115.

Des Morgens kam das wache Glück

Und nahte meinem Kissen;

Es sprach: »Erhebe dich! es kam

Der König aller Süssen

»Leer' erst ein Gläschen und dann komm,

Berauscht, mit schwanken Schritten,

Auf dass du schauest, wie dein Bild

So hold herangeschritten.«

Gib, du o Mann der Einsamkeit,

Der Wohlgeruch verstreuet,

Vom Moschusrehe aus Chŏtēn

Uns Kunde, die erfreuet!

Es goss die Thräne Wasser hin

Auf der Verbrannten Wangen;

Die Klage kam als Trösterin

Zu Liebender Verlangen.

Gib, Schenke, Wein und sei nicht mehr

Um Feind und Freund in Sorgen:

Denn jener ging und dieser kam,

Somit sind wir geborgen.

Das Vöglein: »Herz« fliegt wieder nach

Der Braue, krumm wie Bogen;

O Taube, hüte dich: es kam

Der Falke angeflogen.

Die Frühlingswolke, die den Trug

Der Zeiten musste schauen,

Kam, Rosen, Sünbül und Jasmin

Mit Thränen zu bethauen.

Der Ost, der aus des Sprossers Mund

Hafisens Lied vernommen,

Kam, um das Königskraut zu schau'n,

Von Ambraduft umschwommen.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 601-603.
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