12. Harte Zeiten.

[225] Wer hätte gedacht, daß der Krimkrieg auch in meine privaten Verhältnisse scharf eingreifen, meinem ganzen Leben einen andern Zuschnitt geben würde. Sorglos, fröhlichen Blickes in die Zukunft atmeten wir die rheinische Luft. Das von der serbischen Regierung ausgeworfene Gehalt reichte vollständig für unsere Bedürfnisse aus. Mißlich waren nur die unregelmäßigen Zahlungsfristen, welche uns zuweilen in bittere Verlegenheit brachten. Eines besonders peinlichen Augenblicks entsinnen meine Frau und ich uns noch heute mit größter Lebendigkeit. Wir hatten am späten Abend unsere Kasse untersucht und gefunden, daß sie bis auf einige Thaler ganz leer sei. Die nächste Geldsendung war zwar angekündigt, konnte aber noch mehrere Tage sich verzögern. Wir beschlossen, am nächsten Morgen nach Köln zu reisen und bei dem Antiquar eine schöne Goetheausgabe zu versilbern. Da wurde plötzlich die Hausglocke scharf gezogen. Auf unsere Frage, kurz vor Mitternacht, zum Fenster heraus, kam die Antwort: die Köchin aus Prag mit einem Schiffsmanne. Meine gute Schwiegermutter, für unser leibliches Wohl stets bedacht, hatte für uns eine treffliche[225] Köchin angeworben. Sie war nun da, aber zu ungewohnter Stunde. Sie hatte offenbar die Eisenbahn in Köln versäumt, den weiteren Weg mit dem Dampfschiffe angetreten. Wie dann, wenn ihr Reisegeld nicht reichte, der Schiffsmann etwa dasselbe einforderte. Uns standen Angsttropfen an der Stirn. Aber das Reisegeld war bezahlt. Meine gute Schwiegermutter hatte außerdem für eine so reiche Reserve gesorgt, daß die Köchin uns ein Päckchen Banknoten einhändigen konnte. Die Reise nach Köln unterblieb diesmal. Solche Scenen wiederholten sich öfter, mein Goethe mußte doch später einmal die Wanderung zum Antiquar antreten. Aber schließlich kam doch immer wieder alles in das richtige Geleise. Die Fortdauer meiner Thätigkeit im Interesse Serbiens auf mehrere Jahre hinaus schien mir nicht zweifelhaft. Schrieb mir doch Marinovich wiederholt von der Zufriedenheit der Regierung mit meinen Diensten und von meiner wachsenden Unentbehrlichkeit. Mit dem Beginn der orientalischen Wirren steigerte sich die Arbeitslast. Wöchentlich langten bogenlange Instruktionen aus Belgrad an, welche mich teils mit politischem Materiale versorgten, teils die Richtpunkte ihrer Benutzung angaben. Sie mußten stets so rasch als möglich in größeren und kleineren Artikeln, bald deutsch, bald französisch oder englisch verwertet werden. In den Richtpunkten war eine mir ganz begreifliche Änderung eingetreten. Ich wurde angewiesen, die Versuche, die Sympathie des Wiener Kabinetts für Serbien und die Balkanländer zu gewinnen, fortan zu unterlassen, da dieses jede freundschaftliche Annäherung[226] schroff zurückweise. Die hochmütige Beschränktheit der österreichischen Staatskunst erreichte in der Behandlung der orientalischen Frage ihren Gipfel. Zwei Minister, welche der böse Feind nicht schlimmer für den alten Kaiserstaat schaffen konnte, leiteten nacheinander die äußere Politik. Fürst Felix Schwarzenberg, eine entnervte Natur, der nur noch durch hochgesteigerte leidenschaftliche Aufregung seine Lebensgeister aufrütteln konnte, hatte an die Spitze seiner Politik einfach die Brutalität gestellt. Was bei diesem Staatsverderber ein Ausfluß moralischer Krankheit war, faßte sein schwächlicher Nachfolger, Graf Buol, in die Form allgemeiner Grundsätze. Schwarzenberg hätte sich nicht einen Augenblick besonnen, seine roh-gewaltsame Politik durch gewaltsame Mittel durchzuführen. Dazu fehlten Buol die Kraft und der Mut. Den großen Worten folgten keine oder halbe Thaten nach.

Seit dem Jahre 1849 war die Pforte von der Wiener Staatskanzlei in Acht und Bann gethan worden. Sie hatte die ungarischen Flüchtlinge gastfrei aufgenommen, ihre Auslieferung verweigert. Dieses Verbrechen mußte gesühnt werden. Als 1853 Omer Pascha sich anschickte, die in das türkische Gebiet eingefallenen montenegrinischen Räuberbanden zu züchtigen, hielt ihn Österreichs Einspruch zurück. Eine unerhört grobe Note verbot der Pforte jeden Angriff auf Montenegro und um die Drohung zu verstärken, wurde General Leiningen nach Konstantinopel geschickt, mit dem Auftrage, durch grobe Worte die Wirkung der groben Depesche zu verstärken. Leiningens Sporengeklirr war[227] das Vorspiel zu Menschikoffs Paletotmission. In deutschen diplomatischen Kreisen bewunderte man die Klugheit der Wiener Staatskanzlei. Sie hätte durch diesen kühnen Eingriff Rußland die Vorhand abgewonnen und die Pforte gegen russische Zumutungen geschützt. Aber die brutale Ausführung dieses angeblichen Schutzes schüchterte die Pforte nur ein und bewies ihr, daß sie von Österreich keine ehrliche Unterstützung erwarten könne. Man sollte meinen, wenn das Wiener Kabinett zu gunsten der Montenegriner einschritt, daß es auch den übrigen Balkanländern einiges Wohlwollen zuwenden werde. Ganz im Gegenteil. Sie standen nicht auf streng legitimen Boden, hatten sich in den letzten Jahren allerhand liberale Schwachheiten zu schulden kommen lassen. Sie wurden daher mit der gleichen schnöden Verachtung, mit demselben blinden Hasse behandelt, wie die hohe Pforte.

