Der Artikel über Max Liebermann

[198] Aus dem Jahre 1907 habe ich eine Tatsache noch nicht erwähnt, die an und für sich hier unerwähnt hätte bleiben können, hätte sie nicht zufällig Wirkungen gehabt, die, in Verbindung mit stärkeren Ursachen, für die nächsten Jahre mich persönlich und dadurch auch die Museen den unerhörtesten und sachlich ungerechtfertigsten Angriffen ausgesetzt haben, und die mich sicher auch noch über das Grab hinaus verfolgen werden.

Am 20. Juli 1907 feierte Max Liebermann seinen sechzigsten Geburtstag. Im Ministerium wünschte Geheimrat Schmidt dies durch eine große Ausstellung von Liebermanns sämtlichen Werken in dem gerade seiner Vollendung entgegengehenden Akademiepalast auf dem Pariser Platz zu feiern. Er hoffte dadurch eine Versöhnung mit der »Sezession« oder doch wenigstens eine Abtrennung Liebermanns von der Sezession herbeizuführen. Auf seinen Wunsch sprach ich mit Tschudi, der aber den Gedanken entschieden ablehnte; es sei zudem ganz aussichtslos, da der Kaiser seine Zustimmung sicher nicht geben würde. In Wahrheit fürchtete er eine starke Schwächung der Sezession, mit der er sich vollständig identifizierte. Dennoch ermutigte mich Geheimrat Schmidt, den Versuch zu machen, den Kaiser für den Plan zu gewinnen. Ich sagte zu und benutzte die nächste Gelegenheit, um dem Kaiser davon zu sprechen. Die nächste Gelegenheit war aber keineswegs die beste, zudem war sie ungeschickt von mir gewählt, und es gelang mir nicht, die Sache in richtiger Weise vorzubringen. Der Kaiser hatte sich im Museum angemeldet, um über einen von mir vorgeschlagenen Tausch endgültig zu entscheiden, wie ich schon an anderer Stelle berichtet habe. Da er besonders guter Stimmung war, wagte ich mich nach Erledigung unserer Angelegenheit mit der Anfrage über die Liebermann-Ausstellung heraus. Aber ich kam nicht weit mit meinem Satze, indem der[198] Kaiser mir das Wort einfach abschnitt: »Das könnte mir gerade passen, den schönen Neubau meiner Akademie mit einer Ausstellung zu Ehren des Häuptlings der Sezession zu eröffnen!«

Kurze Zeit vor dem Geburtstag trat dann der Verleger Bruno Cassirer, der jede Gelegenheit benutzte, um mich im Interesse seiner jungen Zeitschrift »Kunst und Künstler« zu einem »Leiter« zu bewegen, mit der Bitte an mich heran, einen kurzen Festgruß an Liebermann in seiner Zeitschrift zu veröffentlichen. Liebermann selbst wie das Publikum wünschten dies nur von mir. Ich erwiderte, daß Tschudi doch bei seiner Stellung zur Sezession und zu Liebermann persönlich der berufene Mann sei, aber Cassirer erklärte, daß ich Liebermann doch schon seit zwanzig Jahren nahestände, daß ich ihn in Berlin gewissermaßen eingeführt hätte, und daß Tschudi zweifellos nicht mehr rechtzeitig mit dem Aufsatze fertig würde, wenn er ihn überhaupt anfinge. Ich ließ mich also bereden und schrieb den Aufsatz möglichst warm und persönlich, hob namentlich hervor, daß Liebermann trotz seiner meist holländischen Motive, trotz der Verwandtschaft mit Israels, doch echt deutsch in der Empfindung sei. »Was Leibl für Süddeutschland war« – so führte ich dort aus – »wurde Liebermann gleichzeitig für Norddeutschland, und seit jener dahingegangen ist, kann Liebermann der Ruhm als Deutschlands erster Maler füglich nicht mehr streitig gemacht werden – wir dürfen auch sagen, als einer der deutschesten Maler unter den lebenden Künstlern, mehr als er selbst weiß und zeigen will.« Mit diesen Worten hatte ich den furor teutonicus bei allen Hypergermanen und Antisemiten ausgelöst. Vor allem ließen die »Neuesten Nachrichten« durch Willy Pastor und die »Deutsche Tageszeitung« durch einen seiner Gesinnungsgenossen mir als Judengenossen und internationalem Vaterlandsverräter den Kampf bis aufs Messer erklären. Sie haben diesen Kampf redlich fortgeführt, auch, als ihre wütendsten Gegner, die »semitischen Zeitungen« und die englischen und französischen Blätter bald darauf gegen mich eine ähnliche monatelange Hetze anzettel ten. Pastor glaubte, seit meiner Abfertigung[199] seiner Anti-Donatello-Broschüre einen ganz persönlichen Grund zu haben, mich zu verfolgen und hatte diesem Antagonismus schon bei der Veröffentlichung meiner Denkschrift über die Erweiterung der Museen den derbsten Ausdruck gegeben. Statt seinen Beifall zu ernten, dafür, daß ich den Plan eines eigenen Museums für die deutsche Kunst aufgestellt hatte, griff er mich an, weil ich der »semitischen« Kunst auf der Museumsinsel Tempel baue, verlangte, daß die ganze Antike herausgeworfen werden solle, und daß dann auf der so gereinigten Museumsinsel in einem heiligen Haine der deutschen Kunst und Kultur von den ältesten Zeiten an ein Freiluft-Museum errichtet werden solle!

Diesen Ungereimtheiten und allen persönlichen Angriffen gegenüber fand die linksliberale Presse kein Wort der Verteidigung, obgleich mich z.B. Fritz Stahl noch kurz vorher gefeiert hatte, weil ich Alfred Messel als Architekt der Neubauten durchzusetzen vermocht hatte. Man grollte mir, daß ich kein aufrichtiger Freund der Sezession mehr sei, und dann galt ich ja (zumal nach der Briefaffäre von Frau Wallich) in diesem Lager als Antisemit. Also Judengenosse und Antisemit zugleich! Nach jenem Angriffe aus dem allgermanischen Lager und der stillen Freude darüber im Sezessionslager mußte ich darauf gefaßt sein, daß beide Parteien, also »tout Berlin«, soweit es in der Presse überhaupt zu Worte kommt, bei der ersten besten Gelegenheit über mich herfallen würden. Diese Gelegenheit sollte sich sehr bald bieten.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 198-200.
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