich, weil ich dort Haselnußsträucher, Weiden, Erlen und anderes Laubholz fand. Im Mai, wenn die Weiden im Safte sind, schnitten wir Buben die Rinde los, machten Pfeifen daraus und lärmten damit gewaltig. Gerne schnitt ich mir einen schlanken Haselnußstab ab, ja noch heute, wenn ich durch einen Wald gehe und eine Haselnußstaude finde, kann ich der Versuchung nicht widerstehen mir einen Stab abzuschneiden und mitzunehmen. Wie in der Jugend habe ich stets ein scharfes Messer bei mir, das mir im Leben, besonders auf Reisen und Landpartien, oft gut zu statten kam. Wenn ich als Bube so ein Messer verloren hatte, war ich ganz unglücklich und betete zum heiligen Anton von Padua, der bei uns als Finder für alles Verlorene gilt. Aber der heilige Anton hatte keine Rücksicht für mich und blieb unbarmherzig.

Der Zollcaplan, P. Stecher, auch Gaudl genannt, war ein fauler Priester, und mir nur gewogen, weil ich ihn bei der Messe bediente. Da ich bei ihm keine Fortschritte machte, wollte mein Vater, daß ich mich zu Hause üben sollte und gab mir einst ein Buch zu lesen, welches über die Ausgrabungen in Pompeji und Herculanum handelte. Den[19] Titel und Autor dieses Buches habe ich vergessen. Ich verschlang damals mit steigender Bewunderung den Inhalt desselben und war ganz entzückt von den Kunstschätzen, die darin aufgezählt waren, von den Statuen und den Wandmalereien, welche noch gut erhalten aus dem Schutte ausgegraben wurden, wo sie seit 2000 Jahren, von Asche und Gerölle überschüttet, begraben waren. Da mich die anderen wenigen Bücher meines Vaters nicht interessirten, so nahm ich dieses Buch immer wieder zur Hand und ich habe erst daraus geläufig lesen gelernt. Der Vater war ganz vergnügt, wenn er mich so oft und so emsig beim Buche fand. Auf meine Frage erklärte er mir, was Fresco sei, so gut als er konnte. Und jetzt, da ich vieles in diesem Zweige der Kunst geleistet habe, erkenne ich, daß er so ziemlich unterrichtet war. Besonders begeisterte mich die Beschreibung eines Bildes: wie Achilles von Wuth entbrannt, auf Agamemnon mit gezogenem Schwerte zurennt und Pallas Athene ihn bei seinen goldenen Locken zurückhält und besänftigt. Als ich 1840 zum erstenmale nach Neapel kam und die Studien im Museum besuchte, fiel mir sogleich dieses Bild auf, das in Pompeji aus der Mauer geschnitten und hierher gebracht worden war. Lange stand ich in Gedanken davor und dachte an das Buch, aus dem ich lesen gelernt und an die Knabenjahre in Martinsbruck. Auch ein Mosaikbild, das ich mir aus dem Buche gemerkt, fand ich in Neapel wieder: Tauben auf einer griechischen Vase theils badend, theils trinkend. Von der Zeit an, als ich jenes Buch kennen gelernt, zeichnete ich öfters als früher und mein Sinn war, Maler zu werden. Mein Vater, der manches über Kunst gelesen hatte, nannte mir Raphael, Rubens[20] und Tizian als die größten Maler und sagte, daß auch in Tirol brave Maler wären, wie Paul Trogger, Unterberger, Knoller, Schöpf und Arnold in Innsbruck. Er hatte mehrere Werke von ihnen gesehen und erzählte mir besonders von der Kirche in Gries mit den Bildern von Knoller, von der Johanniskirche in Innsbruck, von Schöpf und anderen. Dabei hörte ich ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu. Aber das Rechnen, worin er Meister war, und das er mir gerne gelernt hätte, ging mir nicht ein; ich habe es auch niemals gelernt, während mein Gedächtniß für alles, was die Kunst betrifft, scharf und ausdauernd blieb.

