Reise mit Goethe nach Neapel

[275] Am 22. Februar 1787 reiste ich mit Goethe von Rom nach Neapel. Es wurde mir leicht, ihn auf alles Sehenswürdige aufmerksam zu machen, was sich auf diesem Wege zeigte, den ich schon einmal zurückgelegt hatte, da mir die schönsten Stellen noch lebhaft in der Erinnerung waren. Fast jeder Stein von den alten verfallenen Gräbern in der Nähe und Ferne wurde begierig aufgesucht und ins Auge gefaßt. Zunächst ging es den Hügel hinan, worauf Albano liegt und wo man eine große Fläche des Tibertales übersieht. Diese Hügel gaben Rom die große Mauer und machten es zu dem, was es wurde. Der Weg geht bergauf und -ab. Unser Vetturino machte vor einer Osteria halt, welche an einem abhängigen Wege lag. Wir standen eben an der steilen Wand dieses Hohlweges, um die verschiedenen Erdlagen zu betrachten, als wir plötzlich ein Geräusch dicht hinter uns vernahmen. Indem ich mich unwandte, sah ich einen Wagen mit Ochsen bespannt den schrägen Abhang herunterlaufen. Der Wagen drückte so gewaltig auf die Ochsen, daß sie ihn nicht aufhalten konnten. Dicht zwischen unserer Sedia und uns durch stürmte er herunter, und der Führer lief ganz bestürzt hinterher. Man denke sich meinen Schreck! Ich, der Begleiter und Schützer von Goethe, hatte mir ja vorgesetzt, ihn zu hüten, wie eine Mutter ihren Säugling, dieses Kleinod für die Welt, diesen lieben Freund, und nun wäre er fast in einer Minute gerädert worden und ich mit ihm! Unser Vetturino, der den Wagen herunterstürmen sah,[276] kam herangestürzt, um seine Pferde zu retten, aber ehe er sie zur Seite lenken konnte, jagte der Ochsenwagen schon vorbei. Wäre dieser auf sein Fuhrwerk gestoßen, so wäre alles zertrümmert. Der Vetturino blieb wie versteinert stehen und biß sich auf die Finger, den Ochsenführer mit grimmigem Zorne anschauend, und sagte fluchend: »Per Cristo ed i Santi! Könnten es alle Heiligen im Himmel einem verdenken, einen Mord zu begehen! Was hindert mich, dir eine Coltellata zu geben?« Der erschrockene Ochsenführer konnte sich noch nicht von seinem Unglück erholen, als ihn der erzürnte Vetturino in noch größere Gefahr setzte. Er blieb in so demütiger, gebückter Stellung, wie ein von aller Hilfe Verlassener, da, wo die tollen Ochsen zu rennen aufgehört hatten, stehen, daß er Mitleid erweckte. Der Vetturino fing nun an ruhiger zu werden, biß sich aber noch immer auf die Finger und sagte: »Es ist ein Jammer, wenn einer Lenkseile über Ochsen hat und weiß sie nicht zu führen!« Die Gefahr war indessen so blitzesschnell vorübergegangen, daß Goethe sie kaum bemerkt hatte, was mir lieb war. So glücklich das Unglück auch abgelaufen war, so hatte es mich doch verstimmt, und es überfiel mich ein Schauder, wenn ich daran dachte, daß die Ochsenhörner und der schwere Wagen uns so nahe am Rücken vorbeigerannt waren.

Auch die Pontinischen Sümpfe passierten wir. Von ihnen ist viel Land gewonnen und urbar gemacht worden, aber es ist auch mit Menschenblut gedüngt. Freilich sagt man, daß zu großen Zwecken große Mittel angewandt werden müssen; hier galt es, eine reiche Fruchtkammer für kommende Geschlechter zu schaffen.

In Neapel war unser erster Weg zum Cavaliere Venuti. Ich hatte ihn schon in Rom kennengelernt bei dem Bildhauer Albacini, von dem er Statuen restaurieren ließ für den König von Neapel. Man wollte die farnesischen Kunstsachen nach Neapel schaffen und dort ein Museum errichten.[277] In Neapel erneuerten wir unsere Bekanntschaft, und er erwies mir ungemein viel Höflichkeit und wahrhafte Freundschaft. Er führte uns nach Pompeji; seine Gemahlin und der Kupferstecher Georg Hackert waren auch mit.

