II. Anfänge in Innsbruck, 1827–1832.

[24] Es war an einem rauhen Novembertage 1827 und unsere Gegend war schon mit gefrornem Schnee bedeckt, als ich aufbrach. Mein Vater kannte einen Wirth und zugleich Bauer, aus dem Orte Remis im Engadin, welcher sehr oft als Fuhrmann nach Hall bei Innsbruck um Salz fuhr, um es in die Schweiz zu bringen. Er hieß Menteni, sprach gebrochen deutsch und war ein humoristischer kluger Mann, wenn er nicht betrunken war; leider war er auf Reisen beständig in diesem traurigen Zustande. Er hatte vier gute Pferde, die eingeschult waren, jedes an einem kleinen länglichen Schlitten oder einem schmalen kleinen Wagen für sich eingespannt, hintereinander zu gehen, schnell oder langsam, je nachdem das erste, welches der Fuhrmann lenkte, ging. Diese eigenthümliche Art zu fahren war damals, als Graubünden noch keine eigene Fahrstraße hatte, nothwendig. In Tirol war man an diese Fuhrleute gewöhnt, denn es waren solche auf der Reise nach Hall täglich zu sehen, da die Schweizer das Tirolersalz billiger zu kaufen bekamen, als die Tiroler. Diesem Manne vertraute mich der Vater an, da er mich nicht allein reisen lassen wollte. Ich nahm Abschied[24] von den Eltern, erhielt ihren Segen, und setzte mich auf den Schlitten neben Menteni, der mich tröstete, und so fuhren wir über Nauders zwischen steilen Felsgebirgen der Finstermünz zu. Obwohl ich mich freute in die Ferne zu wandern, war ich doch in einer sehr wehmüthigen Stimmung und manchmal floßen mir die Thränen über die Wangen. Wir ließen einige Ortschaften zurück, wo mein Fuhrmann nicht ohne seinen Schnaps getrunken zu haben, vorbeifuhr. Nachmittag war Menteni so betrunken, daß man ihn zum Schlitten führen mußte, und bei jeder folgenden Station trank er Wein, so daß er nicht mehr sitzen konnte. Das erste Pferd war ein kluges Thier, kannte die Wege und Ortschaften, trabte auf ebener Straße, ging bergauf langsam und die übrigen Pferde folgten knapp nacheinander. Endlich fiel der Betrunkene vom Schlitten auf die beschneite Straße und war nicht mehr im Stande aufzustehen. Ich mußte still halten. Zum Glücke kamen zwei Wanderer, die ihn auf mein Ersuchen in den zweiten Schlitten hoben, wo er ausgestreckt liegen blieb, ich aber blieb allein im ersten Schlitten. Der gute Menteni gab keine Ruhe, wollte immer aufstehen und sang romanische Lieder, die kein Mensch verstehen konnte. Mir wurde bange, bis ich mich entschloß den Mann mit einem Stricke an den Schlitten fest zu binden. Er schlief endlich den Schlaf der Gerechten und ich ließ das gescheidte Pferd dort halten, wo es bei der vielmals wiederholten Reise zu übernachten gewohnt war. Man trug den Betrunkenen in ein Bett, fütterte die Pferde und behandelte mich auf das Freundlichste. Der Wirth und die Wirthin hatten eine große Freude, als ich ihnen erzählte, daß ich der Sohn ihres Freundes sei. Das war zu Landeck[25] im Oberinnthal. Am Morgen hatte Menteni gut ausgeschlafen, war lustig und sang fromme calvinische Lieder. So fuhren wir im besten Einvernehmen weiter, und obwohl ihn immer dürstete, blieb er doch bei Vernunft und wir kamen noch Abends in Innsbruck an.

Glücklicherweise traf ich meinen Bruder zu Hause. Obwohl ihm angst und bange war, mir ohne Hilfe von den Eltern den Lebensunterhalt zu verschaffen, liebkoste er mich und nahm mich in's Gasthaus, wo er in Gesellschaft seiner lustigen Freunde vielleicht den letzten Kreuzer für unser Abendessen ausgab. Nun war guter Rath theuer. Er selbst lebte von Lectionen in italienischer Sprache und repetirte mit jungen Studenten. Er hatte ein Zimmer in Gemeinschaft mit einem ebenso armen Studenten aus Nauders. Mein Lager war neben ihm auf seinem einfachen Bette. Bei bekannten Familien bewarb er sich für mich um das Mittagessen, einen Tag da, den anderen dort, wie es in den Städten Tirols üblich ist, daß arme Studenten von Wohlthätern gespeist werden. Ich hatte aber nur vier Tage in der Woche das Mittagsmahl. Die anderen Tage bekam ich vom Bruder 5–10 Kreuzer, um mir Brod und Butter zu kaufen. Das Frühstück fehlte ganz und Abends aß ich ein Stück Brod, das mir ein Bäcker im Hause gab. Mein Bruder, der ohne Besoldung prakticirte, war selbst in Noth, er konnte weder Schneider noch Schuster bezahlen, daher er mir nicht einmal diese kleine Unterstützung geben konnte. Was blieb mir übrig als beim Bäcker um Brod zu bitten. Ich war in die zweite Classe der Volksschule aufgenommen worden, wo ich wenig oder gar nichts lernte, denn Niemand bekümmerte sich um mich; mein Bruder ging schon vor Tagesanbruch[26] zu seinen Lectionen, später in die Kanzlei und Abends gab er wieder Stunden bis 9–10 Uhr. Weil das Zimmer kalt war, konnte ich es oft nicht aushalten und trieb mich auf den Gassen herum, wenn mir nicht ein Schulkamerad erlaubte mich in seinem Zimmer zu erwärmen. Ich lernte Kälte und Hunger, zwei böse Feinde des Menschen kennen. Wie hätte ich da Liebe und Luft haben können etwas zu lernen? Im Frühjahr und Sommer hatte ich wenigstens nicht von der Kälte zu leiden. An Sonn- und Feiertagen ging ich mit einigen lockeren Kameraden in die nahen Wälder spazieren, wir schlichen oft in die Obstgärten und füllten uns die Taschen mit Birnen und Zwetschken, wo wir es manchmal nur unserer Schnelligkeit zu danken hatten, daß wir nicht tüchtig durchgebläut wurden. Meine Stiefel waren zerrissen, ich flickte sie mir selbst; aber am Abend waren sie wieder im selben Zustande.

