Einundzwanzigstes Kapitel.

Jochimken hüte Di!

[247] »Ich stach in ein Wespennest. Ich weiß es. Heran! Hier ist mein Arm, hier meine Brust, mein Gesicht ist frei. Ich will ihnen auch in's Gesicht sehen. Warum haben sie nicht den Muth! Was schwirrt es wie Käfer in der dunstigen Luft! Ihre Väter haben es doch gewagt, es galt eine große Frage. Gott entschied für meine Väter. Warum geht ihnen der Athem ihrer störrigen Vorfahren aus? Es muß schlechter um ihr Bewußtsein stehen als um ihr Recht.«

So sprach der Kurfürst und ging mit hastigen Schritten auf und ab. Er war allein; der Kammerdiener, der die Lichter angezündet, eilte, daß er wieder hinauskam. Der Fürst liebte Niemand um sich in dieser Stunde.

Aber noch eben hatten die Bürgermeister der beiden Städte und einige Rathsherrn im Zimmer gestanden.

»Auch diese Bürgerherren, ich will es glauben, sie lieben mich; ich that ihnen ja noch nichts, wie meine Vorfahren, aber warum denn nicht heraus mit der Sprache! Warum diese dunkeln, Ungewissen, scheuen Andeutungen? Fahre ich mit einer Frage, einem Wort, einem Blick drein, stäubt's auseinander wie der Rauch vor'm Winde, und erstarrte Ehrfurcht zittert vor mir, der das Wort im Munde gefror; sie wissen nichts.«[247]

– »Wenn sie auch wüßten, der Muth ging ihnen aus. – Auch für ihren Fürsten, weil er gegen ihn ausgegangen? Haben so die trägen Jahre gezehrt, hat so das Fett sie eingeschüchtert. Allmächtiger Gott, ich weiß es ja, daß ich eine große Sendung übernahm, dieses verwüstete Land zu sittigen, daß ich tief einschneiden muß in das Fleisch, Wunden giebt es. Hat die alte Wüstheit ein Recht für sich, warum tritt sie nicht auf, warum fischt sie nicht offen, Mann gegen Mann mir gegenüber. Ich liebe einen tüchtigen Widerstand, der meine eigene Kraft stählt, einen großen, ehrlichen, offenen Kampf, wo Gott entscheidet. Wenn sie siegten –«

Er schwieg bei sich. Ob er sich doch nicht zutraute, wenn sie siegten, dem Gottesurtheil sich zu unterwerfen! Auch der Tapferste liebt es nicht besiegt zu werden.

»Und auch das noch!« rief er, das fürstliche Siegel, das sein Wappen enthielt, auf einem Schreiben erbrechend, welches der Fourier hereingebracht. Der Brief war von seinem Oheim, dem Markgrafen Friedrich dem Aelteren von Baireuth.

»Wieder Warnungen, Anmahnungen! – Ein Graf von Giech! – Herr Graf von Giech, Euren alten Adel, Euer schönes Stammschloß auf den fränkischen Bergen in Ehren, in Ehren auch den Botschafterposten meines erlauchten Ohms, aber ich werde mit Euch märkisch reden. Wenn mein Ohm, Euer Herr, als ich bei meines Vaters Tode ein Knabe war, mich für verständig genug hielt, daß ich das Regiment auch ohne Vormund führe, so erwägt, daß ich durch Jahre und Erfahrung älter ward und keinen Hofmeister aus der Fremde bedarf. – Er mag kommen, der Herr Graf von Giech!«

Der Fürst warf das Schreiben auf den Tisch und sich in den Sessel. Seine Augen flogen durch das Dunkel des gewölbten Zimmers.