Nachdem ich in zahlreichen Zeitungsartikeln auf Grund vortrefflichen Materials – ich publizierte z.B. zuerst die Aktenstücke, welche sich auf Leiningens Sendung bezogen – die öffentliche Meinung über die russische und österreichische Politik unterrichtet hatte, empfing ich den Auftrag, die Wünsche der Südslaven in einer größern Denkschrift zusammenzufassen. Sie wurden in französischer Sprache den Mitgliedern der Wiener Konferenz 1854 mitgeteilt, in deutscher Sprache, unter dem Titel: »Zur Orientalischen Frage« als Broschüre in Leipzig ausgegeben. Was ich als fromme Wünsche in der Denkschrift aussprach, ist allmählich zu wirklichen unumstößlichen Thatsachen[228] geworden. Die Denkschrift verlangte die Vereinigung der beiden Donaufürstentümer, das Aufhöhren der Tributpflichtigkeit Serbiens, die Schöpfung eines, wenigstens halb unabhängigen Zwischenstaates (Bulgarien), welcher die unmittelbare Berührung Rußlands mit der Türkei verhindere, gleichsam als Puffer dienen sollte, das Aufhören des einseitigen österreichischen oder wohl gar russischen Protektorates, die Stellung der Balkanstaaten unter den gemeinsamen Schutz der europäischen Großmächte. Sie fand bei der serbischen Regierung ungeteilten Beifall, auch bei einzelnen Mitgliedern der Konferenz stille Billigung, offiziell wurde sie vollkommen totgeschwiegen. Rußland zog aber die Lehre aus ihr, daß seinem herrschenden Einflusse über die Südslaven durch solche Selbständigkeitsgelüste Einbuße drohe und nahm seine Maßregeln danach. Der Rubel rollte in Serbien; die russische Partei gewann wieder das Übergewicht, das Ministerium Garaschanin mußte seine Entlassung nehmen. Nach einigen Monaten schrieb mir Marinovich, daß er gezwungen sei, auf jede politische Thätigkeit zu verzichten, demnach auch mein Verhältnis zur Regierung gelöst sei. Das war, da der Ankündigung die Ausführung auf dem Fuße folgte, für mich ein harter Schlag. Meine Sache, doch nein, unsere Sache, denn ich war inzwischen Familienvater geworden, war wieder auf nichts, auf rein zufällige Einnahmen gestellt. Aber verzagen durfte ich nicht. Ich hatte mit vielen angesehenen Zeitschriften und Zeitungen Beziehungen geknüpft, in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten dringende Aufforderungen,[229] einen geschlossenen Kreis von Vorlesungen zu halten, empfangen. Als Journalist und Wanderlehrer hoffte ich bis auf weiteres mich durchzuschlagen. Den ersten Versuch, einem weitern Kreis von Zuhörern einzelne Abschnitte der Kunstgeschichte in geschlossenen Bildern vorzuführen, wagte ich in Bonn. Er gelang. Nach der ersten Vorlesung mußte ich den zuerst gewählten Saal mit einem größern vertauschen. Bald gab es keine angesehene rheinische Stadt, in welcher ich nicht zur Winterszeit, in manchen mehrere Jahre nacheinander, solche Vorträge gehalten hätte. Überall wurde ich überaus gastfrei empfangen, überall erwarb ich gute Freunde, so in Krefeld Alexander Heimendahl und Beckerath, in Barmen Bredt, in Elberfeld Simons, alle im Rheinlande hochgeschätzte und allgemein beliebte Persönlichkeiten. In Köln nahmen mich der Regierungspräsident von Möller und die Generäle von Schack und von Gansauge unter ihren Schutz, nach Düsseldorf führte mich eine Einladung des Malkastens. Künstlern gegenüber von kunstgeschichtlichen Dingen zu reden, hat seine besonderen Schwierigkeiten. Die Erörterung technischer Fragen darf nicht in den Vordergrund geschoben werden, da Künstler mit Recht in diesen Dingen sich ein schärferes Urteil zutrauen, als der gelehrte Laie besitzt. Sie stehen zu den einzelnen alten Meistern in dem Verhältnis von Liebhabern. Je nach ihrer eigenen Richtung und Stimmung schwärmen sie für bestimmte Künstler und schütteln ungläubig den Kopf, wenn diese von dem Historiker nicht gebührend gerühmt werden, während andern, ihnen viel weniger sympathischer,[230] große Ehren erteilt werden. Ich muß aber doch das richtige Maß getroffen haben, trotzdem ein auserwähltes kritisches Publikum, u.a. Lessing, Achenbach, Schrödter mir gegenüber saß. Denn am Schluß des zweiten Cyklus wurde ich einstimmig zum Ehrenmitglied des Malkastens gewählt und mir ein von dem Maler Michaelis kunstreich ausgestattetes Diplom zugleich als Dankadresse überreicht. Später sind solche Vorlesungskreise und Einzelvorträge, die ich gleichfalls in verschiedenen Städten (Bonn, Koblenz, Frankfurt, Berliner Singakademie) hielt, in Mißkredit gekommen. Ich nahm sie sehr ernst, bereitete mich auf das sorgfältigste auf sie vor, bemühte mich, in leichtgeschürzter Form auch neue Früchte wissenschaftlicher Forschung zu bieten und hatte die Freude, mir zahlreiche, bis zu dieser Stunde treu anhängliche Freunde im Rheinlande zu erwerben.

