Arbeit am Vasenwerk und am Homer

[350] Nachdem Hamilton seine Vasensammlung an das Britische Museum verkauft hatte, war er entschlossen, nichts der Art wieder zu sammeln. So sagte er mir bei Vorzeigung einer Vase, die, wenn ich nicht irre, zu Orvieto gefunden war und ihn zum Ankauf gereizt hatte wegen der geistreichen Abbildung einer Frau, die, zwischen zwei Körben sitzend, einen Faden von einem zum anderen zieht. Vor ihr steht ein dienendes Mädchen, welches ihrer Gebieterin etwas überreicht. Um die Hände frei zu behalten, hebt die Dienerin das Gewand bei einem Zipfel mit dem Munde in die Höhe. Hinter ihr steht noch eine weibliche Figur mit einem Spiegel. Hamilton hielt die sitzende Frau für eine Penelope, deren Charakter unausgesetzte Beschäftigung ist.

Er sagte mir auch, Münzen hätte er ganze Tonnen voll an das Britische Museum geschickt, ohne sie anzusehen, denn er hätte gefürchtet, in die Krankheit zu fallen, welcher die Liebhaber und Ausleger von Medaillen selten entgehen. Gewöhnlich wird dies Studium bei ihnen zu einer wahren Seuche. Unablässig sitzen sie darüber und grübeln und sterben jedem anderen Genusse ab. So ging es jenem Deutschen, welchen der König bei der Wegebesserung in Kalabrien angestellt hatte. Man rühmte von diesem rechtschaffenen Manne, daß durch seine Aufsicht dem König die Hälfte der Kosten erspart sei, welche ein anderer vielleicht verschwendet oder für sich beiseite gebracht haben würde.[351]

Seine Arbeiter fanden beim Graben der Wege unzählige Münzen von verschiedenem Metall. Diese verkauften sie ihm für geringe Preise; er brachte ganze Fässer voll zusammen, setzte seine Besoldung dabei zu, und als der redliche Mann starb, war diese Sammlung sein ganzer Nachlaß.

Aber ähnlich wie dem Teres, welcher seine Zeichnungen für eine ansehnliche Summe an einen Bankier verkauft hatte, jedoch schon nachmittags wieder an dessen Tür klopfte, das Geld zurückbrachte und bat, man möchte ihm seine Zeichnungen herausgeben oder er sterbe, ging es dem Hamilton. Er kam eines Tages voll Freude zu mir und sagte, er hätte nicht widerstehen können und aufs neue angefangen, Vasen zu kaufen. Die Leute, welche nach solchen Gefäßen gruben, mußten auf eine Stelle gekommen sein, wo sich ganze Massen beisammenfanden. Nach Beschreibung dieser Verkäufer war der Ort ein großes Gewölbe gewesen. Zwei der ansehnlichsten Vasen hatten nebeneinander gestanden, sie enthielten die Geschichte des Bellerophon. Auf der einen gibt der König Jobates dem Bellerophon auf, die Chimära zu erlegen, und Minerva, danebenstehend, leiht ihm zu dieser Unternehmung den Pegasus. Auf der anderen sieht man, wie Jobates für die glückliche Ausführung dem Helden seine Tochter zur Gemahlin gibt. Wären beide Vasen getrennt gewesen, so hätte man die erstere immer erkannt, schwerlich aber die zweite, über welche man jedoch nun keinen Augenblick ungewiß blieb.

Man findet zuweilen sehr große Gräber, in welchen sogar die Wände bemalt sind. Auf Capo di Monte sind einige derselben. Unter anderem war dort ein Reiter abgebildet, der einen Gefangenen am Schweif seines Pferdes festgebunden hat. Vor ihm steht eine weibliche Figur, von welcher aber nichts mehr zu sehen ist als ein Stück Arm und Hand, das übrige ist abgebrochen. Niemals zeichne ich eine Hand, ohne an diese zu denken, so wunderbar schön waren in ihr die Abteilungen der Gelenke.[352]

