Der Hetzgarten

[180] Da ich doch einmal wie Wachs in vieler Meister Hand war, so freute ich mich jetzt, in keine schlimmeren als in die Herrn Bärings gefallen zu sein. Er war ein Informator, den man sich gefallen lassen konnte, ein weicher, liebenswürdiger Mensch und tüchtiger Lehrer, bei dem wir wacker lernten. Überdem empfahl er sich noch dadurch, daß es ihm nicht einfiel, unsere Spiele zu beherrschen, was ich nach Senffs Analogie am sichersten erwartet hatte; er ließ uns vielmehr darin frei gewähren und begnügte sich bloß, uns fleißig vom Mäuseboden zu verscheuchen, um sich Ruhe und uns an die Luft zu schaffen.

Wir verfügten uns dann gern in den sogenannten Hetzgarten, einen weiten, von Mauern eingefriedigten und an die Rückseite des Schlosses angelehnten Plan, zwar lediglich zum Zwecke fürstlicher Sauhetzen bestimmt, in Ermangelung jagender Prinzen aber wie geboren zum freien Tummelplatz für Knaben, die man hier sorglos dem Schutze der Waldgötter anvertrauen zu dürfen glaubte. Es war dies eine herrliche Wildnis, weglos, steglos, nur Anger, Busch und Gestrüppe, voll Disteln, Kletten und jeglichen Unkrauts. Da gab's nichts zu verderben, jedweder mochte sich behaben, sich Bahn brechen und herumwüsten, wie er wollte: ein guter Ort für jede Art von kriegerischen Manövers.[180]

Hermann und ich pflegten uns beim Soldatenspiele kreuzweis in unsere Brüder zu teilen. Ich kommandierte den kleinen Otto, der sich in den Spiegelwänden seiner und meiner Phantasie zu einer ganzen Schwadron Dragoner multiplizierte, während Hermann an meinem Bruder den gleichen Schatz besaß. Damit kam jeder auf seine Rechnung; wir älteren Brüder waren mächtiger, die jüngeren waren mehr. Auf Stöcken einhersprengend, suchten wir uns zu beschleichen und prallten dann mit Furie aufeinander. Köstliche Stunden verlebten wir so, das Übermaß der Kräfte in heftigster Bewegung verwertend.

Zu solchen Spielen fand sich täglich noch ein fünfter Held von unserem Alter ein, dessen Vater, ein Herr von Schmerzing, in Hummelshayn begütert war. Wie alle Schmerzings, hieß er Hannibal, wozu wir, da er immer zur Hand war, noch den Beinamen Anteportas fügten. Hannibal Anteportas war ein braver Junge, an dessen Umgange wir Geschmack fanden, hatte gediegene Fäuste und prügelte sich, an unseren spielen teilnehmend, wacker mit uns herum. Er repräsentierte dann die dritte Macht, war Schwadron und Kommandeur in einer Person, und seine Bundesgenossenschaft war sehr gesucht. Dieser Hannibal brachte eines Tages noch anderweitigen Besuch mit, einen Verwandten, namens Stockhausen, der preußischer Kadett war, einen kleinen Schleppsäbel trug und, obgleich nur wenig Jahre älter als wir, doch schon mit aller Anmut und Würde eines jungen Offiziers geziert war. Natürlich konnte in Gegenwart eines so gesetzten Fremden von kindischem Soldatenspiel nicht wohl die Rede sein. Wir schlenderten vielmehr mit ihm ganz wohlanständig und gesetzten Wesens im Hetzgarten umher und unterhielten uns von großen Dingen, wobei es denn auf mehr oder weniger kleine Prahlereien nicht gerade ankommen mochte.

Bei dieser Gelegenheit erzählte ich, daß während unseres Aufenthaltes zu Ballenstedt ein gewaltig großer Adler durch das offenstehende Fenster der Schloßküche auf einen toten Hasen gestoßen sei und diesen vor der Nase des bestürzten Kochs, der ihn eben abziehen wollte, entführt habe. Von der Wahrheit dieser interessanten Geschichte war ich so überzeugt wie von meinem Leben, weil sie im Barduaschen Hause erzählt worden, und daher recht wesentlich verletzt, als Stockhausen sie als Aufschneiderei ins Lächerliche zog. Darüber gerieten wir in Wortwechsel, die Freunde hetzten, und ich, an Umgang mit Offizieren nicht gewöhnt, mochte die Worte wenig wählen. Da schlug mein Gegner an seinen kleinen Schleppsäbel, beteuernd, daß, wenn ich Soldat wäre, er nicht umhinkönnen würde, mir auf der Stelle einige Unzen Blutes abzuzapfen.[181]

Sogleich wollte ich zu Dienst sein, rannte ins Schloß, entlehnte meines Vaters Stocksäbel, denselben, mit dem ich schon vor acht Jahren den Bayern abgetan, und stellte mich zum Kampf. »Macht keine Dummheiten!« gebot Hermann, auch Anteportas suchte zu vermitteln; aber Stockhausen zog und spottete. Da drang ich mit Schwadronhieben auf ihn ein, er deckte sich, und die Klingen zischten aneinander hin wie giftige Schlangen. Daß wir uns nicht verletzten, war wunderbar; aber es mochte doch noch ein Rest von Vorsicht in der Wut sein. Ein zufälliger Treffer freilich würde diese so gesteigert haben, daß ohne die Dazwischenkunft einer höheren Macht notwendiges Unheil erfolgt wäre.

Unter diesen Umständen erschien Herr Bäring wie gerufen. Von einem Spaziergange heimkehrend, durchwandelte er den Garten, und da er den Klang der Waffen hörte, sprang er zu und riß uns auseinander. Der Zweikampf hatte übrigens die gewöhnliche Wirkung. Stockhausen reichte mir die Hand, und wir waren wieder die besten Freunde.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 180-182.
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