Auf die Gegenstände der Vorträge kann ich mich noch heute besinnen; was ich aber alles in jenen Jahren in die Zeitungen und Zeitschriften, natürlich anonym geschrieben, darüber fehlt mir jede sichere Erinnerung. Selbst die Zeitungen könnte ich jetzt schwerlich vollständig aufzählen. Ich weiß nur, daß ich am fleißigsten in die Kölnische Zeitung, die Freund Kruse, von Dahlmann hoch geschätzt, in Bonner Kreisen auch als Gelehrter und Dichter angesehen, leitete, und die Allgemeine Zeitung schrieb und ein eifriger Mitarbeiter an den Grenzboten und (etwas später) Preußischen Jahrbüchern wurde. Für die »Gegenwart«, eine encyklopädische Ergänzung des Konversationslexikons[231] von Brockhaus, lieferte ich so viele Aufsätze, daß sie füglich einen stattlichen Band bildeten. Es sollte mein Schicksal sein, trotz eifrigen Widerstrebens, der Politik immer wieder in die Arme zu fallen. Politische Artikel waren die am meisten begehrte Ware, solche zu schreiben, vorausgesetzt, daß sie mein Vaterland Österreich betrafen, kosteten mir die geringste Mühe. Ich traute mir eine ziemlich gute Kenntnis der Thatsachen und Persönlichkeiten zu, besaß überdies an meinem Schwiegervater eine ebenso vortreffliche wie unerschöpfliche Quelle. Dr. Pinkas stand in hohem persönlichen Ansehn in allen Schichten der Gesellschaft, seine wohlbekannte Uneigennützigkeit und Unbefangenheit des Urteils öffnete ihm alle Herzen. So gewann sein Verkehr den weitesten Umfang, erstreckten sich seine freundschaftlichen Beziehungen auf die mannigfachsten Kreise. Ihm klagten die Beamten ihr Herzeleid über die administrative Anarchie, ihm berichteten die Mitglieder der Aristokratie, haßerfüllt gegen das »Bachministerium«, über die geheimen Vorgänge in den maßgebenden Wiener Kreisen; mit ihm berieten die Banquiers und Industriellen alle wichtigen Pläne, an ihn wandten sich vertrauensvoll die Genossen des alten Reichstages, um ihm die Nöte in ihren Provinzen vorzutragen. Er war geradezu der Beichtvater aller Stände und Parteien geworden. Soweit er sich nicht zum Schweigen verpflichtet hielt, weihte er mich in die politischen Dinge ein, so daß meine Artikel sich vor vielen andern durch die lebhafte Färbung und neue Mitteilungen auszeichneten. Die umfangreichste Leistung waren die vier[232] Abhandlungen in der »Gegenwart« über die Geschichte Österreichs von den Märztagen 1848 an bis zur Aufhebung der Verfassung und ein ziffernreicher Aufsatz über die wirtschaftlichen Zustände in Österreich. Beide Aufsätze sind als Quellen zwar nicht oft angezogen aber häufig benutzt worden.

Dank meinem Journalistenfleiße tröpfelte es zwar dünn, aber stetig in unsere Hauskasse. Zuweilen kamen auch recht dicke Tropfen. Das größte Prager Bankhaus: Laemel, hatte vom Ministerium das Vorrecht zur vorläufigen Zeichnung und Vermessung einer Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Prag, die sogenannte Westbahn, empfangen. Nach Vollendung und Genehmigung des Planes wollte Laemel eine Aktiengesellschaft zum Bau und Betriebe der Eisenbahn gründen. Zahlreiche Ingenieure machten sich an das Werk, zeichneten, maßen, rechneten fleißig, so daß Laemel bald daran denken konnte, diese Einzelaufnahmen zusammenstellen zu lassen. Zu dieser Arbeit wurde ich ausersehen. Viele Wochen lang saß ich über den Detailplänen, Rechnungen und Tabellen, machte Anschläge über die Kosten des Grunderwerbes und des Baues, stellte Mutmaßungen an über den Frachtverkehr und erwog die Größe des Baukapitals, sowie den möglichen Gewinn. Die stattliche Denkschrift – etwa vierzig Bogen stark – wurde von Laemel gebilligt und honoriert. Ihr praktischer Nutzen war freilich gering, da Laemel, unter dem schlimmen Einflusse des Krimkrieges auf den österreichischen Geldmarkt, schließlich vor der Größe des Planes zurückschrak und sein Privilegium an eine[233] Wiener Gesellschaft verkaufte. Wie in dieser Sache, so spielte auch in einer andern, welche mir mehrere Jahre hindurch lohnende Beschäftigung gab, mein Schwiegervater den Vermittler. Durch eine Verordnung des Ministeriums war bald nach der Aufhebung der Verfassung den Juden die Fähigkeit, Grundbesitz zu erwerben, wieder abgesprochen worden. Auf den kleinen Grundbesitz, die Bauerngüter, eingeschränkt, ließ sich diese Verordnung wenigstens für die slavischen Provinzen rechtfertigen. Der Ausschluß der Juden vom Großgrundbesitze war eine ganz überflüssige Beleidigung gerade des besten und vornehmsten Teiles der österreichischen Judenschaft und außerdem eine ganz verderbliche wirtschaftliche Maßregel. Der kapitalkräftigste Teil der Bevölkerung wurde von dem Mitbewerbe ausgeschlossen. Auf die Beschwerde der Verletzten an hoher Stelle in Wien über diese ebenso gehässige wie thörichte, von der hohen Klerisei durchgesetzte Verordnung kam die vertrauliche Antwort, augenblicklich sei ihre Aufhebung nicht möglich, wenn aber die öffentliche Meinung sich scharf und beharrlich dagegen ausspräche, wäre ein Erfolg über kurz oder lang zu gewärtigen, zumal der Finanzminister zu den entschiedenen Gegnern dieser Ghettopolitik gehöre. Daraufhin vereinigten sich mehrere angesehene jüdische Kaufherren und Fabrikanten zu einer planmäßigen Bekämpfung des Verbotes in den Zeitungen. Die Seele dieser Gesellschaft, Herr von Portheim, einer der edelsten und tüchtigsten Männer Prags, beriet mit seinem Freunde Pinkas, in wessen Hände die Agitation gelegt werden könne. Pinkas brachte natürlich[234] mich in Vorschlag und so wurde ich mehrere Jahre lang der wohlbestallte Vertreter des Vereins. Der Zufall war uns überaus günstig. Es kamen fast gleichzeitig mehrere große Herrschaften unter den Hammer. Nach Verabredung boten jüdische Magnaten die höchsten Summen, die aber zurückgewiesen werden mußten, so daß die Güter entweder viel niedrigere Preise erzielten, oder wegen ungenügenden Angebotes der Verkauf überhaupt eingestellt wurde. Das war Wasser auf unsere Mühle. Es kostete wohl einige Mühe, die Leser nicht durch die wiederholte Vorführung einer und derselben Klage zu langweilen.

