9. Scene.

[19] Vorige. Münzer ist schon während der vorhergehenden Scene unbemerkt aufgetreten.


MÜNZER. Das will ich – so wahr mir Gott helfe!

LIBORIUS. Die Stimme kenne ich!

PFEIFER freudig erregt. Münzer!

BAUERN durcheinander. Münzer – er ist hier – er ist es – welches Glück – Freiheit – Nun wird Alles gut – Münzer – hoch Münzer – gelobt sei Gott!

LIBORIUS. Weh uns – wie Donner klingt's in meine Ohren – weh uns, der Geist der Hölle erwacht –

MÜNZER. Der Hölle? Erbärmlicher Pfaffe, der Geist der Gerechtigkeit ist erwacht, und er wird nimmer ruhen, bis er seine Feinde zu Spott und Schande gemacht hat. Eine neue Ordnung der Dinge naht, und ich bin gekommen, sie euch zu bringen –

BAUERN. Münzer – Münzer – sprich zu uns – sprich für uns – rette uns – befreie uns – sei unser Führer wie einst –

GERLIND für sich. Welch gemeiner, hinterlistiger Ausdruck in diesen Zügen! Welch widerwärtiger Klang der Stimme!

MÜNZER ist auf den Rand der Cisterne gestiegen. Thüringer, Bauern – was steht ihr noch immer thatlos und in Verwirrung? Was erwartet ihr noch? Wollt ihr harren, bis das letzte Korn verbacken, bis[19] die letzte Jungfrau geschändet ist oder sich aus Noth verkauft hat, bis Hunger und Elend eure Kräfte ganz aufgezehrt haben und ihr zu schwach seid zum Kampf und Widerstand? Oder glaubt ihr, daß der Himmel ein Wunder thun und den Sinn eurer Bedrücker in einer Nacht zur Milde kehren werde?

BLINTE. Nieder mit ihnen – schlagt sie todt – zapft ihnen das Fett ab!

DIETRICH. Ganz vorzüglich gepredigt – der Bursche ergötzt mich. – Weiter im Text!

LIBORIUS. Ihr spottet, Graf? Orkanartig schwillt der Sturm an – immer höher schlagen die Meereswogen zusammen ... Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, zu uns komme –

DIETRICH. Herr Abt, ihr dauert mich mit eurer Angst.

MÜNZER. Weh dem Lande, in dem ein Frauenkleid mehr kostet als das Mittagsmahl einer Provinz. Mit eurem Schweiß ist der Wein gewürzt, den sie trinken, mit euren Thränen sind die Pasteten gesalzen, die sie essen, und eure Seufzer sind in die Atlasgewande eingewoben, die ihre Weiber tragen, wenn sie zu Spiel und Tanz schamlos die Brüste entblößen!

GERLIND zornig vortretend. Wie, du frecher Volksverführer wagst hier Frauen zu schmähen? Berichte doch auch, wie vielen Kranken wir Linderung und Arzenei bringen, wie wir ihnen beistehen, weuu sie siech und elend darniederliegen –

DIETRICH. Schweig! Geh in deine Kemnate! Fort!

MÜNZER. Welch stolzes Bild! – Dank' es euch die Hölle! Wenn eure Verschwendung, eure Putz- und Genußsucht sie siech und arm gemacht und auf's Hungerbett geworfen, werft ihr ihnen einen linnenen Lappen hin! Menschenfreundinnen – mit dem kleinen Finger gebt ihr, mit beiden Fäusten habt ihr genommen –[20] trinkt eure bittern Tränklein selbst und heißt eure Männer uns Brot geben!

BAUERN. Ja, Brot, Brot!

ERICH leise. Lasset sie ruhig reden und toben bis eure Landsknechte zurückkommen, sie können nimmer weit sein. Dann schließet sie alle mit einem Mal ein und zehntet sie ohn' Erbarmen, so erhaltet ihr die Ruhe für immer.

DIETRICH. Vortrefflich. Schicke schnell einen Knappen den Reisigen entgegen, daß sie auf der Stelle hierher zurückkehren! Erich spricht mit einem Knappen.

MÜNZER. Graf Dietrich von Farnrode und ihr ritterliche Herren, hört mein letztes Wort. Im Namen eures ganzen gequälten Volkes spreche ich zu euch. Vernehmt, was wir begehren. Wir wollen uns selbst unsere Lehrer wählen, daß uns fürder nicht mehr Lug und Trug in das lebendige Wort Gottes gemischt werde. Wir wollen dem Kaiser zehnten, wie es in der Ordnung ist, doch nimmer wie jetzt, daß das Beste, das Unentbehrliche von uns genommen werde und uns nicht bleibt, davon wir leben mögen. Wir wollen frei sein, denn wir sind alle Gottes Kinder, nimmer soll ein Mensch Gewalt haben über des andern Leib, und Gut: ein Recht soll gelten für uns wie für die waffentragenden und geistlichen Herren, und was uns verboten ist, soll ihnen nicht erlaubt sein. Wald und Wasser und was darin kreucht und fleugt, soll unser so gut wie euer sein; was unsere Hände schaffen, soll uns zum vollen Ertrage gehören und Keiner ihn uns entreißen. Wir wollen es nicht ferner hingeben, daß ihr eurer Fehdelust und kriegerischen Spielerei fröhnen möget – statt mit dem Schwert möget ihr mit dem Spaten umherstolziren wie wir, und kein Adel soll gelten, als der, so sich jeder den Karst in der Hand erworben. Deine Gefangenen gieb frei, Graf Dietrich: keiner soll hinter Mauern büßen, weil er für Gerechtigkeit[21] und Ordnung gekämpft, sei er auch hierin einen Schritt zu weit gegangen. – Ihr Herren, ich frage euch im Angesicht des allgegenwärtigen Gottes und eures Volkes: erkennet ihr diese Forderungen für recht und billig an, so erklärt dies mit einem förmlichen Eide und tretet in unsern Bund als unsere Brüder und schwört mit uns zu kämpfen für unsere Sache, ehrlich und ohne Hinterlist, bis zum letzten Athemzuge. Wo nicht – so sei fürder kein Friede zwischen euch und uns! Graf Dietrich von Farnrode, gieb Antwort! Trommeln hinter der Scene.

