Franz Marc 05.02.1912

[103]  

[nach dem 5.2.1912]

Sindelsdorf, b. Penzberg


Lieber August,


für Deinen lieben langen Brief herzlichsten Dank; glaube mir ehrlich, ich regte mich weder über Dr. Reiche noch irgend etwas anderes am Rhein im geringsten auf; im Gegenteil: eigentlich freute ich mich recht innerlich, dass wir dort auf Hindernisse[103] stossen; dieser Familienanschluss am Rhein hat ja seine famosen Seiten, – aber auch seine langweiligen, eventuell sogar ein bisschen kompromittierenden; das fühlte ich recht bei meinem ausgiebigen Verkehr mit Cassirer durch; ich war acht Tage lang täglich mit ihm zusammen, reiste mit ihm nach Dresden, wo wir Privatsammlungen durchstöberten (Rothermund, Schmitz) und endlos über die neue Bewegung plauderten und auch gehörig stritten. Er bat mich, in seinem »Pan« zu schreiben; er wird antworten. Die Blaue-Reiter-Ausstellung will er im nächsten Jahre bringen und zwar mit schwerem Geschütz; mir scheint, wir haben ihm nach einem neuen coup in Berlin den Mund wässrig gemacht. Er besucht uns nächstens hier in München; er sagt, er könne erst was machen, wenn er uns alle persönlich kennt, auch unsre Franzosen, und in die Sache sehr eingearbeitet ist. Jedenfalls scheint er sich bei seinem jetzigen Betrieb grenzenlos zu langweilen und hat als Intermezzo (und eventuell Abkehr vom Bilderhandel) grosse Theatergeschichten für Berlin im Kopf. Nun ritt ich ihm auf einmal blau vor, in solidem spanischem Tritt, und das gefiel ihm auch. Er schien mir bei näherem Verkehr ein fabelhaft kluger und reifer Kopf, vor dem man sich äusserst zusammennehmen muss. Halte bitte mit dem allem hinter'm Berg; bei Dir hat es ja keine solche Gefahr wie bei unsrem – verzeih – etwas arg dummen Helmuth, der nicht nur aus der Schule schwätzt, sondern Dinge schwätzte, die nie in der Schule vorgekommen! Vielleicht läuft er sich die Hörner doch ein bisschen in Berlin ab. Ich wünsche und gönne ihm das Berlin sehr und erhoffe für ihn alles davon; ich glaub auch daran. Ich sprach mit Campendonk und Helmuth ganz ehrlich von Deinem Brief, las ihn sogar vor, als Urteil, das uns allen sehr lehrreich und beachtenswert ist; ich sagte noch, dass Dein Urteil, vielleicht ohne Wollen, auf den Monokel-Reiche abgefärbt hat – warum auch nicht? Wir sind nicht nur zum Komödienspielen auf der Welt. Von irgendeinem Vorwurf keine Rede, glaub es mir. Die Nervosität Kandinskys in diesem Punkte mach ich auch gar nicht mit; ich sagte ihm, schicken sie den Brief an August, es ist gut, wenn er ihn kennt, weiter nichts. An Reiche musste ich sowieso schreiben und erwähnte, dass es ganz in unserm Sinne ist, dass er die Ausstellung nicht bringen möchte, wenn er sie mit seinem Herzen vor seinem Publikum nicht verantworten und verteidigen könne. Sei also bitte ganz beruhigt; auch spärliches Brief schreiben Deinerseits kränkt mich nicht im geringsten; ich weiss genau, dass Du für die gemeinsame Sache wirkst und geschickter als irgend ein anderer. Der Blaue Reiter als solcher im Sonderbund wäre ja fein; vielleicht gelingt es doch. Aber wenn's nicht geht, geht es eben nicht. Sonntag wird gehängt, schicke ja zeitig Sachen dazu.

Sei Du und Lisbeth herzlich gegrüsst von Eurem


treuen Fz. M.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 103-104.
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