»Wer hat mich angeklagt? Wer rief nach Franken um Hülfe? Der Brief ist stumm. Und wenn ich den Herrn Grafen fragen werde, wird er wie die Bürger antworten: ›Man sagt‹, ›man meint‹. O diese namenlosen Angeber, diese dunkle Macht des Gerichtes, diese Fledermäuse in dunstigen Gewölben! Alle sind es, aber Keiner. Sie grollen Alle, aber wen ich ansehe, warum zeigt mir denn Keiner die Zähne? – Warum verziehn sich die Runzeln in ein freundliches Grinsen, warum überstottern sie sich in Ehrfurchtsbetheuerungen! Es ist ja möglich, daß ich irrte, ich bin ein Mensch, jung; möglich, daß ich zu rasch gehandelt, mich hinreißen ließ – wenn sie Muth hätten, wenn[248] ihre Sache gut wäre wie meine, warum ist denn nicht ein Einziger, der es wagt, mir vor die Stirn zu treten, der es ausspricht? Ich könnte zürnen, auffahren, strafen. Nun, wagt das Keiner um eine gute Sache! Wagt Keiner, sich selbst zu opfern, um was ihm heilig ist? – Ich will mit ihnen fertig werden, mit ihnen allen, ich allein!«

Im Zimmer verbreitete der große schwarze, mit vielen künstlichen Figuren ausgelegte Ofen eine dunstende Wärme. Joachim riß das Fenster auf, um frische Luft zu schöpfen. Es kam auch da nichts Frisches herein. Ein Dampf lagerte über der Stadt, die Spree floß träg zu Füßen der Mauern, kaum daß ein Paar Sterne sich matt in ihrem schwarzen Wasser spiegelten. Wenige gingen über die Brücke. Nur drüben an dem sumpfigen Ufer hielt ein Mann mit zwei Reitpferden. Ein Anderer, in einen Mantel verhüllt, einen Federhut auf dem Kopf, sprach mit ihm. Dann schritt dieser über die Brücke nach dem Schlosse zu; nach einer Weile folgte ihm der Mann mit den beiden Pferden. Es schien dem Fürsten, als wenn er die Thiere vorsichtiger führte, als es sonst Art ist.

Der Anhauch der Luft hatte sein Blut nicht erfrischt, als Joachim sich wieder an den Schreibtisch setzte. Er las, er schrieb, aber seine Gedanken flogen abwärts. Er dachte an seinen Oheim Friedrich, dessen Schreiben vor ihm lag. Wie glücklich war der in seinem glücklichen Oberlande, in den grünen Bergen, wo die muntern Bäche plätschern, die Tannen an den Abhängen rauschen, die Morgensonne die schönen Schlösser auf den Höhen anglüht. »Ach wären wir dort geblieben! Welche saure Arbeit wäre uns erspart!« – »Aber auch eine ehrenvolle Arbeit minder,« antwortete er sich und langte wieder aus dem Pult das Testament des Vaters. Er las es, und las es. »Ich arbeite ja nur in Deinem Dienst, auf Deinen Befehl.«

Das Pergament war wieder verschlossen und Joachim schrieb und blätterte in den Schriften vor ihm, bis die dunkeln Gedanken abermals ihn zu übermannen schienen. Er legte die Feder weg und seinen Kopf in die Lehne.

»Und gerade zum heiligen Weihnachtsfest! Ich hatte mich nimmer so gesehnt, es in stiller Weihe zu begehen, als dieses Jahr, um mich würdig vorzubereiten auf das große Werk in Frankfurt. Wenn nach Neujahr der Abt, mein Freund, wie er versprochen, kommt –«

Er hielt sich das Gesicht mit beiden Händen:

»Mein Freund! – Wer ist denn mein Freund! Der ist[249] ein Freund meines Wissens, meines Strebens, der der Ehren, die ich ihm zuwende, der ein Hund an der Kette, der wedelt mich an aus Furcht, daß ich ihn schlage. – Ich habe keinen Freund! – Lindenberg, dein Tod ist gerächt. So schnell hast du Recht gewonnen. Ein Fürst, der Niemand mehr traut als sich, ist dem Gesindel anheimgefallen, sprachst du. – Ich traue ja Niemand mehr – sie Alle schleichen, Alle nur der Widerhall meiner Worte. Und wenn sie stumm sind, auf welchen langen Leichenzug verbrecherischer Gedanken muß ich lauschen! – Du klagst mich an. Hörst du auch meine Klage. – Aber ich hätte milder sein können gegen mich, ich hätte mich selbst täuschen sollen, daß mir die süße Melodie deiner Worte länger vor den Ohren klänge! Deine That hätte ich gut machen können, nur um dich mir zu retten. Du warst ja nicht mehr gefährlich. Die Spieluhr, die mir vor den Ohren summt, belügt mich ja nicht. Sie singt, wie ich sie stimmte. Und ist es denn ein Verbrechen, einer Lüge horchen, die uns nicht mehr täuschen kann? Sind sie immer Gift? Vielleicht wohlthätiges Gift, Balsam auf verharschende Wunden, die unter der rauhen Hand der Wahrheit wieder aufgehen und von Neuem bluten. Allmächtiger Gott, was ist die Wahrheit, nach der wir ringen?«

Er schauderte zusammen: »Wenn ich ihnen allen in's Herz schaute, ihre Gedanken vor mir lägen wie ein offenes Buch! – Bewahre mich der Herr vor dem Entsetzlichen. Wir hätten in diesem unruhevollen Leben keinen ruhigen Augenblick. Geharnischt müßte ich mich auf mein Lager werfen, und wenn ich aufspränge, das Richtschwert zücken! Wohlthätiger Nebel, den er über unsre Augen goß, nur so viel Licht uns schenkend, als wir ertragen mögen! Ja was die Sterne uns vertrauen, das ist wahr. Darin zu lesen vergönnte er aber nur Wenigen und Weniges. Das andere ist Spiel! Ich haßte das Spiel, und doch – ich wollte, daß es mehr Spiel gäbe, mehr süße liebliche Täuschung, nur auf Augenblicke die Wirklichkeit zu vergessen.«

Die ungeputzten Kerzen brannten nur dunkel. Es war todtenstill. Von den Thürmen schlug es Mitternacht. Der Fürst lag zurückgelehnt in seinem Stuhle.

»Es ist zu spät, es ist geschehen,« murmelten seine Lippen sein Auge schloß sich, aber vor dem inneren traten die Gestalten auf, die ihn allnächtlich heimsuchten. Seine Brust bebte, sein Arm hob sich etwas, die Hand preßte sich krampfhaft zusammen. Er sah den Geist des Ritters, die Wendeltreppe kam[250] er herauf, er schritt durch den langen Gang. »Warum, warum immer mit den hohlen Augen, Lindenberg! Klagst du die Raben an oder mich? Dein Auge war so glänzend. Ich riß es dir ja nicht aus. Was schleichst du wie auf Diebessohlen! Was stehst du an der Thür?«

Die Erscheinung verschwand nicht. Es war ein etwas Mehr als die Vision, die aufgeregten Sinne wurden thätig. Er hob sich, auf die Armlehne gestützt, wie ein Lauschender. Plötzlich ein Schrei, er sprang auf:

»Maria Joseph, was ist das?«

Joachim riß die Augen auf. Er hörte deutlich einen streichenden Ton an der Thür, ein Kratzen; dann ein Fall, wie ein leichter Körper auf den Fliesen des Bodens; dann Tritte, wie eines hastig Forteilenden. Er wollte nach der Klingelschnur greifen, das wäre zu spät worden. Den Armleuchter ergreifend, stürzte er nach der Thür und riß sie auf. Am Ende des langen Corridors verschwand die dunkle Gestalt. »Mörder!« wollte der Fürst rufen, die Stimme versagte ihm. – Das Licht der Kerzen beleuchtete etwas Weißes an der Nußbaumthür. Die Kreide, mit der die Schrift geschrieben, lag am Boden. An der Thüre standen die Worte:


Joachimken! Joachimken hüte Di!

Kriegen wi Di, so hangen wi Di!


Unten stampfte ein Roß. Hufschlag durch das Portal. Er stürzte in das Zimmer zurück an's Fenster. Ueber die lange Brücke sprengten zwei Reiter. Von drüben kam eine fröhliche Gesellschaft von einem Schmause zurück. Bei dem Schein der Fackeln konnte er die Umrisse der einen Gestalt erkennen. Die Reiter mußten große Eil haben. So preschten sie durch die Gäste. Er hörte ihre Hufschläge klappern, die Oderberger Gasse entlang.

