18. Erwiderung*

Der Ulk, den Barmer Künstler sich mit Max Pechstein erlaubt haben, läßt sich auch von einer anderen Seite ansehen als nur von der lächerlichen und schadenfrohen. Durch eine geschickte Fälschung einen ehrlichen, offenen Künstler zu täuschen, ist nicht schwer. Werden schon Kunsthistoriker unausgesetzt mit Fälschungen düpiert, trotz alles historischen Rüstzeuges, das ihnen zu Gebote steht, – wie soll ein Maler auf den Gedanken einer Fälschung kommen, wenn ihm Kollegen mit ehrlichem Gesicht Arbeiten zeigen, deren ganzen Ideengehalt und äußere Form sie von kühnen italienischen Künstlern übernommen haben, um zu düpieren. Als Herr van Volberth aus Barmen Herrn Pechstein die bewußten Zeichnungen sandte, waren futuristische Bilder in Deutschland überhaupt noch nicht gezeigt worden, und Pechstein nahm an, die merkwürdigen Zeichnungen seien wirklich das ehrlichgewollte Erzeugnis der Barmer Künstler, die zudem von einer begeisterten Anhängerschaft am Futurismus wohlweislich nichts verlauten ließen. Daß ferner Pechstein nicht »Futuristenführer« ist, sollte bekannt sein. Seine Kunst steht dem Futurismus ganz fern. Zieht denn nun niemand den einzig möglichen und wichtigen Schluß, daß wenn jemand wie Pechstein diese gefälschten Zeichnungen interessant und anregend fand, dies ein überraschender Beleg für die Kraft futuristischer Gedanken ist, die auch durch Nachahmungen hindurch ihren Ideenwert behalten und anzuregen vermögen? Es ist ein großer Irrtum zu glauben, daß Kopien und Fälschungen immer ohne Kunst- und Anregungswert sein müssen, Anregungen aber geben die Jung-Italiener uns Deutschen unbedingt, pro et contra. Wir werden diesen italienischen Neuerern noch Dank wissen, daß sie mit malerischen Ideen hervorgetreten sind, die zu äußern Mut und Kraft gehört und die die Deutschen sicher in irgend einer Form ihrem Denken assimilieren werden. Das Gelächter, das man vor ihnen anstimmt, gleicht sehr dem bekannten Lachen des Bauern und ist billiger als Nachdenken.

Pechstein hat dieses Nachdenken bewiesen, indem er auch jene Zeichnungen nicht belächelte, sondern ihnen den Weg in die Öffentlichkeit zu ebnen suchte.[135]


* ›Erwiderung‹ (Juli 1912)

Aus: Münchner Neueste Nachrichten Nr. 384 vom 30. Juli 1912

Manuskript verschollen


Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978.
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