Zu S. Agata dei Goti, wo viele Vasen gefunden werden, weil dort wahrscheinlich ein Begräbnisort gewesen, fand der Prinz Monte Sarchio einen Fußboden von gebrannter Erde mit Figuren, zusammengesetzt wie gemalte Fensterscheiben und die Figuren ausgeschnitten, so daß die Ausbiegungen genau an die Nebenstücke paßten. Unter mehreren erinnere ich mich eines Reiters, der sehr gut erhalten war. Ebendaselbst ward eine vorzüglich schöne Vase gefunden, worauf Ceres abgebildet war, wie sie ihre Tochter findet. Die Göttin steht in majestätischer Stellung da, in der Hand das lange Zepter, und Merkur führt aus der Unterwelt die Proserpina herauf, daß sie ihre Mutter schaue. Sie kommt aus einer Höhle der Erde und ist nur halb zu sehen. Es würde schwer, ja unmöglich sein, den Ausdruck der Freude zu beschreiben, als sie ihre Mutter erblickt, ein Glück, welches ihr nur auf wenige Momente gestattet ist. Sie hebt die Hände empor, auf ihrem Munde schwebt das Lächeln der Wonne und Wehmut, welche ihre Seele erfüllen. Wie treffliche Zeichner und Kupferstecher ich mir auch zu diesem Fache angezogen hatte, so würden sie doch vergebens gestrebt haben, den Ausdruck des innigsten Gefühls auf diesem Gesichte zu erreichen. In diesem vollendeten Meisterwerk griechischer Zeichnung mußte man die Kunst bewundern, welche mit so wenigen Strichen das schöne Bild tiefempfundenen Entzückens deutlich vor Augen brachte. Noch war eine Vase dort mit Faunen, die auf den Schultern einen Toten auf einer Bahre zu Grabe trugen.

In Sizilien wühlte ein vom Regen angeschwollener Bergstrom aus der Erde eine Vase, die auf dem Flusse wegtreibend aufgefischt wurde. Was fand man auf ihr? Den Apollo Musagetes mit der Lyra, Paris neben ihm sitzend, und zur anderen Seite Mars und Minerva, welche sich an seinem Gesange vom Trojanischen Kriege erfreuen. Solch ein Gott wollte sich im Strome wohl oben halten, selbst auf einer steinernen Vase![353]

Unter die schätzbarsten Kunstwerke, die uns die Erde aufbewahrt hat, gehört unstreitig eine Vase von gebranntem Ton, welche mein Freund, der Marchese Vivenzio, Präsident des Tribunals zu Neapel, besaß. Das Bild dieser Vase stellt ein gräßliches Schauspiel des Krieges dar, die Vernichtung der königlichen Familie des Priamus. Priamus ist zu dem Altare geflüchtet, den er selbst den Göttern des Vaterlandes mit eigenen Händen erbaut hat, und sieht den Greuel, seine Kinder von den Griechen ermordet; er selbst sitzt auf dem Altare, mit den Füßen nicht mehr den vaterländischen Boden berührend, sie schweben zwischen Altar und Erde. Neben ihm auf dem Boden liegt sein älterer erschlagener Sohn, auf seinem Schoße hält er den Leichnam seines jüngsten, auch wohl seines Lieblingssohnes. Des Knaben schöner Körper ist ganz durchstochen. Neoptolemos, Achilles' Sohn, grausamer als sein Vater, schreitet ohne Erbarmen mit dem unglücklichen Alten, der seine Kinder vernichten sieht, heran, faßt den König und haut ihm in das geheiligte Königshaupt. Der Alte hält mit einer Hand die bluttriefende Wunde, mit der andern die Augen zu, den Greuel nicht anzuschauen. Eine Tochter kommt herzugeeilt und schlägt nach einem umgestoßenen Griechen mit einem Balken, während er mit dem Schwerte nach ihr stößt. Hekuba, die Königin, liegt auf den Knien, Ulysses und Diomedes reichen ihr die Hand, sie aufzurichten; eine jüngere Tochter sitzt gekauert auf der Schwelle des Tempels. An Priamus' Seite wird Kassandra vom Ajax bei den Haaren von der Statue der Göttin, bei der sie Schutz sucht und die zürnend mit aufgehobener Lanze dasteht, gerissen; hingestreckt liegt ihr Bräutigam am Boden; die Priesterin rauft ihre Haare. Am Ende trägt Äneas seinen alten lahmen Vater und eilt mit ihm und seinem Sohne weg.

Vivenzio ließ dieses Bild nachher in Kupfer stechen. Es erinnerte mich an ein Gemälde von Rubens in Florenz, das die Abscheulichkeit des Krieges darstellt, und an ein Bild[354] von Pietro da Cortona sowie an ein marmornes Basrelief, wo Neoptolemos den König Priamus am Altar mordet, zu dem er flüchtet.

