Die Eroberung Neapels durch die Franzosen

[361] Meine Unternehmung des homerischen Werkes wäre gewiß damals vollständig ausgeführt worden, wenn die äußeren Umstände sie begünstigt hätten. Aber sie fiel gerade in die unruhige Zeit, wo die Franzosen unaufhaltsam durch Italien zogen, auf Neapel vordrangen und die Stadt einnahmen. Da war denn freilich an Dinge, welche den Schutz und die Pflege des Friedens begehren, unmöglich zu denken. Wir erlebten wilde Tage und gingen wie im Sturme auf Wellen, wo jeder Augenblick Tod bringt.

Die Franzosen standen in Aversa. Ihre Ankunft wurde mit jedem Tage gefürchtet und ebensosehr gehofft, denn Neapel wimmelte von Jakobinern. Schon seit dem Anfange der Französischen Revolution hatte es auch hier in diesen leicht zu erregenden Köpfen gespukt. Die Unzufriedenheit mit der Regierung war groß, man sehnte sich nach Veränderung, und der größte Teil der jungen Edelleute aus den ersten Familien erklärte sich entschieden für die Franzosen, von denen die Freiheitsfreunde alles Heil erwarteten. Die meisten Künstler teilten diese Stimmung, und unter meinen Schülern war kaum ein einziger, der es nicht mit den Franzosen gehalten hätte. Erbärmlicheres als die Anstalten gegen die Republikaner war nicht zu denken. Die Straßenweiber würden die Armee besser geführt haben; und hätte man die Lazzaroni zu leiten gewußt und ihre Hilfe recht gebrauchen wollen, so wäre vieles anders gekommen. Aber hier war Verrat an allen Ecken, und so drangen die Feinde[362] immer näher heran. Dem Prinzen von Hessen-Philippsthal, welcher die Kavallerie geführt und sich brav wie immer bewiesen, aber wegen schlechter Unterstützung nichts ausgerichtet hatte, küßten die Lazzaroni bei seiner Rückkehr die Stiefel und baten ihn, sie anzuführen. »Das geht nicht, Kinder«, antwortete er dem Haufen, welcher sein Pferd umdrängte, »ich würde euch nur unglücklich machen, denn um euch zu ordnen und zu führen, müßte ich doch wenigstens Offiziere und Unteroffiziere haben. Hier aber fehlt es an allem.«

Zwei Prinzessinnen, wovon die eine den Kaiser von Österreich und die andere den Großherzog von Toskana heiratete und welche Neapel verlassen wollten, wurden von den Lazzaroni daran verhindert. »Sie sind unsere Landeskinder«, hieß es, »und wir wollen sie auch behalten und ernähren.« Der Lärm wurde so groß, daß die Königin und die beiden Prinzessinnen ohnmächtig wurden und der Hofmarschall Belmonte und diejenigen, welche die königliche Familie beschützen sollten, selbst auf einer entgegengesetzten Treppe flüchten mußten. Wie groß war der Unterschied zwischen damals, als die Königin sich vermählte, und jetzt. Die Kapelle, worin sie getraut wurde, war zerstört und ihrer Schätze beraubt worden!

