6.

Der Wirthe Hausthor ward gescheuert

Und ward gewaschen rein;

Es sitzt der Greis davor und ladet

So Alt als Jung hinein.

Zu seinem Dienst gegürtet, prangen

Die Trinker aufgestellt;

Er aber, der der Kron' entsagte,

Hat im Gewölk sein Zelt.

Der Gläser Glanz und der Pocale

Bedeckt des Mondes Licht,

Und selbst den Lauf der Sonne hemmet

Der Knaben Angesicht;

Der holde Trotz der süssen Schenken

Und ihre Zänkerei

Zerbricht den Zucker, knickt Jasmine

Und schlägt die Laut' entzwei;

Die Glück'sbraut, trotz der tausend Reize,

Holt dort im Kämmerlein

Die Brauenschminke sich, und reibet

In's Moschushaar sie ein;

Ein holder Engel der Erbarmung

Ergreift der Wonne Glas,

Und giesst auf Huris und auf Peris

Der Hefe Rosennass.

Ich grüsste ihn, da sprach er also

Mit lächelndem Gesicht:

»Der du des Rausches Folgen fühltest,

Betrunk'ner, armer Wicht!

Wer handelt je wie du gehandelt,

Dem Muth und Einsicht fehlt?

Du floh'st des Hauses Schatz, und bautest

In Wüsten dir ein Zelt.[507]

Die Gunst des wahren Glückes – fürcht' ich –

Wird stets verwehrt dir sein,

Denn, von dem eingeschlaff'nen Glücke

Umarmet, schliefst du ein.« –

Der Himmel selber lenkt den Zelter

Des Schah Nŭssrētěddīn:

Komm, sieh, es heben Engelshände

Zart in den Bügel ihn.

Sich selbst zu adeln, hat die Weisheit,

Der Nichts verborgen ist,

Vom Himmelsthore seine Schwelle

Schon hundertmal geküsst. –

Komm nun, Hafis, mit in die Schenke,

Dort zeig' ich ungestört

Dir tausend Reihen frommer Wünsche,

Die Gott gewiss erhört.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 505-509.
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