19.

Nicht umsonst ist jener Schlummer

Deines schlauen Augenpaar's;

Nicht umsonst ist jener Schimmer

Deines wirren Lockenhaar's.

Noch floss Milch von deiner Lippe,

Und schon sagte ich wie heut:

»Nicht umsonst ist dieser Zucker

Um dein Salzgefäss gestreut.«

Eine Quelle ew'gen Lebens

Ist dein Mund; doch ist bekannt,

Deines Kinnes Brunnen liege

Nicht umsonst an ihrem Rand.

Freue dich des längsten Lebens!

Weiss ich doch für meinen Theil,

Nicht umsonst sei an den Bogen

Angelegt dein Wimpernpfeil.

Bist in Gram und Leid verfallen

Und in herben Trennungsschmerz:

Nicht umsonst ist deine Klage

Und dein Wehgeschrei, o Herz!

Gestern weht' am Rosenhaine

Seines Dorfes Luft vorbei:

Nicht umsonst reisst du, o Rose,

Dir den Kragen nun entzwei.

Birgt das Herz auch vor den Leuten,

Was die Lieb' es leiden liess,

Nicht umsonst doch ist dies Weinen

Deines Auges, o Hafis!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 99-101.
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