Ich hatte einen Schüler, der Bildhauer war. Sehr für die Franzosen eingenommen, weil sie nach seiner Meinung aus ganz Italien eine Republik bilden wollten, machte er sich auf den Weg nach Aversa, um sie einzuladen. Vor der Stadt bei Capo di Chino wurde er von den Lazzaroni angehalten. Als sie aber seine Kalesche durchsuchten, fanden sie in derselben ein Breviario. »Nein«, sagten sie nun, »wir sehen, daß Ihr un buon figliuolo und kein Verräter seid!« So hatte er an seinem Gebetbuche den besten Paß und gelangte glücklich wieder herein. In der Nacht kam er zu meinem Schüler, dem Luigi Hummel, welcher alle Menschen zu Bekannten und Freunden hatte. Obgleich dieser sich um nichts[363] bekümmerte, was nur von weitem einer politischen Idee ähnlich sah, und einen tiefen Abscheu gegen Aufruhr, Tumult und Kriegsbewegung hegte, so erfuhr er doch immer, was vorging, denn alle Leute, von welcher Farbe und Meinung sie auch sein mochten, waren ihm gewogen und liebten seinen Umgang. Ihm erzählte nun in meinem Beisein der Bildhauer mit Enthusiasmus, was die Franzosen für herrliche Menschen wären, wie sie ihn so höflich aufgenommen hätten und welches Glück diese Leute über Italien, besonders über Neapel, bringen wollten. »Stellt Euch nur vor«, sagte er, »da habe ich einen Soldaten gesehen, der trägt auf seinem Tornister ein Nest voll junger Tauben. Damit marschiert er, geht in die Schlacht, nimmt die Städte ein, und dazwischen füttert er die jungen Tauben. Solche menschenfreundliche Gemüter gibt es unter diesen Helden der Republik!« Er rühmte noch viel, daß die Franzosen gar nichts wollten als Freiheit bringen und daß man alles tun müsse, um ihnen hierin zu helfen. Aber sie kamen nicht so geschwind. Unterdessen ward es bekannt, daß er bei den Feinden gewesen war; die Lazzaroni wollten ihn umbringen, und er mußte sich verstecken. Das tat er denn auch in dem weitläufigen Gebäude der Studien so geschickt, daß es nicht möglich gewesen wäre, ihn zu finden. Als die Franzosen endlich kamen, kroch er freudig aus dem Verstecke heraus und lief mit offenen Armen seinen Befreiern entgegen. Diese hielten aber ihrem enthusiastischen Verehrer die Flinten auf die Brust und nahmen ihm seine Uhr ab.

Eines Morgens stand ich mit Hummel auf dem Dach meines Hauses; da sahen wir nicht fern einen gewaltigen Dampf aufsteigen und hörten lebhaft schießen. »Was ist das?« fragte ich. »Ei«, sagte er, »das sind die Franzosen, welche das Kastell eingenommen haben.« Indem wir noch darüber sprachen, zischte es an meiner Stirn vorbei, als ob jemand mit dem Finger mir stark darüberstreifte. Die Kugel fuhr uns über die Köpfe weg und schlug auf der anderen Seite[364] der Straße in die Studien ein. Nun sahen wir, daß es ernst wurde, und fingen an, auf unsere Sicherheit zu denken. Ich war damals mit meinem Schüler gerade an den Plafonds beschäftigt; ich schnitt nun an einer Stelle die Zieraten aus, und in der Öffnung versteckte ich meine griechischen Medaillen und geschnittenen Steine, auf denen homerische Gegenstände waren. Die Öffnung klebte ich wieder zu und bemalte sie wie zuvor. Nachher gereute mich, daß ich die Sachen nicht am anderen Ende der Decke verborgen hatte, welches mehr geschützt war, denn ich fürchtete immer, es könnte eine Kugel von Capo di Monte kommen, wo die Franzosen eine Batterie errichtet hatten, und gerade dieses Ende zerschmettern; wie es später wirklich geschah.

Die Lazzaroni hatten die Zeughäuser erstürmt und sich mit allem bewaffnet, was da war. Nun fingen sie an, die Gewehre zu probieren. Sie pfropften den Lauf voll Patronen, knackten dann mit dem Hahn und ließen den Schuß wie ein lustiges Spielwerk mitten unter den Haufen gehen, wo er ein halb Dutzend niederwarf. Das war alles einerlei. Man hatte ihnen auch Piken machen lassen und sie damit aus der Stadt geschickt, in der Hoffnung, es solle keiner von dem Gesindel, welches man am meisten fürchtete, zurückkommen. Als sie mit ihren gefährlichen Stangen nach einem Orte kamen, wo neapolitanische Kavallerie lag, fingen die Dragoner an, über ihren Aufzug zu lachen. Die Lazzaroni ergrimmten, gingen mit ihren Piken gegen die Reiter, diese saßen auf, wehrten sich, so gut sie konnten, aber die Lazzaroni stachen blind und wild in Roß und Mann hinein, so daß von dem Kavallerieposten fast nichts übrig blieb.

