Neunzehntes Kapitel

[186] Aber wo wollen Sie hin? fragte Josephine. Fremd, vielleicht ohne Geld, in dieser leeren, Ihnen unbekannten Gegend? – Nein, Sie müssen bleiben, bis ich Ihnen und Ihrer Verwandtin ein lebenslängliches, reichliches Auskommen gesichert habe.

Wie, beste Gräfin? antwortete Marie, ich sollte hier bleiben, wo mich alles an die goldnen Hofnungen mahnt, mit denen ich dieses Haus betrat, und mit denen ich zuversichtlich in die Zukunft blickte? Ich sollte den Mann wiedersehn, der mich um die Ruhe, um das Glück meines ganzen Lebens betrog? – ich sollte vielleicht von der Hand meinen Unterhalt annehmen, die mich ins Verderben stieß? Nein, lassen Sie mich fort – ich habe eine ansehnliche Summe, die mein[186] eigen ist. Diese und die Arbeit meiner Hände wird mich und meine Tante ernähren, und der Abscheu, den ich jetzt für ihn empfinde, wird mir Kraft geben, die Beschwerlichkeiten meiner Flucht zu ertragen.

Marie entfernte sich, und rief die ganze Stärke ihrer Seele zusammen, um fest und entschlossen zu seyn. Schon war es Abend geworden, und kalt und feucht wehte die herbstliche Luft. Aber wie wenig wirken äußere Gegenstände auf ein Herz, das die Nothwendigkeit fühlt, sich von dem loszureißen, den es liebte, um dem Gebote der Moralität und der Verzweiflung zu folgen! Sie öffnete ein Kästchen, das seine Briefe enthielt, packte sie zusammen, und hinterließ sie, ohne sie wieder anzusehn, der Gräfin, als die Rechtfertigung ihres ehemaligen glücklichen Wahns. Die Geschenke, mit denen sie die Freigebigkeit des Grafen so reichlich überhäuft hatte, legte sie diesen Briefen bei, und riß sich mit blutendem Herzen von allem los, was ihr ehemals werth war.

Aber, wandte Frau Köhler ein, als sie die Anstalten zur Entfernung auf immer sah, ist es[187] denn nicht genug, daß Dich der Graf durch eine falsche Heirath betrogen hat, – soll er auch nicht einmal zur Strafe seines Verbrechens die Sorge für unser anständiges Auskommen haben? Sey klug, Marie! und bleibe da! Daß Du nicht wieder mit ihm lebst, billige ich sehr, denn es wäre Sünde. Aber so aufs Gerathewohl in der Welt herum zu irren, ist er nicht werth, und ich bin zu alt und schwächlich, um Dir folgen zu können. Laß uns hier bleiben, und der Gräfin die Sorge für unsern Unterhalt überlassen.

Frau Köhler war eine gute Frau, und so wie Marie, gebildeter als ihr Stand. Aber das feine Gefühl ihrer Nichte hatte sie nicht, und sie wußte nicht, daß einer zarten Empfindung nichts schrecklicher ist, als Wohlthaten von einer Hand, die sie verachtet. –

Wohl, sagte Marie kalt und bitter, so bleiben Sie denn, und leben Sie in Ueberfluß von dem Gnadengehalt des Verräthers. Ich will allein fort, denn ich ziehe eine Armuth in Ehren dem Reichthum eines Menschen vor, den ich verabscheuen muß. – Frau Köhler suchte sie zu beruhigen, und Marie schien still über den Entschluß[188] nachzudenken, den sie fassen wollte. Aber er war schon fest. – In einem Tuch verwahrte sie einige Wäsche und ihr ererbtes Geld, und unbemerkt und leise schlich sie sich in dunkler Nacht die Treppe hinunter, und zum Hause hinaus.

Noch einmal blickte sie zurück, nach den düster erleuchteten Fenstern ihres lieben, unvergeßlichen Zimmerchens. Ach ein matter Schein stahl sich durch das dunkle Epheu, das es mit treuer Anhänglichkeit umgab, und zitterte herab auf den bereiften herbstlichen Boden. – Unwillkührlich mußte sie an alle die seligen Stunden denken, die sie innerhalb seiner traulichen Mauern an der Seite ihres Wodmars verlebt hatte, und vor dem Wonnegefühl der Erinnerung verstummten noch einmal ihre Schmerzen, um dann desto heftiger zu toben. Ein paar Thränen stiegen in ihr Auge, und rasch wandte sie sich um. Fort, fort, sagte sie zu sich selbst, und die ganze Größe ihres Unglücks überfiel sie jetzt; – o daß sich meine Vernunft mit meinem Glücke verloren hätte! –

