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[115] Hagéville 18.XI.14


Liebste,

unser Leben geht still weiter, oft viel Dienst, Ritte nach der oder jener Etappenstelle, Fuhrdienst in die Front vor, (wo die Artillerie übrigens auch keinen besonders schweren Dienst hat, – kein Vergleich mit den Vogesen!). Das in den amtlichen Berichten angegebene ›langsame‹ Vorrücken, kleine Erfolge, Zurückweisung französischer Ausfälle und Angriffe ist buchstäblich wahr; das schöne dabei ist, daß die lakonische Ruhe dieser Berichte der Ruhe und Sicherheit der deutschen Stellungen entspricht; alles wartet auf die Entscheidung im Norden; sobald wir dort die Sieger sind, ist die französische Frontstellung nicht mehr haltbar, weil wir dann von Norden her die Etappenlinien der Franzosen eindrücken können. Es waren jetzt wieder wundervolle Herbsttage, schwerer Frost und ganz weiße Morgen; es ist großartig, bei Sternenlicht losreiten oder fahren und dann die Sonne kommen sehen, die den weißen, glitzernden Reif löst. In den Dörfern dampfen die Misthäufen, – Du kennst ja die Stimmung. Eine merkwürdige Steigerung derselben liegt für mich in dem französischen Dorfbild, lauter Monets, Sisleys und van Goghs. Das Aussehen der französischen Dörfer ist ja auch hier äußerst typisch. Nirgends Ziegelbauten, sondern alles aus einem graugelben Sandstein, meist nur schlecht getüncht. Diese französische impressionistische Stimmung ist für mich wir eine Kindererinnerung; ein wehmütiges Gefühl beschleicht mich dabei; aber immer, wenn ich mich in solche Szenen vertiefe, ertappe ich mich dabei, daß ich statt dem Kalt und Warm der Luftperspektive Zahlen sehe, rein abstrakte Klänge, und schnell ist der impressionistische, anheimelnde Traum vorbei, und die Arbeit beginnt! Hab ich Dir eigentlich erzählt, daß ich jetzt viel mit Herrn Valentiner, dem Direktor vom Metropolitan-Museum, den ich als Kriegsfreiwilligen in München unter mir hatte – zusammen bin? Er ist seit einigen Wochen hier, als Schreiber bei der Abteilung. Er ist ein sehr feiner, hochgebildeter Mensch, dessen Verkehr mir eine große Wohltat ist ... Oft treffe ich auf meinen Etappenritten mit rheinischen Truppenteilen zusammen; was mir früher immer eine Freude war, der rheinische Dialekt, – ist mir jetzt fast qualvoll, da ich immer an August denken muß, – so wie ich eben auch vorher an ihn erinnert wurde, aber im gegenteiligen Sinn. Ich bin ganz wehmütig, wenn ich es jetzt höre. Von den vielen guten Sachen, die Du mir geschickt hast, haben mich doch am meisten die – Äpfelchen gefreut, ich habe sie mit solchem Stolz verzehrt! Ausgezeichnet mundet mir auch der Kurfürstliche. Ich kann den schlechten Schnaps, den man hier bekommt, nicht trinken. Anfang des Krieges habe ich ihn unbedenklich getrunken, vielleicht zu viel; ich bin froh, daß er mir widersteht, – um so größere Wohltat war mir Euer Schnaps; das nette korbgeflochtene Fläschchen hab ich noch nicht probiert. Jedenfalls seid Ihr beide sicher, daß mir Euer Rieder Leben durch die Sendung[116] besonders nah gerückt ist; beim Kurfürstlichen muß ich sogar immer an die lieben Abende in Berlin denken: Wie ist das alles fern und weit zurück!!! Morgen werde ich in Gedanken den Geburtstag von Maman mitfeiern. Ich schrieb Maman ein Kärtchen. Lebt wohl, bleibt gesund und seid beide umarmt von Eurem Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 115-117.
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