Ich hatte die Lazzaroni hinausmarschieren sehen und sah sie mit Erstaunen so schnell und mit wunderlich vermehrter Armatur zurückkehren. Einer trug neben seiner Pike einen Karabiner, der andere schleppte einen großen Pallasch, der dritte ein Paar Pistolen. So zogen sie gerade hinauf zum Könige. »Seht an«, sagten sie, »was wir für Leute sind.[365] Eure Kavalleristen haben uns ausgelacht, weil wir mit unseren Lanzen das Königreich verteidigen wollten; da bringen wir Euch ihre Waffen. Laßt es uns nur allein ausmachen, wir wollen mit den Feinden schon fertig werden!« Sie hatten auch Kanonen und Pulverwagen aus dem Arsenal geholt und stellten diese auf dem großen Platze l'Area delle Pigne zusammen, wo sie die Franzosen erwarten wollten. Weil es nun kalt war, so nahmen sie von den langen Faschinen, womit die Bäcker in Neapel ihre Öfen heizen, und zündeten mitten zwischen den Pulverkarren ein Feuer an, dessen Lohe über die Häuser hinaufschlug. Wir glaubten alle Augenblicke in die Luft zu fliegen.

Die Franzosen fuhren immer fort, das Kastell zu bestürmen, aber sie konnten mit zwei Angriffen nichts ausrichten, die Besatzung wagte sogar einen Ausfall. Diesen trieben die Franzosen zurück und machten bei der Gelegenheit mehrere Gefangene. Ein Lazzarone, der sich außen hinter einen großen Strebepfeiler der Mauer gedrückt hatte, wurde gegriffen, um erschossen zu werden. »Ho!« lachte der Kerl, »was wollt ihr mit euren Flinten mir anhaben? Ecco qua!« Damit schob er seine Mütze in die Höhe, um ein Bild des heiligen Januarius und der Maria sehen zu lassen, welches er als Schutzmittel an die Stirn geklebt hatte und womit alle Lazzaroni versehen waren. Die Franzosen machten mit ihm und seinem Amulett kurzen Prozeß, und sein Gehirn spritzte, sowie die Schüsse fielen, an die Wand. Diese Geschichte und andere dergleichen erzählte mir mein Friseur, welcher über eine Stunde weit am anderen Ende von Chiaja wohnte und doch alle Morgen noch zu mir kam, weil er mich, wie er sagte, nicht verlassen wollte. Ich, von Haus aus ein Feind aller Gewalttätigkeiten und der königlichen Familie mit Dankbarkeit und Verehrung ergeben, hatte niemals Anstand genommen, gegen diesen Menschen meinen Zorn über die Franzosen und meine Meinung frei heraus zu lassen. Eines Morgens kam er und[366] sagte: »Das Kastell ist genommen; ich will Euch auch nur sagen, ich bin jede Nacht mit dabeigewesen, und wisset: Io sono generale della republica!« Wer erschrak, das war ich. Der Mensch, gegen den ich mich stets so unbedacht geäußert hatte, ein Jakobiner! Das sah schlimm aus. Er merkte, was in mir vorging, und suchte mich zu beruhigen, indem er viel von den großmütigen Gesinnungen der Republikaner sprach. »Aber«, sagte ich, »man hört doch, es sollen so viele Leute bestimmt sein, ermordet zu werden.« – »Das ist wahr«, versetzte er, »und das wird und muß geschehen. Aber seid ruhig, solange ich lebe, soll Euch kein Haar gekrümmt werden; auch steht Ihr auf keiner Liste. Nun aber muß ich fort, die Republik bedarf meiner!« Damit sprang er die Treppe hinunter. Ich sah ihm bedenklich nach, wie er über die Straße lief. Indem kam eine Kugel, die ihm über den Kopf wegpfiff und gegenüber in eine Mauer schlug. Der General der Republik bückte sich und machte, daß er fortkam. Als mir die Standhaftigkeit und der Mut entfallen wollten, wodurch ich mich noch immer gegen die drohende und näher kommende Gefahr vom Umsturze des Reiches aufrechterhalten hatte, suchte ich mich durch den Anakreon zu erheitern, der selig in steter fröhlicher Jugend schwelgt. In dem Studio, wo die griechischen Antiken aufbewahrt wurden, war seine Büste. Ich ließ sie mir heraufbringen, um sein Gesicht genau danach zu malen. Ich las seine Schriften – und die Franzosen kamen näher; dann machte ich Zeichnungen nach ihm – und die Franzosen drangen weiter vor; dann fing ich an, ihn zu malen, wie er als weißgelockter Greis mit einem rotwangigen Mädchen scherzt. Als aber die Haubitzen anfingen zu spielen, hörte ich auf zu malen und ließ die Büste wieder hinunterbringen und an ihren Ort stellen.

