74.

Schaffe Wein herbei, o Schenke!

Denn der Fastenmond entwich;

Gib das Glas mir, denn die Jahrszeit

Für den guten Ruf verstrich.

Eine theure Zeit enteilte:

Komm, ersetzen wir die Qual

Eines Lebens, das entschwunden

Ohne Flasche und Pocal.

Kann man denn, wie Aloë, immer

Brennen in der Reue Brand?

Bringe Wein! da mir das Leben

Nur in roher Lust entschwand.

Mach' so sinnlos mich und trunken,

Dass ich nimmer schaue klar,

Wer das Bilderfeld betreten,

Wer daraus geschieden war.

Dass die Hefe deines Glases

Mich beglücke, hoffe ich:

Desshalb bet' ich Früh und Abends

Auf der Schenkenbank für dich.

Des erstorb'nen Herzens Seele

Lebte auf, jedoch erst dann,

Als ihr deines Hauches Düfte

Drangen in's Geruchsorgan.

Voll von Hochmuth war der Frömmler,

Unheilvoll war seine Bahn:

Doch der Zecher kam in Demuth

In dem Haus des Heiles an.

Alles bare Geld des Herzens

Gab ich hin und kaufte Wein:

Unecht war's; aus diesem Grunde

Schlug's verbot'ne Wege ein.

Gib Hafisen keine Lehren;

Fand doch nie den wahren Pfad

Ein Verirrter, dessen Gaumen

Süssen Wein verkostet hat.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 239-241.
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