[19] Wie schon gesagt, möge man beobachten, wie die einzelnen Teile des Kopfes proportional zu einander stehen: die Stirnbildung in Länge und Breite, wie die Augen darunter stehen; die Länge der Nase, der Mund, das Kinn. Ferner die Massen untereinander, z.B. wie das Verhältnis der Masse vom Kinn[20] bis zu den Augen steht, zu der Stirn usw. Ratsam ist es, die Aufzeichnung aus der Mitte anzufangen, z.B. mit der Stellung der Augen, und dann das andere daran anzuschließen. Nebst dem Vergleichen, wie das Verhältnis der einzelnen Teile zu einander ist, kommt dann das Visieren, welche Punkte der einzelnen Teile vor- oder zurückliegen, tiefer oder höher.
Zu diesem Zweck hat man zwei sehr wichtige Hilfslinien:
die senkrechte (vertikale) und
die wagerechte (horizontale).
Diese beiden Linien sind deshalb so brauchbar, weil sie immer dieselbe Lage haben, auch beide zu einander immer im rechten Winkel stehen und man deshalb am besten ermitteln kann, was bei der senkrechten nach rechts oder links liegt und bei der wagerechten höher oder tiefer.
Zur Erläuterung möge ein Beispiel dienen: Nehmen wir den innern Winkel eines Auges, den Nasenwinkel an derselben Seite und den entsprechenden Mundwinkel. Die Senkrechte, durch den Augenwinkel gelegt, zeigt, um wieviel die anderen Punkte von ihm abweichen; ebenso eine Wagerechte durch denselben Winkel zeigt, wie der andere Augenwinkel höher oder tiefer liegt.
Ein weiteres wichtiges Mittel, das zur Erkenntnis von Licht und Schatten und deren Formenzeichnung sicher führt, ist das Blinzeln mit den[21] Augen (clignez les yeux). Es ist das Einstellen der Augen, wie es auch an dem Objektiv bei dem photographischen Apparat geschieht, auf die Teile des zu zeichnenden Gegenstandes, die im Augenblick als die wichtigsten er scheinen.
Und immer wieder kann nicht genug das Vergleichen betont werden, wie der einzelne Teil sich zu anderen verhält und zum Ganzen und wieder umgekehrt; wie die Bewegung ist und wie sie charakterisiert wird.
Die Bewegung des Kopfes besteht erstens in gerader Ansicht; alles in horizontalen und vertikalen Linien.
Diese durchgelegten Linien werden zu einer nach oben gebogenen Kurve bei Zurücklegen des Kopfes nach hinten. Bei Neigung nach vorn werden die Horizontalen zu Kurven nach unten gebogen. Bei diesen Bewegungen kommt bereits die »Verkürzung« zur Geltung, von der sehr viel später erst die Rede sein wird.
Bei seitlichen Bewegungen geht die Mittellinie (die senkrechte), welche, durch den Nasenrücken gelegt, die Augenbrauen und die Mitte des Mundes und des Kinnes teilt, nach der entsprechenden Richtung, und die Horizontalen neigen sich natürlich, weil sie im rechten Winkel zu der Vertikalen liegen, ebenfalls nach der entsprechenden Seite.[22]
Dann kommen Komplikationen der Bewegungen, deren Gestaltung die Hilfslinien von selbst ergeben.
Hat man alles das zusammengebracht: die charakteristischen Merkmale der einzelnen Gesichtsteile und die Abweichung der entsprechenden Teile von einander, dann auch hauptsächlich die Lage der Ohren, wie dieselben zwischen den Horizontalen, die durch die Augen und Nasenlöcher gelegt sind, sich befinden – darüber oder darunter ragen –, so entsteht dadurch die Ähnlichkeit: das erste Element für das Porträt.
Nach all diesen Arbeiten kommt nun das Modellieren, d.h. die Formen des Kopfes durch Licht und Schatten körperhaft erscheinen zu lassen. Fällt das Licht von oben, so werden die senkrechten Flächen beleuchtet, die abgeschrägten nach der Stärke der Abweichungen vom Licht heller oder tiefer getönt und die Höhlen ganz dunkel: die Augenhöhlen, Vertiefungen der Jochbeine, Ohrenlöcher etc. Wirft das Licht von unten seine Strahlen, so werden demnach auch die nach unten liegenden Flächen des Kopfes beleuchtet und die senkrechten – weil jetzt vom Lichte abge wendet – getönt. Dieser Fall findet statt z.B. bei dem Rampenlicht der Bühne, wo die darauf befindlichen Akteure derartige Lichtwirkungen zeigen.
Jetzt ist es nötig, die einzelnen Teile und Formen des Kopfes durchzugehen, um zu zeigen, was alles am Gesicht und am Schädel beobachtet werden muß.
Der Kopf hat eine kugelförmige Bildung: vorne ist das Gesicht, dann wölbt sich der größere Teil zum Schädel mit den Haaren.
