Ernennung zum Generaldirektor

Antritt des neuen Amtes

[173] Meine Anstellung erfolgte nach wenigen Tagen, zum 1. Dezember 1905. Die Beliebtheit, deren sich Schoene dank seiner Sachlichkeit und seiner Gerechtigkeit den Personen gegenüber erfreute, machte mir die Stellung zu meinen Kollegen im Anfang recht schwer. Bei ihnen war, soweit sie sich überhaupt um Museumsverhältnisse näher kümmerten, die Ansicht sehr verbreitet, ich hätte gegen Schoene intrigiert, um mich in seine Stellung zu setzen. Sie ahnten nicht, daß mir dies zwanzig Jahre früher offengestanden hätte, als ich jung und gesund war. Kekule benutzte gleich die erste Direktorensitzung, um[173] mich durch persönliche Angriffe, die er vom Zaune brach, zu reizen. Erman suchte mich auf, um mir sein Mißtrauen über mein Vorgehen gegen Schoene auszusprechen, und zwei hervorragende Mitglieder des Vorstandes unseres Kaiser-Friedrich-Museumsvereins, James Simon und Dr. Bruno Güterbock, kamen aus dem gleichen Grunde zu mir und sprachen mir offen ihr Bedauern aus. Ich sah, daß sie völlig unorientiert waren, aber sich zunächst auch nicht orientieren lassen wollten, und verzichtete daher schließlich auf den Versuch, sie zu überzeugen.

Freilich, die Rücksicht, die mein Vorgänger stets auf die Personen genommen hat, auch wenn er von ihrer dienstlichen Tätigkeit nichts weniger als erbaut war, konnte und wollte ich im Interesse der mir unterstellten Sammlungen nicht üben. Das Kunstgewerbemuseum war unter Lessings Leitung mehr und mehr zurückgegangen, da dieser weder die Kenntnisse noch den Qualitätssinn besaß, um die Sammlung in glücklicher Weise auszubauen, und da er obendrein den alten Bestand durch ungeschickte Restaurationen nur verschlechterte. Vielfach unwissenschaftlich war ferner seit Jahren unter Voß die prähistorische Abteilung vermehrt und aufgestellt, und die Unterrichtsanstalt hatte unter Ewald eine verkehrte Richtung erhalten. Galt ihm doch als höchstes Ziel, daß seine Schüler zur Akademie übergehen konnten! Und doch sind noch in den letzten Jahren, namentlich durch den Bau der Schule und den Umbau des Kunstgewerbemuseums, für unnötige Publikationen und Ankäufe geringwertiger Stücke, Millionen unnütz ausgegeben worden!

Stark vernachlässigt waren die Antikenabteilungen, da sich R.v. Kekule zum Leiter einer Sammlung, die auf Vermehrung angewiesen ist, schwerlich eignete. Daß in allen diesen Stellen ein Wechsel sobald als möglich eintreten müsse, war daher meine feste Überzeugung, der ich dem Minister gegenüber sofort Aus druck gab. Er gestattete mir, die gelegentliche Pensionierung dieser Herren in Aussicht zu nehmen, die auch durch ihr Alter wie durch ihrer[174] Kränklichkeit begründet war, und mich nach geeigneten Nachfolgern umzusehen. Zur Pensionierung, die das an die Direktoren gewöhnte Publikum unangenehm empfunden hätte, brauchte es aber nicht zu kommen, da schwere Krankheiten, an denen sie alle schon seit längerer Zeit litten, bereits in den folgenden Jahren das natürliche Ende herbeiführten.

Größere Schwierigkeiten ergaben sich für die Abstellung bedeutender Übelstände an anderen Abteilungen. So im Münzkabinett, dessen Leitung Schoene, seinem leidigen Anciennitätsprinzip zuliebe, nach Sallets Tode dem dienstältesten Beamten, Dr. Menadier, anvertraut hatte, der ausgezeichnete Verdienste um die Entwicklung der Sammlung mittelalterlicher Münzen gehabt hat und hoffentlich noch lange haben wird, der aber sehr einseitig und vor allem unerhört nachlässig in allen Verwaltungssachen, namentlich in Geldangelegenheiten, war. Die Sanierung der Schulden seiner Abteilung nahm nie ein Ende.

Am schlimmsten sah es in den ethnographischen Sammlungen aus, in denen die sinnlose Anhäufung von Gegenständen, besonders durch die Erwerbungen, die uns aus unseren Kolonien in Afrika und Polynesien durch die meist ganz unvorbereiteten Geschenke der Kolonialbeamten zuflossen, schon damals eine unerträgliche Überfüllung zur Folge gehabt hatte. Kaum einer der Direktoren war für eine Mäßigung im Sammeln oder gar für Magazinierung und Abgabe zu haben. Der Direktor der umfangreichsten und durch jene Übelstände am stärksten betroffenen Sammlung, Professor von Luschan, leugnete den Begriff der Dublette überhaupt und war unersättlich in Aufstaplung auch der modernsten, schon ganz unter europäischem Einfluß entstandenen Erzeugnisse der Naturvölker. Dazu fehlte den Leitern dieser Sammlungen meist museale Kenntnis im modernen Sinne, was bei dem Bedürfnis einer Erweiterung des Völkerkundemuseums oder eines Neubaus, wie sie seit Jahren in Frage kamen, besonders ungünstig war.[175]

Da ich selbst kein Ethnologe von Beruf bin, so war ich für die Beantwortung solcher Fragen auf das Studium der Sammlungen außerhalb Berlins und auf den Rat kompetenter Fachmänner angewiesen. Ich konnte mir hierfür noch in höherem Maße als für die anderen Abteilungen der Museen, bei denen Reformen und Änderungen in den leitenden Persönlichkeiten notwendig waren, nur nach reiflicher Vorarbeit die Ausarbeitung und Vorlage von Plänen dafür zutrauen. Während dieser Vorbereitungen suchte ich die eigenen, mir weiter unterstellten Abteilungen und vor allem die Sammlungen der übrigen Abteilungen nach Möglichkeit zu bereichern. Gleich in den ersten Tagen, nachdem ich mein Amt als Generaldirektor angetreten hatte, baten mich die beiden Direktoren der amerikanischen Abteilung, Seler und von den Steinen, für den Ankauf der argentinischen Sammlung Zavaleta einzutreten, die jetzt für 105000 Mark sehr preiswürdig zu haben sei. Herr von den Steinen erklärte, daß er einen Schenker dafür habe. Ich gab meine Zustimmung, aber schließlich fand sich, daß der »sichere Schenker« gar nicht daran dachte, auch nur einen Groschen herzugeben. Herr von den Steinen überließ es mir, einen anderen Schenker ausfindig zu machen, trat aber selbst von der Leitung seiner Abteilung zurück. Glücklicher und weit bedeutender war die Erwerbung einer anderen Sammlung für dieselbe Abteilung, der peruanischen Sammlung Grätzer, die als Geschenk des Herrn van der Zypen an die Museen gelangte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 173-176.
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