I

[70] Fröhlich war Alexander in die Residenz zurückgekehrt, sich seiner gewohnten Lebensweise um so freudiger hingebend, da er die Genüsse, welche sie ihm bot, so lange hatte entbehren müssen.

Oft lächelte er triumphirend bei sich selbst, wenn er bedachte, wie gut es ihm gelungen sei, eine offenbare Weigerung gegen die Absichten seiner Tante zu vermeiden, und die Schuld ihres vereitelten Plans von sich ab, auf Erna zu wälzen, deren Unerfahrenheit nur allzuleicht in die Falle gegangen war, die er ihr gestellt hatte. Oft aber auch, und zwar mehr im Traum, als im wachenden, durch das Gewirr bunter Vergnügungen stets vom Nachdenken abgezogenen Zustande, verfolgte ihn das Bild des bleichen Mädchens, das es so gut mit ihm gemeint, das mit der ganzen Kraft eines noch völlig reinen Herzens, mit dem ganzen Feuer der ersten süß verschämten[70] Liebe ihn geliebt hatte. Stillen Vorwurf und tiefen Kummer in ihren Mienen trat sie dann vor ihn, ihn durch ihren Anblick an das Unrecht zu mahnen, das er an ihr begangen, und ihm war in solchen Momenten, als könne er den reinen, strafenden Blick ihres frommen Auges nicht ertragen.

Zuweilen auch störte ihn die Erinnerung mitten in dem Gewühl rauschender Freuden, indem sie unwillkührlich ihm die Scene zurückrief, wo er im Walde vor ihr knieete, sie blaß und blutig, und dem Schein nach leblos, vor ihm lag, und er in Todesangst um sie, das in den Quell getauchte Tuch um ihre verletzte Stirne schlang. Dann drang noch einmal wie ein Strahl von oben der erste Blick ihres dem Leben sich wieder öffnenden Auges in seine Seele, wie es – den Himmel in sich tragend, und eine Welt von Empfindungen aussprechend – so voll inniger Tiefe an dem seinigen hing. Ach – damals war es ihm wohl gewesen, als spräche eine leise Regung für sie in seinem Herzen – aber, seine Abneigung vor den Fesseln der Ehe, sein gränzenloser Hang zur Ungebundenheit und sein Leichtsinn hatte schnell wieder dies bessere Gefühl erstickt, und ihn überredet, es sei nur eine Aufwallung des Mitleids, durch die Gefahr erregt, in welcher er sie erblickte.

Als durch den Tod seiner Tante ihm ihr ganzes,[71] sehr bedeutendes Vermögen zufiel, hätte es die Lage der Dinge, und sein Vortheil wohl erfodert, daß er persönlich Besitz von ihrer Hinterlassenschaft genommen hätte. Aber er scheute sich die Gegend wieder zu sehen, wo, wie er glaubte, Erna athmete – auch konnt' er sichs nicht verhehlen, daß seine Tante unzufrieden mit ihm aus der Welt gegangen sei, und da es zu den Gesetzen seiner Lebensphilosophie gehörte, sich alle unangenehmen Gemüthsebwegungen zu ersparen, so übertrug er alles was ihm oblag, einem Rechtsgelehrten, und folgte nach wie vor dem Strome, der ihn in die wilden Wirbel der Zerstreuungen zog.

Doch, wie selbst tiefere Eindrücke allmählich von der Hand der Zeit verwischt werden, so schwand im Rausche seines wüsten Lebens auch nach und nach jeder leise Vorwurf, den das Andenken der Vergangenheit ihm machte, und immer seltener und immer gleichgültiger nahte ihm Erna's Erscheinung, bis sie endlich ganz unter den wogenden Leidenschaften, die in seinem Innern stürmten, sich verlor.

Fünf Jahre waren verstrichen, seit er sie hatte kennen lernen – da schlug, ihm unerwartet, die Stunde der Vergeltung, die selten ausbleibt und oft dann erst das Unrecht straft, wenn der, der es beging, es bereits vergessen hat.[72]

Er war einige Tage abwesend gewesen, und kehrte spät am Abend in seine Wohnung zurück, wo er von der Gräfin Tannow, die eins der angesehensten Häuser der Residenz ausmachte, eine Einladung zum Ball vorfand.

Zwar war die Uhr schon zehn, und das Vertauschen seiner nachläßigen Reisekleidung mit einer glänzenden Toilette konnte leicht noch eine Stunde hinwegnehmen – zudem fühlte er sich nicht wohl, und verstimmt – aber demungeachtet konnte er sich nicht entschließen, zu Haus zu bleiben. Denn er sehnte sich nach Geräusch und Abwechselung, um seinen Blick durch andere Gegenstände von sich selber abzuziehen, wo er nur mit Unmuth verweilte. Seinen Frohsinn lähmend, war der böse Geist des Ueberdrusses nach und nach über ihn gekommen, und hatte ihn – gesättigt von der Fülle eitler Weltlust, die er genossen – das Schaale, Seelenlose, Ermattende seines zwecklosen Lebens in düsterer Beleuchtung wahrnehmen lassen.

Nachdem seine Erfahrungen ihn mit allen bekannt gemacht hatten, was das Daseyn bietet, fand er so wenig genügendes – so wenig, was der Zeit trotzend, auch in der Zukunft ihm noch die Freuden versprochen hätte, die es einst ihm gewährte. Ein stilles, dunkles Sehnen nach der früh verlohrenen Unschuld seines Herzens, nach dem unwiederbringlichen Werth der Unverdorbenheit[73] regte sich in seinem Busen, und verschattete ihm finster die Welt, deren verpestender Hauch gleich dem Sirocco alle schöneren Blüthen des Lebens ihm vergiftet hatte. Doch die Unbehaglichkeit dieser Gefühle war zu drückend, als daß er nicht hätte suchen mögen, sie los zu werden – er kleidete sich daher um, und fuhr hin, wo er Zerstreuung seiner finstern Grillen zu finden wähnte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 70-74.
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