So lebte ich beinahe ein Jahr in Innsbruck und ich kann sagen, mir selbst überlassen; denn meinen Bruder sah ich nur früh, wenn er aufstand und spät Abends, wenn er nach Hause kam und mir manchmal ein Stück Brot mitbrachte, das ich im Bette im Halbschlaf verzehrte. Eines Tages ging ich wieder in die berühmte Hofkirche, wo die vielen Bronze-Statuen berühmter Männer und Frauen stehen, die als Kunstwerke seltener Schönheit gepriesen wurden. In der Mitte der Kirche ist das prachtvolle Grabmal des Kaisers Maxmilian I. und an den vier Wänden des Piedestals sind 24 Basreliefs (vielmehr Hautreliefs) in feinstem Marmor gemeißelt, welche die Geschichte des berühmten Kaisers darstellen. Die Figuren im Vordergrunde sind nicht einmal ein Schuh hoch; die Darstellung ist mehr malerisch[27] als plastisch componirt, aber bis in's kleinste Detail mit der größten Feinheit ausgearbeitet, so daß man selten etwas von dieser Vollkommenheit zu sehen bekommt, wenn man auch Italien, Frankreich und Deutschland bereist. Ich sah, wie man einer fremden Familie das Gitter, welches das Grabmal umschließt, öffnete, um ihr diese Schätze zu zeigen. Ich schlüpfte nach und ersuchte den Sakristan mich auch alles sehen zu lassen und kann nicht beschreiben, mit welcher Begeisterung ich dieses wunderbare Kunstwerk betrachtete. Als ich vom Sakristan hinausgeschoben wurde, lief ich nach Hause und verlangte von der Hausfrau einen großen Nagel und Hammer, ging in einen wenig betretenen Gang im Hinterhause, und wollte dort in der Mauer einen Kopf ausmeißeln; der Mörtel war kein geeignetes Material, der Nagel taugte auch nicht viel und dennoch kam ein Kopf zum Vorschein, aber ich wurde in meiner plastischen Arbeit auf eine sehr unsanfte Weise vom Hausherrn gestört, da ich seine Mauer verletzt hatte, und nur durch schnelle Flucht konnte ich mich vor Schlägen retten. Eine fieberhafte Begierde blieb in mir, etwas der Art zu machen. Oftmals nahm ich Bleistift und Papier und zeichnete. Ach es konnte mir nichts gelingen, so wie mir dieses Bild vorschwebte, und gar zu gerne hätte ich eine Marmorplatte gehabt, um ein Basrelief herauszumeißeln, indem ich glaubte, es müsse mir gelingen. So oft es möglich war, besuchte ich die Kirche und schlich den Fremden nach. Einmal ging ich mit den Fremden in das Museum Ferdinandeum und hatte Gelegenheit die Gemäldesammlung nebst verschiedenen plastischen Werken, Waffen, Rüstungen und Alterthümern zu sehen. Meine Begeisterung wurde immer größer als ich sah,[28] wie dort ein junger Mann aus den hinterlassenen akademischen Studien des Malers Knoller nackte Mannsfiguren copirte. Das war das erstemal, daß ich ordentlich zeichnen und auch Studien eines Malers sah. Mir schwindelte vor Sehnsucht auch so zeichnen zu dürfen und ich dachte, hätte ich nur diese Gelegenheit, solches Papier und schwarze Kreide, so wäre mir alles ein Leichtes. Wenn ich ein Stückchen Papier erwischte, wurde gezeichnet. Eines Tages hungerte ich lieber und kaufte mir für meine fünf Kreuzer Papier und Bleistift. Ich hatte aber Niemanden, der mir etwas gezeigt oder eine Vorlage geliehen hätte. Auch hatte ich keinen Begriff, wie man die Kunst lernen könne, dafür aber ein solches Selbstvertrauen, daß ich glaubte, wenn ich nur Material und die Erlaubniß hätte, den ganzen Tag im Museum zubringen zu können, würde ich es allein lernen. In der Schule zeichnete ich und versäumte die Lectionen.

Es nahte der Namenstag des Schullehrers und ein seiner Knabe aus guter Familie, der mich öfters zeichnen sah, und mir auch für einige Kreuzer Zeichnungen abgekauft hatte, forderte mich auf einen Blumenkranz auf einen Bogen Papier zu malen, um einen Wunsch für den Lehrer hineinschreiben zu können. Ich sagte ihm: »Gib mir Farben und Pinsel, ich will es probiren.« Wie früher schlich ich mich einigen Fremden nach in's Museum, sah mir einige Blumenbilder an und hatte so viel Courage, den Blumenkranz zu malen. Dazu nahm ich mir aus dem Garten des Knaben mehrere Blumen nach Hause und malte in drei Tagen das Prachtstück fertig; es waren Rosen, Vergißmeinnicht, Nelken u.a. Mir gefiel die Arbeit gar nicht, aber der Knabe war glücklich, ließ mir auch den Spruch in Fracturschrift hineinschreiben[29] und gab mir dafür einen Silbergulden. Dieser Knabe und einige der besseren Schüler übergaben dem Lehrer das Kunststück, der es bewunderte ohne es zu verstehen. Da man ihm sagte, daß ich es gemalt habe, wurde er mir etwas günstiger und gab mir den Rath Maler zu werden; auch verbesserte er mir die Note in den Sitten. Dann machte ich die Bekanntschaft eines Studenten der Medicin, der kleine Blumenbildchen malte und mir auch die Art und Weise seiner Fertigkeit beibrachte. Aber die Arbeiten gefielen mir nicht, weil keine Naturanschauung darin war, ich zeichnete nach manchen Bildern in der Kirche vor und nach der Schule, aber ohne Anregung und Unterricht und überließ mich dabei wieder dem alten Schlendrian. Die Gassenbubenstreiche, die ich mit meinen Kameraden ausführte, will ich nicht wieder erzählen. Mein Bruder strafte und schalt mich oft, als er hörte, daß ich ein schlechter Schüler war. Das Schuljahr ging zu Ende, ich erhielt ein mittelmäßiges Zeugniß, nur im Schönschreiben, worin ich der Erste war, in Geographie und Sitten hatte ich »sehr gut«, alle anderen waren nur mittelmäßig.

In den Ferien schickte mich mein Bruder zu den Eltern nach Hause zurück. Ich hatte von ihm zwei Gulden Reisegeld bekommen und ging allein zu Fuß. Mein kleines Gepäck übergab ich einem Fuhrmann, den ich auf der Reise einholte, und ging auch neben ihm her, bis es mir zu langsam und langweilig wurde. Ich schritt aus und wanderte nun ganz allein durch's Oberinnthal meiner Heimat zu. Meine Stimmung war gemischt, vor Freude die Eltern wieder zu sehen, und vor Furcht wegen des mittelmäßigen Zeugnisses. Auch gingen mir alle Kunsteindrücke, die ich[30] in Innsbruck erhalten, durch die Phantasie: die Bronzestatuen des Grabmals, die Kunstschätze und Alterthümer des Museums, und nun mußte ich zurück nach Martinsbruck in das elende alte Schweizerdorf ohne Hoffnung, die Kunst studiren zu können. Ich wußte nun wohl, daß man um Künstler zu werden, in einer Akademie studiren müsse, und daß die nächsten Akademien in München, Wien und Venedig waren. In solche Gedanken vertieft, voll von Wünschen und Sehnsucht, kam ich zur Pontlatz-Brücke bei Ried (berühmt durch das Gefecht 1809), wo in der Nähe eine Kirche von Maler Schöpf in Fresco gemalt ist. Ich besuchte sie, bewunderte die Bilder, fiel nieder auf die Knie und bat mit voller Inbrunst und Glauben, Gott möge mir helfen diese schöne Kunst zu erlernen, er möge es mir möglich machen in einer Akademie zu studiren und mich nicht so viel Hunger und Kälte erleiden lassen, wie in Innsbruck. In Ried hatte ich meinen letzten Kreuzer ausgegeben, um das Mittagessen zu bezahlen, dann wanderte ich mit einem Studenten aus Graun zwei Stunden weit durch Pfuns bis nach dem schauerlich romantischen Engpaß Finstermünz. Er hatte mir zugeredet mit ihm bis Nauders zu gehen und dort zu übernachten, weil es spät würde und ein Gewitter am Himmel stehe. Aber ich hatte kein Geld mehr, und dazu die größte Sehnsucht heute noch nach Hause zu kommen. Er ging über die Brücke die steile Felsstraße hinauf nach Nauders und ich zog rechts einem schmalen kürzeren Fußsteig nach, auf dem nur Schmuggler und verwegene Bergsteiger gingen. Bisher brannte die Sonne heiß in das immer enger werdende Thal, dann überzog sich der Himmel mit schwarzen Gewitterwolken, Blitz und Donner ließen[31] nicht lange auf sich warten, große Tropfen fielen nieder, als ich aus dem Waldesdunkel auf eine sehr steinige Lichtung kam. Ich hatte noch eine gute Stunde weit bis Martinsbruck und der Regen wurde immer stärker. Der Weg durch diese Wildniß war selbst bei gutem Wetter gefährlich, desto schlimmer bei anhaltendem Gewitter. Ich mußte Sturzbäche überspringen und durchwaten. Steine und Muren brachen vor und hinter mir von den Bergen herab und unten brauste der Inn mit furchtbarem Lärm durch die schmale Felsschlucht. Vor einer besonders gefährlichen Stelle blieb ich unter einem Felsenvorsprung stehen und sah, wie eine Lawine 50 Schritte vor mir große Steine und Baumstämme vor sich niederreißend, in den Abgrund des Inn herabstürzte. Nun kam das Entsetzen über mich. Ich blieb stille stehen, bis das Gewitter sich verzog, und betete zu Gott um Schutz. Endlich kam eine Pause, wo die Steine zu rollen aufhörten. Ich eilte in schnellem Laufe der gefährlichen Stelle zu, sprang von Stein zu Stein, watete bis zum Knie durch Schlamm und Wasser und kam glücklich hinüber. Der Regen hatte aufgehört, die lärmenden Wasser und Muren verminderten sich und so kam ich nicht ohne Lebensgefahr, mich manchmal mit den Händen an den Felsen anklammernd, aus der engen Schlucht in ein weites Thal heraus. Nachdem die Gefahr vorüber war, steigerte sich mein Muth und nach drei Stunden kam ich glücklich nach Martinsbruck. Vor der Thüre des kleinen Bauernhauses, wo wir wohnten, stand meine Mutter; als sie mich erschöpft und ermüdet daher kommen sah, eilte sie auf mich zu, umarmte mich, überhäufte mich mit Fragen und führte mich in die Stube. Es war 8 Uhr Abends am 4. August 1828.[32]