Meine Aufgabe bestand in dem Ersinnen verschiedener Variationen auf das eintönige Thema. Schließlich krönte der Erfolg unsere fortwährenden Angriffe. Ich hatte der guten Sache mit Eifer gedient, so daß viele glaubten, ich verteidige die eigene. Als das Verbot für die Juden, Großgrundbesitz zu erwerben, aufgehoben wurde, telegraphierte mir der Redakteur der National-Zeitung, der alte Zabel, einen Glückwunsch zum Siege meiner Glaubensgenossen.

Mein tapferes Weib half mir durch fröhlichen Zuspruch und stets mutigen Sinn die wirtschaftlichen Sorgen leicht tragen. Sie blieb auch in einer andern schweren Bedrängnis meine feste Stütze, mein treuer Kamerad. Wir waren beide im katholischen Glauben erzogen worden, hatten aber bisher von der Klerisei nicht die geringste Anfechtung erfahren. Wir hörten von Rosenkranzbrüderschaften unter dem gemeinen Volke, hatten für die armen bethörten Leute Mitleid, wir merkten in den letzten Jahren, daß die Bischöfe[235] eine größere politische Macht erstrebten und das Ohr des Regenten zu gewinnen anfingen. Aber niemals dachte ein Pfarrer oder ein Kaplan daran, unberufen sich in das Privatleben der besseren Bürger zu mischen, in Fragen der Bildung eine Stimme in Anspruch zu nehmen. Er wäre einfach verlacht worden. In den rein katholischen Ländern traten die Kirche und ihre Vertreter viel gemütlicher, friedfertiger auf und besaßen nicht die Kampflust, welche sie in Landschaften gemischten Bekenntnisses zur Schau trugen. Das Verhältnis der gebildeten Katholiken zu ihrer Kirche war ähnlich jenem der gebildeten Juden zu ihrem Bekenntnis. Sie bekannten sich offen zur Gemeinde, sie nahmen auch mehr oder minder eifrig Teil am Gottesdienste, die Kultushandlungen flößten ihnen jedenfalls ehrerbietige Achtung ein, wie auch der naive Volksglauben nie von ihnen grob angefeindet wurde. Aber die Bildung des Verstandes hielten sie frei von jedem kirchlichen Einflusse. Dem kirchlichen Dogma sprachen sie nicht das Recht zu, den Gang der Wissenschaften zu bestimmen. Hier galt allein die erprobte Wahrheit. Auf diese Art wurde der Frieden zwischen der Kirche und der gebildeten Gesellschaft gewahrt. Man hat später dieses Verhältnis als schnöden Indifferentismus gescholten und verdammt; in Wirklichkeit sollten nur zwischen der kirchlichen und der profanen Welt feste Grenzen gezogen werden, welche jedem Streite, jedem Übergriffe vorbeugen.

Wir glaubten in unserer Naivetät am Rhein ähnliche Zustände zu finden. Die bitterste Enttäuschung harrte[236] unserer. Ich horchte anfangs ganz verblüfft zu, wenn ich von heidnischer Wissenschaft und katholischer Kunst reden hörte, wenn Bücher wegen ihrer Rechtgläubigkeit gepriesen, andere, als mit protestantischen Gedanken befleckt, getadelt wurden. Eine abgeschlossene katholische Welt, der protestantischen in schroffer Feindschaft gegenüberstehend, stieg vor meinen erstaunten Augen auf. Anfangs verdeckte äußere Freundlichkeit die innern Gegensätze. Der Privatdozent der Philosophie, Clemens, ein Jesuitenzögling, von dem behauptet wurde, daß er zum Aufseher aller katholischen Professoren bestellt sei und seine Berichte Sonnenschein oder Sturm bei dem Erzbischof von Köln und der Kurie schafften, brachte mich mit August Reichensperger zusammen, in der Hoffnung, daß ich mich zu dessen Anhänger herausbilden werde. Ich wurde sogar in den ersten Semestern würdig befunden, bei den Generalversammlungen des akademischen Dombauvereins als Redner aufzutreten. Das war nebenbei gesagt eine schwere Aufgabe. Der Präsident des Vereins, der Professor der Theologie, Dieringer, ein ziemlich umgänglicher Mann, da die frische Schwabennatur zuweilen die harte ultramontane Kruste durchbrach, lud die Mitglieder des Vorstands und die Redner – aus Köln kam entweder Reichensperger oder Zwirner – vor der Sitzung zu Tisch ein. Das Mahl begann nach ein Uhr. Auf eine fette Suppe folgte eine fettere Zuspeise, ein noch fetterer Schweinebraten und endlich eine fetteste Sahnemehlspeise. Dazu wurde Pfälzer Wein getrunken, welcher Feuer in die Adern goß. Kaum hatten wir den letzten[237] Bissen verzehrt, ging es im Trabe nach der Universität. Schlag zwei Uhr betrat ich die Rednerbühne in der Aula, um mich im Lobe und Preise der gotischen Architektur, ihrem idealen Schwunge u.s.w. zu ergehen. Gar bald trat aber eine völlige Entfremdung ein. Die Ultramontanen erkannten die Unmöglichkeit, mich in ihre Netze einzufangen; ich aber gewann nur zu bald die Überzeugung, daß man mir niemals Duldung und für meine wissenschaftlichen Studien ungehinderte Freiheit gewähren, vielmehr auf die unbedingte Unterwerfung bestehen werde. Die katholische Kirche hatte am Rhein viel von dem vornehmen Charakter verloren, welchen sie in früheren Zeiten besaß und wenigstens teilweise noch in rein katholischen Ländern sich gerettet hat. Sie ist beinahe zur Partei herabgesunken, erblickt in der strammen Disziplin das wesentlichste Heilsmittel und hat die milde Lehre von der Liebe durch die finstere Mahnung zum Haß ersetzt. Abneigung gegen Preußen, gehässige Gesinnung gegen den Protestantismus, Widerwille gegen die ehrliche Wissenschaft, welche sich Weg und Ziel nicht aufzwingen läßt: auf ein solches Parteiprogramm ließ ich mich nicht einschwören. Und wenn diese Leute nur auf eine rein katholische Bildung den Anspruch hätten erheben können. In den romanischen Ländern schloß sich die Kirche ohne Widerspruch den Wandlungen des Volkslebens an, nahm teil an der Entwickelung des nationalen Geistes. Nicht so in Deutschland. Seit der Reformation verzichtete der katholische Teil der Bevölkerung auf die lebendige Mitwirkung an dem nationalen[238] Kulturleben, er verstummte in der Litteratur, sperrte sich gegen die Fortschritte der Wissenschaft ab, führte überhaupt ein völlig abgesondertes stilles Dasein. Der protestantische Teil des Volks gewann im Lauf von zwei Jahrhunderten einen so gewaltigen Vorsprung, daß er nicht mehr nachgeholt werden konnte, zumal die protestantische Bildung tief im deutschen Volksboden wurzelt. Als die deutschen Katholiken seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts die schroffe Absonderung aufgaben, nahmen sie unwillkürlich, häufig, ohne es zu ahnen, protestantische Gedanken in ihre Seele auf. Die gebildeten Katholiken in Deutschland, von den kirchlichen Fanatikern abgesehen, sind Halbprotestanten. Gegen die beiden Thatsachen, daß die protestantische Kultur seit drei Jahrhunderten in Deutschland herrsche und durch keine Macht mehr zerstört werden könne und daß der wirklich gebildete deutsche Katholik von protestantischen Anschauungen angesteckt sei, kann selbst die verlogenste Geschichtsfälschung nichts vorbringen. Man streiche aus dem deutschen Kulturleben der letzten Jahrhunderte die Thaten der Protestanten, lasse bloß die Leistungen der Katholiken stehn, man vergleiche die romanischen oder slavischen Katholiken mit den deutschen und man wird ihre Richtigkeit nicht länger in Zweifel ziehen.

