Die Tschudiaffäre

[200] Anfang des Jahres 1908 brachte der Kunsthändler Obach in London, der eine kleine Sammlung französischer Bilder aus der Schule von Fontainebleau, die bis dahin im Städtischen Museum in Amsterdam ausgestellt waren, erworben hatte, nach Berlin, um sie der Nationalgalerie zum Kauf anzubieten. Er hatte sie bei der damaligen Geldkrise weder in London noch in New York oder in Paris, wo er sie zunächst angeboten hatte, anbringen können. Dennoch war sein Preis außerordentlich hoch.[200]

Tschudi, den diese Schule neben dem modernsten Impressionismus wenig interessierte, glaubte die Gelegenheit günstig, um mit einem Schlage eine kleine Sammlung der Hauptmeister dieser Richtung: von Corot, Troyon, Rousseau u.a. für die französische Abteilung der Nationalgalerie zu gewinnen. Er wandte sich daher zunächst durch Geheimrat Schmidt, dann direkt an mich mit der Bitte, den Kaiser zu einer Besichtigung der Sammlung zu bestimmen. Da ich selbst ein Verehrer mancher Bilder dieser Künstler bin, so machte ich seinen Wunsch gern zu dem meinigen, unterstützte seinen Antrag und erreichte die Zusage einer Besichtigung durch den Kaiser.

Die Bilder waren im Saal der Bartholdischen Fres ken, in dem wir den Kaiser erwarteten, vor den Fresken aufgestellt. Zu meinem Erstaunen sah ich, daß Tschudi unter die Amsterdamer Bilder ebenso viele ihm wertvollere, durch P. Cassirer angebotene Gemälde von Courbet, Daumier u.a. gemischt hatte, von denen er sicher sein mußte, daß sie dem Kaiser unmöglich gefallen konnten. Er meinte aber, der Kaiser würde sie kaum bemerken und mit unterlaufen lassen. Darin hatte er sich jedoch sehr getäuscht; gerade diese Bilder fielen dem Kaiser sofort unangenehm auf. Trotzdem suchte ihn Tschudi auf diese Bilder besonders aufmerksam zu machen und bestand auch gegenüber der energischen Ablehnung des Kaisers auf Erwerbung derselben. Die Diskussion war so peinlich, daß anfangs niemand von den Anwesenden sich einzumischen wagte. Schließlich gab der Kaiser seine Zustimmung zur Erwerbung von vier größeren Gemälden: einem ganz großen klassischen Troyon, der mir am wenigsten gefiel, den beiden Landschaften von Rousseau und einem Corot. In bezug auf den Preis äußerte Herr von Tschudi, daß er erst wissen müsse, ob der Händler sich überhaupt auf eine Auswahl einlasse.

Diese Unterhandlung und Abmachung erledigte Tschudi sofort, ohne daß der Kaiser benachrichtigt worden wäre und selbst ohne Anfrage bei dem vorgesetzten Minister. An den Finanzminister hatte er sich überhaupt nicht gewandt, obgleich die Nationalgalerie keine Mittel mehr zur Verfügung hatte,[201] so daß Tschudi auf eine außerordentliche Bewilligung rechnete. Herr von Rheinbaben lehnte daher einfach ab, irgend etwas herzugeben. Gleichzeitig ließ der Kaiser, der Tschudis Benehmen ihm gegenüber hinterher noch stärker empfunden haben soll, den Kultusminister benachrichtigen, daß er von der ganzen Erwerbung nichts mehr wissen wolle. Aber der Verkäufer bestand auf seinem Schein. Die Bilder seien von Herrn von Tschudi um 400000 Mark ohne jeden Vorbehalt fest gekauft worden, er verlange die Zahlung. Ebenso bestimmt erklärte Tschudi, daß der Kaiser seine Zustimmung gegeben habe, daß er also zum Abschluß berechtigt gewesen sei; er kümmere sich um nichts mehr. In der Tat überließ er Geheimrat Schmidt, eine Lösung aus der peinlichen Situation zu finden. Durch eine Umfrage bei Tschudis reichen Bekannten glückte es ihm, einen Vorschuß in Höhe des Kaufpreises zusammenzubringen, der dem Händler ausgehändigt wurde. Um Tschudi selbst einer nach verschiedenen Richtungen peinlichen Untersuchung zu entziehen, vermittelte ihm Geheimrat Schmidt einen Urlaub »aus Gesundheitsrücksichten« für ein ganzes Jahr zu einer Seereise nach Japan.

