IV

[202] Sehr bald indessen riß ihn die Ankunft des glücklichen Gemahls aus dem ungewissen Grübeln, wer es wohl seyn könne, denn nachdem man den raschen Galop eines Pferdes vernommen, trat – Herr von Linovsky ins Haus.

Aengstlich und athemlos, das bemerkte Alexander durch die offenstehende Thür des Nebenzimmers, eilte er auf Erna zu.

Um Gotteswillen, was ist geschehen? rief er ihr entgegen. Ich erfuhr unterwegs, daß du eilig nach einem Wundarzt geschickt habest – ich will doch nicht hoffen, daß dir oder den Kindern etwas zugestoßen ist?

Ruhig sagte Erna: Weder die Kinder noch ich bedürfen seines Beistandes, aber einen Freund von uns hat nicht weit von unserm Hause ein Unfall betroffen, der zwar, dem Himmel sei Dank, nicht bedeutend ist, aber dessen Behandlung denn doch meine wenigen medicinischen Kenntnisse übersteigt. Herr von Norbeck – sie zeigte, als sie seinen Namen nannte, durch die offene Thür nach dem Ruhebett im angränzenden[202] Zimmer, auf welchem er lag – Herr von Norbeck wurde durch den Umsturz seines Wagens am Kopfe verletzt, und um seinen schmerzlichen Zustand sobald wie möglich gründlich zu lindern, hab ich, so schnell ich nur vermochte, nach ärztlicher Hülfe gesendet.

Alexander sah Linovsky bei Erwähnung seines Namens erblassen, und es war, als träte eine unangenehme Erinnerung finster vor sein Gedächtnis. Auch dauerte es einige Minuten, während er sich mit Erna in leisem Gespräch in eine Fenstervertiefung zurückgezogen hatte, wohin sein Blick ihm nicht folgen konnte, bis er zu seinem Lager trat und ihm, als einen der Höflichkeit nicht gern dargebrachten Zoll, einige halb unverständliche Worte von dem Vergnügen, ihn wieder zu sehen und von der Freude, daß sein Haus gerade das nächste bei dem sich ereigneten Unfall gewesen sei, um ihm als Zufluchtsort dienen zu können, zumurmelte.

Alexander stellte sich kränker als er war, um diese Gemeinplätze nur nicht beantworten zu müssen. In Linovsky's frostigen Mienen, und den feindseligen Blicken, mit denen er ihm gegenüber stand, spiegelte sich ein Theil seiner eigenen Gesinnung, und der herbeigerufene Wundarzt, der eben herein trat, unterbrach sehr willkommen die[203] Spannung dieses nicht wohlthuenden Beisammenseyns.

Erna hatte bereits Charpie und Leinwand zum Verband zurecht gelegt. Nachdem sie den Chirurgus sorglich gefragt, was er noch außerdem bedürfe, um dem Leidenden recht zu nützen, entfernte sie sich, vor dem Anblick der Sonde erschreckend, die er aus seiner Instrumententasche hervorzog. Sie warf, als sie, von Linovsky begleitet, hinweg ging, noch einen Blick so voll innigem Mitleids und rührender Theilnahme auf Alexander, daß dieser wie durch Tropfen eines himmlischen Elixirs seine gesunkenen Kräfte gehoben fühlte, und es ihm ein freudiges Spiel ward, sich nun den schmerzhaften Untersuchungen des Arztes zu unterwerfen.

Der Wechsel so stürmender, die innerste Lebenskraft aufreibender Gemüthsbewegungen machte mehr noch als seine Wunden seinen körperlichen Zustand bedenklich. Ein heftiges Fieber wüthete in seinem Blute, und der Arzt erklärte, daß einige Tage der tiefsten Ruhe durchaus erst dem Versuch vorausgehen müßten, ihn nach einem anderen Aufenthalt zu bringen.

Nicht gern ließ sich Alexander dies gefallen. Die widerwärtige Ueberzeugung, Linovsky unwillkommen zu seyn, die sein abstoßendes Betragen[204] ihm aufgedrungen hatte, beleidigte seinen Stolz, und machte, daß er trotz Erna's wohlthuender Nähe sich hinweg sehnte.

Und selbst diese Nähe, die ihm den Pfeil des Schmerzes nur immer tiefer in die gespaltene Brust drückte, mußte sie ihm nicht, den Eindruck ihrer Liebenswürdigkeit immer unauslöschlicher machend, das Loos der Mücke, die das Licht umflattert, in seinem Schimmer sich wärmen will, und, von der gefährlichen Flamme in Asche verwandelt, dahin sinkt, als Sinnbild seines eigenen Schicksals, im Spiegel der Zukunft zeigen?

