64.

O Entschwund'ner meinem Blicke!

Dich empfehl' ich Gottes Hut;

Du verbranntest meine Seele,

Doch ich bin dir herzlich gut.

Bis den Saum des Leichentuches

Ich nicht ziehe in das Grab,

Zieh' ich nicht von deinem Saume

– Glaub' es mir – die Hände ab.

Zeig' den Altar mir der Brauen,

Dass zur Zeit des Morgenstrahls

Betend ich die Hand erhebe,

Schlingend sie um deinen Hals.

Müsst' ich zu Hărūt auch wandern

Fern nach Babel's Brunnen hin,

Hundert Zauberkünste übt' ich,

Und du müsstest mit mir zieh'n.

Wolle huldvoll mir gestatten,

Dass ich in des Herzens Brand

Rastlos dir zu Füssen streue

Perlen aus des Auges Rand.

Hundert Bäche meines Auges

Leitend in des Schoosses Beet,

Hofft' ich auf der Liebe Samen,

Den in's Herz ich dir gesä't.

Immer wein' ich, und die Thräne,

Hoch zum Strome schon geschwellt,

Sei der Liebe zarter Same,

Dir gesä't in's Herzensfeld.

Hat sie doch, mein Blut vergiessend,

Mich vom Trennungsgram befreit

Deine dolchgespitzte Wimper,

Und d'rum sei ihr Dank geweiht![209]

Dir vor Augen will ich sterben,

Ungetreuer Arzt! allein

Frag' doch, wie's mir Kranken gehe?

Denn in Sehnsucht harr' ich dein.

Liebchen, Wein und Schwelgereien

Ziemen, o Hafis, dir nicht,

Und ich lasse ganz dich sinken,

Thust du nicht darauf Verzicht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 207-211.
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