Weil ich damals sehr wenig lernte und der Vater sehr um mich besorgt wurde, dachte er daran mir eine bessere Erziehung zu verschaffen. Aber ohne Mittel war guter Rath theuer. Mein ältester Bruder Jacob, der fünfzehn Jahre älter war als ich, lebte damals in Innsbruck als Praktikant bei der Post und wartete auf eine Anstellung. Er war der einzige von meinen Geschwistern, der eine bessere Bildung genossen hatte. Im Beginne seiner Studien war er vom Vater und zum Theil von Wohlthätern unterstützt worden. Später kam zum Glück unser Onkel, der Bruder meiner Mutter, Franz Purtscher Freiherr von Eschenburg, von Lemberg als Oberlandesgerichts-Präsident nach Innsbruck. Er war aus Graun gebürtig, ein Schulkamerad meines Vaters und der Sohn eines armen kinderreichen Bäuerleins. In seiner Jugend war er Hirtenknabe, wurde dann von Studenten, die sein Talent erkannten, nach Innsbruck gebracht, lebte während der Gymnasialstudien von Wohlthaten, war aber seiner Zeit der ausgezeichnetste Student in Innsbruck. Durch Glück, Talent und eisernen Fleiß hatte er es zum[21] Gerichtspräsidenten gebracht, besaß den Leopolds-Orden und wurde später Baron. Er war ein gewaltiger und gerechter Justizmann und Kaiser Franz soll nach einer großen Tafel in Wien, wo Purtscher zu Gaste war, ihm auf die Schulter geklopft und gesagt haben: »Dieser Mann ist die lebendige Gerechtigkeit.« Gegenüber seinen Kindern und den Untergebenen galt er für sehr strenge, auch war er sehr stolz auf das Verdienst sich zu dieser Höhe aufgeschwungen zu haben. Als mein Vater 1809 aus Tirol nach Wien flüchtete, hatte er bei ihm nur eine kalte Aufnahme gefunden und wurde mit einem Reisegeld von 20 fl. kurz abgefertigt. Mein Vater hatte damals dem Schwager seinen Mißmuth tüchtig und aufrichtig zu verstehen gegeben. Wie nun der Onkel nach Innsbruck kam, führte die Mutter den Studenten Jacob zu ihm und der Besuch hatte das Resultat, daß dieser beim Onkel den Tisch der Dienerschaft, und ein Zimmer bekam. Nach einigen Jahren, als Jacob im letzten Curse der Philosophie war, hatte ihn der strenge Onkel einmal gesehen, wie er Abends ein hübsches Mädchen unter dem Arme in ein Wirthhaus begleitete. Das war ein zu großes Verbrechen, er wurde brotlos auf die Gasse gesetzt, konnte dann nicht weiter studiren und mußte sich mit Lectionen durchhelfen. Zur selben Zeit kam der Onkel als oberster Justizpräsident für die Lombardei und Venedig nach Verona. Alle ferneren Bitten meines Bruders und selbst der Mutter, die in der Jugend ihren Liedlohn oft mit dem armen Studenten getheilt hatte, halfen nichts. Die Härte und der Stolz thaten dem Vater sehr weh und er schrieb ihm einen derben Brief, der aber das Verhältniß nur schlimmer machte.[22]

Ich war nun zwölf Jahre alt und mein Vater schrieb dem Sohne Jacob, daß er mich nach Innsbruck schicken wolle und beauftragte ihn, da er mich nicht unterstützen könne, Wohlthäter zu suchen, wo ich wenigstens das Essen bekäme, wie das in Innsbruck für alle armen Studenten der Brauch ist. Ich vertauschte das erstemal meine Bauernkleider mit einem neuen Anzug von rothbraunem Tuch und einer Studentenkappe nebst ein Paar Stiefel. Ich war stolz in diesem Anzuge und glaubte schon ein Student zu sein, obwohl ich erst lesen gelernt hatte. Von Innsbruck hatte ich schon viel erzählen gehört und eine unbeschreibliche Sehnsucht lebte in mir, recht bald dahin zu kommen, um etwas Rechtes zu lernen. Ich war aufgeregt und träumte von der Zukunft, welche sich meine Jugend so rosig vorstellte, da ich in meiner Unschuld und Unerfahrenheit nicht erkannte, was dazu gehört, und was man alles durchzumachen hat, um was Rechtes zu werden.[23]

Quelle:
Blaas, Karl: Selbstbiographie des Malers Karl Blaas 1815–1876. Wien 1876, S. 1-24.
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