Einer von meinen Schülern war auch mit bei dem Sturm auf das Kastell und ganz voran gewesen. Auf seinen Ruf, daß sie verfolgte Royalisten wären, öffneten die dummen[367] Kerle von der Besatzung ein Tor, um die Freunde hereinzulassen. Kaum hatten aber diese einen Fuß drinnen, so ging es an ein Würgen und Totschlagen; die anderen drangen nach, und das Kastell war verloren. Mein Schüler hatte eine rote Weste an, sein Kamerad eine blaue, ein dritter gab sein Hemd her; daraus wurde sogleich eine Nationalfahne zusammengeflickt und unter ihr die Republik beschworen. Von dem Kastell aus beschossen sie nun das sogenannte Wasser-Kastell. Die erste Kugel, welche hinüberflog, traf den Flaggenstock, an welchem die königliche Fahne wehte. Mit der Fahne fiel dem Kommandanten der Mut, und so ergab sich diese Feste gleichfalls.

Nach diesen Vorgängen nun konnte es den Franzosen nicht schwerfallen, die Stadt zu überwältigen. Indessen galt es noch manchen Kampf. Man schlug sich in den Straßen. Die Lazzaroni, welche bisher alle Nächte unter dem Geschrei: »Alarto! Alarto! Il nemico è vicino!« mit Kanonen in der Stadt umhergezogen waren, hatten sich an der einen Seite des großen Platzes l'Area delle Pigne in einer Straße festgesetzt, und an der anderen Seite gerade unter meinen Fenstern, stellten die Franzosen eine Batterie auf. Nun ging das Knallen los. Zwischen den hohen steinernen Häusern machte das einen Lärm, als sollte die Welt untergehen. Man wurde fast taub. Meine Haustür war fest verrammelt, alle Fenster waren dicht zugemacht, und es blieb nichts übrig, als in Geduld das Ende abzuwarten. Man gewöhnt sich wahrlich an alles. Als der grausame Tumult eine Weile gedauert hatte, rief ich meinen Koch und sagte: »Es komme nun, wie es wolle, ich will zum wenigsten nicht hungrig aus dem Leben scheiden. Angerichtet!« Das Essen ward aufgetragen, und wir speisten bei einer Tafelmusik, wie man sie nicht leicht haben wird.

Allmählich regte sich dann auch die Neugierde, zu sehen, was es draußen gäbe. Man suchte hie und da ein Loch zum Hinausgucken, und es war der Mühe wert. Nicht weit von[368] meinem Hause hatte ein Tischler einen Haufen alter Balken liegen aus dem zerstörten Hause des Duca della Torre, welcher nebst seinem Bruder, einem Geistlichen, erschossen, nachher zerhackt und in Tonnen verbrannt wurde. (Unter den Sachen, welche man aus dem Hause des Duca raubte, befanden sich auch einige treffliche Gemälde, unter anderen zwei Dominichinos: eine »Flucht nach Ägypten« und eine »Maria mit dem toten Christus«; ferner von Annibale Carracci »Die Frauen, welche das Grab Christi besuchen.«) Mit jenen Balken machten die Franzosen ihre Kochfeuer an und brieten sich Schweinerippen. Ganze Haufen lagen um das Feuer her. Hatte einer genug gegessen, so stand er auf, legte sein Gewehr an und schoß unter die Lazzaroni. Andere, welche ihre Patronen verschossen hatten, kamen zurück, aßen, ließen sich frische Munition geben, und dann wieder zum Schießen. Meinem Hause gegenüber vor den Studien war eine hohe Treppe. Auf diese schlugen die Kugeln von der anderen Seite her unaufhörlich wie Hagelwetter. Wer dahinter lag, war sicher, denn die Kugeln prallten hoch auf und über die Häuser fort. Unter den Franzosen war mir besonders ein schöner junger Grenadier aufgefallen, der sich durch eine seltene Länge auszeichnete. Man konnte nicht leicht einen stattlicheren Soldaten sehen. Der ging denn auch fleißig zum Schießen. Ich dachte gleich, daß ihn die Scharfschützen in Solimenas Hause, welches dem Tore gegenüberlag, aufs Korn nehmen würden; denn alle, die nur eben den Kopf über die Treppe hinausstreckten, kamen nicht wieder zum Vorschein. Kaum war er hoch genug gestiegen, daß seine Bärenmütze und ein Streif seiner Stirn hervorblickte, so kam seine Kugel; er fiel rücklings der Länge nach mit zurückgeworfenen Armen hinunter und rührte kein Glied mehr.