Hauptsächlich kommt der Schädel bei der hinteren Ansicht des Kopfes zur Geltung; da ist dann zu beobachten, wie das[23] Haar auf der Höhe der Scheitelbeine einen Wirbel bildet, der Kreis des Schädels zu beiden Seiten herumschweift, und wie das Haar im Nacken angewachsen ist. Die Charakteristik wird noch gehoben durch die Art, wie sich die Ohren von hinten ge sehen an den Schädel ansetzen.
Auch bereits in der Zeichnung kann die verschiedenartige Beschaffenheit des Haares charakterisiert werden, wenn man die Licht- und Schattenmassen getreulich nachzubilden sucht. Zunächst fällt der seidige, glanzartige Charakter des Haares auf, der scharf bestimmte Lichter und ebenfalls scharfe, platte Schatten verlangt; etwa zu vergleichen mit glänzenden Gegenständen wie Seidenhut oder Ofenrohr.
Der Schädel ruht auf dem Halse, der bei der hinteren Ansicht, wie oben bereits gesagt, den Nacken bildet, der aus dem Kappenmuskel besteht, welcher an der unteren Basis des Hinterhauptknochens ansetzt und sich über die Schulterblätter verbreitet; zu beiden Seiten zeigen sich die Strähnen der Kopfnicker.
An den Schädel reiht sich die Stirn mit den beiden Schläfen. Diese sind ebenfalls in dem größten Teil von den Haaren begrenzt, die hier durch ihre verschiedenartige Ansetzung die Charakteristik bilden. Die Basis der Stirn erhebt sich über den Augenbrauen, die in Form und Bildung bei den einzelnen Individuen verschieden sind. Die Haut ist über der Stirnwölbung straff gespannt, so daß die Erhöhungen der Knochenbildung, ja selbst die Adern an Schläfen und Stirn deutlich hervortreten, selbst im Alter, wo die Haut durch Runzeln durchfurcht wird.
Die Augenhöhlen, die unter dem Stirnbein lagern, beherbergen die Augen. Diese sind in einem Schließmuskel eingekapselt, der das obere und das untere Lid bildet. Beide Lider haben Wimpern. Die Öffnung des Schließmuskels macht die Charakteristik des Auges aus, ob groß oder klein, rund oder gezogen; die Iris mit der Pupille und der Augapfel. Der innere Augenwinkel steht meistens verschieden zu dem äußern. Sobald der äußere[24] Augenwinkel höher steht, erhält das Auge den mongolenhaften, geschlitzten Ausdruck; steht der innere Augenwinkel höher wie der äußere, so ist sein Ausdruck gutmütig, wie er beim Hunde vorkommt. Überhaupt ist oft zu beachten, daß das menschliche Antlitz durch irgend einen Gesichtsteil Ähnlichkeit mit irgend einem Tier erhält: So erinnern die Gesichter oft an Vogelköpfe, eine lange Ramsnase an Widderköpfe, ein gedunsenes, fettes Gesicht mit kleinen Augen an einen Schweinskopf. Derartige Beobachtungen müssen mit Fleiß gepflegt werden, weil sich darin Geist verrät. Eine geistvolle Arbeit ist aber stets ein löbliches Zeichen.
Die Nase ist, je nachdem das Nasenbein geformt ist, hakenartig oder gerade. Das Nasenbein bildet mit der knorpeligen Fortsetzung den Nasenrücken und seitlich die Nasenwände; die Nasenlöcher sitzen an der unteren Fläche der knorpeligen Nasenspitze mit den Nasenflügeln. Die Nasenspitze ist knollig dick oder fein und spitz; zuweilen, bei starker Bildung, ge spalten, so daß wir hier wieder bei einer solchen kurzen Nase in gedrungenem Gesicht an den Kopf einer Bulldogge erinnert werden. Z.B. war dieser Typus bei Bismarck stark ausgeprägt.
Der Mund wird, ebenso wie das Auge, durch einen Schließmuskel gebildet. Dieser Muskel kennzeichnet sich durch die Furchen, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln laufen und dann um den oberen Teil des Kinnes herumziehen. Den Spalt bilden die Lippen, die bald wulstig dick oder schmal und dünn sind und dadurch den groben oder geistigen Ausdruck des Gesichtscharakters bilden helfen. Verschieden ist auch die Distanz des Oberkiefers von dem unteren Ansatz der Nasenspitze bis zur Mitte des Mundes. Die Mittellinie entlang läuft die Nasenrinne. Im Alter schiebt sich der Oberkiefer zusammen, wenn die Zähne sich verlieren.
Das Kinn ist der mittlere Teil des Unterkiefers; es ist groß und vorstehend oder kurz und zurückfliehend; das Knochige ist bei derber Schwere des Kinnes hauptsächlich vorherrschend, und man will in diesem Kennzeichen den Ausdruck von Energie finden,[25] während das Gegenteilige: eine runde, kleinliche Bildung, Weichheit und schwachen Willen bedeuten soll.
