Walter Leistikow

Ein Nachruf

Walter Leistikow

[22] Unter den Trauerklängen Beethovenscher Musik teilte sich der Riesenvorhang, der den schwarz drapierten Saal rückwärts abschloß, und einer nach dem andern traten in langem ernsten Chor die Männer heraus, die den Toten nach der Grabstätte führen sollten. Die unsichtbare Musik steigerte sich zu höchsten Fanfarentönen, um dann allmählich, sobald die Letzten sich zu beiden Seiten des Katafalks in Reih und Glied gestellt hatten, zu verklingen.

Hier in dem Sezessionsgebäude, wo Walter Leistikow nun fast zehn Jahre seine organisatorische Kraft eingesetzt hatte, um die Sezession auf die Höhe zu bringen, wo sie jetzt steht, wo er gestritten und gekämpft hat, ward der große Mittelsaal zu einem Tempel für die Totenfeier verwandelt.

Schwarze schwere Flore hingen an den Wänden herunter und strebten zur Mitte der Decke sternartig zusammen. Sie hüllten den Raum in ernstes Dunkel; um so mehr wurde diese Dunkelheit hervorgehoben, und so jedermann zur Trauer erregt, durch unzahlige Kerzen auf hohen Armleuchtern und Randelabern, die in dem gedämpften Tageslicht nur eine schwache Leuchtkraft um sich verbreiteten. In der Mitte des Tempels war der Verstorbene in schwerem Eichensarge aufgebahrt. Um den Katafalk waren die Kränze aufgetürmt; ein einzelner umschloß ganz das Fußende des Sarges und trug auf dem breiten durchflochtenen weißen Seidenbande die Inschrift: »Ihrem geliebten und verehrten Führer die Sezession«.

Nachdem der Pfarrer die Segnungen über den Sarg gespendet hatte, hielten Liebermann und Gerhart Hauptmann, jener im Namen der Sezession, dieser im Namen der Freunde, noch tiefempfundene Zwiegespräche mit dem Verstorbenen.

In seiner schönen Rede hat Liebermann in vortrefflicher Weise hervorgehoben, was Leistikow für die Kunst bedeutet, auch wie er für seine Mitwelt erzieherisch gewirkt hat. Unter anderm sagte Liebermann: »Es ist Leistikows unvergängliches Verdienst, den Stil gefunden zu haben für die Darstellung der melancholischen Reize der Umgegend Berlins. Die Seen des Grunewalds oder an der Oberspree sehen wir mit seinen Augen; er hat uns ihre Schönheiten sehen gelehrt. Nicht nur die wenigen Bevorzugten, denen es vergönnt ist, sich mit Leistikows Bildern zu umgeben: wer von der Woche harter Arbeit und schwerer Mühe Sonntags vor den Toren Berlins Erholung sucht, sieht Leistikow.«

Seine Größe als Künstler ist definitiv anerkannt; Berufeneren ist es vorbehalten, seinen großen Wert in der Kunstgeschichte niederzuschreiben.

In diesem zur Trauer fordernden Augenblick will ich von dem Menschen Leistikow reden. Auch hier hat Liebermann in seinem Vortrag schöne Wahrheiten gesagt: »Klugheit und Gemüt paarten sich in ihm und bewirkten das seltene Phänomen, daß er nur Freunde hatte: was um so wundersamer, als er nicht etwa ein Mann der geschmeidigen Höflichkeit war, sondern ein Mann, der rücksichtslos sagte, was er dachte, der auch nicht um Haaresbreite von seiner Überzeugung abwich, keinem zu Liebe, aber auch keinem zu Leide. Aber die Güte[23] und Wärme seines Herzens nahmen seinem oft scharf und rücksichtslos ausgesprochenen Worte den Stachel der Beleidigung. Und auch der Gegner beugte sich seiner ehrlichen Überzeugung.«

Das ist wahr: er hatte keine Feinde, aber etwas anderes, weit Selteneres noch ist ebenso wahr: in seinem großen Bekanntenkreis hatte er auch keine Neider. Trotzdem ihm das seltene Glück zuteil wurde, schon in seinen jüngsten Jahren nach seinen Werken auch finanziell bewertet zu werden, hat er fast niemals vom Neide anderer zu leiden gehabt. Das machte, weil er hilfreich und gut war. Ohne Ansehen der Person half er, wo er konnte. Ein seltener Künstler, ein seltener Mensch.

Ich bin stolz darauf, mit Leistikow in nun zwanzigjähriger, nie wankender Freundschaft verbunden gewesen zu sein.

1887 war unser erstes belangloses Zusammentreffen, das zuerst in Königsberg, bald darauf, wo er an einem Panorama mitmalte, die freundschaftliche Gestaltung bekam und bis zu seinem Tode wahrte. Blutjung, wie er damals war, fing man doch bereits an, in Künstlerkreisen lobend von ihm zu sprechen. Er hatte auch die intimsten Beziehungen zu den Schriftstellern, die den Naturalismus siegreich in die Literatur einführten und die in Gerhart Hauptmann ihren größten Vertreter erhielten. In seinem Atelier las der gleichaltrige Max Halbe seine erste Dichtung vor, die noch denselben Tag von Otto Erich Hartleben »Die Jugend« getauft wurde.

Was er mir seit jener Zeit gewesen ist, mich ermun ternd und ermutigend in geistiger Beziehung, später den Schwerfälligen fördernd, in praktischer Art die Wege ebnend in dem Labyrinth der Reichshauptstadt, wird mir ewig in dankbarem Gedenken bleiben.

Dann kam seine unheilbare Krankheit mit der frühen Aussicht auf ein langes Siechtum. Aber auch jetzt blieb er uns allen bewundernswert: seine unbesiegbare Gemütsfrohheit und unbeugsame Seelenstarke leuchtete auch in diesen Zeiten um soviel Heller empor, und er war es immer, der es oft ermöglichte, sein dämonisches Gesicht für längere Zeiten ganz in Vergessenheit zu bringen.

Seine geistreichen Scherze sind nie rührender gewesen; noch auf dem letzten Sezessionsball im verflossenen März erschien er als Werdandibündler in der komischsten Maske, die auf dem Ball anzutreffen war, und seine Lustigkeit ergriff sämtliche Anwesenden.

Bis zum letzten Augenblick hat er wie ein Held sein Martyrium getragen. Gleich einem Helden auf siegreicher Walstatt schloß er die Augen, die soviel Schönes in der Welt erblickt, ließ er die Hände sinken, die soviel unsterbliche Werke geschaffen haben; nun, nachdem die Schmerzen überwunden, im Tode glücklich zu preisen.

Unersetzlich ist seine Stelle in unserer Berliner Sezession. Niemals wird ein ähnlicher selbstloser, nie mals ein wärmerer Verfechter für die idealen Bestrebungen gefunden werden.


  • Abbildung Seite 24
    Abbildung Seite 24

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 22-24.
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