Trotz aller persönlichen Anfechtungen sträubte ich mich gegen den Bekenntniswechsel. Er hat für einen reifen Mann, welcher sich eine feste persönliche Anschauung der Dinge erobert hat, immer etwas Mißliches. Freilich, vor die Wahl gestellt, auf eine deutsche wissenschaftliche Bildung[239] zu verzichten, oder mit der die Kirche beherrschenden Partei zu brechen, konnte die Entscheidung nicht schwanken. Mehrere Jahre glaubte ich an die Möglichkeit, durch ruhige Zurückhaltung dem Streite auszuweichen. Die Ultramontanen richteten aber ihre gehässigen Angriffe gegen meine arme Frau. Ihr Kirchenbesuch wurde einer strengen Kontrolle unterworfen. Verhetzte Nachbarinnen riefen ihr, wenn sie vorüberging, gemeine Schimpfworte nach. Vor der Taufe eines jeden meiner Kinder erhielt sie Mahn- und Drohbriefe, sich nicht von mir verführen zu lassen, reuig in den Schoß der rechtgläubigen Kirche zurückzukehren. Unsere Dienstmädchen wurden in der Beichte peinlich befragt, ob wir die Festtage hielten und unsere Kinder beten ließen, ob wir nicht ketzerische Reden führten, mit wem wir Umgang pflegten; sie wurden sogar förmlich angewiesen, uns zu beobachten. Ein Kaplan äußerte ganz offen, wenn unsere Kinder einmal die Schule besuchen würden, wollte er schon in ihnen uns eine Zuchtrute binden. Nun war kein weiteres Zögern gestattet. Den Frieden in der Familie, die Liebe der Kinder durften wir uns nicht rauben lassen. So schwer auch meiner Frau, mit Rücksicht auf ihre Familie, welche von solchen Parteikämpfen keine Ahnung hatte, der Entschluß fiel, so erkannte sie doch sofort, was die Pflicht gegen die Kinder von ihr verlangte. Durch Vermittelung Albrecht Ritschl's nahm sie das Abendmahl in der Schloßkapelle zu Brühl und ließ sich und die Kinder der evangelischen Kirchengemeinde zuschreiben. Meinem persönlichen Übertritt stellten sich zunächst noch Schwierigkeiten[240] entgegen. Der ängstliche evangelische Kirchenvorstand verlangte eine Bestätigung des katholischen Pfarrers, daß ich aus seiner Kirche ausgeschieden sei. Das hieß mit andern Worten, ich sollte an mir noch Bekehrungsversuche anstellen lassen. Erst wenn diese scheiterten, konnte ich die Entlassung aus der katholischen Kirche fordern. Einer solchen Demütigung konnte ich mich nicht aussetzen. So blieb die Sache noch in der Schwebe. Der evangelische Pfarrer, ein wahrer Johannesjünger, mild und klar in seinem Wesen, der viel zu früh verstorbene Dr. Wolters, tröstete mich: Sie gehören thatsächlich zu uns, wenn auch nicht vielleicht als evangelischer Christ, so doch als ganzer Protestant. Das genügt vorläufig, bis sich später Gelegenheit findet, den Übertritt noch formell zu regeln. Sie fand sich bei meiner Übersiedelung nach Straßburg. Wir hatten noch lange, unseres Schrittes wegen, Haß und Zorn zu tragen, meine Frau wurde in ultramontanen Broschüren geradezu beschimpft. Das focht uns aber wenig an. Hatten wir doch unsern Kindern den Seelenfrieden und die reine deutsche Bildung gerettet.