In Martinsbruck ging die Bäckerei und Wirthschaft schlecht. Die Aecker und Wiesen waren verwahrlost, der Pachtzins war zu groß. Ich half nach meinen Kräften, ackerte, mähte, spaltete Holz und trug auf einer Kraxen Semmelbrot in die hohen Schweizer Bergdörfer. Im Spätherbst gaben die Eltern die erbärmliche Wirthschaft auf, zogen nach Nauders zurück und wohnten hier am Ende des Dorfes in einem Zubau an einem uralten großen Hause, das Kößlerhaus genannt. Mein Vater baute einen Backofen und trieb das Bäckereigeschäft. In dem Hause wohnte eine Schusterfamilie, bestehend aus zwei Brüdern; der eine hatte Weib und Kinder, der andere, Christelkrump genannt, war bucklig, wußte aber schöne Geschichten zu erzählen und lustige Lieder zu singen. Die Schusterstube war Abends voll Menschen und Kinder, und Christelkrump gab jedem einen besonderen Namen: Hoftischler, Hofschneider, Hofweber, Hofschuster, Hofschmied, mein Vater hieß der Hofbäcker, ich der Hofmaler, und ein junger kranker Mann, der mit seiner alten Mutter ebenfalls im Hause wohnte, der Burggraf. Es gab viel zu lachen und manches Ereigniß hätte Stoff für eine Dorfgeschichte geboten.

Da die Bäckerei wenig trug, indem mein Vater nur für zwei Wirthshäuser die Semmeln zu backen hatte, mußte mein Bruder Johann wieder als Bäckergeselle nach Zams und später nach Innsbruck gehen. Ich blieb allein bei den Eltern, half ihnen arbeiten, und zeichnete und schnitzte in den freien Stunden. Den Vater schmerzte es, mich so aufwachsen zu sehen, und da meine Handschrift gut war, überredete er mich beim Landgerichte als Schreiber einzutreten. Obwohl ich keine Luft hatte ein Beamter zu werden, ergab[33] ich mich aus Noth, in der Hoffnung, einstmals ein Kanzelist zu werden mit 300–400 fl. Gehalt. In der That wurde ich aufgenommen, ging täglich auf das Schloß, in welchem das Landgericht untergebracht war, schrieb Berichte an das Kreisamt und das Oberlandesgericht ab, versah das Paßwesen und vidirte insbesonders die Pässe der Handwerksburschen, wobei ich sehr nachsichtig vorging. Einmal brachte ein Gendarm einen jungen armen Maler, dem im Passe die letzte Visa fehlten. Ich bat für ihn und half ihm weiter, obwohl er nur ein Dorfmaler war, der Todtenkränze, Martyrersäulen und alte Bilder auffrischte. Er war ein Jahr in der Münchner Akademie gewesen, war jedoch ein Pfuscher geblieben, obwohl er viel über Kunst zu sprechen wußte. Da er einige Zeit in Nauders blieb, zeigte ich ihm meine Zeichnungen, aber er fand sie kleinlich und hart. Ich zeichnete dann sein Porträt, welches von jedem erkannt wurde.

In der Zeit meines Schreiberdienstes erschien einmal plötzlich von der Regierung ein Aufgebot für alle Urlauber des Tiroler Kaiserregiments. Die drei Amts- oder Gerichtsdiener wurden eiligst nach allen Richtungen in die Dörfer und Bauernhöfe ausgeschickt, um die Urlauber einzuberufen und da einer der Urlauber, der in dem Bergdörschen Spieß hoch oben an der Schweizergrenze wohnte, vergessen war, sprach mich der Landrichter an, den Botendienst zu übernehmen, indem er mir schmeichelte, ich sei so flink wie eine Gemse und könne noch heute den Mann einberufen. Ich nahm den Antrag an, da ich mir zwei Zwanziger verdienen und zugleich meinen Muth zeigen konnte, und machte mich, obwohl mein Vater nicht ganz einverstanden war, auf den[34] Weg. In einer kleinen Stunde war ich unten in Finstermünz, erkundigte mich nach dem Weg und ging dann außer der Innbrücke links von der Straße den steilen Wald hinauf, bis ich einen besseren Weg fand, der zwar nur für Ochsen fahrbar, aber doch der rechte Weg von Pfunds nach Spieß war. Immer bergan wanderte ich hinauf in das Felsendorf, das aus wenigen zerstreuten Häuschen bestand. Als ich mich aber nach dem jungen Bauern erkundigte, hieß es: er arbeitet hoch oben im Holzschlag für Senn in Pfunds, wenn du ihn sprechen willst, mußt du hinauf, denn er bleibt auch in der Nacht oben. Ich erbat mir nur einen Knaben der mich begleitete und in der Dämmerung kam ich an die Stelle, wo die Holzknechte arbeiteten. Der arme junge Urlauber machte ein trauriges Gesicht und wanderte nun mit mir nach Spieß hinunter zu seiner alten Mutter. Weil er sich erst morgen zu melden hatte, so blieb er zur Nacht in Spieß und rieth auch mir hier zu übernachten, und nicht den gefährlichen Weg in der Finsterniß allein einzuschlagen. Aber ich wollte meinen Muth zeigen, und beschloß, da der Mond leuchtete, die drei guten Stunden nach Nauders zurückzugehen. So lange der Weg durch die Lichtungen abwärts ging, lief ich schnell vorwärts; im Walde ging es langsamer, und als der Mond hinter schwarzen Wolken verschwand, sah ich gar nichts mehr und bereute meinen Leichtsinn. Obwohl ich mit meinem Bergstock tastete, stürzte ich doch auf dem schlechten Wege mehrmals zur Erde; ich fing bereits zu beten an, als ich auf einmal hinter mir Schritte hörte und Jemanden mit einer Laterne erblickte. Es war der Wirth und Müller Senn aus Pfunds, der mich auch kannte, denn ich hatte oft für meinen Vater[35] Mehl mit einem Einspänner bei ihm abgeholt. Nachdem ich ihm von meinem Auftrage erzählt hatte, zwang er mich mit ihm nach Pfunds zu gehen und dort zu übernachten. Ich genoß die Gastfreundschaft des wackeren Mannes und ging dann wieder gegen Finstermünz zurück.