Ich freute mich der Insekten, die hier in unzähliger Menge im Grase leben. Bei jedem Tritte fliegen diese Geschöpfchen hervor, die bei ihrer zierlichen Gestalt auch die schönsten Farben haben. Wenn sie die Flügel ausbreiten, schimmert das höchste Purpurrot hervor, andere haben das glänzendste Azurblau, wieder andere sind von Orangefarbe. Die verschiedenen Arten sind nicht zu zählen, eins ist schöner als das andere, und ich mußte mich nur in acht nehmen, indem ich den Fuß niedersetzte, die lieblich schimmernden Wesen nicht totzutreten. Bei jedem Tritte sprühen sie wie Funken aus dem Grase, und der Grund wimmelt davon. Die meisten haben Psycheflügel.

In einem Saale des Museums stehen die alten römischen Kaiser in zwei langen Reihen und wirken wie die Konterfeis im großen Ahnensaale der Geschichte. Auf ihren Gesichtern kann man den Herodian und Tacitus repetieren. Nero, tiefsinnig, ein sich seiner nicht bewußt gewordener Held, die langen aufwärtsstehenden Ohren wie ein Tier zum Lauschen reckend; Tiber, Hohn und Verachtung zwischen die feinen Lippen klemmend, die von zwei Backenwülsten umgeben sind, niedrige Stirn, steife Haare, spitze Nase; Trajan (Napoleon), viel Beweglichkeit in dem melancholischen Gesichte, große Augen; Galba, dicken Hals mit feinem Kinn; Titus (Bourbon), behaglich; Otho, glatte, unbestimmte Majestät; Maximian, schönen Kopf, skeptischer Zug; Heliogabal, Hyänenschönheit; Marcian, gewöhnliches Weibergesicht; Vitellius, Ähnlichkeit mit dem jungen König von Neapel, nur schärfer, älter; Antonin, kolossale Büste, volles Gesicht, freundlich; Domitian, Ähnlichkeit mit Trajan, aber daneben Züge von Grausamkeit; Caracalla, schönes wildes Räubergesicht aus Kalabrien; Commodus, Kopf[278] von einzigem Ausdruck, unbedeutend; Lucius Verus, sehr besorgten Backenbart, Solonsgesicht; Caligula, ungeheuren Hinterkopf, breiten Mund zur spitzen Nase; Augustus, Melancholie, napoleonisch, sehr italienische Nase, hohe Stirn, Mund verachtend; Nerva, gemeines, scharf durch Alter gezeichnetes Gesicht; Vespasian und Hadrian wie Titus, drei recht behagliche Bierwirte; Cäsar, beherrscht sie alle, denkende Stirn, lachenden Mund, glanzvolle bedeutende Majestät.

Viele glauben, daß nur die Holländer Tiere gemalt hätten; aber auch die Griechen haben ihre Kunst auf Darstellung der Tiere angewandt. Es läßt sich auch leicht denken, daß ein so feines Volk, welches sogar ein Denkmal baute für einen Vogel, der einem Kinde gestorben war, die Tiere beobachtete, gern um sich hatte und auch oft in der Kunst nachahmte. Ein Beweis sind die gemalten Tiere aller Art, welche man in Herkulaneum und Pompeji sieht. Die Zeichnung, der Charakter und das Eigentümliche der Bewegung sind vortrefflich. Löwen, Tiger, Adler haben wir viele von ihnen, aber auch kleine Tiere, u.a. eine Amsel, die eben hüpft, um eine Weinbeere zu naschen. Diese momentane Eigenheit der Bewegung setzte mich in Verwunderung und schwebt mir noch vor Augen. Auch von kleineren Vögeln, die oft so traulich in den Hecken sitzen, sind einige in Herkulaneum gemalt, und zwar so eigentümlich, daß man daraus sehen kann, wie sie die Tiere studierten. Besonders war der Adler, der mächtigste der Vögel, ein Liebling der alten Bildhauer und Maler. Man findet noch sehr viele von großer Kunst, u.a. ist uns ein stehender Adler von Marmor aus der guten Zeit der Bildhauerei übriggeblieben, welcher vermutlich neben einer Statue Jupiters stand. Er ist voll majestätischer Kraft, sein Blick drohend und flößt Furcht ein. Besonders die kleinen gemalten Adler in Herkulaneum sind mit vielem Geist und Leben ausgedrückt. Die Griechen waren an den Genuß des Auges gewöhnt. Um ihm Nahrung[279] zu verschaffen, malten sie an die Wände ihrer Wohnung leichte Bilder, welche die Phantasie und das Nachdenken weckten. Um es nicht kostbar zu machen, wurde mit weniger Zeit nur die Andeutung einer Naturkraft dahin gemalt. Das Treiben der Natur z.B. war oft nur durch einen Zweig mit Laub, Blüte und Frucht angedeutet, mit einem Gewande das unergründliche Geheimnis der Natur, das hinter einem Vorhange verborgen liegt, von geflügelten Sphinxen bewacht; ein Adler deutete auf den Jupiter, die hohe Gewalt, Keule und Bogen auf den Herkules, eine Taube mit einem Myrtenzweige auf die Venus, ein Kopf auf das geistige Wirken der Natur.