Wenn der Kurfürst jetzt, da er nach der Schnur zur großen Glocke eilte, in den Spiegel gesehen, an dem er vorüberging, hätte er auch vor einem Gespenst erschrecken mögen. Ein so blasses Gesicht sah ihn mit starren Augen aus dem Glase an. Als die Glocke stürmte, durchschauerte es ihn bang. Seine Miene schien zu sprechen: »Wen wird sie rufen? Steh ich doch schon vielleicht allein?« – Die Edelknaben schliefen. Hatte man sogar vergessen die Wächter auf den Gang auszustellen, – Waren die Tritte, die jetzt den Corridor hastend herankamen, schon die Tritte der Mörder? Seine Hand griff unwillkürlich an der Rechten nach dem Dolch, aber schnell ließ er die Hand[251] wieder sinken, als schäme er sich der Bewegung. Er hatte andere Waffen.

Die Kammerherren, die hereinstürzten, erschraken, wie er, auf die Stuhllehne gestützt, da stand und sie anschaute.

»Wer hatte die Wacht im Schlosse?«

»Der Ritter von Otterstädt.«

»Wo ist Otterstädt?«

Was wollte der Fürst mit dem strengen, irren Blicke? Als verlange er die Antwort nicht mehr, machte er eine abwehrende Bewegung, welche sie gehen hieß.

Der Geheimrat von Schlieben ward angemeldet. Zählte der Fürst auch dessen graue Haare? forschte er, ob der Verrath darunter verborgen sei? Er saß, wie erschöpft im Armstuhl, und sein strenger Blick hieß den alten Diener an der Schwelle weilen.

»Durchlauchtigster Herr, ich komme zur ungewohnten Zeit –«

»Aber Du findest mich wach. Das werden sie Alle, sag's ihnen.«

»So wüßte mein gnädigster Herr schon –«

»Otterstädt ist ausgestrichen, wie aus meinen Diensten, aus dem Buche meiner Gnade. Man soll ihn fahnden, wo man ihn trifft. Man setze ihm nach auf der Stelle! Ich will ihn finden, wo er sich verberge, einen Preis auf seinen Kopf! Ich sage Euch, er soll es büßen, schwer, furchtbar, entsetzlich. Joachim läßt nicht mit sich spielen. Wehe dem, der sich erdreistet, mich für einen Knaben zu halten.«

»Wie, mein gnädigster Herr, was ich eben erst –«

»Zauderst Du? Gehörst Du auch zu ihnen? – Ja, Du zitterst.«

»Den Otterstädt holen wir nicht mehr ein. Er flieht mit unterlegten Rossen nach der Lausitz zu seinen Verwandten, den Minckwitzen.«

»Die Rosse bestelltest Du ihm. – O, auch ich kann Verwunderung heucheln. Wer noch! Ich frage lieber: wer nicht? Deine Hände auf! Sind sie nicht auch weiß von Kreide?«

»Ich stehe hier und spreche, weil es meine Pflicht ist, weil mein Schwur, als meines Kurfürsten Diener es mir gebietet. Erst in dieser Stunde ward ich von den schweren Dingen unterrichtet. Mißvergnügte hatten eine Anklage versucht gegen Euer kurfürstliche Durchlaucht, was ich ein Erfrechen nenne, bei dem Freigericht. Die Sache blieb geheim bis diesen Abend, wo der Jähzorn Einiger der Mißvergnügten über den Fehlschlag[252] ihrer Hoffnung sie zu tollen, gefährlichen Reden verführte, die mir von Getreuen hinterbracht sind.«

»Das Freigericht will mich nicht richten?«

»Es soll sich erklärt haben für nicht competent.«

Joachim lachte häßlich auf: »Ich will mich für competent erklären zu richten, wen und wer es sei, der in meinen Landen ein ander Gericht anruft, das nicht von mir Macht und Vollmacht erhielt; Jeder und männiglich und das Gericht auch, wie es heißt und was es sei, das nicht vom Kaiser selbst Vollmacht und Freibrief hat. – Wollen sie mich nicht auch bei Kaiser und Reich verklagen?«

»Ich kenne nicht die Absichten der Mißvergnügten.«

»Aber sie selbst. Wer sind die Mißvergnügten? Nenne sie.«

Der Geheimrath zuckte die Achseln.

