Wie man sich bei Damen insinuiert

[295] Bernburg war damals durch die Schönheit seiner Töchter sehr stattlich illustriert, aber aller Preis und Krone war doch Eduards ältere[295] Schwester, die achtzehnjährige Marie. Dies liebliche Mädchen war die Bewunderung der ganzen Schule, und wie schon angedeutet, hatte sie auch in meinem Herzen ihr verstohlenes Altärchen mit Opferdienst und Weihrauch. Sie mochte freilich davon nicht das geringste merken, denn naturwüchsige Knaben behalten ihre zarteren Empfindungen für sich, wenn schon das Bedürfnis, dem geliebten Gegenstande bemerklich zu werden, nicht immer ganz zu unterdrücken ist und sich gelegentlich in Flegeleien kundgibt. In diesem Falle mochte mein Freund August Schönberg sein, als er einmal der Versuchung nicht widerstehen konnte, der Königin seines Herzens an ihrem Geburtstage eine lebendige Maus in den Strickbeutel gleiten zu lassen. Es sollte dies keine Ungezogenheit bedeuten, sondern war nur die den Jahren und Fähigkeiten meines Freundes angemessene Form, sich in Erinnerung zu bringen, und überglücklich war er, die entsprechende Anerkennung dieser Huldigung auf der Stelle mit ein paar scharf gepfefferten Ohrfeigen davonzutragen. Mit ähnlicher Courtoisie Marien aufzuwarten, plagte denn auch mich der Teufel.

Sie hatte nämlich das Vergnügen, eines schönen Abends eine zahlreiche Gesellschaft von jungen Mädchen bei sich zu sehen, welche sie in einem Zimmer bewirtete, das mit dem unsrigen auf gleichem Flur lag. Eduard war ausgegangen, ich ganz allein. Die hellen Stimmen drangen lockend zu mir herüber, und ich konnte des Verlangens nicht Herr werden, auch meinerseits etwas zur Unterhaltung beizutragen. Mittelst gebrauchter Wäsche stopfte ich meine Kleider zu einer menschlichen Gestalt aus, malte ein Papiergesicht daran und stülpte einen alten Dreimaster des Ätti drauf, den ich von einem Schranke des Vorhauses entlehnt hatte. Diesen Krautteufel trug ich leise in den Flur hinaus und setzte ihn dicht vor das Zimmer der Mädchen auf einen Stuhl, so daß er in die Augen fallen mußte, wenn die Türe aufging. Dann lauschte ich mit unendlicher Geduld wenigstens eine Stunde lang am Schlüsselloch.

Endlich öffnete sich die Paradiespforte, und Marie selbst trat heraus, prallte aber augenblicklich mit einem so durchdringenden Schrei zurück, daß auch ich erschrak und statt eines Vergnügens ein Unglück angerichtet zu haben glaubte. Es folgte ein gewaltiger Tumult, Öffnen und Zuschlagen der Türe mit abwechselndem Zeter-, Chor- und Sologeschrei; ich aber stand die größere Angst aus und war eben im Begriffe, mich hinauszuwagen, um den Spuk hinwegzuräumen, als Christine, die Köchin, mit ihrer Küchenlampe die Treppe hinauf zu Hilfe eilte. Anfänglich stutzte auch sie; bald aber rief sie lachend die jungen Damen heraus, stieß das Spektrum mit dem Fuße um, und das Entsetzen ging nun in die ausgelassenste Lustigkeit über.[296]

Schrecklich war die Rache, welche die übermütigen Mädchen sich jetzt an diesem leblosen Scheusale zu verüben gestatteten. Unter hellem Gelächter ward der arme, hilflos am Boden liegende Balg beleuchtet, verhöhnt, herumgerissen und zu meiner größten Beschämung sogar ausgeweidet. Ein Stück alter Wäsche nach dem anderen zogen sie ihm aus dem Leibe, besahen jedes aufs ausführlichste, und von jedem ward mein eigener, deutlich eingenähter Name laut verlesen, sooft er dastand. Ich müsse herbei und exemplarisch abgestraft werden, rief eine Stimme; aber fort war ich durch die Hintertüre und kam den ganzen Abend nicht mehr zum Vorschein. Ich schämte mich entsetzlich.

Die Mädchen mochten sich trotz allen Schreckens nicht übel amüsiert haben; ich aber hatte eigentlich nichts davon, als daß Marie mir am anderen Morgen im Vorübergehen leichthin mit dem Finger drohte und ich errötend niederblickte, wegen der Wäsche. Der Ätti sagte mir noch obendrein ganz trocken, ich sollte künftig solche Witze lassen.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 295-297.
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