Zu beiden Seiten dieser senkrecht untereinander gelegenen Gesichtsteile sind die Wangen, welche an den Jochbeinen und den seitlichen Teilen des Oberkiefers entlang sich bilden und ihren Abschluß in den Seitenteilen des Unterkiefers finden. Die Art dieser Schädelteile bewirkt, daß die Wangen je nachdem schmal erscheinen, oder, wenn Jochbeine und Unterkiefer stark ausladen, derb und breit sind.
Als letztes, aber nicht minder wichtig am Schädel, sind die Ohren zu nennen; ja, als Ausdruck für die Bewegung des Kopfes sind sie von dem allergrößten Werte. Sie liegen, wie schon vorher erwähnt, zwischen der Parellelen, durch die Augen gelegt, und der der unteren Nasenfläche.
Durch diese Parallelen, die zu perspektivischen Kurven werden bei Drehungen und Neigungen des Kopfes (siehe oben), stehen sie bald hoch, bald tief. In der Form sind sie sehr verschieden: lang oder rund. Sie stehen ab vom Kopf oder liegen an und werden demnach mehr oder weniger beleuchtet; und in gleicher Fläche mit der Wange sind sie mit dieser auch in gleichem Tonwert.
Der Hals ist, von vorn gesehen, ein Zylinder, der Erhöhungen und Vertiefungen dadurch erhält, daß in der Mitte der Kehlkopf hervorragt und an den Seiten, ebenso wie von der hinteren Ansicht, die beiden Kopfnicker den Umriß bilden. Sie setzen sich in Sehnen an den Handgriff des Brustbeins an und bilden mit dessen oberer Fläche die Halsgrube.
Ist ein Bart vorhanden, so ist dieser ebenfalls in Licht und Schatten zu behandeln (nicht etwa sind einzelne Striche zu machen, die das einzelne Haar bedeuten sollen); auch ist genau auf den Ansatz und die Form des Bartes zu merken.
Das sind im großen und ganzen die Teile, aus denen der Kopf besteht und die erkennbar sein müssen, wenn der Kopf als[26] Ganzes in der Studie vorhanden ist. Der Leser sieht, daß ich bei dieser Vorführung die Stellung von vorn (en face) angenommen habe. Natürlich verschiebt sich diese Ansicht und verändert sich entsprechend: Bei der 3/4 Ansicht verkürzt sich bereits die Hälfte des Gesichtes, welche sich vom Beschauer abwendet, und es tritt mehr vom Hinterkopf hervor, bis das Profil – die Seitenansicht entsteht, in welcher die seitliche Hälfte des Kopfes zur Geltung kommt und sich die nach vorne gelegenen Flächen derart verschieben, daß aus der Ellipse des Auges ein Dreieck wird; die Nase ebenfalls, wie auch der Mund, nach den Gesetzen der Perspektive in entsprechende Kurven verwandelt werden. Bei weiterer Drehung verschwinden die vorderen, untereinanderliegenden Gesichtsteile immer mehr; es ist nur ein Stück Kiefer und Wange zu sehen, das Ohr aber, in seiner ganzen Vollkommenheit, bereits die hintere Fläche zeigend, bis dann bei noch größerer Wendung die bereits besprochene hintere Ansicht erscheint.
Die Jugend und das mittlere Alter zeigen das Gesicht noch glatt, weil die Haut gespannt ist und das Fett darunter lagert; im Alter treten die einzelnen Muskeln mehr vor; die Haut wird welk, und es entstehen dadurch die Falten. Namentlich zeigen die Schließmuskeln der Augen und des Mundes deutlich ihre Formen. Sie bilden unter den Augen Säcke und am Munde die Hängefalten.[27]
Jetzt wäre die verschiedene Beleuchtung zu beobachten. Außer der besprochenen oberen und unteren Beleuchtung gibt es die, welche den Kopf ganz von vorn zeigt; in diesem Falle sind sämtliche Tonwerte von wenig unterschiedlicher Helligkeit bis auf einzelne dem Licht abstehende Formen.
Die Beleuchtung von der Seite, wo die dem Licht zugedrehte Fläche ebenfalls hell erscheint, – die weggedrehte dunkel; und dann die Stellung des Kopfes gegen das Licht, in welcher der ganze Kopf dunkel erscheint und eine Silhouette bildet.
Wie ich vorher die Wichtigkeit der unausgesetzten Vergleichung in Bezug auf die Proportion der Gesichtsteile untereinander hervorgehoben habe und der strengen Beobachtung ihrer charakteristischen Formen, so muß ich auch gleichfalls betonen, daß ebenso die Vergleichung der Tonwerte auf Stärke des Grades und ihrer Formen stattfinden soll; vor allen Dingen sei das Blinzeln mit den Augen nicht zu vergessen; sobald man dann erreicht hat, den Kopf ähnlich und körperhaft darzustellen, wird man zu dem wichtigsten Studienmittel für die Malerei – dem Akt – übergehen können.[28]
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