Das Thal wird hier immer enger. In der Mitte des Inn steht ein mittelalterlicher Thurm, zu dem eine Brücke führt, und jenseits führt die Straße durch einen langgewölbten Gang des alten Schlosses, das damals ein Gasthaus war. Das Schloß war von dem österreichischen Herzog Sigismund gebaut und hieß früher Sigmundseck, später Finstermünz, weil es so finster ist, daß monatelang keine Sonne hineinscheint; aber man kann sich nicht leicht etwas romantischeres und malerischeres denken, als dieses Schloß auf dem Felsen. Wo sich der Steig nach Rebella hinaufzieht, gerade dort, wo ich vor anderthalb Jahren von Innsbruck herkam, saß ein Herr auf einem Felsstück und malte in Aquarell Thurm, Schloß und Brücke. Ich schlich mich hinter ihn an und sah neugierig zu, wie er malte. Wie vermöchte ich den Eindruck zu beschreiben, den dieses Zusehen auf mich machte. Er brachte in mir den festen Entschluß hervor, ein Maler zu werden. Ich sah wie er jeden Farbenton wiedergab, begleitete sein Auge mit dem meinen, verglich die Natur mit dem Kunstwerk und erkannte, daß dieser der erste Künstler sei, welchen ich je gesehen. Er sah und hörte mich nicht, scheu und schüchtern blieb ich in meiner ruhigen Stellung und fühlte nicht die Ermüdung, sondern nur die Glückseligkeit, ihm unbelauscht zusehen zu können. Als es Abend wurde, packte er seine Mappe und seinen Farbenkasten zusammen, indessen ich mich unbeachtet entfernte.[36] Er ging gegen Pfunds zu und ich nahm in dem Gasthaus, da ich noch nichts genossen hatte, ein Glas Wein und ein Brod. Dann ging ich die steile Straße zwischen Felsen und den Wasserfällen des Wildbaches aufwärts und kam um 7 Uhr Abends nach Nauders zurück. Meine Eltern hatten große Sorge um mich ausgestanden, aber ich war glücklich wie nie in meinem Leben zuvor. In fieberhafter Begeisterung erzählte ich, wie es mir ergangen und wie ich endlich einmal künstlerisch malen gesehen habe. »Ich will Maler werden, und wenn ich mit Hunger, Noth und mit der ganzen Welt zu kämpfen habe«, sagte ich zum Vater. Er sah mir wehmüthig in's Gesicht mit dem Kummer im Herzen, mir nicht helfen zu können. Mich überfiel der Unmuth, so hilflos zu sein, und ohne Schonung sprach ich zu der weinenden Mutter über die Herzlosigkeit ihres Bruders, des obersten Justizpräsidenten in Verona, Franz Purtscher, Baron von Eschenburg, weil er uns ganz verlassen und nichts von uns wissen wolle. Meine Mutter weinte bitterlich und sagte dann, als wir sie trösten wollten: »Karl, mir ist als dürfe er dich nicht so elend aufwachsen lassen; er wird dich doch die Malerkunst lernen lassen.« Tags darauf schrieb der Vater einen Brief an den strengen Herrn Schwager, schilderte ihm mein Talent, und meine Freude an der Kunst und bat ihn um seine Hilfe, mich studiren zu lassen; aber Wochen und Monate vergingen und es kam keine Antwort, wie es immer der Fall war, wenn der Vater schrieb.

In dieser Hoffnungslosigkeit führte ich mein Schreiberleben fort. Wohl verdiente ich mir von den Parteien durch Abschriften von Rechnungen, Klageschriften und Kaufbriefen[37] manchen Gulden, aber ich hatte einen Widerwillen gegen das Schreiberleben. Auch war ich dabei zerstreut, machte Fehler und zeichnete daneben mit der Feder auf die Unterlage, die manche ähnliche Porträte der Beamten enthielt. Eines Tages sagte der Actuar Lindner zu mir; »Karl, du hast mehr Luft und Talent zum Malen als zum Schreiben; deine Zeichnungen auf der Unterlage verrathen viel Talent; ich will dir einige Skizzen vom Maler Degler und manchem anderen zum Copiren geben; besuche mich, ich habe von Jugend auf gezeichnet, auch meine Frau hat einige Uebung darin.« Ich ging zu ihm und sah Vieles, was mich begeisterte; als ich ihm von dem Maler in Finstermünz erzählte und wie ich es auch machen wollte, lachte er über mein Selbstvertrauen, gab mir aber Farben, Pinsel, Bleistift, Zeichenpapier und einige Stücke lithographirte Baumstudien. Ich hatte eine unbeschreibliche Freude, konnte kaum sprechen und lief eilends nach Hause, wo ich mich sogleich an die Zeichnung des ersten Bildes machte. Gewisse Momente, Erlebnisse, Menschen und Dinge stehen als stumme Wegweiser wie Obelisken von Granit auf meiner Lebensbahn; dazu gehören das Lesenlernen aus dem Buche über Pompeji, der Tag wie ich zum erstenmale in die Hofkirche zu Innsbruck kam, der Maler in der Finstermünz und der erste Unterricht im Zeichnen von dem hochverehrten Actuar Lindner in Nauders. Im Verlaufe meiner Lebensbeschreibung werden noch andere Granitsäulen und Wegweiser dazukommen.

Nach der Baumschule, die ich mit größter Genauigkeit zeichnete, gab mir Herr Lindner zwei Landschaften in Aquarell von Degler und einige in Aquarell gemalte Porträts[38] zum Copiren. Dann versuchte ich ein Porträt meines Vaters mit schwarzer Kreide zu zeichnen und ich machte damit im Kößlerhaus gewaltiges Aufsehen. Alle drängten sich herzu und wollten porträtirt sein. Auch meine Mutter wollte ich zeichnen, aber sie meinte, sie wolle nicht so schwarz gemacht, sondern mit Farben gemalt sein und dazu habe es noch Zeit. Leider starb sie frühzeitig und in meiner Abwesenheit, während ich in Innsbruck war.

