Tapiau

Tapiau

[21] Das ist mir nie an der Wiege gesungen, daß mein kleiner Geburtsort Tapiau neben dem Vergnügen, mich zur Welt gebracht zu haben, auch der Ort einer grimmigen Schlacht sein wird. Der Herr wird denen, die auf ihn bauen, Stärke verleihen, die russischen Heere gleich einer Herde ohne Hirten aus dem Orte zu jagen und zu vernichten.

Es mag für ein Gelände zum Kampf, hüglig und waldig, wohl geschaffen sein; Deckung ist genug dort hinter den Scheunen, wo wir Kinder uns als Räuber und Soldat versteckten. An den festen Mauern der Kirche werden Scharen sich festsetzen, um auf die Mühlen von Radowitz zu schießen, hier, wo wohl die Grenzen der Forts um Königsberg herum sich befinden. Seid tapfer, Ostpreußen! los auf die Russen! »Dat fluscht bäter«, haben unsre Vorfahren bei der Völkerschlacht bei Leipzig gesagt. Ich möchte brennend gern dabei sein, meinen Geburtsort zu verteidigen; wenn nichts hilft, so müßte man sich an den gefürchtetsten Mann um Hilfe wenden, an den Polizeiwachtmeister Stamm, der ausklingelte und eine große Litanei vom Papier herunterlas und stets mit dem gestrengen Wort schloß: »Der Magistrat«. Alle Tapiauer steckten die Köpfe durch die Fenster und hörten andächtig zu. Mit ihm könnte ich alles wohl verteidigen; jedoch er ist gestorben und ich bin mit der Zeit ein halbes Jahrhundert alt geworden und schwach und lahm dazu. Meine früheren Kaufereien gegen alle und jeden wären wohl genügend in Summa, um die Russen heimzujagen. Aber gegen Königsberg an der Königsberger Chaussee erhebt sich ein Hügel, einzeln überragt er die Ebene. Er heißt der Galgenberg, dorthin solltet ihr gepeitscht werden und baumeln, soviel nur Platz haben.

Oder auch von den Höhen zur Deime herunter werden die Feinde getrieben. Dort treiben sie zum Kurischen Haff, und mancher Elch wird mit seinem ramsnasigen Kopf verwundert auf die treibenden Leichen sehen. Feinde ringsumher wie Sand am Meer, aber über das Heer des Pharao schlagen die Wellen zusam men und begraben in den Fluten des Meeres, was kreucht und fleucht. Gestern noch stolz und stark auf ihren Ruhm pochend – heute ein Fraß für Würmer und Wölfe. Mögen sie untergehen, alle die Feinde Preußens und Brandenburgs.


  • Abbildung Seite 22
    Abbildung Seite 22

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 21-22.
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