Eine große Kanone, welche die Lazzaroni im Hafen gefunden hatten, stellten sie unter einem Tore auf, das meinem Hause gegenüberlag. Nachdem ein Schuß daraus[369] geschehen war, fingen die Franzosen an, auf diese Kanone zu schießen, welche nun von ihrer Bedienung verlassen wurde. Ein junger Mensch sprang noch hervor und wollte Hand anlegen, um das Geschütz zu retten, aber sogleich von vielen Kugeln getroffen, stürzte er tot hin, und die übrigen Italiener liefen davon. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein hölzernes Christusbild auf eine jämmerliche Weise zerschossen, die Arme und Beine hingen nur noch an einzelnen Splittern. Den jungen, schönen Menschen, welcher die Kanone retten wollte, hatte ich schon den Tag vorher bemerkt, wie er beschäftigt war, die Zeichen herunterzuwerfen, womit die Feinde diejenigen Häuser kenntlich gemacht hatten, welche sie verbrennen wollten. Bald darauf hörte ich einen Franzosen jämmerlich schreien und sah, daß er von einem Schusse getroffen rückwärts zu Boden fiel. Die Schwere seines mit geraubten Sachen ganz dick gestopften Tornisters hatte seinem Falle diese Richtung gegeben. Seine Kameraden sprangen herbei, hoben ihn auf und wollten ihm helfen, er aber sagte nur noch »Adieu, camarades!« und verschied.

Mitten unter diesem tollen Lärm kam mein Stallknecht zu mir herauf und sagte: »Es sind Franzosen da, die wollen Euch als den padrone della casa erschießen und hernach uns andere alle!« Zwei meiner Schüler wollten für mich hinuntergehen; ich gab es aber nicht zu und sagte, das könnte nichts helfen, die Franzosen hätten mich verlangt, ich müßte also hinunter, es möchte daraus werden, was da wollte. Als ich die Treppe hinunterstieg, dachte ich, daß ich nun wohl nicht mehr nötig haben würde, mich rasieren zu lassen, was mir immer sehr peinlich war. Unten fand ich einen Offizier, der mich sehr beleidigend anredete: »Ihr Italiener seid Verräter! Ins Gesicht schmeichelt ihr uns, wenden wir aber den Rücken, so stoßt ihr uns den Dolch hinein. Achtzehn Offiziere und ein paar hundert Gemeine sind aus den Fenstern Eures Hauses erschossen; aber die große Nation[370] wird auch nicht viel Umstände mit Euch machen!« – »Ihr nennt Euch die große Nation«, versetzte ich, »und wollt einen Menschen erschießen, ohne Euch überzeugt zu haben, ob er wirklich schuldig ist? Was Ihr da von den Italienern sagt, das trifft mich nicht, denn ich bin ein Deutscher.«

Der Offizier wendete sich hierauf zu einem seiner Leute mit dem Befehl, einen deutschen Soldaten herbeizuschaffen. Als dieser kam, ging ich auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter und sagte ganz ruhig: »Freund, bedeutet Eurem Offizier, daß er sich hinsichtlich meiner gewaltig irre; ich bin Lehrer an der Akademie, und das, was Ihr mit dem Könige von Neapel auszufechten habt, geht mich nichts an. Ich wollte mich wohl hüten, auf Eure Soldaten zu schießen.« Ich weiß nicht, wo ich den Mut hernahm, so dreist zu sprechen, die Situation zwischen allen den wilden, bärtigen Kerlen, denen mit ihren Flinten in der Hand die Zeit nach meiner Exekution schon lang zu werden schien, war keineswegs ermunternd.