BAUERN erschreckt. Was ist das?

ERICH. Hei, das ist unsere Antwort! Nun wollen wir euch auf eure Frechheit einen Bescheid geben mit Flinten und Kanonen, daß ihr heulen und winseln sollt!

MÜNZER. Ist's so gemeint? Du könntest falsch gerechnet haben, Bube! – – Brüder, jetzt ist's am äußersten, jetzt wehrt euch eures Lebens. Hervor eure Eisenstäbe und auf die Stöcke geschraubt – heraus die Morgensterne, die spitzenbeschlagnen Ringe, heraus die Sensen und Sicheln und Dreschflegel und Pflugscharen! Alles werde zur Waffe, selbst die Krücke! Ihr dort hinten – schnell die Waffen vertheilt, die ihr heraufgebracht habt! – Heinrich, rechts ab mit den Deinen wider die Landsknechte, wirf sie den Berg hinunter – ihr da, die Halle gestürmt, dort hängen noch Waffen genug! Ihr hier den Getreidespeicher besetzt. Vorwärts! Heinrich, besetze das Thor! Ihr folgt mir in die Burg! Drauf! Die Bauern haben ihre langen Röcke geöffnet und Waffen der von Münzer bezeichneten Art hervor gezogen. Einige der zuletzt mit Münzer Gekommenen vertheilen noch schnell Waffen.

PFEIFER. Folgt mir – wir wollen sie zum Tanze auffordern, daß sie ein Schwindel überkommen soll! Ab rechts mit einem Theil der Bauern.[22]

ERICH. Verdammt, sie waren vorbereitet.

DIETRICH. Wir überwältigen sie doch, die Hunde!

MÜNZER. Folgt mir! Schlagt nieder, wer sich wehrt. Was zur Nahrung dient, nehmt ihr an euch, wer plündert und stiehlt, wird gehangen. Drauf! Stürmen gegen die Burg, die Frauen, Liborius und Rüdiger sind schon vorher unter Wehrufen entwichen, Dietrich, Erich und Helldrungen werden von der Menge in die Halle gedrängt und entwaffnet.

MÜNZER zu Hans. Sei frei und folge uns!

HANS stürzt Münzer zu Füßen. Meister, dir getreu bis in den Tod – das vergeß ich dir nimmer. Umarmt Frau Hüfer. Mutter, wie geht's meinem Weibe?

BLINTE. Heia, jetzt wird's lustig – wozu hab' ich denn meine Fackel? Die Fackel schwingend ab. Waffenlärm innerhalb der Burg und vor dem Thor. Nach einer Weile erscheint.

MÜNZER. Sieg! Sieg! Nur auf dem Bergfried halten sie sich noch!

EIN THEIL DER BAUERN. Hoch Münzer!

PFEIFER mit anderen Bauern. Gottlob! Aber es war eine harte Arbeit!

MÜNZER. Heinrich!

PFEIFER. Die einen liegen im Burggraben, die andern kugeln den Berg hinunter Mühlhausen zu.

MÜNZER. Wackerer Junge! Umarmen sich. – Zu den Bauern. Da ist der Getreideschuppen, nun holt euch Brot, stillt euren Hunger, ihr habt es euch redlich verdient!


Flammenschein, Rufe hinter der Scene.


Feuer, Feuer, der Schuppen brennt!


Das Feuer verbreitet sich reißend über die Bühne.


MÜNZER. Mord und Tod, wer hat das gethan?

BLINTE vorwankend, sich brüstend. Ich! Kein andrer als ich! Mag es doch brennen, das Rattennest!

MÜNZER wüthend. Betrunkener Hund! Packt Blinte beim Kragen.[23]

BLINTE wehrt sich. Laß mich!

MÜNZER. Ich ermorde dich!

GERLIND'S Stimme hinter der Scene. Weh! Hilfe! Hilfe! Ich verbrenne!

MÜNZER. Welche Stimme! – Ein Weib verbrennt! – Schnell zu Hilfe! Ab in die Burg.

PFEIFER packt Blinte. Hund, du hast das Getreide angezündet!

BAUERN. Schlagt ihn todt! Schlagt Alles todt!

BLINTE auf den Knieen. Laßt mich leben!

PFEIFER. Wie es raucht und qualmt! Ich glaube, das ganze Raubnest geht in Flammen auf. – Gott, wo ist Münzer? Ihm entgegen! Münzer!

MÜNZER erscheint auf der Rampe, ganz geschwärzt, die ohnmächtige Gerlind auf dem Arme. Gerettet!

BAUERN ihm entgegen. Brot! Brot! Schaff' uns Brot!

MÜNZER mit unterdrückter Wuth, auf den brennenden Speicher zeigend. Da! So friß doch, Gesindel!

PFEIFER. Wen bringst du da?

MÜNZER. Die erste Gefangene!

PFEIFER. Thomas, Gott ist mit uns!

MÜNZER. Die Bestie ist entfesselt – nun ist kein Halten mehr – gehe es wie es mag.


Der brennende Schuppen stürzt ein.


BAUERN. Rettet euch, rettet euch!


Unter Feuer, Rauch, Lärm, Getöse fällt der Vorhang sehr rasch.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 19-24.
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