IV

[13] In ihrer Verwirrung fand er sehr bald seinen Muth und seine Gegenwart des Geistes wieder. Es fing seine Eitelkeit an zu intereßiren, sich die Entscheidung der Frage zu verschaffen, ob Erna etwas wisse von dem Plan der beiden alten Frauen, oder ob seine Persönlichkeit allein sie so sichtbar imponirt habe.

Denn es war nicht zu verkennen, daß sie von seiner Anrede gleichsam electrisirt, alle Fassung verlor, und in ihrer linken, blöden und verlegenen Antwort weniger ihre geistige Beschränktheit als eine tiefe Betroffenheit des Herzens verrieth. Er gönnte ihr Zeit, sich ein wenig zu sammeln, und erneuerte dann wieder seine Versuche, ihr Rede abzugewinnen, aber neues glühendes Erröthen, von leisem Beben und einzelnen abgebrochenen, kaum hörbaren Worten begleitet, scheuchten ihn abermals zurück, und erst als er sich nicht mehr um sie zu bekümmern schien, erlangte sie ihre Ruhe und Unbefangenheit wieder.

Ob sie nun gleich, trotz der wunderschönen Augen, denen er volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, weit unter seinen Erwartungen und Wünschen blieb, so schmeichelte es ihm doch, den tiefen Eindruck zu bemerken, den seine Erscheinung auf ein[13] so völlig neues unerfahrenes Herz gemacht hatte, und er beschloß, sich damit zu belustigen.

Um der schüchternen Taube einigermaßen Zutrauen einzuflößen, verbarg er die Habichtsklauen seines Leichtsinns, und stellte sich ernst, fromm und sinnig an. Ohne durch seine Nähe ihr leicht bewegtes Gemüth ängstlich aufzuregen, wußte er doch die Ueberzeugung wach in ihr zu erhalten, daß seine Aufmerksamkeit theilnehmend mit ihr allein beschäftigt sei, und sie vor allen ihren Gespielinnen auszeichne. Die Verehrung, mit der er ihre Mutter behandelte, und die bescheidne liebliche Art, mit welcher er sie zu unterhalten und zu erheitern strebte, erwarb ihm nicht nur den Beifall der Matrone, sondern flößte auch Erna die vortheilhafteste Meinung von seinem Charakter ein, die den günstigen Eindruck seiner einnehmenden Gestalt verstärkte. Seine Tante selbst war entzückt über sein Betragen, und konnte es kaum erwarten, ihn allein zu sprechen, um ihm ihre Zufriedenheit zu bezeugen, und sein Urtheil über Erna zu vernehmen.

Alexander hatte durch seine frühere, übel aufgenommene Freimüthigkeit erfahren, daß es bedenklich sei, ihr ganz offen seine innersten Gedanken und Gefühle darzulegen, und da es seine Absicht war, sie nicht abermals zu erzürnen, so unterdrückte er seine satyrischen Bemerkungen, und verbarg ihr,[14] wie lächerlich er das gute Kind in seiner ländlichen Unbeholfenheit und Schüchternheit fand.

Er begnügte sich daher, nur im Allgemeinen sich zu äußern, und sehr gemildert und oberflächlich seine wahre Meinung auszudrücken. Gern glaub ich, beste Tante, sagte er, daß in dem Fräulein die Keime aller möglichen Tugenden verborgen liegen, aber es wird schwer halten, sie an's Licht zu befördern, da ihre Blödigkeit doch wirklich alle Gränzen übersteigt. Bei dem sorgsamsten, und gewiß nicht zudringlichen und unzarten Bestreben, mit ihr in irgend eine Art von Beziehung zu kommen, hat mir der heutige mühevolle Abend doch kein anderes Resultat gebracht, als daß ich weiß – wie sie erröthet. Sie ist für jetzt, sich und andern, wie mir scheint, noch ein bloßes Fragzeichen im Leben, eine mimosa pudica, die bei der leisesten Berührung krampfhaft zusammenfährt, und man sollte glauben, daß eine Mönchszelle in Georgien sie erzeugt habe, so gesenkten Hauptes, gleichsam gebeugt, wandelt sie einher. Dort, wo die Mönche in nicht völlig vier Fuß hohen Zellen wohnen, um eine demüthige Stellung sich anzugewöhnen, mag ein solcher Anstand auch ganz an seinem Platze seyn. Hier aber unter uns in froher Geselligkeit, und fern von aller klösterlichen Disciplin war es vortheilhafter und vernünftiger, wenn sie das pikante Gesichtchen ein[15] wenig erheben wollte – besonders, da ein paar Augen es schmücken, wohl werth, daß man in ihren Strahlen sich sonnet.

Die Generalin war vorläufig mit seiner Charakteristik zufrieden, denn sie mußte im Geiste zugeben, daß er Recht hatte. Auch sie fand heute ihre sonst so ruhige Erna so ungewöhnlich verschüchtert und verlegen, daß sie sie kaum selbst erkannte. Sie wollte jedoch der Eigenliebe des ohnehin eitlen Jünglings nicht durch die Entdeckung schmeicheln, daß sein Anblick die Ursach einer so auffallenden Verwandelung sei, und überließ es der Zeit, und Erna's Reizen des Körpers und der Seele, den Flatterhaften zu fesseln, und mit der Unbehaglichkeit des ersten Empfangs zu versöhnen.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 13-16.
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