Auch aller schlimmen Dinge sind drei. Zu den materiellen Sorgen, zu den religiösen Bedrängnissen gesellte sich noch die Überzeugung von der dauernden Feindseligkeit der Regierung. Die vom Oberpräsidenten angeordnete polizeiliche Überwachung dauerte, wie ich zufällig erfuhr, noch fort. Nach einem Martinsschmause im »Schwanen« begleitete mich der Jurist Sell nach Hause. Die Natur hatte ihn mit so viel Gutmütigkeit und Schwatzlust begabt,[241] daß andere Eigenschaften, die man gewöhnlich bei Professoren sucht, sich nur schlecht entwickeln konnten. Die starke Bowle hatte dieses Mal auch die Wahrheitsliebe in ihm geweckt. Trotz der weit vorgeschrittenen Nacht konnte er das Ende des Bekenntnisses nicht finden, wie er mich liebe und achte, wie leicht er mir hätte schaden können, aber stets auf mein Wohl warm bedacht gewesen sei. Kurz, er gestand, daß er und der Theologe Hasse die Ausspähung meines Thuns und Treibens im Auftrage Kleist-Retzows übernommen hätten. Er hätte nur Gutes über mich geschrieben und berichte jetzt gar nicht mehr. Dagegen sollte ich dem Theologen Hasse gegenüber Vorsicht üben. Nun war das Rätsel gelöst, das mich und meine Freunde oft beschäftigt hatte, die merkwürdige Teilnahme Hasses an meiner Persönlichkeit. Wo er mich sah, stellte er mich und überschüttete mich mit Fragen, was ich schreibe, wie ich über dies oder jenes denke. Hasse war in unserm Kreise bisher nur wegen seiner Kellnertracht – er kleidete sich stets in Frack und weiße Weste – und wegen seiner Trägheit bekannt. Selbst seine maßlos reaktionären Ansichten über Kirche und Staat hatten einen lächerlichen Anstrich. Es kommt doch selten vor, daß jemand sich selbst hündischer Gesinnung zeiht. Als ein angesehener italienischer Gelehrter ihn, wie die andern Professoren, besuchte, um eine Unterstützung der von den Österreichern vertriebenen Universitätslehrer in der Lombardei zu erbitten, wies er ihn mit dem Ausruf: Je suis un Autrichien ab und fuhr in gesteigertem Zorn über die Zumutung, für liberale Zwecke Geld zu[242] geben, fort: oui un chien, chien, chien! Jetzt entpuppte sich der fromme Mann als geheimer Spion. Seinen Berichten hatte ich es wohl zu danken, daß auf die wiederholten Anträge der Fakultät auf Beförderung ein immer schrofferes »Nein« aus Berlin als Antwort kam.

In den ersten Bonner Jahren lachten wir oft darüber, daß, während der Oberpräsident in Koblenz mich auf die Liste der verdächtigen und bedenklichen Personen setzte, der Regierungspräsident in Köln, Herr von Möller, mir offen seine Gunst angedeihen lasse. So oft ich in Köln eine Vorlesung hielt, nahm ich im Regierungsgebäude mein Absteigequartier und blieb der Gast des Präsidenten. Leider sollte ich diese Gunst ohne meine Schuld verscherzen. Zu den größten Annehmlichkeiten des Bonner Lebens gehörte der rege Fremdenverkehr. Wer vom Norden nach dem Süden, vom Osten nach dem Westen reiste und den Rhein berührte, rastete gern ein paar Tage in Bonn. In jedem Sommer klopften zahlreiche Freunde an Dahlmanns, Brandis, Bluhmes, Welckers Thüre. Auch Fremde, Engländer und Franzosen, sprachen häufig vor, um diese berühmten Männer kennen zu lernen, mit ihnen politische und wissenschaftliche Meinungen auszutauschen. An diesem belebenden Verkehr hatten wir, dank der Freundschaft unserer Gönner, den größten Anteil. Regelmäßig wurden wir bei jedem Fremdenbesuche mit zu Gaste gebeten, wie Frau Dahlmann sagte: »auf die Fremden eingeladen«. Mit Jakob und Wilhelm Grimm, Pertz, Gerhardt, Tocqueville und noch vielen anderen hervorragenden Männern verlebten wir auf diese[243] Art die genußreichsten Stunden. Zuweilen wurde auch von Fremden unmittelbar an meine Thür geklopft. Madame Hortense Cornu, angeblich die Milchschwester Kaiser Napoleons, jedenfalls seine Vertraute, brachte nach seinem Regierungsantritte alljährlich am Rhein mehrere Wochen zu. Sie war seit ihrer Jugend mit der Fürstin Hohenzollern und mehreren Kölnischen Damen nahe befreundet. Ob sie mit ihren Reisen politische Zwecke verband, weiß ich nicht. Bei mir führte sie sich als Künstlerfrau und Fachgenossin ein. In der That hat sie unter dem Namen Albin zahlreiche kunsthistorische Abhandlungen in Pariser Zeitschriften geschrieben. Sie wünschte über die neuesten kunstlitterarischen Leistungen in Deutschland belehrt zu werden und die Bekanntschaft Welckers zu machen. Der überaus klugen, feinen und allseitig gebildeten Dame stellte ich mich gern zur Verfügung und begleitete sie auch wiederholt auf den Landsitz der Frau Deichmann, der Gattin eines Kölner Banquiers, in Mehlem, welche sie gleichfalls seit ihrer Schulzeit in Mannheim kannte. Sie kam hier mit dem alten Hausfreunde der Deichmannschen Familie, dem Regierungspräsidenten, zusammen und wurde von diesem auf das freundschaftlichste begrüßt. Als nun einmal statt Madame Cornu ihr Mann in Begleitung seines Freundes Cernuschi bei mir vorsprach und den Wunsch äußerte, auch Frau Deichmann in Mehlem zu besuchen, schlug ich vor, den Plan gleich auszuführen. Es war ein Sonntag, an welchem stets auch unerwartete Gäste, wie ich aus Erfahrung wußte, bei dem Mittagstische willkommen waren.[244] Daß der Regierungspräsident jeden Sonntag in Mehlem weile, war mir nicht unbekannt, mir fiel aber nicht im Traume ein, daß dieser Besuch ihn irgendwie peinlich berühren könne. Der Freund, dessen Namen ich zum erstenmal hörte, war allerdings ein italienischer Flüchtling. Gegen die österreichische Gewaltregierung hatten aber so viele Ehrenmänner die Waffen getragen, Cernuschi erfreute sich außerdem in Paris bereits einer angesehenen Stellung und war schließlich durch Cornus Freundschaft gedeckt. Unmöglich konnte ich in seinem Besuch eine Beleidigung des Herrn von Möller erblicken. So wurde er aber aufgefaßt. Gleich bei der Vorstellung vor Tische begnügte sich der Regierungspräsident mit einem steifen Kopfgruße, bei Tische blieb sein Platz leer, nach Tische aber wurde mir von der Hausfrau allerdings ganz höflich bedeutet, daß sie unsern Besuch als beendigt ansehe. Ich schämte mich vor den beiden Fremden der schlechten Aufnahme und ersann allerlei Entschuldigungsgründe. Für mich schloß die Sache mit einer zornigen Standrede des Regierungspräsidenten. Ich hätte ihn, so behauptete er, durch die Vorstellung Cernuschis arg kompromittiert und gezeigt, daß ich immer noch mit den Revolutionären unter einer Decke stecke, und ich müßte es mir nur selbst zuschreiben, wenn die Regierung mir mißtraue, meine Beförderung verweigere. Von diesem Augenblicke an verwandelte sich Herrn von Möllers Gunst in offenbare Abneigung. Sie warf noch nach vielen Jahren einen Schatten auf mein Schicksal.[245]