Damit war aber wenig gewonnen. Das Geld zum Ankauf der Bilder konnte nicht aufgetrieben werden, die Sezessionsblätter und mit ihnen der größte Teil der Presse wußten die Wunde stets offen zu erhalten. Da kam die unglückliche »Novemberaussprache«, jene einzigartige parlamentarische Revolution aller Parteien, zu deren Führer sich der Reichskanzler Fürst Bülow hergab. Um ein populäres Schlagwort mehr dem Parlament gegenüber zur Verfügung zu haben, hatte er sich durch seinen Freund, den ganz modernistischen Fürsten Lichnowsky und durch weibliche Einflüsse aus dem Kreise der Tschudi-Verehrer bereden lassen, dabei vom Kaiser zugleich die Rückkehr Tschudis in sein Amt zu verlangen. Auch das gab der Kaiser zu; als besonders schwere Kränkung mußte er es aber empfinden, daß dieser Triumph noch am selben Tage offiziös in alle Welt posaunt wurde.[202]

Im Ministerium war man sich, nachdem die Beschämung über diesen Tag bei allen königstreuen Parteien nur allzu bald eintrat, darüber klar geworden, daß man gerade dadurch die weitere Tätigkeit Tschudis an der Nationalgalerie noch mehr erschwert, ja, wahrscheinlich unmöglich gemacht hatte, mußten doch sämtliche Erwerbungen moderner Kunstwerke dem Kaiser zur Genehmigung unterbreitet werden! Während Tschudi schon auf dem Rückwege von Japan war, zerbrach man sich im Ministerium den Kopf darüber, wie man seine Stellung einschränken könne: ob durch Beschränkung auf die deutsche Kunst, ob durch Berufung zum Direktor der Kasseler Galerie, von der O. Eisenmann kurz vorher zurückgetreten war, oder ob man das Bestreben gewisser Münchener Kreise, die ihn als Direktor der Staatsgalerien Bayerns ins Auge gefaßt hatten, unterstützen solle.

Da alle Pläne für Preußen sich als fast aussichtslos erwiesen und, wie man mit Recht annahm, auch an Tschudis Widerspruch gescheitert wären, so wurde ich gebeten, mich über die Aussichten Tschudis in München zu orientieren. Schon früher hatte mein alter Freund, Baron Heinrich von Tucher, der bayerische Gesandte in Wien und einer der einflußreichsten und verständnisvollsten Kunstfreunde in Bayern, sich deswegen an mich gewandt. Ich suchte ihn in Wien auf und sprach später auch mit dem Dezernenten für Kunst in München. Beide erklärten, daß in der damaligen Situation für die bayerischen Galerien vor allem ein Mann mit eigenen Ideen und rücksichtsloser Energie notwendig sei; darüber wären alle Parteien in München so einig, daß selbst die Künstlerfreunde des Prinzregenten an Tschudis ultramoderner Richtung keinen Anstoß nehmen würden, um so weniger, als ja die Ordnung der alten Galerie ihn für lange Zeit in Anspruch nehmen würde. Auch ich hatte diesen Glauben; ich ahnte damals noch nicht, daß Tschudi die alte Kunst doch nur noch vom Gesichtspunkt der modernsten Kunst interessierte und daß er sie, wie er es spä ter im Vorwort zum Nemes-Katalog prinzipiell ausgesprochen hat, nur in dieser Beziehung für uns[203] als berechtigt anerkannte. Ich habe ihn daher als Nachfolger Rebers an der Pinakothek aufs wärmste empfohlen, weil er nach meiner Kenntnis alle Eigenschaften zu einer wirkungsvollen Reform der bayerischen Galerien besaß, keineswegs aber, wie man mir später unterlegte, um ihn in Berlin loszuwerden. Ich habe damals sogar ausdrücklich hervorgehoben, daß ich befürchte, mir würde Tschudis Berufung nach München so ausgelegt werden, und die Beziehungen zwischen den Münchener und Berliner Sammlungsleitern könnten sich dadurch mehr und mehr verschlechtern. Seine damals beschlossene und zum 1. Juli ausgeführte Berufung bewies, daß ich in dieser Befürchtung recht gehabt habe. Freilich kamen noch andere Gründe hinzu.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 200-204.
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