Der Tag, an dem ich die Vase sah, wo der unglückliche Priamus mit seiner Familie gemordet ist, war einer meiner traurigsten. Mein Freund Vivenzio kam fast täglich zu mir und erzählte mir von seinem glücklichen Funde und nannte sie das Haupt aller Vasen und beschrieb mir das Ausgraben ganz ausführlich, dann auch die Geschichte aus dem Virgil und lud mich nach Nola ein, um sie zu sehen. Ich konnte damals nicht wegen Beschäftigung. Eines Tages speiste ich zu Mittag bei dem kaiserlichen Gesandten, Grafen Esterhazy, der den Abend ein großes Fest geben wollte. Als wir eben am Tische waren, kam die Nachricht, die Königin von Frankreich sei getötet. »Ach, die edle Kaisertochter ist unter dem Beile gefallen!« schrie einer.

Es entstand ein Lärm im Hause, ein Hinundherlaufen; alle Bedienten, die so anhänglich waren an die kaiserliche Familie, alle kamen in Wut. Viele waren schon zum Abendfest gekleidet, die Köche hatten alles bereitet. Aber am allerwütendsten war der Konditor. Der kam gelaufen mit dem großen Messer, womit das Eis zerhackt wird, und lief auf die Straße und schrie: »Den ersten Franzosen, den ich finde, will ich ermorden, er sei schuldig oder nicht! Nun kann ich meine Fässer voll Sorbet auf die Straße werfen! Ich dachte meinem Herrn und mir Ehre zu machen!« Er war fast rasend, man mußte ihn halten.

Die Begebenheiten von Frankreich wirkten sehr nachteilig auf mein Gemüt, indem die Folgen einer solchen Tat nicht zu übersehen waren. Auch in Neapel fielen schreckliche Begebenheiten vor, und ich war ganz verstimmt. Vivenzio wollte mich erheitern und verlangte, mit ihm aufs Land nach Nola zu fahren, wo in seinem väterlichen Hause seine schöne Vasensammlung aufgestellt war, denn er wußte, daß ich mich darüber freuen würde. Und als wir über den[355] Platz fuhren, auf dem ich seit der Zeit nicht gewesen war, wo viele Menschen das Leben verloren hatten, und ich noch die Flecken sah an den Wänden, wo die Kugeln angeschlagen waren, da wurde mir ganz wehmütig, indem es mir wieder in Erinnerung kam, was hier geschehen war. Nun kamen wir aus der Stadt ins Freie: Wir fuhren durch das Traubengefilde, wo in Girlanden von einem Baume zum anderen die Trauben hangen, die ganze Gegend scheint ein Traubenwald. Und als wir vor Nola ankamen, führte er mich erst in die Grube, wo die Vase gefunden wurde, und machte mir die Beschreibung ganz umständlich. Dann kamen wir zu seinem Hause, wo vom Hofe eine Treppe hinaufführte. Hier stand auf der Balustrade die große Vase von grober Erde, worin die eigentliche Vase aufbewahrt gewesen war, um sie vor Beschädigung zu schützen. Nun traten wir in das Zimmer, wo die Sammlung von Vasen aufgestellt war. Nachdem ich einen Überblick getan hatte und mich dessen freute (ich kannte jede einzelne, denn ich war oft bei ihm), führte er mich zu seiner Lieblingsvase. Die hatte er auf einem Fußgestelle, das so eingerichtet war, daß man es drehen konnte, um sie von allen Seiten zu sehen. Sie war mit einem grünseidenen Vorhange überdeckt, und als er den abnahm, stand gerade vor mir Priamus auf dem Altare sitzend, den er selbst mit seinen Händen den schützenden Göttern des Landes gebaut hatte, mit dem getöteten Lieblingssohne auf dem Schoße!

Der russische Gesandte, Fürst Italinski, hatte große Freude über jede Vase, welche man bisher noch nicht kannte. »Nach den bekannten«, sagte er, »fragen wir nicht mehr, aber die neuen Erscheinungen helfen weiter und erklären manche andere.« Nun kam Hamilton fast täglich höchst erfreut mit der Nachricht, er hätte wieder Vasen gekauft, ich sollte doch hinkommen, sie mit ihm zu betrachten. Einst sah ich ihn, er war eben vom Hofe gekommen, in voller Gala mit dem großen Ordensband und Stern einen Korb[356] voll Vasen tragen. Ein zerlumpter Lazzarone faßte das eine Öhr des Korbes und der englische Minister das andere. Er war ein gar großer Verehrer der griechischen Kunst. Die reichliche Bezahlung munterte viele Leute zum Suchen auf. Die rechten Fundorte sind in den ehemals von Griechen bewohnten Städten diejenigen Plätze, wo sie ihre Totenäcker hatten. Aus Puglien ward ihm einst durch einen Priester eine ganze Sammlung gebracht.