Als der Offizier sich vom Soldaten meine Antwort hatte übersetzen lassen, sagte er: »Ein Deutscher? Das ist ein anderes.« Er legte seine Hand an den Helm und setzte hinzu: »Dann sind wir gute Freunde. Lassen Sie uns hinaufgehen.« Ich wollte ihm Erfrischungen vorsetzen und fand bei der Gelegenheit, daß nur noch eine einzige Bouteille im Hause war. Auch gebrach es uns beiden an Schnupftabak, wir mußten uns also damit behelfen, die kleinen Reste aus unseren Dosen zu mischen; eine ordentliche Prise konnte man daraus nicht mehr nehmen, und holen konnte man auch keinen, weil jeder fürchten mußte, auf der Straße erschossen zu werden. Ein alter Grenadier, der noch dem vorigen Könige gedient hatte, verschaffte mir zum Glück noch zwei Brote. Man hatte den Bäckern alles Brot genommen. Nachdem der Offizier eine kurze Zeit bei mir gesessen, sagte er: »Hören Sie, wie noch immer geschossen wird, ich muß fort; denn ich darf dabei nicht fehlen.«[371]

Am 23. Januar wurde den Lazzaroni der königliche Palast zum Plündern preisgegeben. Diese Erlaubnis befolgten sie aufs beste. Als ich hinkam, waren nicht allein alle Sachen von Wert weggetragen, sondern auch die nicht fortzubringenden, wie die prächtigen Spiegel, zerschlagen, damit jeder seinen Teil davon bekäme. Ein Bild, welches ich für den Kronprinzen gemalt hatte, »Hektors Abschied«, fand ich nicht wieder.

Des Nachts drang ein Haufen Soldaten in mein Haus, um zu plündern, wilde Kerle mit Fratzengesichtern, worin kein Zug von menschlichem Gefühle mehr zu entdecken war. Auf ihre Hüte, welche ihnen schlapp um die Ohren hingen, hatten sie Lichter gesteckt. Einer trug eine Fackel, ein anderer ein Brecheisen, das er mir vor die Stirn hielt, um mir den Hirnkasten einzuschlagen, wenn ich nicht alles hergäbe, ein dritter setzte mir die Pistole vor die Brust und schwenkte den Säbel über meinem Kopf, als wollte er ihn damit spalten. Ich sah, daß er Patronen in der Hand hatte, die er mir in die Kamisoltasche stecken wollte; ich wich noch zur rechten Zeit aus. Fanden sie die Patronen bei mir, so hatten sie das Recht, mich auf der Stelle totzuschießen. Sie trugen sehr große Tornister. Ein Offizier sagte mir, einige hätten wohl vier-, fünf- und mehrere hundert Dukaten zusammengeplündert. Stürbe ein solcher, so würde das Geld nach Frankreich an seine Familie gesendet. Während ich nun mit diesem Gesindel kapitulierte, kam ein Elsässer, der deutsch sprach und den ich schon vor meinem Hause gesehen hatte, wie er einen Menschen über den Haufen stach; er rühmte sich, schon viele erschossen zu haben. Dieser wies die Marodeure fort. Sie wollten ihm nicht gehorchen, sondern warfen ihm vor, daß er seine Kriegskameraden wegweisen wolle. Er drohte aber mit Schlägen; das half, sie entfernten sich. Er aß mit mir, denn man mußte alles aufbieten, um die nur einigermaßen menschlich Gesinnten beim Guten zu erhalten. Er bediente sich[372] eines Messers, gerade wie die Italiener es zum Totstechen gebrauchen, und wenn er mir in seinem lebhaften Gespräche etwas recht deutlich machen wollte, fuhr er immer mit dem Messer gegen mich ein, was mir eine sehr unangenehme Empfindung verursachte. Nach diesem kam ein kleiner, rotgekleideter Franzose, der aber äußerst höflich war. Ich ließ mich ins Gespräch mit ihm ein und erzählte, daß ich den Maler David recht gut gekannt hätte. »Warum geht Ihr nicht nach Paris?« fragte er, »das ist der rechte Ort für Künstler, da würdet Ihr geschätzt sein und Euch wohl befinden!« Es war ein beliebter, geistreicher Mensch, und ich hätte ihn gern einmal wiedergesehen, aber er durfte seinen Posten nicht verlassen. Einem Leutnant, welcher Brillantschnallen an den Knien und auf den Schultern trug, wahrscheinlich gute Kriegsbeute, zeigte ich mein Bild: »Hektor, wie er dem Paris seine Weichlichkeit vorwirft.« Das gefiel ihm so sehr, daß er ausrief: »Wenn ich nicht Soldat wäre und das Malen gleich so verstände wie Ihr, so möchte ich ein Maler sein!« Mehrere Soldaten hielten mich für einen Konditor, sie sahen die Gipsabdrücke in meinem Zimmer für Zucker an und überzeugten sich erst von ihrem Irrtume, wenn sie daraufgebissen hatten.

