165.

Am frühen Morgen, wenn der Ost

Des Lebens milden Duft verhaucht,

Die Au das Paradies verhöhnt,

Weil sie in mild're Luft sich taucht;

Wenn Rosenduft, vertausendfacht,

Die Au in dichte Schleier hüllt,

Und Widerschein des Morgenroth's

Den Horizont mit Rosen füllt;

Wenn einer Harfe süsser Klang

So lockend ruft zum Morgenwein,

Dass selbst der Zelle frommer Greis

Die Strasse schlägt zur Schenke ein;

Wenn der Monarch des Firmament's,

Den gold'nen Schild vor dem Gesicht,

Sich mit des Morgens lichtem Schwert

Die Herrschaft einer Welt erficht;

Und wenn es, trotz des Rabens, nun

Dem Königsfalken, goldbeschwingt,

Auf diesem lazurblauen Dach

Sein Strahlennest zu bau'n gelingt,

Dann eile hin zum Wiesenfest,

Denn für die Schaulust ist's Gewinn,

Ergreift die Tulpe den Pocal

Des Ērgăwān und des Nĕsrīn.

Wie lieblich auf dem Wiesengrün

Die Rose ihre Wange zeigt!

Wie glutherfüllt das Morgenlied

Des Sprossers in die Lüfte steigt!

Doch welcher Strahl ist's, dem das Licht

Der Morgenfackel hell entsteigt?

Und welcher Funke ist's, der sich

Am Firmament als Leuchte zeigt?[723]

Bestände in Hafisens Haupt

Der Wahn nicht, ein Monarch zu sein,

Wie nähm' er mit der Zunge Schwert

Das weite Feld der Erde ein?

Sieh, wie der Ost unausgesetzt

– Ein Trunk'ner, der nach Schönen schielt –

Bald mit der Rose Lippen kost,

Bald mit Basilienlocken spielt!

Verschiedenheit in dem Gebild

Und Einheit in dem Stoffe macht,

Dass jede Blüthe dem Verstand

Die Deutungen verhundertfacht.

Ich sinne nach, in wessen Brust

Der segenreiche Athem webt,

Der in der frühen Morgenzeit

Dies dunkle Staubgefäss belebt?

Warum der runde Himmel mich

Mit hundertfachem Gram umstellt,

Und, eines Zirkels Punkte gleich,

Beständig in der Mitte hält?

Erschloss ich Keinem mein Gemüth,

So hab' ich wohl sehr klug gethan:

Denn eifersüchtig ist die Zeit

Und stürmt oft unversehns heran.

Wer sein Geheimniss, Kerzen gleich,

Geschäftig And're wissen lässt,

Den hält der Scheere Zünglein Nachts

Bei seiner eig'nen Zunge fest.

Mein Schenke mit dem Mondgesicht,

Wo weilt er? Liebend reiche er

Mir, den er halb berauscht gemacht,

Den Becher dar, doch voll und schwer;

Auch bring' er Kunde von dem Freund

Und hinterher ein volles Glas,

Er leer' es auf des Freundes Wohl,

Der seiner Liebe nie vergass.

Und stimmt der Sänger dann ein Lied

In unser'm frohen Kreise an,

Sing' er bald Weisen aus Ĭrāk,

Und Weisen bald aus Īsfăhān.[725]

Ein Alexander, der den Mann,

Der sein geweihtes Haus bewohnt,

Durch seinen Thürstaub, Chisern gleich,

Mit ew'ger Lebensdauer lohnt;

Ein Schmuck des Segensangesichts

Wird Scheïch Ĕbū Ĭshāk genannt,

Der Hohe, unter dessen Fuss

Wie Gärten blüht das ganze Land.

Wenn zu der Herrschaft Firmament

Empor er lenkt den stolzen Schritt,

So ist das Haupt der Fērkădān

Die erste Stuf', auf die er tritt.

