XXV

[180] Als ohngefähr nach einer halben Stunde Alexander sich wieder deutlich besinnen konnte, fand er sich von den Armen des treuen Benedikt umfaßt, der ihm ein Glas Wasser ins Gesicht gegossen, und so aus seiner dumpfen, ohnmachtähnlichen Betäubung ins Leben zurückgerufen hatte.

Ihm war, als erwache er aus einem taumelnden Rausche. Er fühlte sich angegriffen, aber doch nüchtern und fähig, zu überlegen und zu handeln.

Gott sei gelobt, daß der Herr Rittmeister doch wieder bei sich sind, rief der nun etwas beruhigte Benedikt aus, dem Schweistropfen auf der Stirn und Thränen im Auge standen. Ich dachte immer, Sie würden mir unter den Händen sterben! Hätt ich doch man lieber den fatalen Brief in den Kamin geschmissen, statt ihn drauf zu legen, da er, Gott weiß, was für Teufeleien enthält, die den Herrn Rittmeister so außer sich brachten!

Bei Erwähnung des Briefs wurde es vor Alexanders Sinnen immer heller und heller, wiewohl in schneidender Klarheit. Er hielt ihn noch krampfhaft zusammengeknittert in der Hand, und entfaltete ihn von Reuem, ihn – wie er sich einbildete – noch einmal ruhig zu überlesen.[180]

Dies wollte nun zwar nicht gehen, denn jeder Buchstabe schien ihn mit Basiliskenblick anzuschauen, und ihn dünkte, als knisterten blaue Schwefelflammen aus jeder Zeile, mit spitzen, brennenden Zungen an seinen tödlich verwundeten Herzen leckend; aber er rief gewaltsam alle Kraft des Willens, die dem Manne zu Gebot steht, auf, und sagte sanft und gefaßt zu Benedikt: Sorge, daß ich ungestört bleibe diese Nacht, mein guter Junge, denn ich habe zu thun, und muß allein seyn. Um Mitternacht bringe mir eine Flasche Rheinwein.

Hierauf winkte er mit der Hand gegen die Thür, und so ungern auch der treue, noch immer leise besorgte Diener ihn verließ, so war er doch an zu strengem Gehorsam gewöhnt, um sich nicht augenblicklich zu entfernen.

Als er mit dem Schlag zwölf Uhr herein trat, fand er seinen Herrn sehr beschäftigt, mehrere Schränke auszuräumen, Papiere theils zu ordnen, theils zu verbrennen, und Geld abzuzählen.

Sehr mäßig trank er von dem Weine, den Benedikt ihm gebracht hatte, und befahl ihm, mehrere Sachen, die er bezeichnete, in einen Koffer zu packen, und alsdann, so wie der Tag anbrechen werde, verschiedene Rechnungen zu bezahlen, und andere Aufträge auszurichten, die[181] er unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihm anvertraute.

Gegen Morgen war alles still und pünktlich nach seinem Willen geordnet. Da warf er sich unausgekleidet auf den Sopha, und schlummerte einige Stunden, dann ging er zu dem Chef seines Regiments, und bat um augenblicklichen Urlaub zu einer höchst nothwendigen Reise. Er erhielt ihn, erhob von seinem Banquier eine bedeutende Summe Geldes und die nöthigen Wechsel, entließ reich beschenkt seine übrigen Leute, außer Benedikt, dessen anhängliche Treue er schon oft erprobt hatte, und ehe noch jemand aus dem Kreise seiner Bekannten seine Absicht ahnete, lag die Residenz bereits hinter ihm im Nebel der Entfernung.

Frankreich, Italien und die Schweiz waren die Länder, nach denen sein unstäter, der tiefsten Schwermuth preisgegebener Sinn zuerst strebte.

Da aber sein erbetener Urlaub nicht einmal zu einem flüchtigen Durchstreichen, noch weniger zu einem ruhigen Kennenlernen derselben hingereicht haben würde, und es sein entschiedener Vorsatz war, nie, oder doch nur unter ganz veränderten Umständen, wieder in die Heimath zurückzukehren, so sandte er das Gesuch um seinen Abschied an die Behörde ein, um – so sehr er[182] auch seine Militairverhältnisse geliebt hatte – frei und unabhängig über sich selbst und über seine Zeit verfügen zu können. Ungern ertheilte man ihm diesen, da er von jeher, ächt martialisch denkend und handelnd, an Leib und Seele Soldat war, seinem Regiment durch den regesten Diensteifer, so wie durch die Liberalität seiner Gesinnung und den Glanz seines bedeutenden Vermögens Ehre gemacht hatte, und alle seine Cameraden ihn brüderlich liebten. Um daher nicht alle Ansprüche an ihn aufzugeben, stellte man ihn à la suite an, und ungehindert folgte er nun dem Zuge, der – aus seiner unbefriedigten Sehnsucht sich entwickelnd – ihn durch den größten Theil Europa's trieb.[183]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 180-184.
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