Da ich meinem Vater die schwere Arbeit erleichterte und auch die Kanzlei nicht verlassen konnte, mußte das Zeichnen und Malen oft unterbrochen werden. Um meine Eltern zu unterstützen, benützte ich jede Gelegenheit etwas zu verdienen, und wurde sogar bei den sonntäglichen Scheibenschießen Schützenschreiber. Als solcher hatte ich jeden Schuß im Protokoll zu notiren und die Einlaggelder einzunehmen. Mein Vater war der älteste und beste Schütze im Oberinnthal und Vintschgau und gewann oft den Preis. Aber ich konnte mit einem schweren Stutzen nur schlecht schießen; dafür war ich ein Gebirgsjäger und es war mein Vergnügen mit dem Gewehr auf dem Rücken die höchsten Berge zu erklimmen, wenn ich auch ohne Beute zurückkehrte. Einst beobachtete ich über unserem Dorfe zwei große Geier, die ich für Steinadler hielt, und sah sie in einer hohen Felswand an der Schweizerseite verschwinden. Mit einem Fernrohre konnte ich sehen, wie der eine sich zu seinem Neste niederließ und ich nahm mir vor, die Alten zu tödten und das Nest auszunehmen. Des anderen Morgens, an einem kalten Regentage, ging ich mit meinem einläufigen Gewehr, mit einem Seile und Strick versehen, durch den steilen Wald auf die Höhe des Felsens, wo ich schon das Geschrei der[39] Jungen hörte und ich den einen Geier hoch über mir in der Luft kreisen sah. Ich band das Seil an einen jungen Baum und ließ mich vom Rande des Felsens auf eine schmale Steinstufe, wo eine Fichte stand, nieder. Wenig Schritte vor mir sah ich das Nest mit den vier Jungen. Zusammengekauert lauerte ich hinter dem Bäumchen, das Gewehr am Gesicht, und als der alte Geier wie ein Pfeil auf mich zuschoß, drückte ich in Schußweite los und das Thier fiel, sich überschlagend, in die unsichtbare Tiefe. Gleich nach dem Schusse hörte ich das Geschrei des zweiten Geiers, lud in fieberhafter Geschwindigkeit das Gewehr und, als er wie der erste auf mich zustieß, schoß ich und sah ihn halb fallend in die Tiefe hinunterfliegen. Ich war nun außer Lebensgefahr, denn beide hatten ihren Theil. Ich näherte mich dem Neste, aber der Weg war gleich gefährlich; mit den Händen hielt ich mich an den schroffen Vorsprüngen, den Fuß stützte ich auf einzelne Felsstücke, bis ich beim Neste war. Ich band dann die jungen Geier bei den Füßen zusammen, schwang sie über meine Schulter und mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht gegen den Felsen gekehrt, Schritt für Schritt, kletterte ich wieder zu dem Bäumchen zurück, schleuderte hier die Jungen und das Gewehr hinauf und zog mich dann selbst mit dem Stricke hinan. Im Walde legte ich die Jungen auf dürre Fichtenäste und schleifte sie die steile Holztrift hinab bis unter den Felsen; dort fand ich den todten Geier und schoß auch den anderen, der mit seinem angeschossenen Flügel durch den Wald hüpfte und flatterte. Meine Last schleifte ich abwärts über die Wiesen bis zur Straße, wo mir dann einige Knaben tragen halfen. Immer mehr Knaben und Mädchen kamen hinzu und ich[40] zog in Nauders wie im Triumphe ein. Mein Vater freute sich herzlich über diese Jagdbeute. Die Geier maßen in der Flügelweite mehr als eine Klafter. Auch der Landrichter und die Beamten staunten über meinen Muth und mit Vergnügen nahm ich das Schußgeld in Empfang, wofür ich von jedem Geier eine Klaue hinterlassen mußte. Die Beamten rissen auch, so viel sie wollten, Federn aus. Die Jungen legte ich in ein großes Faß auf Stroh; da sie aber nur Fleisch fressen wollten und mir das zu kostbar war, verschenkte ich die Bestien. Die Geiergeschichte hatte mich vierzehn Tage vom Zeichnen abgehalten und ich war froh, davon befreit zu sein.

Da mich das Schreiberleben wenig ergötzte, konnten auch die Vorgesetzten wenig Freude an mir haben; der alte Landrichter geizte um jeden Bogen Papier und gab ihn nur mit Vorwürfen und Verweisen heraus. Dessen ungeachtet zeichnete ich einmal eine solche Scene auf einen halben Bogen Papier, der für ein Decret bestimmt war; die Zeichnung ging von Hand zu Hand, aber glücklicherweise hat sie der Landrichter nicht gesehen. Der alte Herr war ein Unglück für den Bezirk. Da er bei allen Processen nur vergleichen wollte, gab er den ehrlichen Leuten Unrecht und den Schlechten wenigstens ein Stück Recht; dabei war er ein Betbruder und vertrauter Freund des Pfarrers Kleinhans. Dieser Herr Pfarrer war von corpulenter Gestalt und hatte einen großen Magen. Nach seiner Siesta ging er heute zu diesem wohlhabenden Bauer, morgen zu einem anderen, wo er mit gutem Käse, Schinken und Kaffee bewirthet wurde. Von da ging er in's Gasthaus, brachte dort mit dem Landrichter und Wirth den Abend bis 9–10[41] Uhr zu und, da er gewöhnlich benebelt war, mußte ihn der Meßner nach Hause führen. Diese zwei alten Herren waren damals die Tyrannen in Nauders. Wenn irgendwo eine Zither gespielt wurde, kam sogleich der Pfarrer und verdammte das Instrument, welches die Jugend verführe. Im Einverständniß mit der weltlichen Behörde wurde auch die unschuldigste Tanzunterhaltung verboten, so daß das Tanzen von der Jugend, welche mit mir aufwuchs, gar nicht gekannt wurde. Der Pfarrer donnerte auf der Kanzel wie im Beichtstuhl gegen die Sittenlosigkeit, gab aber selbst ein schlechtes Beispiel, und die Heuchelei nahm mit dem Sittenverderbniß überhand. Vor ihm war die Geburt eines unehelichen Kindes eine große Seltenheit und nun tauchten jährlich einige solche traurige Fälle auf, besonders unter der ärmeren Classe, da man die Armen nicht heiraten ließ. Der Pfarrer wurde wüthend, sobald er von einem neuen Scandal hörte. Sobald so eine Verunglückte entbunden hatte, mußte sie des Sonntags vor dem Hochamte bei der Kirchenthüre sich niederknieen; der Pfarrer stand vor ihr in kirchlichem Anzug, hielt der Armen vor allen Kirchengängern ihre Schandthat in der rohesten und grausamsten Weise vor, schalt und beschimpfte sie öffentlich, so lange es ihm gefiel; dann besprengte er sie mit Weihwasser, sie konnte aufstehen, durfte ihm seine fette Hand küssen und in die Kirche hineingehen, wo sie jedoch auch einen besonderen Schandplatz hatte. Ich sah selbst einmal ein solch armes Geschöpf, welches vor Schamgefühl und Angst beim Wüthen des Pfarrers ohnmächtig zusammenbrach. Einige aufgeklärte Bauernburschen wollten sich rächen, aber ihre Verschwörung wurde verrathen und wer sich nicht einsperren lassen wollte, mußte flüchten.[42] Da ich Sonntags nicht in die Christenlehre ging, verklagte er mich beim Landrichter, aber ich ging doch nicht, las lieber den Schiller in dem nahen Walde und zeichnete zu Hause nach Kupferstichen. Leider war ich mir selbst überlassen mit dem traurigen Bewußtsein, so hilflos zu sein und ohne Hoffnung an einer Akademie studiren zu können. Beim Landesgerichte prakticirte damals ein absolvirter Jurist, Herr Mathoy, ein gebildeter junger Mann, gegen 30 Jahre alt. Er gewann mich lieb und ich durfte mich seines Umganges erfreuen. Wir machten oft große Bergpartien und erlegten vor Tagesanbruch manchen Auerhahn. Er gab mir angenehme und nützliche Bücher und im Verkehr mit ihm lernte ich mein bäurisches Wesen etwas abstreifen.

Weil mir der Schreiberdienst immer verhaßter wurde, entschloß ich mich endlich auf Gott und meinen Willen vertrauend, wieder nach Innsbruck zu wandern. Mein Bruder Jacob war jetzt Postofficial, vielleicht konnte ich von einem der Maler Flatz oder Arnold, welche in Innsbruck lebten, unterrichtet werden. Auch hatte ich mir einige Gulden Reisegeld zusammengespart. Herr Lindner billigte meinen Plan und versprach mir einen Empfehlungsbrief an seinen Schwiegervater, der ein angesehener Bürger von Innsbruck war. Auch mein Vater war zufrieden, da er meine Liebe zur Kunst kannte, nur die Mutter klagte, daß sie jetzt von allen Kindern verlassen werde und weinte, bis sie sich endlich ergab. Ich verabschiedete mich beim Landesgerichte und von meinen Bekannten, und an einem kalten Decembertage 1831 machte ich mich, in dürftige Kleider gehüllt, mit einer Rolle Zeichnungen zu Fuß auf den Weg nach Innsbruck. Die Mutter gab mir das Geleite den Finstermünzberg hinab bis zur[43] sogenannten »Stube«, wo die Straße in eine Schlucht einbiegt und der Bach in Wasserfällen geräuschvoll zu dem Inn hinunterstürzt. Hier bat ich sie umzukehren; sie drückte mich an ihr Herz, Thränen erstickten ihre Stimme, sie gab mir den Segen, und sagte, indem sie sich mit Gewalt lostrennte: »Wir sehen uns nicht mehr.« Ich eilte weinend über die Felsenbiegung und sah auch meine Mutter nicht wieder.