Sie ging muthig zu, da sie wußte, daß weder ein Graben noch ein Fluß das ewige Einerley dieser flachen Gegend unterbrach. Die Nacht wurde kalt,[189] aber heiter, und ihre Dunkelheit erhob das Flimmern der Sterne am weiten Horizont, den sie überschauen konnte. Ohne zu wissen, wo sie sich befand, war sie mehrere Stunden durch die steinigten Felder gegangen, und nach und nach verlor sie Nesselfelds matt erhellte Fenster aus den Augen. Endlich bemerkte sie einen rauhen Weg, den sie einschlug, weil sie hoffte, er werde sie zu Menschen führen. Aber hier verließen sie ihre Kräfte, und sie hatte Mühe, die einsame Fichte zu erreichen, die ihr der blasse Schimmer der Sterne zeigte. Hier warf sie sich nieder, und die Erschöpfung und Mattigkeit, die sie fühlte, schienen ihr die Vorboten des Todes zu seyn. – Wie gern wäre sie gestorben, da sie ihre Freuden überlebt hatte! – Ihre Gedanken fingen an sich dunkel in einander zu mischen, und sie glaubte das Ende ihres Lebens herannahen zu sehen. Eine unbeschreibliche Müdigkeit drückte ihr Auge zu, und sie fiel – nicht in die Arme des Todes, – sondern eines tiefen fast todtenähnlichen Schlummers.

Er dauerte noch in seiner ganzen ersten Festigkeit, als sie ein starkes, unsanftes Schütteln daraus erweckte. Langsam schlug sie die trüben Augen auf, und erblickte einen braunen, von der Sonne verbrannten,[190] gemeinen Mann, mit einer ehrlichen offnen Physiognomie, der in der linken Hand eine derbe Peitsche hielt, und mit der rechten bemüht war, sie aus dem Schlaf, der ihm bedenklich schien, zu ermuntern. Dabey war es heller Tag, und die Sonne schien sanft und wärmend vom klaren blauen Himmel herab.

Wo bin ich? frug Marie mit heiserer Stimme, denn der nächtliche Frost hatte sie erkältet. Auf der offnen Landstraße, Jungfer! erwiederte der Mann mit einer Miene voll Verwunderung und Theilnahme. Wo gedenkt Sie denn hin, so allein? – – Wo ich hingedenke? versetzte Marie, und brach in einen Strom von Thränen aus. Ach meine Heimath ist nirgends mehr! – Der Mann schüttelte den Kopf. Ey, Sie muß doch wohin wissen, sagte er gutmüthig, indem er ihr aufhalf; aber Marie fühlte eine schmerzliche Lähmung in allen ihren Gliedern, und sank kraftlos wieder zurück. Sey Sie gutes Muths, und hör' Sie auf zu weinen! Unser Herrgott verlaßt Niemanden, der auf ihn baut; – warum denn also Sie? – Verzage Sie nicht; wenn Sie wirklich keine Heimath hat, so kann Sie leicht eine finden. Fleiß und Gottesfurcht lassen nicht zu Schanden werden! –[191]

Der redliche Ton und der biedre Ausdruck in seinem Gesicht, der diese tröstenden Worte begleitete, rührten Marien. Sie bemerkte hinter sich einen kleinen Karrn, mit weißer Leinwand überbaut, und mit einem einzigen Pferde bespannt, welcher ihrem unbekannten Freunde anzugehören schien. Guter Mann, sagte sie, und bemühte sich, ihre strömenden Augen zu trocknen, ich bin nicht so arm, daß mich der Mangel so tief betrüben sollte; ich habe Geld, so viel ich zu meinem Unterhalt brauche, wenn es nur hier ruhiger wär'! – hierbey wies sie auf ihr Herz. – Ich will nicht nach Ihrem Kummer forschen, Jungfer! antwortete der ehrliche Kärner. Es weiß ein jeder, wo ihn der Schuh drückt! Aber ich sollte meinen, ein so junges Blut, wie Sie, könnte unmöglich schon viel Herzeleid in der Welt erlebt haben. – Hier kann Sie doch mein' Seel' nicht bleiben, es mag Ihr gegangen seyn, wie es will. Hat Sie Lust, so setze Sie sich in meinen Karrn, ich fahre eben ledig nach Hause, und will Sie umsonst mitnehmen, so lang bis es Ihr beliebt auszusteigen. Da, fuhr er fort, und holte aus seiner Tasche ein Stück schwarz Brod und eine kleine Flasche mit Brandtewein, welches er ihr hingab, – erquicke Sie Sich mit[192] Speise und Trank, und hernach, wenn Sie mit will, soll's fort gehn.