Als ich in das Herkulaneum, in diese geistige Welt, kam, fühlte ich mich wirklich von dieser Erde weggerückt. Da ist die Phantasie in ihrer Blüte! Welche Ideen, welch ein Auge für das Schöne haben die Menschen gehabt! Alle diese Gebilde der Phantasie nannte man auf eine ungeschickte Art »Arabesken«. Allein, die Verzierungen der Araber sind unbedeutende Schnörkel. Sie haben nichts gemein mit diesen Bildern des heiteren Lebens. Die arabischen Erfindungen sind, als wenn einer schön schreiben will und erst die Feder in allerlei Zügen und schlanken Strichen versucht, ob sie mit Schatten und Licht schreibt. Unter den willkürlichen Schwüngen kommen zierliche Buchstaben in die Schnörkel. Leicht wird es dabei dem Künstler, auch Figuren von guter Stellung und Wendung anzubringen, aber dem Liebhaber wird es schwer, sie herauszufinden. Der schöne Genius des Griechenvolkes aber bildete wie der Schöpfer mit Bestimmtheit und Klarheit. Ordnung, Schönheit, Bedeutung und Leben leiteten seinen Kunstsinn. Die Araber hingegen überladeten ihre Gebäude und Gefäße mit sinnlosen Figuren, von denen sie selbst keine Vorstellung hatten. Man findet diese grillenhafte Kunst einer ungebildeten Hand noch viel in Italien, und sie hat Veranlassung gegeben, die griechischen Bilder, welche voll Bedeutung[280] sind, Arabesken zu nennen. Selbst Raffael und auch neuere Künstler haben ohne Bedenken griechische, gotische und arabische Bilder so vermengt, daß man die echten von den falschen nicht zu unterscheiden vermöchte, wenn nicht die wieder aufgefundenen Städte Herkulaneum und Pompeji eines Besseren belehrt hätten.

Nachdem wir uns lange an der schönen Gegend ergötzt hatten und vom Anschauen der ausgegrabenen Antiken und so vielfacher Gegenstände ermüdet waren, gingen wir nach Torre dell' Annunziata, wo uns in einer Osteria ein Mittagsmahl erwartete. Hier wurde viel gescherzt, aber der rechte Spaß begann erst nach dem Essen. Wir gingen an den Strand des Meeres, welcher gerade hinter dem Hause war. Die meisten streckten sich hier auf den Sand nieder, der sanft wie Sammet ist. Doch war ihre Ruhe nur von kurzer Dauer. Sie sprangen bald wieder auf, und der gute Lacrimae Christi, welcher in die Köpfe gestiegen war, tat seine Wirkung, besonders bei Hackert. Sie fingen an zu schäkern und sich mit Sand zu werfen. Die Marchesina Venuti, welche einen munteren Geist hatte, wollte sich nicht überwinden lassen. Beide Hände griff sie voll Sand und warf damit. Nun wurde der Kampf allgemein; jeder wurde beworfen und jeder griff nach Sand, anfangs nur nach trockenem, dann nach feuchtem und endlich nach ganz nassem, so daß alle ganz übertüncht wurden. Dann fielen sie erschöpft zur Erde, aber kaum ausgeruht, erneuerten sie den Kampf mit noch größerem Eifer. Jetzt wurde nur nach dem nassesten im Wasser gegriffen; der Gegner wollte das Einsammeln dieser anklebenden Munition verhindern und stieß den, welcher sich eben danach bückte. Dadurch kam der ins Wasser, und damit auch der andere naß würde, zog er ihn nach. So begann nun der Kampf im Meere. Sie benetzten sich mit Seewasser und trieben sich in dem nassen Elemente umher, wo dann die Kampflust abgekühlt wurde. Ganz ermattet streckten sie sich auf den Sand an der Sonne;[281] in kurzer Zeit war alles wieder trocken, der Sand fiel ab und ließ nicht den geringsten Fleck nach. Das Ufer ist hier so flach, daß man weit ins Meer hineingehen kann, ehe das Wasser bis an die Waden steigt. Goethe hatte sich vom Kampfe abgesondert und klopfte Stücke von den Felsblöcken, welche hier liegen, um die Brandung zu brechen, und untersuchte die Steinarten. – Von da fuhren wir mit Venuti nach seinem Hause. Alle Abende versammelte sich bei ihm eine Gesellschaft von Liebhabern der Künste und Wissenschaften. Da wurde über vielerlei gesprochen. Er besaß viele Kunstsachen, Antiken von Bronze, etrurische Vasen, und war für einen Dilettanten ein braver Zeichner und Maler. Unter andern hatte er den Homer gemalt, wie er sitzt und singt, um ihn her die Helden des Trojanischen Krieges im Elysium als Schatten, eine Komposition, welche ihm Ehre machte und sein dichterisches Talent zeigte.