Nach und nach trocknete ich meine Thränen und wanderte schnellen Schrittes in den Engpaß Finstermünz hinunter. Rechts von der Straße sind hohe Felsen und steile Wälder. Wo das Thal enger ist, sieht man durch die Schlucht hinauf zu den riesigen Granitfelsen von Waldigestö und dem Schmalzkopf. Die schauerlich romantische Gegend stand im Einklange mit meinen Gedanken, denn rauh und wild war meine Jugend und wie der schäumende Fluß wollte ich auch aus dieser Wildniß fort, fort in ein sonniges Land, in eine heitere Zukunft. In Finstermünz hielt ich mich nicht auf, wohl aber kletterte ich auf der anderen Seite zu dem Steine hinan, wo ich ein Jahr früher dem Maler zugesehen, und betrachtete mir noch einmal die schöne wilde Ansicht.

Zwei und einen halben Tag wanderte ich nach Innsbruck, ohne etwas Besonderes erlebt zu haben. Mein Bruder Jacob, der im Post- und Mauthgebäude ebenerdig wohnte, nahm mich einstweilen zu sich und wir schliefen in einem Bette zusammen. Bald stellte ich mich dem alten Herrn Meixner, dem Schwiegervater des Actuars Lindner vor, der mich liebevoll aufnahm. Er war ein alter Mann, hatte noch die Maler Knoll und Schöpf gekannt, und besaß von den älteren Tiroler Malern eine Reihe von Skizzen und Zeichnungen,[44] die er mir zum Nachzeichnen anvertraute. Er wohnte nicht weit vom goldenen Dachl und hatte eine Kunst- und Musikalienhandlung im eigenen Hause, welches Geschäft er jedoch dem Gemal seiner zweiten Tochter überlassen hatte. Er selbst lebte als Privatmann, war sehr fromm, ging Vormittag in mehrere Kirchen und ministrirte bei der Messe. Nachmittag ging er spazieren und in mehrere Wirthshäuser, um da und dort ein halbes Seitel Wein zu nippen. Seine Tochter und ihr Gemal, Herr Groß, welcher noch lebt, bildeten mit ihren Kindern eine der verehrungswerthesten Familien, die mir im Leben vorgekommen sind. Ich speiste oft bei ihnen und brachte die meisten Abende dort zu. Der alte Herr führte mich zu dem Maler Arnold, dem ich meine Zeichnungen aus Nauders zeigte. Arnold hatte an der Wiener Akademie studirt, blieb jedoch in der alten Kunstzopf-Periode, wo die Natur nach einem unverstandenen Griechenthum zugestutzt wurde, stecken. Er hatte viel Praxis im Malen; seine Heiligenbilder malte er herunter, daß es wetterte. Damals war er einer der besten lebenden Maler Tirol's, aber ein unholder mürrischer Kauz. Er durchblätterte meine Zeichnungen: die Baumschule in fünfzehn Blättern, einige Federzeichnungen, Aquarelllandschaften, Porträt-Copien, meines Vaters Porträt und eine ausgeführte Zeichnung nach einem schönen Kupferstich einer Raphael'schen Madonna, dessen Original sich im Louvre zu Paris befindet. Er sprach kein Wort, bis er alles gesehen und sagte dann trocken und verletzend: es wäre gescheidter ein Handwerk zu erlernen, als nach 15jährigen Studien ein Hungerleider zu werden. Obwohl ich noch unerfahren war und alles glaubte, was mir die Leute sagten, war ich doch überzeugt, daß er sich[45] irren könne. Herr Meixner war über die Aeußerung sehr betrübt und suchte ihn noch für mich zu gewinnen, wozu er aber keine Luft zeigte. Endlich gab er mir zwei Contouren von Statuen zu copiren und meinte, ich solle nach acht Tagen wieder kommen. Ich war jedoch schon am nächsten Tage damit fertig und zeigte sie Herrn Meixner, der mich aber nicht früher als nach den bestimmten acht Tagen zu Arnold gehen ließ. Dieser war noch mürrischer als das erstemal, sah meine Zeichnungen kaum an und gab mir wieder zwei Acte, die nach nackten Modellen gezeichnet waren, und die ich nach vierzehn Tagen wieder bringen sollte. Auch diese Aufgaben waren schon den dritten Tag fertig. Ich brachte sie ihm in der bestimmten Zeit, aber er arbeitete ruhig weiter, würdigte mich keines Wortes und sah meine Zeichnungen gar nicht an. Das war mir zu toll. Nachdem ich fast eine halbe Stunde dagestanden, empfahl ich mich und verließ den unheimlichen Sonderling, ohne ihn je wieder zu besuchen. Nach sechs Jahren wurde ein Bild von mir für die Innsbrucker Gemäldegalerie im Ferdinandeum angekauft, »die Maria-Heimsuchung« und bei Herrn Arnold eine Copie davon bestellt, die er für einen Innsbrucker Priester zu malen hatte. Dies war die schönste Rache und Genugthuung für mich gegen seine Prophezeiung und sein Benehmen.

Im Laden des Kunsthändlers Unterberger waren immer gute und gewählte Kupferstiche ausgestellt, z.B. einmal die Schule von Athen und die Disputa von Volpato nach Raphael's Fresken gestochen. Stundenlang stand ich davor und konnte mich nicht satt sehen. Der Handlungsjunge, Joseph Helf, beobachtete mich, wir wurden bekannt und gute[46] Freunde. Er lernte von mir und ich von ihm. Er zeichnete und malte mit vielem Geschick damals in Aquarell Tirolertrachten für seinen Herrn. Ein anderer Aquarellmaler, Schönherr, machte für Unterberger Tiroleransichten in Aquatinta-Manier (eine Art in Kupfer zu stechen oder vielmehr zu ätzen) und illuminirte sie dann. Er bot mir an, solche kleine Landschaften, das Stück zu acht Kreuzer, zu illuminiren. Anfangs brachte ich mit seiner Hilfe nur vier Stück fertig, aber nach und nach konnte ich 6–8 im Tage malen und mir etwas ersparen, da ich zu meinem Unterhalte nur täglich an 15–20 Kreuzer brauchte. Auch bekam ich zwei Lectionen im Zeichnen und dafür das Mittagessen. In Wilten unterrichtete ich ein junges Mädchen in der Ornamentik und im Blumenzeichnen. Da sie keine Vorlagen hatte und ich selbst derart nichts gezeichnet hatte, pflückte ich auf dem Wege durch die Wiesen vom Angerzoll her, der jetzt ganz verbaut ist, einige schön geformte Blätter, zeichnete darnach und componirte so eine Verzierung nach der anderen. Das Mädchen, deren Mutter sich mit Sticken von Meßgewändern beschäftigte, machte Fortschritte, ist heute eine der besten Meßgewänder-Stickerinnen, und eine brave Mutter von mehreren Kindern.