Nach kurzem Sonnenschein deckten den Bonner Himmel also dauernd trübe Wolken. Wohl brach zuweilen ein Lichtstrahl durch, aber nur, um rasch wieder zu verschwinden und die herrschende Trübung dann noch deutlicher hervortreten zu lassen. Meine Denkschrift über die böhmische Westbahn hatte den Beifall des bekannten böhmischen Industriellen Franz Richter, der nachmals als Opfer der Eynattenschen Schmutzwirtschaft fiel, gefunden. Als er an die Spitze der Wiener Kreditanstalt trat, dachte er daran, mich für ihren Dienst zu gewinnen. Es blieb aber bei dem bloßen Plane, dessen Verwirklichung meiner Laufbahn eine ganz andere Richtung gegeben hätte. Eine andere Aussicht winkte mir aus München. Eines Tages (1855) besuchte mich ein Professor der Rechte an der Münchener Universität, der mir bis dahin ganz unbekannte Dollmann. Er erkundigte sich eingehend nach meinen Lebensgange, meinen Studien, meinen Sprachkenntnissen. Ich zog aus der langen Unterredung zunächst nur den Schluß, daß der Mann selbst für einen Professor allzu neugierig wäre. Wenige Wochen später empfing ich von ihm einen Brief, mit der Aufforderung, mich sofort an das Hoflager des Königs Max von Bayern zu begeben, welcher mich kennen zu lernen wünsche. Was mochte der König wollen? Das Rätsel löste mir Dahlmann. An ihn und an Brandis hatte König Max geschrieben und um die Nennung eines passenden Ersatzmannes für Dönniges ersucht. Ihrer Empfehlung dankte ich den Ruf, nachdem noch Dollmann, einer der vielen Vertrauensmänner des[246] Königs, mich einer persönlichen Prüfung unterworfen hatte. Offenbar war dieselbe günstig ausgefallen.

In Berchtesgaden wurde ich durch den Adjutanten von der Tann dem Könige vorgestellt. Da ich nach der Hofsitte nur auf die mir gestellten Fragen eine knappe Antwort geben durfte, so nahm die sehr lange Unterredung den Charakter eines königlichen Monologes an. Mit großer Offenheit äußerte sich König Max über die schwebenden politischen Fragen, betonte die schwere Lage Bayerns zwischen den österreichischen und preußischen Ansprüchen, welche ihm eine Art von Schaukelpolitik aufzwängen, obschon er sich persönlich von Österreich abgestoßen fühle. Er öffnete dann einen Schrank, in welchem er die Gutachten und Aufsätze von Staatsmännern und Gelehrten über die mannigfachsten politischen und wissenschaftlichen Dinge aufbewahrte. Ranke genoß offenbar das größte Vertrauen und wurde am häufigsten zu Rate gezogen. Welchen Plan er mit mir vorhabe – darüber hüllte er sich in vollkommenes Schweigen. Doch hatte ich zum Schlusse der Audienz den Eindruck, daß ich nicht mißfallen habe, nur die Kunde von meiner österreichischen Erziehung schien den König zu überraschen. Den Eindruck verstärkten die Gespräche mit dem Adjutanten, Leibarzt und einzelnen Hofbeamten, welche mich besuchten, oder längere Spaziergänge mit mir unternahmen. Sie ließen kaum einen Zweifel aufsteigen, daß meine Übersiedelung nach München in kürzester Frist bevorstehe. Nach dreitägigem Aufenthalt in Berchtesgaden wurde mir mitgeteilt, ich möge in München, wohin der Hof sich nächstens[247] verfügen würde, den endgültigen Entschluß des Königs abwarten. Als ich den Postwagen bestieg, sah ich einige Equipagen auf der Straße rollen. Österreichische Herrschaften, darunter der Minister Graf Thun, machten dem Könige Besuch. Mit nicht geringer Spannung harrte ich in München auf die Entscheidung. Da klopfte eines Abends wieder Dollmann an meine Thüre. Er kam, um mit mir, wie er sagte, zu kneipen. Doch ahnte ich an seinen verlegenen Mienen den Träger schlimmer Kunde. Er ließ in der Kneipe eine Flasche des besten Weines auffahren, offenbar als Mutbringer und Tröster und rückte endlich mit der Nachricht heraus, daß der König, bei aller persönlichen Hochachtung, auf meine Dienste verzichten müsse. Zur Erläuterung fügte Dollmann, gewiß aus guter Quelle, hinzu, protestantische Pietisten hätten meine kirchliche Gesinnung, österreichische Würdenträger meine politischen Anschauungen dem Könige als bedenklich geschildert.