Ein Privatsekretär der Königin, welcher viele schöne Antiken besaß, hatte einen Jupiter Ammon mit den Widderhörnern nach dem Studio bringen lassen, wo er restauriert werden sollte. Die Franzosen aber durchschossen die Tür und trafen unglücklicherweise diesen Kopf aufs Auge, die Kugel riß ein bedeutendes Stück weg. Eine schöne Restauration!

Als ich schon glaubte, daß der schlimmste Lärm vorüber und die Stadt eingenommen wäre, sah ich plötzlich meinem Hause gegenüber ein Kloster brennen, Äbtissin und Nonnen wurden gemißhandelt, und eine derselben, die sehr schön war und für deren Auslieferung die Familie viel Geld geboten hatte, wurde vierzehn Tage lang zurückbehalten.[373] Wenn man auf der Straße ging, wurde man oft von Begegnenden plötzlich gefragt, ob man zur Partei des Königs oder der Republik gehöre? Da man nun nicht wußte, mit wem man es zu tun hatte, so war man immer in Angst und Gefahr, von einem Feinde niedergestoßen zu werden. An den Straßenecken waren Galgen errichtet für die Royalisten, und alle Neapolitaner mußten die französische Nationalkokarde tragen, welches die meisten nur mit dem größten Widerwillen taten.

In meinem Hause hatte ich einen Hauptmann aus der so unglücklich berühmt gewordenen Familie Calas. Er war ein kleiner, sehr artiger Mann, welcher versicherte, er bliebe nur bei mir, um mich zu schützen. Er erzählte mir, sein Vater hätte ihn, da er noch ein Knabe gewesen, bei den Kriegsunruhen in der Gegend seiner Vaterstadt auf die Anhöhen geführt und die Wachtfeuer ringsumher gezeigt; dieser Anblick hätte seine Neigung zum Soldatenstande geweckt und für sein ganzes Leben entschieden. Nachdem die Stadt eingenommen und die Ruhe wiederhergestellt war, ließ der General Championnet mich zu sich rufen. Er empfing mich aufs höflichste, und ich mußte mich zu ihm aufs Sofa setzen. Es wäre leicht zu denken, äußerte er, daß solche Unruhen von vielen Menschen benutzt werden möchten, um Statuen oder andere Antiken zu entwenden; da ich nun Deputierter der farnesischen Altertümer wäre, so würde ich ohne Zweifel die Schlüssel zu den Zimmern haben, in denen die Antiken ständen. Er setzte hinzu: »Wir wollen sie nicht haben, wir wollen nur dafür sorgen, daß sie nicht verlorengehen, und dazu verlangen wir Ihre Nachweisung und Hilfe.« Meine Antwort war, die Antiken wären mir alle genau bekannt, sie ständen aber hier und dort zerstreut, und wir kämen nur zusammen, um uns darüber zu besprechen, was sie vorstellten und welcher vorzügliche Kunstwert die einzelnen auszeichnete.

