XI

[34] Sehr zufrieden mit der Gelehrigkeit seiner holden Schülerin endigte Alexander die erste Lection schnell, um ihre Kräfte so wenig wie ihre Geduld zu ermüden.

Am folgenden Tag aber begann der Unterricht[34] von neuen, und Erna saß bereits so fest im Sattel, wußte mit so grazienhafter Leichtigkeit sich im Gleichgewicht zu halten, so muthig und sicher die ihr nun selbst anvertrauten Zügel zu führen, daß er ohne Bedenken ihr einen Spazierritt über die engen Schranken des Gartens hinaus ins Freie vorzuschlagen wagte.

Es war ein wunderschöner Maimorgen. Junges, helles Grün mit Blüthenschnee durchwebt, schmückte Bäume und Gesträuch, und die Nachtigallen mischten den Zauber ihrer Melodieen in den monotonen, und doch so anmuthigen Laut des Kukuks, der, wie sie, den Lenz begrüßte. Das Trillern der Lerche in hoher Luft, und das Geschwirr und Sumsen der Insekten, die im warmen Sonnenschein sich freuten, vollendete den Chor der Natur, der noch niemals inniger als jetzt Erna's erregtes Herz angesprochen hatte. Ein heitrer blauer Himmel, ähnlich dem, den sie für ihre Zukunft sich träumte, spannte sich lächlend über sie aus, und die dampfenden Felder, und die thaufunkelnden Wiesen, mit vielfarbigen Blumen bedeckt, sandten ihr die süßesten Düfte hinauf, den Rausch ihrer Stimmung noch zu erhöhen.

Alexander bemerkte mit Vergnügen, daß seine Nähe immer mehr die starre Rinde der Blödigkeit von Erna's Wesen hinweg schmolz, wie der Schnee im Frühling von den Hügeln thaut, wenn die[35] Sonne mit Feuerblick auf ihn hernieder sieht. Es kam Leben und Seele in ihre Züge. Das jugendliche Erwachen ihres Gefühls, der unverkennbare, unschuldsvolle Wunsch, ihm zu gefallen, der nicht in Künsten studierter Koketterie, sondern nur in dem aufmerksamen Bestreben, sich seine Meinungen anzueignen, seinem Geschmack zu entsprechen und seine Eigenthümlichkeit aufzufassen, sich verrieth, gab seiner Eitelkeit ein belustigendes Schauspiel, dem wenigstens das Interesse der Neuheit nicht fehlte. Selbst wenn sie oft vergebens suchte, aus ihrer reineren schuldlosen Natur herauszutreten, um sich mit seiner Individualität zu amalgamiren, deren Verdorbenheit ein schimmernder Firnis überzog, und es ihr nicht gelingen wollte, gleich ihm zu fühlen und zu urtheilen, selbst dennoch erblickte sie ihn hoch über sich, und gab der Beschränktheit ihres eigenen Sinnes die Schuld, wenn sie den seinigen nicht ganz zu begreifen und zu würdigen wußte.

Heute betrafen ihre Gespräche das Glück des Landlebens, die Schönheit der Gegend, die stillen Freuden der Wohlthätigkeit. Denn es lag Alexandern daran, sie zutraulicher noch zu stimmen, und das konnte ihm weniger gelingen, wenn er Gegenstände berührte, die ihrer Unerfahrenheit fremd waren. Er gab sich die Miene, als ermüde ihn der Zwang in einer geräuschvollen Stadt unter[36] betäubenden Zerstreuungen, die – wenn sie auch den Geist momentan zu beschäftigen vermöchten, doch das nach edleren Genüssen schmachtende Gemüth leer und unbefriedigt ließen – leben zu müssen, und drückte die Sehnsucht nach idyllischer Einfachheit der Sitten und nach den Freuden der Häuslichkeit um so lebhafter aus, je entfernter seine Seele davon war, sie wirklich zu empfinden.

Erna hatte noch nie Romane gelesen. Die Sprache derselben, ihr eben so neu als verführerisch, und so ganz ihren innersten Begriffen zusagend, schmeichelte sich von Alexanders, der Verstellung gewohnten Lippen süß und zutraulich in ihr Herz, und ihre Achtung für ihn nahm in eben dem Grade zu, in welchem ihr schüchternes Wohlwollen, ihr selbst unbewußt, sich zur innigsten Liebe verstärkte.

So kehrte sie von diesem Spazierritt mit erhöhter Freudigkeit und Zuversicht, so wie mit verdoppelter Neigung für ihn, zurück, und ihre wonnevoll beklommene Brust konnte die Fülle ungewohnter Seligkeit nicht bergen. Tief erglühend in der schönen Röthe, die zwischen Schaam und Freude schwankt, sank sie in die Arme ihrer Freundin Auguste, die sie bei ihrer Rückkehr empfing, und flüsterte leise und entzückt ihr ins Ohr: Auguste, wie bin ich glücklich![37]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 34-38.
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