Mit dem Maler Schönherr machte ich einst eine Fußpartie über Jenbach an den Achensee, den er aufnahm und ich auch zeichnete. Dann gingen wir durch das Volders Thal auf einen Berg, von wo aus er ein Panorama in Umrissen zeichnete, und nach drei Tagen kamen wir über Rinn und Amras nach Innsbruck zurück. Ich wurde immer trauriger, weil ich mir durch die Arbeit von Früh bis Abends kaum einen halben Gulden verdienen und nichts lernen[47] konnte. Und doch mußte ich froh sein, denn mich hungerte nicht mehr. Auch für Herrn Groß illuminirte ich kleine Heiligenbildchen für geringen Lohn. Endlich machte ich mit einem jungen Zeichner Bekanntschaft, Kaspar Iele, einem Bauernsohn aus dem Oberinnthal, der von dem Maler Flatz Unterricht erhielt. Ich sah seine Arbeiten, wurde aber zunächst von den Originalen begeistert, denn es waren lithographirte Köpfe nach Raphael's Disputa und der Schule von Athen. Ich beneidete Jeke um sein Glück und dachte ernstlich daran, auch in eine so gute Lage zu kommen. Aber wie sollte ich es anfangen! Noch lange mußte ich mein Schicksal tragen und Prüfungen aller Art bestehen. Wenn bei Schönherr keine Arbeit war, copirte ich für meine Studien Miniaturbilder auf Elfenbein, worin mir der gefällige Schönherr Unterricht ertheilte.

In dieser Art malte ich mein eigenes Porträt durch den Spiegel, das meines Bruders auf Bristol-Papier in Miniatur und dann einen Officier, wofür ich zwei Zwanziger erhielt. Auch eine hübsche junge Frau ließ sich von mir malen, die aber wenig Geduld zum Sitzen hatte und lieber schwazte und zuschauen wollte; das Bild kostete viel Zeit, woran nicht ich, sondern die hübsche junge Dame Schuld war; sie setzte sich immer ganz nahe zu mir, und ich verstand wohl beiläufig, nach was sie strebte, aber ihr Muth reichte doch nicht aus, den schüchternen Jüngling von sechzehn Jahren zu drängen. Das Porträt wurde mit harter Noth fertig, wurde mir aber besser als die anderen honorirt. Ich bekam noch zwei Lectionen, wo ich das Mittagsessen dafür hatte. Anfangs benahm ich mich bei Tische sehr schüchtern, aber ich trachtete, mir allmälig ein anständiges[48] Benehmen anzueignen und die Familie wurde mir wohlgewogen. Da ich keine Originale hatte, zeichnete ich nach den Kindern selbst, die ich unterrichtete: ein Auge, eine Nase, oder das Profil in Lebensgröße, besonders diente mir ein schönes Mädchen von zwölf Jahren als Modell. Ich lernte selber bei der Lection und hatte gute Originale für andere Kinder. Nun ging es mir besser. Ich konnte mich anständig kleiden und lernte mehrere junge Studenten kennen. An Sonn- und Feiertagen machten wir Ausflüge, wobei ich immer in mein Skizzenbuch etwas zeichnete. Es war mein erstes und noch habe ich einige Blätter daraus aufbewahrt.

Eines Sonntages gingen wir unserer sieben nach der Martinswand. Als wir den schmalen Steig an der Felswand hingingen, verstummte das Jauchzen und Jodeln; mein Vormann wurde schwindlich, kauerte sich zusammen und jammerte, bis ich ihn unterstützte und half, daß er zurückkriechen konnte. Auch drei andere blieben zurück, nur ich und die zwei Ersten, geübte Bergsteiger, stiegen in die Höhle, wohin sich einst Kaiser Maximilian I. verirrt hatte und wo jetzt zur Erinnerung daran ein lebensgroßes Crucifix mit Maria und Johannes steht. Meine zwei Freunde schrieben ihre Namen mit rothem Stift zwischen die hundert und tausend Namen, die hier verzeichnet sind, ich aber stellte mich auf die Schulter eines Anderen und schrieb wenigstens zehn Schuh hoch meinen Namen auf eine glatte lichte Stelle. Ich hoffe, daß er noch dort zu lesen ist, denn ein deutscher Maler sagte mir in Rom nach vielen Jahren, daß er dort mit Staunen meinen Namen so hoch geschrieben gefunden habe. Ein Student, ein schöner, kräftiger junger Mann von[49] sechzehn Jahren, faßte eine große Neigung zu mir und besuchte mich oft. Auch ich liebte ihn wegen seines biederen Wesens. Nach einem Ausfluge in das schöne, anmuthige Mittelgebirge bei Innsbruck waren wir noch in einer Familie bis zehn Uhr beisammen und gingen fröhlich auseinander; aber früh Morgens war der schöne starke Jüngling eine Leiche, er war in der Nacht an einem Schleimschlag gestorben. Dieser traurige Fall machte mir einen unauslöschlichen Eindruck.

Meine Wohnung war noch bei meinen Bruder und wir erhielten eines Tages die Nachricht von der Krankheit unserer Mutter und nicht lange darauf die ihres Todes. Ich habe nie an Geister oder Gespenster geglaubt, aber es begegnete mir damals doch etwas Seltsames. Ich hörte nämlich ganz deutlich in der Nacht am Fenster klopfen, stand auf und öffnete die Thür; da Niemand eintrat, überfiel mich ein Frösteln und ich schlüpfte wieder in das Bett. Als mein Bruder heimkam, erzählte ich ihm davon. Zwei Tage nachher kam die Todesnachricht meiner Mutter, sie war in derselben Stunde, als es an das Fenster geklopft hatte, gestorben. Habe ich geträumt oder hat sich meine Mutter im Sterben noch bei mir gemeldet?

Die Quartierfrau des Jele, eine Wäscherin aus Nauders, hatte Platz und Bett für mich, ich zog zu ihr und wir wohnten drei, Jele, ich und ein Student, Johann Jung aus Nauders, in einem Zimmer. Mir gefiel es bei diesen Leuten wohl. Auch sonst ging es mir gut, ich verdiente manchen Gulden und sparte mir so gut es ging einen Nothpfennig zusammen. Endlich führte mich Jele zum Maler Flatz, der meine Zeichnungen ansah und mich ganz anders[50] als Arnold behandelte. Er erlaubte mir die Vorlagen, die er dem Jele gab, auch zu copiren, gab uns Compositionen und die Fischer'sche Anatomie des menschlichen Körpers, aus der wir die gestochenen Originale mit der Feder nachzeichneten. Den Text dazu, d.h. die Benennung der Knochen und Muskeln lernten wir auswendig. Flatz war zufrieden mit mir und zog meine Arbeiten jenen des Jele vor. Leider konnte ich aber nicht bei den Arbeiten wie mein Freund bleiben, denn ich mußte noch immer Lectionen geben und für Schönherr um schmalen Lohn Landschaften illuminiren, während er eine Unterstützung genoß, die für seinen Unterhalt hinreichte. Ich muß noch erwähnen, daß ich durch Jele einen gewissen Franz Stecher aus Nauders kennen lernte, der schon ein Jahr in Wien auf der Akademie studirt und den ich schon als Knabe in Nauders als Maler, Franz nennen gehört hatte. Er war vier bis fünf Jahre älter als ich und ein Neffe des unbeliebten Pfarrers. Er machte den Vorschlag, wir sollten einander abwechselnd entkleidet Modell stehen und die anderen zwei darnach zeichnen. Wir gingen darauf ein und mich traf das Loos zum erstenmale als Act zu stehen, wornach die anderen zeichneten. Nun kam Jele an die Reihe, den ich zeichnen konnte. Stecher aber wollte nicht als Modell stehen, sondern immer zeichnen. So wurde dieses nützliche Unternehmen aus Egoismus des Stecher und zugleich unsere Freundschaft aufgelöst.