»Und das Deine Pflicht, das Dein Schwur! Damit soll ich zufrieden sein!« Joachim war aufgesprungen.

»Lindenberg's Hinrichtung hat viel Schmerz bereitet.«

»Ist das Alles? Hier siehst Du Einen, der an diesem Schmerze nagt.«

»Mehr als Schmerz. Daß ich mich unterstehe es meinem durchlauchtigsten Herrn zu sagen, Viele haben es mißbilligt, sehr mißbilligt, die Zahl der Mißvergnügten wurde sehr groß.«

»Heute erst! Warum wagtest Du nicht früher, es auszusprechen? Der stiehlt und raubt fast an meiner Seite, die lassen zu, daß ein ehrlicher Mann darum fälschlich angeklagt wird; der kritzelt mit seiner verruchten, majestätsverbrecherischen Hand an die Thür meines Schlafgemachs eine Todesdrohung, und Du, mein erster Rath, geschworen, mir treu zu dienen, erprobst die Treue, daß Du mir verschweigst, was mir zu wissen vor Allem Noth that. Verantworte Dich, Herr von Schlieben!«

»Wenn alle gestraft würden, gnädigster Herr, welche anstehen, ihrem Fürsten zu berichten, was ihm unangenehm zu hören ist, hätten die Fürsten keinen Hof mehr, keine Räthe und keine Minister.«

»Und doch, wie bereitwillig seid Ihr Alle, zu hinterbringen, wenn es Dritte gilt. Welch Gaudium Eurer Seelen, Verdacht auszustreuen, wo Ihr zu ernten hofft. Nur diesmal Alle einig, weil Jeder die Schuld des Andern trägt und verbirgt. Dieser Mann ist mir lieb, dieser Otterstädt. Er hat doch was gewagt. Die wüste Tollheit seines verbrecherischen Hirns brach wie die Flamme, heraus, die sich nicht mehr zügeln läßt. Wenn sein Kopf auf der Stange steckt, werde ich ihm zunicken. Ich liebe[253] warmblutige Menschen. Ihr andern seid der stille Brand, der fortglüht unter der Asche. Man kann nicht überall die Augen, nicht überall Acht haben, wo er helle Lohe schlägt. Vor mir, da bin ich sicher; aber wer schützt mich vor Denen hinter meinem Rücken!«

Der Geheimerath verneigte sich tief; er sprach die Bitte aus, da sein gnädigster Herr sein Vertrauen von ihm abwende, ihn seiner Dienste zu entlassen, und einen würdigeren Rath zu wählen.

Ein böses Lächeln schwebte um Joachims Lippen: »Wo ich hingreife, ist's derselbe Stoff. Ein Todter sagt's, hörst Du, die Todten lügen nicht. Es lohnt sich nicht ändern, wo man nicht bessern kann. Du bleibst. Wer ritt mit Otterstädt?«

»Man rieth auf den und jenen. Bestimmtes weiß Niemand.«

»Der und jener – man räth – Niemand! – Ich will diesen Niemand finden, diesen Rathenden ein Räthsel aufgeben. – Wer bezog die Schloßwache?«

»Konrad Burgsdorf.«

»Wenn er Brandbriefe an die Mauer schreibt, soll er Handschuhe anziehen. Die Kreide an seinen Finger könnte ihn verrathen.«

»Mein Gott, was soll daraus werden!« entfuhr es dem von Schlieben. So in krankhafter Aufregung hatte er seinen Fürsten noch nie gesehen.