Dann suchte ich meinen Freund Kniep auf, der schon geraume Zeit in Neapel lebte; aber niemand konnte mir seine Wohnung angeben. Selbst Hackert wußte sie nicht, und alle, die ich nach ihm fragte, hatten ihn wohl zuweilen gesehen, aber sein Aufenthalt war niemandem bekannt. Ich hatte Goethen schon vieles von ihm erzählt, von seinem ausgezeichneten Talent und der großen Geschicklichkeit im Landschaftzeichnen, welchem Fache er sich ganz gewidmet hatte, so daß auch Goethe begierig geworden war, ihn kennenzulernen. Daß es ihm nicht gut gehe, hatte ich wohl gehört. Leider verkehrte er nur mit Menschen, die unter ihm standen, die ihm stets ehrerbietig zuhörten und ihn für etwas Großes hielten, während er alle floh, von denen er merkte, daß sie sich nicht viel aus ihm machten. Endlich bezeichnete mir ein alter Lohnlakai sein Haus; ich ging hin und fand ihn in der obersten Etage. Als ich an die Tür klopfte, rief eine schwache Stimme »Herein!« Aber ich kannte sie gleich, und als ich aufmachte und er mich sah, sprang er von seiner Zeichnung auf, umarmte mich und[282] sagte: »Ihr kommt mir wie ein Schutzengel!« In seiner Stube herum hingen viele Zeichnungen von den schönsten Gegenden Neapels, die er alle an Ort und Stelle aufgenommen hatte. Die Arbeit, womit er sich eben beschäftigte, war für einen Holländer, dem ich ihn von Rom aus empfohlen hatte. Es fehlte ihm gar nicht an Bestellungen, aber seine Preise waren zu gering, und er arbeitete zu lange an seinen Sachen, weil er alles aufs genaueste ausführen wollte. Dabei konnte er nicht bestehen. Als er hörte, daß auch Goethe in Neapel sei, stieg seine Freude noch höher, und er ging gleich mit mir, um ihn zu sehen. Dem gefiel er, und von nun an war er täglich bei uns. Goethe bestellte bei ihm Zeichnungen von neapolitanischen Gegenden, und ich riet ihm, statt meiner den Kniep mit nach Sizilien zu nehmen, der könnte ihm die schönsten Gegenden auf der Reise zeichnen, und so entstände daraus ein doppelter Vorteil: für Kniep wäre diese Reise ein Glück auf zeitlebens, und Goethe erhielte durch die Zeichnungen ein sichtliches Andenken daran. Dies wurde denn auch beschlossen, Kniep reiste mit.

Eines angenehmen Tages erinnere ich mich, den wir in Bajä zubrachten. Prinz Christian von Waldeck, der zu der Zeit in Neapel war, lud uns ein, mit ihm jene Gegend zu sehen. Nachdem wir den Golf von Bajä durchfahren und die Gegend durchwandert hatten, speisten wir in einer Villa, welche einem Freunde des Prinzen gehörte. Sie lag auf der Höhe der Solfatara und hatte die schönste Aussicht auf den Golf von Pozzuolo.

Der Prinz von Waldeck war mir sehr gewogen, bestellte verschiedene Arbeiten bei mir und bezahlte sie sehr gut. Er kaufte auch eine Sammlung Medaillen, antike Bronzen, Statuen, Porträts in Öl und Miniatur, worunter wertvolle Bilder von Guido, Carracci, Bloemen und anderen waren. Von meinem Freunde Trippel ließ er Goethes Büste in Marmor fertigen.[283]

