9.

Mein Herz erschrack und mir, dem Armen,

Ward bis zur Stunde nicht bekannt

Was jenem widerspänst'gen Wilde

So plötzlich in den Weg gerannt?

Besorgt für meinen eig'nen Glauben,

Erbeb' ich, gleich dem Weidenblatt:

Ein Ketzer hält mein Herz gefangen,

Der bogengleiche Brauen hat.

Ich nähre immer den Gedanken,

Ich sei ein Meer; doch weit gefehlt!

Was spukt im Kopfe dieses Tropfens,

Der nur Unmögliches sich wählt?

Ich preise jene kühne Wimper,

Die alles Heil zu Grabe trägt

Und der auf ihres Dolches Spitze

Das Lebenswasser Wellen schlägt

Blut träufelt wohl an tausend Stellen

Den Ärzten von des Ärmels Rand.

Wenn, um mein wundes Herz zu prüfen,

Sie es befühlen mit der Hand.

Nur weinend geh' ich in die Schenke,

Und stets mit tief gesenktem Haupt,

Weil ich mich vor den Thaten schäme,

Die ich zu üben mir erlaubt.

Das Leben Chiser's ist entschwunden

Sammt Alexander's Herrlichkeit:

Drum reize nied're Weltlust nimmer

Dich armen Mann zu eitlem Streit!

Ein Diener bist du, Freund; beklage

Dich über deine Freunde nicht;

Das Jammern über Viel und Wenig

Verletzt der Liebe heil'ge Pflicht.

Hafis! An jenen Gürtel reichet

Nicht eines jeden Bettlers Hand:

Drum greife du nach einem Schatze,

Viel reicher als Kărūn ihn fand.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 107-109.
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