〈7. Aufzeichnungen auf Skizzenblättern*

Aber die Arbeiten und Wunder sind noch [nicht im vollen Gange. Jeder Tag bringt] nicht vollendet. Jeder Tag bringt Neues; Länder erwachen. Ein unerbittlicher Wille zwingt alle an die Arbeit. Keiner sieht links und rechts. Selbst für die beiden uralten Tröster, Religion und Kunst, findet der moderne Arbeiter keine Muße. Man steckt ihm schnell Surrogate zu, dummen Tand, aus alten Zeiten bequem und schnell zusammengestückelt; wozu Mühe daran verschwenden. Der moderne Sklavenmensch hat doch keine Zeit! Während dieses ungeheuren Arbeitslebens [lebt wirken] ringen einige wenige Künstler um das schwere fast unfaßbare Problem der [mod] Kunst, die zu diesem Märchenzeitalter gehört. [Sie schleudern die] In Verachtung der Pseudokunst dieser Tage schaffen sie neue Werte, unbekümmert [von dem] um das verwunderte und oft so häßliche Lachen, [das der] mit dem der an seine große Arbeit geschmiedete moderne Mensch seine erstaunlichen Werke ansieht.

Wie sollte [er die Werke erkennen aus dem] der, der im Gewühl der Straße steht, die neuen Werke erkennen, wie sollte er [bei] unter dem Dröhnen der Maschinen die neuen Worte hören. Wie sollte das wunderbare technische Manifest Marinetti's über »Die futuristische Literatur« an die Ohren des modernen Arbeiters dringen? Wir wundern uns nicht über das Unverständnis, das unsre und unser Kollegen Kunst umstarrt, aber wir wissen, daß eine Zeit der Reife, des Aufatmens kommen wird, in der man erstaunt und beglückt [unsre Werke am] die künstlerische Arbeit erkennen wird, die wir für unser Zeitalter geleistet haben werden; [und man wird mit der Kunst die Altäre] dann wird es wieder eine Kunst in Europa geben.

Wir verstehen zu trennen: Form von Farbe, Gegenstand von Form, Durcheinandermengen des einen und anderen, aber immer das Bewußtsein wach halten, daß sie nicht ein's sind sondern 3 Welten, die sich kreuzen.

Früher war alles eins Form Farbe Gegenstand; dann begann Farbe und Gegenstand sich zu trennen, – Impressionismus [sein tieferer Sinn], bis es [heute] gelang, auch die Form an sich herauszuholen; jetzt haben wir alle 3 Elemente.[110]


* Aufzeichnungen aus Skizzenbuchblättern in Oktav ohne Titel (Ende 1912/Anfang 1913)

Fragment; Blatt 4–7, Blatt 1–3 fehlen Unveröffentlicht

Maschinenschriftliche Kopie des Herausgebers von 1948 nach dem inzwischen verschollenen Original


Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978.
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