Deutsche Künstler im Ausland

Stauffer-Bern, E.M. Geyger

[78] Um diese Zeit, seit 1887 oder 1888, trat ich wieder in nähere Beziehung zu einer Reihe von jüngeren Künstlern, namentlich dadurch, daß ich sie für unser Galeriewerk oder für die »Graphischen Künste« als Mitarbeiter zu gewinnen suchte. Gerade diese Beziehungen vermittelte mir der Radierer Peter Halm, unter dessen Leitung oder nach dessen Vorbild jene Freunde und Bekannten das Radieren erlernt hatten. Stauffer-Bern und Max Klinger waren freilich für die Reproduktion von Bildern alter Meister nicht zu gewinnen, aber sie illustrierten mir einen Aufsatz über »Berliner Maler-Radierer« in den »Graphischen Künsten«. E.M. Geyger lieferte für das Galeriewerk ein paar ausgezeichnete Platten nach Antonello und H. Seghers. Da mir diese Arbeiten Geygers, wie namentlich auch seine Radierungen nach Tieren, Außerordentliches zu versprechen schienen, so vermittelte ich ihm die Ausführung von ein paar großen Platten für Charles Sedelmeyer in Paris. Zunächst[78] eine große Komposition von Affen, die ein Kind gefunden haben, eine effektvolle Darstellung voll treffender Charakteristik, aber übertrieben pointiert, überfüllt und zu sehr durchgearbeitet. Dieser Fehler haftet noch in höherem Maße dem außerordentlich treuen und trefflich gezeichneten großen Stich des Frühlings von Botticelli an, dessen malerische Wirkung dadurch auch eine gewisse Kälte erhalten hatte. Die Strichlagen waren hier so eng, daß von der Platte selbst durch den besten Pariser Drucker, dem sie anvertraut wurde, nur einige wenige gute Abzüge gemacht werden konnten.

Während Geyger daran arbeitete, verbrachte ich – im Mai und Juni 1889 – einen vierwöchigen Erholungsurlaub in Florenz, und Geyger überließ mir in seinem Villino Morelli nahe am Viale dei Colli ein Zimmer, das ich mit alten Möbeln und Teppichen ausstattete, die mir ein Antiquar lieh. Der Aufenthalt war sehr genußreich, da das Wetter herrlich war, und der Altan der kleinen Villa, auf dem wir den Morgen und Abend zubrachten, die prächtigste Aussicht über die Stadt und das breite Arnotal gewährte, zumal, wenn abends die Sonne hinter den steilen, tiefblauen Bergen von Carrara verschwand und ihr warmes Licht noch mit goldigem Glanz das ganze Tal erfüllte, durch das sich der Arno wie ein silbernes Band hindurchzieht.

Während dieses längeren Aufenthalts in Florenz hatte ich Gelegenheit, einen tiefen Blick zu tun in die Freuden und Leiden unserer jungen Künstler und vor allem in die Gefahren, denen sie durch den heute beliebten, übertriebenen Kultus von Kunst und Künstler ausgesetzt sind und nur zu oft erliegen, weil die Gesellschaft, vor allem in Berlin die jungjüdische Gesellschaft, nach ihnen als Zelebritäten hascht und sie in unerhörter Weise verzieht und verdirbt. Das jammervolle Ende eines dieser Opfer unserer modernen Gesellschaft, richtiger Pseudogesellschaft, mußte ich bald darauf, im Herbst 1889, in Florenz teilweise miterleben. Mit einer Rotte von Galeerensträflingen, die aneinandergeschmiedet, von Rom in einem Viehwagen nach dem Norden transportiert wurden, wurde im Kerker von Florenz der Schweizer Maler Karl Stauffer-Bern[79] eingeliefert. Noch wenige Wochen vorher war ich ihm im Albergo Bonciani mit einer Dame begegnet, die er mir als Frau Lydia Escher, eine alte Schweizer Bekannte und Kunstfreundin, vorstellte. Er habe für die Dame eben von Bonciani dessen Villa am Viale dei Colli gemietet. Sie seien aber im Begriff, zunächst erst nach Rom zu gehen, da er Sehnsucht nach seinen Plastiken habe, die noch so dastünden, wie ich sie im Frühjahr bei ihm gesehen hätte.