So kam in kurzer Zeit eine Menge zusammen, und Hamilton äußerte gegen mich den Wunsch, einige in Kupfer gestochen zu sehen, bekannte Vorstellungen, wozu dann eine kurze Beschreibung gegeben würde. Er wollte die Kosten vorschießen und sich aus dem Absatze des Werkes wieder bezahlt machen. Dieser Vorschlag war mir sehr angenehm. Die Vasen wurden auf solche Weise bekannt, und ich konnte manchem meiner Schüler, worunter es genug Bedürftige gab, einen Verdienst zuwenden. Die besten aus ihnen wurden dazu genommen. Ich ließ sie die Figuren auf klares Papier genau durchzeichnen und dann auf anderes Papier die Vase für sich. So bekam ich viele Zeichnungen zusammen. Weil aber gerade um diese Zeit die Franzosen in der Eroberung Italiens immer weiter fortschritten, so mußte ich befürchten, die Zeichnungen auf Papier gar leicht verlieren zu können. Deshalb hielt ich es für besser, sie sogleich auf Kupfer stechen zu lassen, welches nicht so leicht zu vernichten war. Ich hatte mir einen geschickten Kupferstecher herangezogen, der stach die vor ihm stehenden Vasen unmittelbar auf die Platte. Indem solches gut fortschritt, sah ich selbst erst recht ein, welches Verdienst um Kunst und Wissenschaft hier zu erwerben sei. Auf den Vasenbildern nämlich findet man vieles, was man durch die Statuen niemals kennenlernen würde, weil es an diesen, wie ebenfalls an den Basreliefs, abgebrochen ist. Dahin gehören alle hervorstehenden Teile. Ich erinnere zum Beispiel nur an das Zepter, von dessen eigentlicher Gestalt wir nichts[357] wissen könnten, da keins an irgendeiner Statue erhalten ist. Auch sind die Bilder selbst ganz anderer Art. Was der Bildhauer nackend machen muß, weil eben das Nackte der Gegenstand der Skulptur ist, das kann der Maler bekleiden. Daher gewinnen wir durch die Vasenzeichnung wieder die Kenntnis der Gewänder, des Geschmeides, des Hausgerätes und anderer Dinge aus dem Leben der Alten, so auch viele bei ihnen entsprungene und nur ihrer beglückten Zeit mögliche Vorstellungen, poetische Gedanken, Handlungen, Sitten, Zeremonien, Spiele usw. Davon würde ohne die Vasen wenig oder gar nichts auf uns gekommen sein, denn die Basreliefs sind mehr der Zerstörung unterworfen gewesen, und die geschnittenen Steine mit ihren größtenteils nur einzelnen Figuren und engeren Begrenzungen sagen uns bei weitem nicht soviel und nicht alles so deutlich wie die Vasenzeichnungen. Da sieht man, wie geistreich scharfsinnig und einfach die Alten in allem, was sie darstellten, zu Werke gingen und wie vollkommen die Idee eines schönen Lebens in ihren Bildern ausgeprägt war. Den Geist zu denken, aus welchem diese Schöpfungen entsprangen, muß man dem Geiste überlassen.

Bei den Alten gab es viele Fabriken, wo Vasen gemacht wurden. In den kleinen Städten waren sie an Ton sowohl als an Zeichnung nur geringer Art. Bei den großen reichen Städten jener Zeit findet man die schönsten, besonders in der Gegend von Nola und Locri. Die von Nola sind ganz, die von Locri aber meist zerbrochen, weil Erdbeben dort gewütet haben. Es läßt sich denken, wie viele Vasen aus so großen Orten täglich mit Toten in die Erde kamen. In Apulien, sagt man, sollen die Wege damit bedeckt sein, so daß man auf lauter Scherben von Vasen gehe.

