78 [75] Brief an August Macke

Sindelsdorf, 7.6.1912


Lieber August, Euch scheint die Berliner Ausstellung – etc., bedeutend zappeliger zu machen als uns, wenigstens mich; das tut mir aufrichtig leid für Euch; vor allem, das es soweit geht, daß Du Dich ›schämen mußt, als unser Freund zu gelten‹! Was ist das für ein Blödsinn; mir scheint er jedenfalls größer als der, den wir gemacht. Kandinsky, Jawlensky, Klee, ich, Campendonk und last not least die Baronin – Ihr mögt über sie und ihre Kunst die Nase rümpfen, wie Ihr wollt – sind schließlich keine dummen Buben, die ›sich nicht benehmen können‹, sondern wissen ziemlich genau, was sie tun, und tragen die Verantwortung schon allein. Natürlich kann man's von der anderen Seite auch sehen: wozu der Lärm; warum rempelt Ihr Eure ›Kunstfreunde‹ an usw. Aber ebenso wie der Blaue Reiter schließlich doch tausendmal besser ist als die Schimpferei und das Lachen über sein Programm, so sind auch, glaube ich, hier unsere Motive und Ziele besser als Eure Abfertigungen wegen Krachschlägerei und ›in die Luft gaffen‹. Ich selbst bin doch wahrhaftig kein Reklameheld und will meine Ruhe zum Arbeiten (die ich hier auch habe); sonst säße ich nicht hier im stillen duftenden Mist und pfeif auf die Welt. Hie und da ein paar Briefe zu schreiben, leiste ich mir halt, vielleicht ist es mir zur Verdauung nötig – vielleicht anderen auch (stille Hoffnung). Das mit Tschudi stimmt auch nicht ganz. Wenn wir (wie wir es Reiche getan) Tschudi erklärt hätten, uns freut's nicht, unter diesen Jurybedingungen mitzutun, hätte er sein ominöses Lächeln gebracht oder hätte unsere Weigerung oder Protest klug benützt und gesagt: Dann nicht, wäre aber nicht acht Tage um uns herum getanzt mit Bitten und Privatversprechungen, wir sollten um aller Heiligen willen mittun. Sechs Bilder würden durchschnittlich von jedem genommen, wir sollten aber jeder eine größere (!) Zahl einsenden, damit großes Material zur Auswahl da ist. Tschudi war ein anderer Kopf und ging auch anders mit den Leuten um. Ihm wären wir allerdings nicht so begegnet wie diesen Nachfolgern, darunter z.B. auch dem Herrn Dr. Braune. Auf Nolde bin ich neugierig. Seine graphischen Sachen in der Blauen-Reiter-Ausstellung bei Goltz haben uns ein bißchen unglücklich gemacht. Nolde wird Glück gehabt haben mit dem, was man von ihm ausgewählt hat, oder hat er nur die zwei Sachen hingeschickt, schlauer als wir. Ich hatte es ja, vor Reiches Besuch in München, auch vor, nur meine große Landschaft hinzusenden; das hätte ich für mich getan, auf die[75] Gefahr hin, refüsiert zu werden. Dann wär wenigstens dies oder nichts dringewesen. Was tun diese alten Katzen, die überall am Rhein schon herumgeboten worden sind, im Sonderbund! Genug des Schmarrens. Wir haben getan, was wir nicht lassen konnten und für richtig fanden, auch kollegial gegen unseren Kreis (Campendonk, Bloch, Klee, Werefkin, Münter. Bloch schickte einige glänzende Sachen hin.) Erbslöh und Kanoldt sind am ganzen völlig unbeteiligt.

Hätte ich geahnt, Dir Liebem mit all dem einen solchen Freundeskummer zu verursachen, hätt ich's am Ende gelassen.

Unsere Rheinreise ist unter den Umständen doch sehr inopportun; vor allem auch die Teilnahme am Hagener Fest. Was weiß ich, wie die Herren mir dort begegnen und ob ihnen an einer persönlichen Aussprache etwas liegt, (nachdem ihnen mein Artikelentwurf schon nicht harmlos genug ist). Viel netter wäre es und Lisbeth sicher lieber, und auch heilsamer, wenn wir uns in Sindelsdorf auf einen Misthügel setzten und uns da katzbalgten. Kommt doch Ihr diesmal her, statt wir hin. (Wir fahren vielleicht mal schnell im September nach Köln, die Ausstellung ansehen; ich möchte dann auch in Frankfurt sein, wo ich im September eine Kollektion bei Schames habe und wo wir Freunde von Maria im Taunus aufsuchen wollen).

Hier in Sindelsdorf kann sich Lisbeth und der kleine Walter fein erholen und Du Dich hoffentlich auch von Deinem Ärger. Wir kommen dann ein andermal zu Euch, wenn Friede im Land und Ihr Besucher besser brauchen könnt, ist es nicht gescheiter?

Mit altem Herzen

Dein F.M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 75-76.
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