Was es mit dieser gemeinsamen Reise auf sich hatte, verrieten bald darauf die Zeitungen. Stauffer hatte Lydia Escher, mit der er schon seit mehreren Jahren in nahem Verkehr stand, entführt und war mit ihr nach Italien geflohen. Der Gatte, ein Sohn des Bundespräsidenten, empört über den treulosen Mißbrauch der wiederholt genossenen Gastfreundschaft, ließ durch den Schweizer Gesandten nach dem Paar fahnden. Dieser bewirkte die Internierung der Frau Escher in einer Heilanstalt und die Verhaftung Stauffers, unter der Anklage der Entführung einer Geisteskranken und Unterschlagung von Geldern. In der Tat hatte Stauffer nicht nur von dem Gelde, das Frau Escher mitgenommen hatte, mit gelebt, sondern diese auch zu einem Testament zu seinen Gunsten zu bewegen gewußt. Daß die italienische Regierung ihn aber auf diesen Verdacht hin in einen elenden Kerker sperrte, wo er wochenlang mit einer Horde von Räubern und Mördern zusammengepfercht war, daß er in Florenz in gleicher Weise behandelt und schließlich erst auf Adolf Hildebrands energische Verwendung wenigstens in ein Irrenhaus überführt wurde, dazu war wahrlich kein Grund vorhanden. Daß diese furchtbaren Eindrücke zu dem traurigen Ende, das sich Stauffer selbst bereitete, und in das er die unglückliche Frau Escher hineinzog, mit beigetragen haben, ist wohl sicher, aber den eigentlichen Grund dazu hat sein wüstes Leben, hat sein schließlich zu Größenwahnsinn gesteigerter Begriff von seinem Talent und seinem Beruf zum Künstler gelegt, wie er an verschiedenen Stellen seiner Briefe selbst andeutet.[80]

Stauffer hatte stets die kühnsten Pläne; große Kompositionen in Bild und Skulptur lagen ihm im Sinn und waren doch so weit entfernt von seiner Bega bung! Eine Reform der modernen Kunst durch Lehre und Kunstkritik schwebte ihm vor. Dabei haftete er am Modell und ist nie über das Porträt hinausgekommen. Aber darin hat er so Tüchtiges geleistet wie irgendeiner in Deutschland während der letzten Jahrzehnte. Dazu war er, dank nicht am wenigsten seiner Herkunft vom Handwerk, ein vorzüglicher Techniker, gleich bewandert im Malen wie im Stechen und schließlich im Modellieren. Seine frische, malerische Auffassung der Persönlichkeit, seine treffliche Zeichnung, seine meisterhafte Behandlung der Technik, kommen in seinen Porträts und Studien, den gemalten und gestochenen, voll zur Geltung. Aber die Abneigung gegen das Schaffen im Kleinen, der stürmische Drang nach immer Neuem, Höherem, wie er glaubte, der ihn nach Rom und zur Plastik trieb, war ein Beweis des körperlichen und geistigen Verfalls, der schon ansetzte, als der von Haus aus so robuste und sympathische Schweizer eben das dreißigste Jahr vollendet hatte. Sein tragisches Ende hat dann sofort ein Gewebe von Mythen und Hymnen um ihn gesponnen, mit denen unsere kunstarme Zeit ihre wenigen Talente, namentlich, wenn sie nicht zu voller Entfaltung gekommen sind, einzuhüllen pflegt und den Tatbestand zu verschleiern liebt.

Auch andere Künstler sind in ähnliche Konflikte geraten. Ist es der Mangel an Bodenständigkeit, das Leben im Ausland und mit Ausländern, die unsere deutschen Künstler so leicht jeden Maßstab verlieren läßt? Welche Not hat Arnold Böcklin durch seine römische Frau und die unter ihrer Zucht aufgewachsenen Kinder gehabt! Und ist nicht auch schließlich die Nana zum Verhängnis für Anselm Feuerbach geworden?

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 78-81.
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