Diese Vasenfabriken der Alten erinnern mich an neuere Fabriken ähnlicher Art, wozu Raffaels Bilder Veranlassung gegeben haben. In Faenza, wo sich guter Ton findet, war eine sehr große Fabrik von Fayence, worauf Bilder[358] und Zeichnungen nach Raffael dargestellt wurden. Daraus ist das schöne Geschichtchen entstanden, Raffael hätte eine Töpferstochter zur Geliebten gehabt, ihr zur Liebe den alten Töpfer öfter besucht und diese Sachen dort auf Teller und Töpfe gemalt. Es können nur schwache Köpfe sein, welche an diese Töpfe glauben. Raffael hatte größere Sachen vor, als Teller zu malen! Die Italiener aber schwören, er habe sie gemalt. Sie wissen wohl warum. Viele Fürsten des Auslandes haben sich durch das Tellermärchen betrügen lassen und mit bedeutenden Kosten große Sammlungen angelegt. In Wien, Kassel und Braunschweig gibt es Kabinette voll solcher Arbeiten. Auch in Italien fehlt es nicht an Liebhabern, welche sich von dem Glauben, raffaelische Teller zu besitzen, nicht heilen lassen. Die schönste Sammlung dieser Art sah ich in Rom. Der Besitzer hatte mit schwerem Gelde große Schüsseln erkauft, auf welchen Geschichten mit vielen Figuren gemalt waren.

Die Vasen, welche in Florenz soviel Aufsehen erregt haben, sind in Neapel gekauft worden. Passeri, welcher das nicht wußte, hielt und erklärte sie für etrurische Vasen; sie sind aber nichts weniger als das, sondern rein griechischen Ursprungs. Gegen den Landstrich des alten Etruriens hin verlieren sich alle Spuren jener Vasenfabriken, und was dort gefunden wird, sind nur kleine schwarze unbedeutende Töpfe. In Wien aber wurde bei dem Baue eines Hauses im Fundamente ein sogenannt etrurisches Grab mit Vasen gefunden, deren Zeichnungen nach Neapel kamen, wo ich sie gesehen habe.

Wie nun unter den mir zur Ansicht überlieferten Gefäßen sich gar viele mit homerischen Szenen fanden, so brachten diese mich auf den Gedanken, sie von den anderen abzusondern und mit ihnen jene homerischen Bilder zusammenzustellen, welche auf geschnittenen Steinen und Basreliefs vorkommen. So, dachte ich, könnte man einen vollständigen Homer in Bildern zustande bringen, der auch antik wäre,[359] so daß jeder, wer den Homer studieren wollte, sich schon aus den nach ihm gearbeiteten Bildern Rats erholen könnte. Hamilton lachte, als ich ihm diesen Gedanken mitteilte, und sagte, das würde ich nicht erreichen. Ich ward aber keineswegs abgeschreckt, sondern fing eifrig an und ließ alles zeichnen, was mir Homerisches vorkam, so Statuen als Basreliefs. Auch sah ich bald, daß allerdings die Ausführung meiner Idee sehr tunlich sei. Dabei fehlte es nicht an äußerer Aufmunterung. Von allen Seiten wurden mir homerische Darstellungen zugeschickt; nicht bloß aus Italien, sondern auch aus Frankreich, ja aus Polen und Konstantinopel.

So entstand das Werk, welches den Titel führte: »Recueil de gravures d'après des vases antiques la plus part d'un ouvrage grec, trouvés dans des tombeaux dans le royaume des deux Siciles, mais principalement dans les environs de Naples l'année 1789 & 1790 tirés du cabinet de Monsieur le Chevalier Hamilton, envoyé extraordinaire et plénipotentiaire de S.M. Britannique à Naples avec des observations sur chacun des vases par l'auteur de cette collection. Tom. I. II. III.; publié par Guillaume Tischbein, Directeur de l'académie Royale de peinture à Naples 1791–1795.«

Dieses Werk war als Frucht unserer gemeinschaftlichen Bemühungen aus den Vasen entstanden, welche Hamilton allmählich angekauft hatte. Zu meinen Zeichnungen arbeitete er mit Italinski die Erklärung aus. Die Schönheit der Figuren, die Lebendigkeit des Ausdrucks, der Reichtum dichterischer Phantasie, womit die Alten alle diese Szenen ausgestattet, belebten nun auch meinen Eifer für die Vollendung eines Unternehmens, welches ich dem Vater Homer und seiner höchsten Verehrung bei meinen Zeitgenossen und nachwachsenden Geschlechtern schuldig zu sein glaubte. Meinen Freunden und mir war besonders daran gelegen, die edle griechische Einfalt der Darstellung wieder zu erwecken,[360] denn eben sie ist das große und vorzüglichste Verdienst der Vasen, auf denen sie in einem höheren Grade als sonst gefunden wird. Manche Bilder aus Herkulaneum freilich dürfen mit ihnen wetteifern, auch unter ihnen sind Meisterstücke, nur eine Figur vorstellend und doch das Höchste leistend, was geistige Erfindung und vollendete Zeichnung erschaffen kann.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 350-361.
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