VI

[86] Lange suchte er, der sonst so Gewandte, jetzt vergeblich nach einem Worte passender Annäherung.

Er merkte, daß nicht nur in ihm allein, daß auch in Erna die Verwirrung stieg, mit der die Unmöglichkeit, ihm jetzt schicklicher Weise auszuweichen, sie erfüllte, und er schöpfte Ermunterung aus dieser Wahrnehmung, da selbst ihr Unwillen ihm schmeichelhafter war, als die bisherige stille Gleichgültigkeit mit der sie ihn übersah.

Darf der Neffe einer Frau, welche Sie so kindlich verehrten, es wagen, Sie hier willkommen zu heißen? sagte er endlich.[86]

Bei diesen Worten verdunkelte sich die Gluth auf Erna's Wangen. Ein tiefer Ernst gab ihren Zügen Ruhe, ihrer Haltung Würde. Warum beschwören Sie die abgeschiedenen Geister, Herr von Norbeck, antwortete sie, gönnen wir den Todten ihre Ruhe.

Und sollte diese Ruhe durch eine ehrfurchtsvolle Erinnerung gestört werden? erwiederte er. Vielleicht hab ich meine Tante während ihres Lebens nicht so gekannt und geschätzt, wie ihr seltner Werth es verdiente. Der Leichtsinn meiner früheren gedankenlosen Jugend, der mich blind für wahre Verdienste machte, ließ mich manches in dem trügerischen Lichte thörichter Verblendung wahrnehmen, was späterhin durch eine bessere Ueberzeugung und durch Reue mir ganz anders erschien. Daher wenn ich mit Wehmuth und Dankbarkeit der edlen Frau gedenke, deren Vortrefflichkeit ich zu spät einsah, um sie in ihrem ganzen Umfang noch auf Erden ehren zu können, und mich bestrebe, jetzt, wo sie nicht mehr Zeuge meines irrdischen Wandels seyn kann, ihn so zu führen, daß sie mit mir zufrieden seyn würde, wenn sie ihn beobachten könnte – sollte das nicht das würdigste Todtenopfer seyn, das ich ihren Manen zu bringen vermöchte?

Statt durch den sich entschuldigenden Sinn seiner Rede gerührt, und zu versöhnender Milde[87] bewegt zu werden, fühlte sich Erna erbittert und empört, da sie ihn für einen Heuchler hielt.

Denn was sie seit ihrem kurzen Aufenthalt in der Stadt bereits – theils zufällig, theils leise durch eignes Forschen veranlaßt – von ihm gehört hatte, stellte ihn nach dem allgemeinen Urtheil als einen entsetzlichen Wüstling dar, so früh schon verdorben, daß ihm nicht einmal eine Ahnung von Schuldlosigkeit, noch weniger das Andenken wahrer Herzensreinheit geblieben sei, und der – ewig in frivole Abentheuer und Intriguen verstrickt – sich voll frecher Spottlust und schadenfroher Verstellung eine jede Maske anzupassen wisse, die sich zur Befriedigung seiner momentanen Wünsche und Begierden eigne.

Zwar sprach das Urtheil der Welt auch von seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, und manchem großmüthigen, schönen Zug seines ursprünglich edlen, nur durch Ausschweifungen entweihten Charakters ließ man Gerechtigkeit widerfahren. Auch vertheidigten ihn viele, wenn er getadelt wurde, mit Eifer, da die Sittenlosigkeit eines jungen unverheiratheten Mannes in Bezug auf Frauen gewöhnlich von den meisten nicht so streng gerichtet wird, als sie es wohl sollte. Aber konnte seine Freigebigkeit, sein Muth, sein Frohsinn, der dem Leben stets die lachende Seite abgewann, wohl den Mangel jener höhern Tugenden in ihm[88] ersetzen, die allein erst dem Menschen sittliche Würde geben? – Seine individuelle Anmuth durfte, so meinte Erna, niemand zu seinem Vortheil bestechen, da diese die Gefahr seiner verderblichen Nähe nur vergrößern half. Er war in ihren Augen, was sie nicht ohne Schauder sich denken konnte: ein Mensch ohne Religion. Er selbst hatte ihr ja – sie bebte noch bei der Erinnerung jenes schrecklichen Augenblicks – mit kecker Dreistigkeit gesagt, daß er nichts glaube, nichts hoffe, und daß üppiger Lebensgenuß die einzige Tendenz seines Handelns, das einzige Prinzip seiner Moral sei. Diese Erfahrung, die ihr Gedächtnis nur allzutreu bewahrt hatte, verdunkelte noch den düstern Schatten, den sein Ruf in ihre Seele warf.

Es machte daher auf ihr alle Heuchelei tief verachtendes Gemüth einen sehr misfälligen Eindruck, ihn die Sprache des Gefühls, der Erkenntnis und der Reue reden zu hören, da sie nach seinen ehemaligen Bekenntnissen dies Betragen nur für listige Verstellung hielt. In edlem Zorn erglühend fehlte der Nichtachtung, die sie in diesem Augenblick für ihn empfand, die Kälte, welche sonst gewöhnlich Geringschätzung zu charakterisiren pflegt, und mit bewegtem Busen und flammendem Auge sprach sie, indem sie aufstand: Ein Schauspieler von Ihrem Talent, Herr von Norbeck,[89] sollte seine Rolle nur vor einem dankbaren Publicum recitiren. Der Beifall eines unbedeutenden Mädchens wie ich, würde Ihnen schon darum nicht gnügen, weil er nicht rauschend ist – und jener innere des Bewußtseyns, wenn er auch der Preis einer künstlerischen Darstellung seyn könnte – den achten ja, wie Sie mir früher gesagt haben, Leute von Welt und gutem Ton nicht.

Sie wandte sich hierauf rasch von ihm ab, und setzte sich zum Spieltisch der *sischen Gesandtin, wo sie verweilte, bis es zur Abendtafel ging.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 86-90.
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