Es traf sich nun, daß ein Postconducteur krank wurde, und mein Bruder an dessen Stelle den Eilwagen nach Verona begleiten sollte. Wir besprachen uns, daß er in Verona unseren Onkel besuchen, von mir erzählen und für eine Unterstützung zu meiner Ausbildung in der Malerei bitten[51] sollte. Nur mit beklommenem Herzen wagte es mein Bruder, ihn zu besuchen, indem er sich erinnerte, wie er wegen eines leichten Jugendstreiches die Unterstützung verloren hatte. Aber diesmal war der Onkel gnädig, besonders die Frau Tante. Er hörte die Erzählung von meinem künstlerischen Hang und Talent geduldig an und verlangte einige Zeichnungen von mir, die er von Künstlern beurtheilen lassen wollte. Zugleich beschenkte er meinen Bruder und gab ihm für mich ein Packet Wäsche und Kleider mit, die mir sehr zu Gute kamen. Als mein Bruder die Reise wiederholen mußte, brachte er dem Onkel meine Arbeiten und bald nachher berief mich ein Brief nach Verona. Ich war glücklich in der Hoffnung, in einer Akademie studiren zu können.

Im September 1832 verließ ich nach anderthalb Jahren Aufenthalt Innsbruck, verabschiedete mich von meinem Bruder und von den Wohlthätern, besonders von den guten Familien Meixner und Groß. Einige Kameraden begleiteten mich bis Zirl und ich wanderte zu Fuß zuerst nach Nauders, um meinen Vater zu sehen. Auf dem Wege zeichnete ich einige flüchtige Ansichten in mein Skizzenbuch. Als ich auf der Finstermünzer Bergstraße zu der Stelle kam, wo ich von meiner guten Mutter Abschied genommen hatte, wurde mir so wehmüthig um's Herz, daß ich mich auf einen Stein setzte und weinte. In Nauders traf ich den alten Vater und Schwester Caroline. Ich schaute mich in der Wohnstube um und es schien mir unmöglich, die Mutter nicht wiederfinden zu können. An der Stelle, wo sie gewöhnlich saß, ließ ich mich nieder, hielt die Hände vor die Augen und weinte bitterlich, auch der Vater und die Schwester konnten die Thränen nicht zurückhalten. Der Vater war[52] bereits durch Briefe von dem Glücke für meine Zukunft unterrichtet und freute sich mit mir. Ich blieb nur vier Tage zu Hause, denn der Trieb vorwärts zu kommen und die Malerei zu studiren, drängte mich fort. Durch den Vintschgau, wo ich Bekannte und Verwandte besuchte, ging ich zu Fuß. In Schlanders, als ich in der Post zu Mittag aß, sah ich unter Glas und Rahmen ein Aquarellbild, welches das Begräbniß eines Jägers vorstellte. Bier Rehe trugen den Jäger, Hasen gingen mit Fackeln, der Bär mit dem Kreuze voran, und hintennach folgten alle möglichen Thiere aufrecht, wie Menschen gehend und weinend. In der Luft wimmelte es von Vögeln: Wildenten, Geiern, Rebhühnern, Fasanen, Auerhähnen u.s.w. Das Bild war sehr mangelhaft, aber es fehlte ihm nicht an Leben und Empfindung. Ich mußte herzlich dabei lachen. Der Wirth, der eben in die Stube trat, fragte: »Warum lachen Sie, ist das nicht ein Kunststück; das hat ein junger Maler aus Nauders gemalt, sein Vater hat es mir geschenkt.« »Ja deswegen lache ich, denn der Maler der dieses Bild vor zwei Jahren gemalt hat, bin ich.« Der Wirth hatte eine große Freude, denn er war ein alter Freund meines Vaters und hatte 1809 neben ihm gekämpft. Er bewirthete mich auf das Beste und wollte, daß ich bei ihm übernachten sollte. Auch die Wirthin und die zwei hübschen Töchter wollten mich nicht fortlassen, aber der Drang nach der Kunst trieb mich fort. Der Wirth kutschirte mich mit seinem Fuchsen bis Meran, wo ich im Gasthaus beim »Gstör« (jetzt Sandwirth) einkehrte. Er nannte der Wirthin meinen Namen und da sie meinen Vater gut kannte, war ich wohl aufgehoben. Es kostete mir nichts, ja die Wirthin zahlte noch[53] für mich den Platz bei einem Lohnkutscher. Um zwölf Uhr war ich in Bozen und von hier fuhr ich mit dem Eilwagen nach Verona.

Hier ließ ich mich sogleich von einem Postpacker zu dem Herrn Onkel führen, der mit seiner Familie den alten schönen Palast Negrelli bewohnte. In dem großen Vorsaal, der mit alten Bildern behängt war, harrte ich in großer Angst bis ich in sein Schreibzimmer geführt wurde: »Nun was soll mit dir geschehen?« sprach er mich an; »du willst Maler werden, weißt du, daß dir, wenn du nicht ein Genie bist, eine traurige Zukunft bevorsteht? Es wird besser sein, du wirst Kaufmann und ich werde dich hier in ein Handlungshaus geben.« Mir ward zu Muthe als wie einem, der zum Galgen verurtheilt wird; denn gerade das letzte war mir verhaßt, weil ich weder Talent noch Liebe zum Rechnen hatte. »Nein Excellenz, gnädiger Herr Onkel, eher als Kaufmann werden, gehe ich in Gottesnamen zurück und werde lieber die Kühe auf der Alm hüten.« So sagte ich ihm furchtlos und muthig, was ich mir bei meiner Schüchternheit gar nicht zugetraut hätte. Diese meine Entschlossenheit schien ihm nicht zu mißfallen. Er lächelte und sagte weiter: »Aber dennoch ist es eine Gewissenssache und muß wohl überlegt werden; ich mochte lieber, daß du das Gymnasium und die ferneren Studien absolvirst, um entweder Geistlicher oder ein tüchtiger Beamter zu werden.« »Auch das kann ich nicht«, erwiderte ich »denn ich habe keine Vorbildung und kenne die italienische Sprache nicht; ich habe nur Lust und Liebe zur Malerei und bitte darin mich unterstützen zu wollen.« »Nun habe ich Vertrauen zu dir und du sollst Maler werden; ich habe dich nur prüfen[54] wollen«; aber mit einer erschreckenden Miene setzte er hinzu: »Du wirst wissen, daß ich deinen Bruder Jacob wegen seines Leichtsinnes verlassen habe und seine Bitten nie mehr er hörte. Bedenke, daß bei dem kleinsten Vergehen, sei es Unfleiß, Undankbarkeit gegen den Herrn, an den ich dich empfehle, wo du wie ein Kind des Hauses versorgt wirst, und wofür ich bezahle, oder wenn du dir irgend etwas zu Schulden kommen lassen wirst, dir dasselbe Loos bevorsteht. Du wirst heute noch mit der Diligence nach Venedig abreisen, hier ist die Adresse an Herrn Rögla, einen deutschen Beamten beim Tribunal in Venedig; zu ihm gehst du zuerst, er wird dich zu dem Herrn Tribunalrath Corvi führen, bei dem du Aufnahme findest. Dieser Corvi ist unser Verwandter, von dem du aber wahrscheinlich nichts wissen wirst. Seine Mutter war die Schwester meiner Mutter und deiner Großmutter, und heiratete einen Herrn Corvi aus Sondrio im Valtellin: er ist mein Untergebener und mir sehr verbunden, umsomehr wird er dich wie ein Kind behandeln.« Die Frau Tante erschien auch und war sehr freundlich; sie war die zweite Frau des Onkels, eine geborne Edle von Rotterheim. Ich erhielt einige Gulden und etwas zum Essen auf die Reise und wurde gleich durch den Diener auf die Post geführt, wo er bis Venedig für mich bezahlte.[55]

Quelle:
Blaas, Karl: Selbstbiographie des Malers Karl Blaas 1815–1876. Wien 1876, S. 24-56.
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