Alle seine Einwendungen wurden jedoch durch den Ausspruch des Arztes, daß er ohne Gefahr der Verschlimmerung seines Zustandes nicht hinweg gebracht werden könne, widerlegt, und da Erna ihn mit der ihr eigenen, lieblichen, herzgewinnenden Weise bat, sich doch zu gedulden, und ihr die Freude zu gönnen, durch ihre Pflege zu seiner Erholung beitragen zu dürfen, auch Linovsky, nachdem er sich etwas gesammelt hatte, eine etwas wohlwollendere Außenseite zeigte, als vorher, so ergab er sich, wiewohl ein unglückweissagendes Gefühl in seiner Seele ihn mahnte, daß schleunige Flucht heilsamer für ihn als Bleiben sei.

Denn immer neue, immer achtungswerthere und anziehendere Eigenschaften entfalteten sich in[205] ihrem stillen Thun und Wirken, das er als Hausgenosse unbeobachtet übersehen konnte, und zwar nicht um dadurch glänzen zu wollen, sondern unwillkührlich wie die Blume ihren Duft ausströmt, verbreitete sie allenthalben, wohin ihr milder Einfluß drang, Ruhe, Anmuth und den Zauber gefälliger Ordnung.

Es war ihm immer höchst lächerlich und widerlich gewesen, wenn er ein weibliches Geschöpf die häuslichen Geschäfte mit Geräusch und Anmaßung verrichten, und sich etwas darauf einbilden sah, eine gute Hausfrau zu seyn.

Die meisten dieser dahin gehörigen Dinge sind denn auch so mechanisch, daß selbst der gewöhnlichste Verstand sie begreifen kann – warum sollte es der Eigenliebe schmeicheln, sie zu wissen? Sie sind ferner so nothwendig, daß sie sich als materielle Basis des Lebens nicht entbehren lassen, und es gereicht den Frauen entweder zur Schande, oder doch gewiß zum Nachtheil, unerfahren in ihnen zu seyn. Aber die Fertigkeit, ihr Haus und die ihnen anvertraute Einnahme gut zu verwalten, giebt ihnen noch keinen Anspruch auf Bewunderung; denn sie ist nur die Ausübung einer untergeordneten, wiewohl unerläßlichen Pflicht, der vor Allem der Schleier sanfter Bescheidenheit ziemt.

Wie ganz anders als so viele Frauen, die er[206] in dieser Hinsicht beobachtet hatte, erschien das leise, anspruchlose Walten Erna's, die die Seele ihres Hauses war.

Mit ernster Güte wußte sie ein zahlreiches Dienstpersonal zur Punktlichkeit und Ordnung anzuhalten. Sie war geliebt von allen, und zugleich gefürchtet, weil die Achtung, die sie einflößte, jeden nichts so sehr als die Möglichkeit, ihr zu misfallen, scheuen ließ. Mit sicherm, aber ruhigem Blick ging sie in jedes Detail der Haushaltung ein, sorgte für alles, dachte an alles, und fand auch die geringste Kleinigkeit ihrer Aufmerksamkeit nicht unwerth, weil alles nützen kann, scheint es auch noch so unbedeutend. Dabei war sie stets gleicher Laune, seufzte und klagte nie über viele Geschäfte, oder gab durch Klirren der Schlüssel, Thürenzuwerfen und eine bis zum ängstlichen Abmühen getriebene Thätigkeit zu erkennen, wie viel auf ihr laste. Immer gut und sorgsam angezogen, immer aufgelegt zu interessanter Unterhaltung, immer ruhig und Zeit habend, obgleich nichts versäumt ward, schien eine weise, jedoch nicht pedantische Ueberlegung alle ihre Handlungen zu ordnen, so daß wie Glieder einer Kette, eine regelmäßig und still in die andere griff.

Auch als Mutter, ein Verhältnis, das er nicht ohne den herbsten Schmerz sich auszudenken[207] vermochte, stand sie ausgezeichnet vor tausend Frauen, die er kannte, und selbst vor denen, die er vorzüglich in dieser Würde ehrte, da, die himmlische, sich selbst vergessende Liebe, mit der sie die Kinder ihres Herzens umsing, mit jenem Ernst verbindend, der aus der Festigkeit des Willens: nur ihr wahres Wohl als Zweck sich vorsetzend, und sie eben deshalb keineswegs verziehend, hervorgeht.

Otto, der älteste Knabe, war nicht allein von der Natur begünstigt, sondern durch den reinen Einfluß des mütterlichen Wirkens bereits zu einer Höhe der Liebenswürdigkeit und Ausbildung gebracht, die selten schon in diesem zarten Alter sich zeigt.

Gehorsam, als die Hauptbasis aller guten Kinderzucht, Bescheidenheit Genügsamkeit, Selbstbeherrschung – alle jene Tugenden, die den, der sie besitzt, um so lieblicher zieren, je öfterer der Mensch sie in sich und Anderen vermißt, waren die sorgsam gepflegten Keime, die Erna in seine junge Seele gepflanzt hatte, und jede Beschäftigung mit ihm, der sie stets wie ihr Schatten umgab, entwickelte seine noch mit Nacht umhüllten Begriffe, und prägte durch Lehre und Beispiel gleich kräftig das Gute und Schöne in sein kindliches Herz.[208]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 202-209.
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