»Nur ein Hochgericht, Schlieben! Wenn meine Mannen und Diener zu verschlafen sind, einem Verbrecher nachzusehen, wird Gott andere Rächer einem beleidigten Fürsten erwecken. Es giebt Gerichte auch drüben in Sachsen. Nicht rasten will ich, noch ruhen, bis Otterstädts Haupt auf einer Stange über dem Thore von Berlin schwebt. Ich bin's mir, ich bin's einem andern schuldig, der mir lieber war. Zur Warnung Euch allen, so hoch der Verbrecher stehe, so stark sein Arm ist, so viele Freunde für ihn sprechen.«

»Gnädigster Herr! welche entsetzliche Wahnbilder beunruhigen Euer Durchlaucht. Euer Volk, ich darf es sagen, ist ein gutes und treues Volk, und wenn unter Eurem Adel Mißvergnügte sind –«

»So sind sie's mit Recht. Nun bist Du auf guter Fährte. Sprich Dich aus, gieß aus den verhaltenen Unmuth, so liebe ich's. Klage mich offen, herzhaft an. Auf dieser Stelle sprach so ein anderer Mann zu mir. Er hielt mich nicht mehr für ein Kind, als der Tod vor seiner Thür stand. Mann gegen Mann hat er mich angeklagt, und ich hörte ihm mit Lust zu. Seine Lippen sind nun bleich, sein Athem ist ihm vergangen, sein Herz ist kalt. Der kann nicht mehr sprechen. Nun trittst[254] Du für ihn auf, Du setze fort die Rede. Sprich wie ein Anwalt, dessen Mund, ein Vulkan, Feuer sprüht, zeihe mich der Grausamkeit, der Eigenmacht, des Leichtsinns, vertheidige den Adel gegen Deinen Fürsten, beschwöre aus den Grüften die unverjährbaren Rechte, die ich brechen, zertreten will, überzeuge mich von meinem Unrecht. Dir soll kein Haar gekrümmt werden, wenn Du Deinen Groll in tausend Verwünschungen gegen mich ausschüttest; nein, ich will auf jedes Deiner Worte lauschen, wie ein Liebender auf das Geflüster seiner Geliebten.«

»Herr! allerdurchlauchtigster Kurfürst, mein gnädigster Gebieter, möge die Zunge erstarren, die sich dessen erfrecht. Ich bin fern davon –«

Höhnisch lachte der Fürst auf: »Warum stehst Du dann noch da? Geh nach Haus. 'S ist späte Nachtzeit. Sieh in der Kinderstube nach, ob das Deckbett nicht von den Kleinen gerutscht ist. Die Nacht wird kalt.«

»Er redet im Fieber,« sagte der Geheimerath, als er das Zimmer verließ. »Man muß nach dem Leibphysikus senden, daß er in der Nähe des Zimmers wacht.«

Aber Joachim sandte nicht nach dem Leibphysikus, sondern bald nachdem der Minister gegangen, stand Hans Jürgen von Bredow in seinem Zimmer und schien auf einen Auftrag zu harren, während der Fürst an seinem Tische schrieb.

Die Briefe waren geschrieben, versiegelt und ruhten in der ledernen Tasche auf der Brust des Edelknappen. Er hatte aufmerksam und ehrerbietig den Aufträgen des Fürsten zugehört. Da legte Joachim die Hand auf seine Schulter:

»Du dienst nicht gern?«

»Ich war frei.«

»Auch das Dienen,« sprach Joachim, »wird zur Lust, mein ich, wenn man wirklich frei wird. Davon ein ander Mal, wenn wir uns näher kennen. Aber nicht wahr, im Grund des Herzens grollst Du mir eigentlich noch?«

»Wär' ein Schelm, wenn ich lüge.«

»Mehr wollt ich nicht. Nun reite, Hans Jürgen. Aber eile, daß Du wiederkommst, denn ich brauche Dich in meiner Nähe.«

Als er fort war, sah ihm der Fürst nach: »Gebenedeite Himmelskönigin, ein Fürst ist nicht verloren, der noch einen wirklichen Menschen um sich weiß. Die Klugen sind alle Verräther, ich will's nun mit – mit dem will ich's versuchen!«

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 247-255.
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