XIII

[114] Alexander führte sie in einen Saal, der durch mehrere Stockwerke gehend, und mit Gallerieen umgeben, an seinen hohen Wänden die Heldengestalten der Vergangenheit, gepaart mit den schönsten Frauen ihres Zeitalters zeigte.

Zunächst begrüßten sie Heinrich den Vogler, den wackern Kaiser, der der Stifter der Turniere und ihrer edlen Gesetze war.

Einen Falken auf der tüchtigen Faust, der mit den sonnenhellen Augen lüstern um sich blickt, schaut der tapfere Held in seiner ritterlichen Tracht, eine rothe, gekrümmte Hahnenfeder auf dem Haupt, gar fest und gebietend um sich her, während nach altdeutscher Weise aus seinem Munde Verse gehen, die derb und bieder in ihrer kaum mehr verständlichen Sprache an jene unverfeinerte, aber kräftige Epoche mahnen.

Die Gräfin fand es in seiner listigen Physionomie ausgesprochen, daß es im Leben seine Freude war, die harmlosen Waldbewohner zu berücken, und mit der Leimruthe, oder im betrügenden Netz des Vogelheerds ihnen das kostbare Gut ihrer Freiheit zu rauben.

Erna aber, stets milde Ansichten habend, las neben dem Heldensinn, der aus seinem Auge blitzte, die väterliche Milde, mit der er einst seiner ungehorsamen[114] Tochter Helena vergab, als sie mit ihrem Entführer, dem Grafen von Altenburg in eine böhmische Wildnis geflüchtet und zufällig von ihm, der sie fünf Jahre betrauert hatte, entdeckt worden war. Sie hielt ihn für einen fremden Ritter, denn sie erkannte ihn nicht, da er im tiefen Schmerz um ihren Verlust während ihrer langen Entfernung weder sein Haupt noch seinen Bart hatte scheeren lassen, was zu den Zügen des Grams und des vor der Zeit dadurch herbeigelockten Alters noch den wilden Ausdruck einer fast an Wahnsinn gränzenden Verworrenheit gesellte.

Er aber erkannte den undankbaren Liebling seines Herzens sogleich; doch männlich sich zusammen nehmend, lies er nicht ahnen, wie tief bewegt sein schwer gekränktes väterliches Herz war.

Und als Helena, fröhlich nach so langer Abgeschiedenheit endlich einmal wieder Kunde von der Welt und ihren neusten Begebenheiten zu vernehmen, durch mancherlei Fragen nach ihnen forschte, drängte nicht kindliche Liebe, Reue, oder Sehnsucht das Wort über ihre Lippen, wie es Kaiser Heinrich ergehe?

Als nun der Kaiser, ihre Gesinnung auf die Probe zu stellen, ihr erwiederte, daß er seit einem Jahr schon verschieden, und die zeitliche Krone mit der ewigen vertauscht habe, hoffte er vielleicht leise, eine Thräne werde aus dem Auge[115] seines Kindes als vermeintliches Todtenopfer ihm fallen.

Aber Helena schlug jauchzend in ihre Hände, und freute sich, eine Waise zu seyn, weil sie nun die Einsamkeit verlassen dürfe, die selbst an der Seite des Geliebten ihr drückend war.

Was wolltet Ihr denn thun, edle Frau, fragte Heinrich, wenn Ihr den Kaiser in Eurer Macht hättet, gleich wie nunmehro mich?

Wir wollten ihm das Licht heute auf eine Weise auslöschen, antwortete Helena, daß er das morgende nimmer erblicken sollte.

Nach lang geführtem Gespräch, in welchem der gekränkte Vater sich sorgsam bewachte, um sich nicht zu verrathen, bettete Helena ihn sanft aus Dankbarkeit, wie sie sagte, für die ihr gegebene frohe Nachricht, und entließ ihn am anderen Morgen, ohne zu vermuthen, wen sie unter ihrem Dache bewirthet habe.

Als aber der Kaiser wieder zu den Seinigen gekommen war, sammelte er ein Kriegsheer, und bewaffnete es mit Beilen, um einen Weg durch das Dickicht des Waldes zu bahnen, bis sie das Schloß seiner unkindlichen Tochter erreichten, das er bestürmen ließ.

Als nun der Graf von Altenburg sich so feindlich umzingelt sah, fragte er, wer es wage, ihm mit Kriegsüberzug zu nahen, und: Kaiser Heinrich,[116] donnerte es in sein Ohr, während er an der Spitze des Heeres den grauen Ritter erblickte, den er vor kurzem unerkannt bei sich beherbergte.

Und als nun ein Herold ihn zur Uebergabe auffoderte, und ihm verkündete, daß es des Kaisers Befehl sei, ihn todt oder lebendig in seine Hände zu liefern, griff der Graf verzweiflungsvoll zum Bogen, sich bis zu seinem letzten Blutstropfen zu vertheidigen – aber in fünfjähriger Ruhe war die Senne desselben vermodert, und es blieben ihm nur Steine zur jämmerlichen Nothwehr.

Da zerraufte sich Helena das Haar, und lief mit gerungenen Händen auf die Zinne des Schlosses, und rief hinab mit herzzerschneidenden Jammertönen: Wisset, daß wo mein Herr und Gemahl seines Lebens beraubt werden soll, ich das meinige keine Stunde verlängert sehen will, und dafern mich keiner von Euch ermorden mag, soll meine eigene Hand so beherzt seyn, mir die Brust zu durchstoßen.

Da stritten in dem schwer beklommenen Vaterherzen Haß und Liebe und Mitleid mit einander, und die sanfteren Empfindungen siegten, und bezwangen den gerechten Zorn. Knieend beugten sich die Fürsten und Herren, die ihn umgaben, vor ihm, und legten eine Fürbitte ein, die Schuldigen zu verschonen, und durch Vergebung ihres Unrechts zu begnadigen.[117]

Thränen perlten an des Kaisers grauen Wimpern, und rollten seine eingesunkene Wange herab. O wie mancherlei Fäll hat doch die Liebe, brach er aus. Wohlan! es soll Euerer Fürbitt' gewillfahret werden.

Diese milde väterliche Antwort öffnete wie durch einen Zauberschlag ohne alle fernere Gewalt das Schloß, und die Liebenden kamen, zwar bebend, aber nicht mehr zaghaft, hervor, und warfen sich in Demuth nieder vor ihren beleidigten Herrn und Vater, der sie aber liebreich aufhub, ihnen verzieh, und sie wieder mit sich in sein Hoflager führte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 114-118.
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