III

[77] Unbeweglich, wie eine Bildsäule, blieb er, von dem Klange dieser wenigen Worte getroffen, stehn, und eine längst versunkene Welt, schwankend zwischen neuer Furcht und Hoffnung, dämmerte in seiner Seele wieder auf, wie ein grünendes Eiland aus stürmenden Fluthen sich erhebt.

Es ist kein Wunder, daß Fräulein Willfried schön tanzt, hörte er jetzt die Obristin Lahnberg zu einer neben ihr stehenden Matrone sagen, Neid und Bitterkeit in ihren grämlichen Zügen. Hätte meine Mariane eben so wie sie Jahrelang in Paris diese leichtfertige Kunst erlernt und getrieben, vielleicht würde sie auch so durch ihre Geschicklichkeit glänzen. Aber sie hat immer das Reelle dem leeren Schimmer vorgezogen. Es ist übrigens nicht schwer, zu brilliren, wenn man halb Europa durchreisen kann, um in Italien mahlen und singen, in Frankreich tanzen zu lernen,[77] und wenn man vor allen Dingen dabei die noble Dreistigkeit hat, seine Talente geltend zu machen.

Jetzt näherte sich Mariane, ihre Tochter, mühsam ihr von Misgunst verzerrtes Gesicht zu einem freundlichen Lächeln zwingend. War das nicht ünique, Mama? fragte sie. Es ist ein Vergnügen so deliciös tanzen zu sehn – man kommt sich ordentlich wie im Ballette vor. Freilich sollte das Wesentliche nicht unter der Ausübung solcher Künste leiden. In diesem Augenblick hört' ich von sicherer Hand, daß Fräulein Willfried im häuslichen eben so unerfahren, als geschickt im Tanzen ist. Keine Suppe soll sie kochen, keine vernünftige Nath nähen können, und da unser Beruf doch nicht ist, wie von der Tarantel gestochen durchs Leben zu hüpfen, so ists zu bedauern, daß sie das Wichtigere über so frivole und vergängliche Geschicklichkeiten versäumt hat.

Das ist die heutige Modeerziehung, die sich nicht zu nützen, sondern nur zu schimmern bemüht, fiel ihre Mutter eifrig ihr ins Wort. Zu meiner Zeit wurde nur soliden Kenntnissen Werth beigelegt, und daher hab ich Dich auch so erzogen, daß ich vor Gott und Menschen Ehre einlege, und gewiß ein rechtschaffener Mann dereinst mit Dir nicht betrogen wird. Aber die selige Willfried – nun, man soll von Todten nur Gutes sprechen, und sie war meine sehr genaue[78] Freundin, denn wir haben zwei Jahr lang zusammen der hochseligen Prinzeß Sophie als Hofdamen gedient – sie hatte immer etwas überspanntes und geziertes, und ihre Sucht, sich allenthalben vorzudrängen, scheint denn auch auf die Tochter übergegangen zu seyn. Doch sie hat Geld, und dadurch macht sich heut zu Tage jede Närrin geltend, während das stille bescheidene Verdienst, wenn es arm ist (hier blickte sie ihre überreife, vergilbte Tochter seufzend an) unbemerkt und ungesucht wie das Veilchen im Mooße verduftet. –

Alexander hatte genug erfahren, um zu merken, daß dies Gespräch nicht ohne Absicht sich in seiner Nähe entspann. Man zählte ihn im Kreis der jungen Heirathsfähigen Männer zu den vortheilhaftesten Parthieen, und grobe und feine Netze hatten sich daher schon oft von Seiten längst erwachsenen Fräuleins und ihrer Mütter ausgebreitet, den schimmernden, nur allzuglatten Goldfisch zu fangen.

Die so verschiedenen Kunstgriffe weiblicher Koketterie, mit der eine jede, ihrer Individualität angepaßt, die Maske wählte, die ihrer Meinung nach am meisten anzuziehen und zu fesseln geneigt war, belustigte ihn oft, und er machte sich nicht selten das grausame und unedle Vergnügen, Hoffnungen zu erregen, welche er bis auf einen gewissen Punkt steigerte, und dann plötzlich täuschte.[79]

Leichtfertig und schadenfroh hätte er sonst mit erheucheltem Ernst in die neidischen und verläumderischen Aeußerungen dieser Thörinnen eingestimmt, aber heute war es ihm nicht möglich. Sein Herz war so voll, so plötzlich verwandelt – die Brust so gepreßt – es zog ihn mit Riesenkraft zu der aufgeblühten Rose hin, der er als Knospe so weh gethan, daß er um dem inneren Drange seines Sehnens genug zu thun, sich voll Reue hätte zu ihren Füßen stürzen und weinen mögen.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 77-80.
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