Ich hatte schon gehört, daß ein gewisser Pasqual, welcher[374] vor der Revolution in Versailles Priester gewesen, Championnets rechte Hand wäre. Dieser war zugegen und hörte genau auf unsere Unterredung. Als der General mich sehr freundlich entließ, bat ich ihn, wenn er ein Kunstfreund wäre, zu mir zu kommen, wo ich ihm viel Sehenswürdiges zeigen könnte. Nun trat der Bürger Pasqual hervor, redete mich an, faßte mich unter den Arm und ging mit mir in dem langen Saale auf und nieder. Auch den lud ich ein zu mir, wenn er die Kunst liebte. »O ja!« sagte er und winkte einem Adjutanten, den Wagen vorfahren zu lassen; er wollte sogleich mit mir. Wir drei stiegen ein und fuhren nach meinem Hause, wo ich ihnen die homerischen Kupfer und die Zeichnungen vorlegte, welche noch gestochen werden sollten. Pasqual sprach über das schöne Land, welches so viele Schätze enthielte, und sagte, wie man hier so große Dinge zustande bringen könnte, wenn man sich nur die Mühe geben wollte. Er war mit dem Homer gut bekannt, der Adjutant aber noch besser. Als wir meine Zeichnungen nach Antiken durchgesehen hatten, sagte er: »Kommen Sie mit zur Tafel und wiederholen Sie das alle Tage, wenn es Ihnen bei uns gefällt.« Wir fuhren wieder hin und fanden alle Generale und eine Menge Stabsoffiziere schon an der Tafel. Nach Tische führte Pasqual mich in ein Kabinett, stellte sich an den Kamin, und wir sprachen weiter über den Homer. Auf einmal trat er vor mich hin und sagte: »Sie sollen Generaldirektor über alle Kunstwerke in ganz Italien werden.« Die Franzosen betrachteten damals Italien schon wie ihre Provinz. Ich erschrak und dachte, das ist eine Falle. Sie merken recht gut, daß du von allem Bescheid weißt, und weil du in deiner Unbefangenheit davon zuviel hast merken lassen, so wollen sie durch dich herausbringen, wo überall die besten Sachen stecken, um sie wegzunehmen und nach Paris zu bringen. Meine Verlegenheit war nicht gering, besonders weil ich keiner von denen bin, welche sogleich eine entscheidende Antwort zu geben[375] wissen, sondern mir in der Regel erst den folgenden Tag einfällt, was ich hätte sagen sollen. Hier aber kam mir doch zum Glück ein guter Gedanke. Es lebte in Neapel ein gewisser da Luca, ein starker Grieche, welcher den Homer fleißig studierte, ihn übersetzte und sich so in die homerische Welt vertieft hatte, daß er behauptete, es wäre nichts auf Erden, was nicht schon im Homer vorkäme. Regierungskunst, Politik, Kriegswissenschaft, wie ein Hausvater seiner Familie vorstehen müsse, alles könnte man aus dem Homer lernen, sogar wie man Linsen am besten weich koche. Den nahm ich mir zum Vorbilde. Ich rühmte die Kriegskunst der Franzosen und sagte, man könnte wohl sehen, daß sie aus dem Homer gelernt hätten, und wenn sie so mit Erobern fortführen, würde es bald Friede werden; der Trojanische Krieg hätte auch zehn Jahre lang gedauert. Wonach man immer fragte, meine Antwort wies gleich auf den Homer hin; wovon einer mit mir sprach, ich brachte den Homer ins Spiel, es mochte so toll herauskommen, wie es wollte, immer und immer den Homer, als ob ich nichts anderes wüßte, sähe und träumte. Nachdem ich das eine Weile getrieben hatte, bemerkte ich in der hohen Meinung, welche Herr Pasqual anfangs von mir zu hegen schien, eine große Veränderung. Er fing an mich zu bedauern, und es währte nicht lange, so war er fest überzeugt, daß ich über dem alten griechischen Zeug meinen Verstand verloren hätte. Da ließ er mich in Ruhe, und von dem Generaldirektor über alle Kunstwerke Italiens war nicht weiter die Rede.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 361-376.
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