Er ist das Augenlicht Măhmūd's

Und einem Blitze gleicht sein Schwert,

Aus dem das Feuer auf den Feind,

Versengend, in zehn Zungen fährt.

Zieht er das Schwert, so wogt das Blut

Bis zu des Mondes höchstem Stand,

Und zum Mercur reicht sein Geschoss,

Wenn kräftig er den Bogen spannt.

Es schämt die Braut des Ostens sich

Vor seiner Einsicht Strahlenschein:

Drum schlägt sie auch, wie sich's gebührt,

Den Weg des Unterganges ein.

O hoher, angesehner Fürst!

Wer deinen Diener sich genannt,

Erfasst – so hoch steigt seine Macht –

Die Zwillinge bei'm Gürtelband.

Glückswünsche werden vom Mercur

Zu Tausenden dir überreicht,

Weil dein Gedanke dem Befehl:

»Es werde und es wurde« gleicht;

Und deinem Neider, deinem Feind

Stellt immer sich zur Gegenwehr

Der Lanzenschwinger; darum trägt

Er Früh und Abends seinen Speer.

Der Himmel, der da freudig sieht,

Wie stattlich sich dein Pferd bewegt,

Hat ihm als schlechtes Lagerstroh

Die Jakobsstrasse unterlegt.[727]

Das Missgeschick, das du ertrugst,

Wird noch dereinst dir Glück verleih'n:

Denn Jupiter schlägt diesen Weg

Bei seiner Art zu handeln ein.

Wenn dich die Zeit durch Leiden prüft,

Hat sie dabei die Absicht nur

Tief einzuprägen in dein Herz

Der Mässigkeit und Reinheit Spur:

Nur desshalb wird das heil'ge Buch

Vor allen ander'n hoch geschätzt,

Weil es bereits der Lauf der Zeit

Gar mancher Prüfung ausgesetzt.

Als einen Helden an Verstand

Erkenne man nur jenen Mann,

Der, eh' er eine Bahn betritt,

Bedenkt, ob er drauf wandeln kann.

Der Seele lauterer Geschmack

Bleibt frei vom bittern Gram der Welt

Bei Jedem, der in seinem Mund

Den Zucker deines Dankes hält;

In jedem Stand kann Jener nur

Geniessen seines Lebens Frucht,

Der, eh' er eine Bahn betritt,

Sich selbst erst prüfend untersucht

Und, sieht er keinen Grund zum Krieg,

Das Glas zu fassen sich erlaubt;

Doch, wenn des Handelns Zeit erscheint,

Zum Schwerte greift, das Seelen raubt.

Der Hoffnung auf verborg'ne Huld

Entsage nicht, bei aller Pein:

Das Mark, so lieblich und so weich,

Hat seinen Sitz im harten Bein.

Der Zucker wurde nur so süss

Nach längerer Enthaltsamkeit:

Drum sind auch enge Ritzen nur

Sein Aufenthalt in früh'ster Zeit.

Wo links und rechts des Unglück's Strom

Mit solcher Wildheit sich ergiesst,

Dass selbst der Rettung and'res nicht

Als abzutreten übrig ist,[729]

Liegt nur dem Berge nichts daran,

Der fest auf seinem Grunde ruht,

Wenn noch so hohe Wogen schlägt

Die aufgeregte Meeresfluth.

Geht auch dein Feind jetzt frech einher,

Dir trüb' es nicht den heiter'n Sinn:

Denn diese Frechheit selber fasst

Zuletzt noch an dem Zügel ihn;

Und sprach er mit verweg'nem Mund

Von diesem Königshause schlecht,

So treff' ihn der verdiente Lohn

In Weib und Kind und in Geschlecht!

Lang währe deines Lebens Zeit,

Da sich dein Walten für den Geist

Der Menschen und der Geisterschaar

Als ein Geschenk der Huld erweist.

Der Worte erster König ist

Hafis; drum nimmt er immerdar

Das Feld der Rede in Besitz

Durch seines Wortes Sūlfĕkār.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 721-731.
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