Ich war nicht lange nach Bonn zurückgekehrt, als ich durch ein Kabinettschreiben überrascht wurde, des Inhalts. Dem Könige sei für das Amt eines Bibliothekars und Sekretärs der Historiker Reinhold Pauli empfohlen worden. Da Pauli als Privatdozent in Bonn lebe, werde ich wohl den Wunsch des Königs leicht erfüllen und meine Meinung über seine Fähigkeiten in einem Gutachten zusammenfassen können. Aus diesem Zeichen des Vertrauens ersah ich wenigstens, daß äußere Gründe meiner Abweisung zu Grunde lagen. Konnte ich über die Tauglichkeit eines Zweiten ein Urteil fällen, mußte ich doch selbst die passenden[248] Eigenschaften besitzen. Natürlich spendete ich dem lebensprühenden, geistvollen Pauli, wie es sich gebührt, großes Lob. Schließlich hatte er keinen bessern Erfolg als ich. Er wurde nach München zu persönlicher Vorstellung berufen, auf das liebenswürdigste empfangen und dann mit Hochachtung entlassen. Ich war nicht gut genug österreichisch, Pauli zu gut preußisch gesinnt.

So schien mir denn das Schicksal bestimmt, als Privatdozent alt zu werden. Die Jahre vergingen, ohne daß die äußere Lage sich änderte. Ich wurde nicht verbittert. Dazu lebte ich zu glücklich in dem kleinen Häuschen, fast am Ende der Koblenzer Straße, mit Weib und Kindern und besaß zu viele gute Freunde. Auch ließ der befriedigende Wirkungskreis an der Universität mich oft die äußere Zurücksetzung vergessen. Der Minister Raumer hatte es in seiner Macht, daß ich ewiger Privatdozent blieb, er konnte es aber nicht hindern, daß ich anfing, zu den beliebtesten Lehrern der rheinischen Hochschule gezählt zu werden. Nur ermüdete mich auf die Länge die ewige Brotarbeit und wurde die Teilnahme, die uns von allen Seiten gespendet wurde, zuweilen lästig. Wir waren zu guterletzt die Schmerzenskinder Bonns geworden. Jedermann fand es unbegreiflich, daß die äußere Anerkennung ausblieb, jedermann hielt sich verpflichtet, sein Mitleid mit unserer gegenwärtigen Lage auszusprechen. Meine liebe Frau namentlich litt unter der nicht immer glücklich gewählten Form, die Teilnahme auszudrücken, unter den vielen gutgemeinten, aber selten brauchbaren Ratschlägen. Den Schmerzenskindern[249] drohte das Schicksal, daß man sie als allgemeine Schützlinge, welche kein Recht selbständigen Willens besaßen, behandelte.

Mit stolzer Freude erfüllte es mich aber dennoch, daß auch Männer von wesentlich entgegengesetztem Standpunkte zu meinen Gönnern und Verteidigern gehörten. Der stramm konservative Professor Perthes förderte mich in jeder Weise und ließ meinen politischen Anschauungen Gerechtigkeit widerfahren. Er hielt sie wohl für irrig, noch irriger und verderblicher erschien ihm aber das Treiben der reaktionären Partei in Berlin, welche nur in kleinen Bosheiten, in gemeinen persönlichen Nörgeleien ihre Kraft äußerte. Er war überzeugt, daß ich stets nur die Wahrheit anstrebte und niemals die wissenschaftlichen Lehren durch Parteimeinungen vergifte. Perthes war der Mentor aller Prinzen, welche die Bonner Universität besuchten. Er versäumte niemals, sie zu verpflichten, daß sie auch bei mir Vorlesungen hörten oder ein Privatissimum sich lesen ließen. So kam es, daß ich im Laufe der Jahre Mitglieder fast aller europäischen Fürstenfamilien zu meinen Zuhörern zählte. Ich muß anerkennen, daß mit einer einzigen Ausnahme – sie gehörte einem winzigen Fürstenhause an – alle jungen Herren an Liebenswürdigkeit und ernstem Interesse an der Sache miteinander wetteiferten und ganz danach angethan waren, den Bildungseifer in unsern Fürstenfamilien schätzen zu lernen. Auch hier gefiel sich das Schicksal, mit mir eine Komödie der Irrungen aufzuführen. In den Augen der Regierung war ich ein bedenkliches[250] Individium, den Höfen galt ich als eine vertrauenswürdige Persönlichkeit. Gerade in der Zeit, in welcher mich Kleist-Retzow im Auftrage des Berliner Ministeriums unter Polizeiaufsicht stellte, wurde ich ausersehen, einen preußischen Prinzen, den gegenwärtigen Regenten von Braunschweig, auf einer Studienreise durch die Rheinprovinz zu begleiten und ihn in die Topographie, Geschichte und den Industriebetrieb des Landes einzuführen. Ich dankte Perthes für die vielen Freundschaftsbeweise, so gut ich konnte, indem ich nach seinem Tode den zweiten Band seiner »Politischen Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft« druckfertig machte; eine wahre Geduldsprobe, da Perthes, durch seinen Papiergeiz berühmt, sein Manuskript auf alten eingerissenen Briefumschlägen zu schreiben pflegte und häufig die Bezifferung derselben vergaß. Auch Bethmann-Hollweg sprach öfters bei dem armen Privatdozenten vor. »Der Minister Raumer«, so erzählte er mir bei seinem letzten Besuche, »durch die allseitigen Verwendungen für Sie gereizt, hat sich nun darauf verbohrt, seine Macht zu zeigen Aber eine Änderung der Regierungspolitik, ein Ministerwechsel kann bei der gespannten innern Lage – der kranke König mußte sich durch seinen Bruder vertreten lassen – nicht mehr lange ausbleiben. Und dann werden auch Sie zu Ihrem Rechte kommen.« So geschah es in der That. Als Bethmann-Hollweg unter der Regentschaft das Ministerium des Unterrichts übernahm, war eine seiner ersten Thaten meine Beförderung zum Professor, vorläufig freilich ohne Gehalt.[251]

Quelle:
Springer, Anton: Aus meinem Leben. Berlin 1892, S. 225-252.
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