71 [66] Brief an August Macke

Berlin, 23.1.1912


Lieber August, Der Blaue Reiter hat Dir ja recht schlecht geschmeckt; manches fühle ich wohl mit, nur nicht mit diesen Ressentiments dagegen, mehr mit dem heißen Wunsche (vor allem, was mich betrifft), es besser zu machen. Ich hab freilich das Gefühl, daß ich diese Bilder nötig hatte, wenigstens eine Zeit lang; ich hege sogar die Hoffnung (in wirklich bescheidener Weise), daß es manchen Maler und eventuell auch Laien gibt, der sie auch nötig hat und dem sie vielleicht einiges bedeuten, wie mir. Daß sie ›unfertig‹ sind und nicht ganz ›gekonnt‹, das weiß ich; darum bat ich Dich auch um Dein offenes Urteil. Aber es wird mir schon einmal gelingen, es besser zu machen. Über etwas bin ich etwas böse: daß Du darüber nachdenkst, daß der Blaue Reiter Dich nicht reproduziert und daß ›Du nicht leicht dazu zu bewegen sein wirst, etwas dazu herzugeben‹. Du hast Dich im Herbst, als die Reproduktionen festgestellt wurden, strikt und formell dagegen gewehrt. Kandinsky sagte, er kann hier nicht eigentlich mitreden, da er ja gar nichts von Dir kannte. Während der Ausstellung sprachen wir einmal davon, vor dem ›Sturm‹, und wurden uns nicht recht klar, ob wir noch einmal Dich drüber interpellieren sollten; ich sagte damals, ich hätte das Gefühl, daß Du nicht recht magst. Zudem ist der 1. Band hoffentlich nicht der letzte. Aber nun stellst Du Dich schon wie Niestlé, dem die Gesellschaft nicht gut genug ist; das ist nicht hübsch und scheint mir doch ein bißchen eigen. Hoffentlich hat Dich zu dieser Äußerung nicht das Wegbleiben der Lautenspielerin bewogen, das nur reines Versehen Thannhausers und eventuell Kandinskys ist (dem ich meines Wissens darüber[66] geschrieben). Maria hast Du mit Deinem Brief einen großen Spaß gemacht; sie lacht sich heimlich in's Fäustchen, daß Du heute von ›unsympathisch‹, ›Blindheit‹ und ›Pantoffelheldentum‹ redest, während wir ihr im Herbst dieselben Worte vom Mund weggeschossen haben. (Randbemerkung:) Das darf ich doch jetzt ein klein bißchen tun, ohne daß Du mir böse bist. – Zwei Dinge vermißte ich in Deinem Brief: wie wirkt Kirchner, Pechstein und die Glasbilder? Nun sei bedankt für Deinen Brief, aus dem ich das für mich Wichtige (das, was mich betrifft) sehr beherzige (und das, worüber ich auf der anderen Seite schimpfte, nicht zu ernst nehmen zu dürfen hoffe). Das eine freut mich, daß Du die Sachen von Rousseau liebst; denn als Du letzthin hier vor Dr. Braune dessen Partei nahmst vor dem Rousseaubildchen, wurde ich innerlich ganz traurig. Schimpft aber ruhig auf Euren blauen Franz weiter, der Euch liebt und dasselbe mit ›sei nem Weibe‹ von Euch erhofft.

Good bye

F.M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 66-67.
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