Dankbar nahm Marie den gutherzigen Vorschlag des Kärners an, und stieg mit seiner Hülfe in das nicht unbequeme Fuhrwerk, unter dessen Leinwandshimmel sie ein weiches Heulager fand. Der Fuhrmann schwang seine Peitsche, und langsam rollte der Karrn mit ihr dahin. –

Sie hatte nicht viel Zeit, den traurigen Gedanken nachzuhängen, die ihr ihr Schicksal bot. Ihr Führer war in einer gesprächigen Laune, und suchte sie, indem er nebenher ging, bald durch ein Liedchen, das er sang oder pfiff, bald durch Erzählungen aus seinem häuslichen Leben zu unterhalten. An mir, sagte er, hat sich Gottes Segen reichlich bewiesen. Ich war vor zehn Jahren ein armer Bursch, und erwarb mir mit Dienen mein sparsames Stückchen Brod. Mein Herr hatte ein großes Freygut, und pflegte sein Getraide viele Meilen weit zu verfahren. Da er nun sah, daß ich treu war, und das liebe Vieh wohl in Acht nahm, so übertrug er mir's, und ich mußte viele Fuhren thun, die mir glückten. – Liese, die Hausmagd, war eine flinke Dirne, und ich wurde[193] bald gewahr, daß sie mir allemal ein freundlicher Gesicht machte, wenn ich wieder kam, als wenn ich wegfuhr, woraus ich schloß, daß sie mir gut war. Ich konnte sie ebenfalls leiden, denn sie hatte schwarze Augen und rothe Backen, und war fix und gewandt, aber ich dachte: Konrad, geh' nicht so geschwind zu Werke! – es gehört mehr als das zu einer guten Frau. Ich ließ mir nichts merken, daß sie mir wohl gefiel, sondern gab Acht, und erkundigte mich unter der Hand, wie sie sich aufführte. Da sah ich denn selbst, und hörte auch von andern, daß sie ein fleißiges, ehrbares, vertragliches Mädchen war, die jedem das Seine gab, und still und ordentlich vor sich hin lebte. Nun erst frug ich: Liese, willst Du mich haben? – Sie wurde roth bis über die Ohren, hielt die Schürze vor die Augen, gab mir die Hand, und sagte: Ja! – Das war nun wohl ganz gut, aber wovon leben? – Liese hatte nichts als ein paar flinke Arme und ein ehrlich Gemüthe, und ich hatte bis jetzt auch noch nicht dran gedacht, etwas von meinem Lohne zurück zu legen, denn ob ich gleich weder ein Spieler noch ein Säufer war, so liebt' ich doch Sonntags meinen Tanz, und versäumte keinmal, mich in der Schenke einzufinden, wo ich denn auch was aufgehn[194] ließ. Aber das wurde nun anders. Ich kam nicht mehr zum Hause hinaus, und ersparte jeden Groschen zu meiner künftigen Wirthschaft. Liese machte es eben so, und nach ein paar Jahren hatten wir schon so viel gesammelt, daß wir uns konnten ein Hüttchen mit einem Garten kaufen, welches eben im Dorfe feil war. Weil es baufällig war, bekamen wir es um einen geringen Preis, und ich wandte nun alle meine Feyerabende an, es auszubessern, und in guten Stand zu setzen. Endlich nahm ich Liesen, und kriegte eine gute, fleißige Frau an ihr. Wir tagelöhnerten, und Liese spann noch nebenher; – so verdienten wir reichlich was wir brauchten, und konnten noch einen Sparpfennig zurücklegen. Wie der nun allmählig heranwuchs, schafft' ich mir ein Pferd und den Karrn an, weil ich mit dem Geschirr wohl umzugehn wußte, und that für meinen ehemaligen Herrn, der mir immer noch wohlwollte, Fuhren für's Geld. Jetzt hab' ich doch nun so viel erübrigt, daß der Hafer, den der Gaul frißt, auf meinem eignen Acker wächst, und daß ich das Getraide selbst kaufen kann, was ich verfahre. Dabey bin ich gesund und fröhlich. Komm' ich nach Hause, so freut sich mir das Herz im Leibe, wenn ich meine freundliche Frau, und die vier[195] gesunden Kinder seh', die sie mir gebohren hat. Dann ruh' ich mich wieder aus, besorge das Häusliche, mache mir einen guten Tag, und fahre dann wieder in die Welt hinein. O Sie glaubt nicht; Jungfer! was das für ein frohes Leben ist. Alles was ich habe, hab' ich eignem Fleiße und meiner Zuversicht auf Gott zu verdanken, der mich niemals verlassen hat, und dies macht gutes Blut und frohe dankbare Herzen.

Marie hörte den biedern Kärner an, ohne ihn zu unterbrechen, aber ihrem Herzen, so wund und krank, gab die Schilderung seines einfachen häuslichen Glücks schmerzhafte Stiche.

Er blieb bei seinem Stande, seufzte sie, und strebte nicht nach einem höhern! O warum verleitete mich die Liebe, den meinigen zu vergessen? – –[196]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Marie Müller. Schleswig 21814, S. 186-197.
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