Beiläufig muß ich doch noch eines mir interessanten Vorfalles gedenken, den ich mit Goethe in der Locanda di Mariconi hatte. Goethe forderte Wasser zum Trinken, und da ich auf alles acht gab, was er zu sich nahm, so bemerkte ich, daß in dem Glase das Wasser trübe sei, warnte ihn und verlangte, daß man ihm anderes hole. Man erwiderte, daß man kein anderes hätte, es sei gutes, gesundes Wasser und aus der Zisterne, woraus sie alle täglich tränken. Wir besahen es genau und fanden es voll lebender Insekten von wunderbaren Gestalten, krebs- und taschenkrebsartige, mit Scheren und ohne Scheren, aalförmige usw., welche mit der lebhaftesten Bewegung durcheinanderschossen. Goethe meinte: »Das Wasser kann gut sein, schmecken doch Austern und Krebse und andere Meererzeugnisse gut; aber das nicht allein, es kann auch heilsam sein.« Er trank es, wir ließen uns die Zisterne zeigen und schöpften mit einem Glase aus dem Grunde die schönsten Gestalten von Geschöpfen hervor und machten dabei unsere Betrachtungen über die produzierende Natur in dieser warmen Gegend.

Als ich von Goethe in Neapel Abschied genommen, der mit Kniep nach Sizilien reiste, kehrte ich im Mai desselben Jahres mit Prinz Christian von Waldeck wieder nach Rom zurück. Da die Postillione, welche von einem solchen Herrn reiche Trinkgelder zu erwarten haben, in der Regel sehr schnell fahren, so ging es denn auch fast immer im Galopp, und mein Blut ward durch das rasche Fahren so erhitzt, daß, als wir in Rom ankamen, ich die Nacht vor Hitze nicht zu bleiben wußte und mich nach frischer Luft verlangte. Kaum graute der Tag, so ging ich ins Freie. Hier sah ich einen Mann gegen mich heranreiten, der mir im blauen Morgennebel größer erschien, als er wirklich war. Er hatte ein braunes Schaffell um und vor sich ein paar Lämmer über dem Pferde liegen, die an der Seite herunterhingen. Diese dunkle Manneserscheinung auf dem schwarzen Pferde[284] machte meine Phantasie rege. Ich überdachte im weiten Umfange, was der Mann sei und wie er erhaben über alle Geschöpfe herrsche. Er macht sie sich untertan, nutzt sie zu seinem Gebrauche, holt sie aus den Forsten, von den Höhen, fängt sie auf den ausgebreiteten Ebenen; keins kann ihm entgehen, er eignet es sich zu. Er schlachtet es, zieht ihm das Fell ab und kleidet sich damit, bereitet sein Fleisch zum Leckerbissen, beladet ein anderes Tier damit, setzt sich selbst darauf und läßt sich hintragen, wo es ihm beliebt zu speisen. – Als mir eben die Zeit lang wurde, blieb ich vor dem Kloster zur Kirche S. Maria del Popolo stehen, wo gerade der Pförtner in der Tür stand. Ich fragte den alten Mann nach einem gewissen Bilde, welches ich bisher vergebens in der Kirche gesucht hatte. Er sagte mir, daß sich dasselbe nicht in der Kirche, sondern im Kloster befinde, und ich wurde in das Zimmer geführt, das man die Forestiera nennt, wo die reisenden Pfaffen einlogiert werden. Hier sah ich das Bild mit großem Vergnügen, aber auch mit großer Rührung, denn ich dachte, ich stehe in dem Zimmer, in welchem einst Doktor Martin Luther wohnte!

Als ich auf dem Rückwege an die Stelle kam, wo mir der Mann zu Pferde begegnet war, fiel es mir ein, daß dies ein Stoff zum Malen sei, nur müsse er veredelt werden, denn Schafe, die am Pferde hängen, sind ein erbärmlicher Gegenstand. Indem ich in meinem Hause die Treppe hinaufstieg, fielen mir von Stufe zu Stufe schönere Geschöpfe ein, welche ich anbringen könnte: der Mensch, das Pferd, der Hund, der Löwe, und als ich auf der höchsten Stufe war, der Adler. Ich ging gleich dabei und machte ein kleines Bild davon. So entstand schon vor vierzig Jahren diese Idee, welche ich erst später ins Große ausführte. Da Kenner die Zusammensetzung lobten und Liebhaber es oft von mir zu haben verlangten, so ist es im kleinen, vor der größeren Ausführung, schon viele Male vorhanden. Ich nannte es »Des Mannes Stärke«. De Rossi, der die Werke der jüngeren[285] Künstler durch eine Zeitschrift der übrigen Welt bekannt machte, schrieb vorteilhaft über dieses Bild, und auch Visconti kam, es zu sehen, und führte mir verschiedene römische Prinzen zu, denen es gefiel.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 275-286.
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