Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Unterricht in der Erziehung.

[180] Wir waren nur am späten Abend, bei einem flüchtigen Besuch, in den Zimmern der Geheimräthin. Es sah jetzt anders darin aus. Die Möbel hatten neue Ueberzüge erhalten, manches Veraltete war einem neu Angeschafften gewichen. Die Schildereien waren geschmackvoller geordnet, das Silberzeug glänzte frisch aufgeputzt, und die Geheimräthin war selbst beim Drapiren der Gardinen beschäftigt, als van Asten eintrat.

»Sie finden mich in einer ungewohnten Beschäftigung. Aber wenn man etwas ordentlich gemacht haben will, kann man es den Leuten nicht überlassen. Es hält schwer, unseren Ouvriers Geschmack beizubringen.«

»Frau Geheimräthin erwarten Gesellschaft?«

»Eine ganz kleine. Sie wissen, wie die großen, glänzenden mir zuwider sind, wo Alles auf den Apparat abgesehen ist, und Geist und Herz sich verstehen müssen.«

»Man spricht schon in der Stadt von Ihren geistvollen Cirkeln.«

Die Geheimräthin zuckte die Achseln: sie möchte wünschen, daß man weniger davon spreche, man könnte sein Haus doch auch nicht für Jedermann offen halten. Dennoch wehrte sie die Elogen schon schwächer ab, als Walter van Asten die Aeußerung einer geistvollen Prinzessin wiederholte, die sich gefreut, daß doch endlich einmal das Haus eines Offizianten sich der Bildung und Kunst erschlossen, da, wer nach Geist und Intelligenz verlangt, sie bis jetzt fast nur in den reichen Judenhäusern suchen musste.

Die Geheimräthin lächelte: »Zu gütig von dieser geistreichen Prinzessin. Der Prinz, ihr Bruder, macht allerdings keinen Unterschied, ob er in der haute volée oder in den Judenhäusern ist; nur im Schooß seiner Familie sieht man ihn am seltensten.«

Die Bemerkungen waren so hingeworfen, daß Walter darin die Aufforderung las, noch mehr zu erzählen, obwohl ihre Worte dagegen protestirten. Dieselbe Prinzessin hatte geäußert, es sei doch eine wirkliche Beschämung für unsern Adel, daß er der Kunst und Wissenschaft und dem Umgange mit den Geistern der Nation sich verschließe, die ihre Ehre ausmachen. Da hätte eine Fremde, die Staël nach Berlin kommen müssen, um ästhetische Cirkel zu bilden, und jetzt usurpire Prinzeß Biron von Kurland, was die Pflicht des einheimischen Adels sei.

Die Geheimräthin machte einige Bemerkungen über die Herzogin von Kurland, daß sie sich merk würdig konservirt habe, schöner eigentlich noch als ihre Töchter, die doch auch sehr liebenswürdig[180] wären. Aber ihre Gedanken waren wohl nicht bei der Herzogin, noch den Gelehrten und Dichtern, die sie in ihren Bann gezogen.

»Prinzeß Radziwill hat auch gefragt, wer denn Schiller gefeiert, als er hier war? Ebenfalls wieder Juden, Fremde, Diplomaten, einige bürgerliche Häuser.«

»Ich habe mir Schiller doch anders gedacht,« sagte nach einer Pause die Lupinus. »Er war so schweigsam. An Ehrenbezeugungen hat es ihm doch wirklich nicht gefehlt, aber es blitzte so selten das innere Feuer auf. Ich sprach zwei Mal mit ihm, und beide Mal redete er wie ein gewöhnlicher Mensch. Ob er uns vielleicht der erhabenen Sentiments, der berauschenden Gedanken nicht werth hält, die doch bei jeder geistigen Berührung aus einem Geiste wie der seine aufsteigen, emporwirbeln müssen, denke ich, wie die Lerche in den Aether!«

»Es ist vielleicht nicht gut, daß man die Dichter mit Lerchen vergleicht.«

»Sie wollen sie lieber mit Nachtigallen vergleichen,« sagte die Lupinus spitz, »die aus der Nacht ihrer Einsamkeit ihre Töne schmettern lassen, wenn es ihnen eben bequem ist, eigensinnig, qu'importe wer sie hört.«

»Es mag auch manches Andere ihn verstimmt haben,« sagte Walter noch ungewiß, wohin die Geheimräthin steuerte. »Ihre Majestät die Königin hätte ihn gern hierher gezogen.«

»Meinen Sie nicht auch, ein Genius wie seiner wäre in unserem Staube, unserer Kritik, an unserer Hofluft untergegangen? In Weimar thront er in einem Tempel, hier hätte er Tempeldienste verrichten müssen. Es fehlt hier an der rechten Sonne, meinen Sie nicht auch? Und noch immer so viel Rücksichten, Bedenklichkeiten. Es sieht Einer den Andern an, wenn er in die Gesellschaft tritt, und wenn er ihn noch nicht gesehen, fragt er zuerst, ob er auch zu ihm gehört? Mein Gott! Diese Geburts- und Standesunterschiede müssten doch verschwinden, wenn die rechte Sonne des Geistes in einem Centralpunkt auf Alle schiene, gleich wie in einem Saal die Kerzen an den Seitenwänden keinen Schatten werfen, wenn ein voller Kronleuchter Alle von oben beleuchtet. So könnte ich mir das Haus der Herzogin denken. Aber sie ist nur eine passagere Erscheinung, und dann ladet sie doch auch nur eine gewisse Elite ein, es ist auch noch manches andere da, doch passons là-dessus. Ebenso können die Kreise der geistreichen Jüdinnen nicht dominirend werden, es stößt sich doch Mancher daran.«

Jetzt wusste van Asten, wohin die Geheimräthin steuerte. Warum sollte er nicht in ihre Wünsche ein gehen! Es war keine Sünde gegen die Wahrheit, daß er es für verdienstlich erklärte, wenn eine Dame ihr Haus als Vereinigungspunkt für die[181] Notabilitäten der Intelligenz öffne, eine Dame, die mit klarem Verstande, Belesenheit, seiner Sensualität, und durch den Stand ihres Gatten und ihre eigene Geburt dazu wie berufen scheine.

»Sie scherzen! Das könnte eine Jede, wenn sie wollte. Im Uebrigen, was ist es denn auch besonderes, wenn man etwas anders aussieht, als diese ehrbaren Hausfrauen, die vom Bügeln und Kinderwiegen noch echauffirt scheinen, wenn sie ihr Gesellschaftskleid angelegt haben. Denn allerdings kommt mir Manche vor, wenn sie nach dem Kuchenteller den Arm ausstreckt, als mache sie eine Bewegung, um ein Stück Wäsche über die Leine zu werfen. Und dann, lieber van Asten, Sie spielen auf meine Herkunft an. Ich bitte Sie, um Gottes Willen, nur davon nichts, daß ich von Adel bin. Ueber diese Unterscheidungen sind wir doch hinaus. Sie wissen, daß ich meinen Namen ohne Thränen einem Bürgerlichen hingeopfert habe. Lassen wir die Todten ruhen! Ja, ich will gern meine Schwäche bekennen, es ist mir manches Mal recht angenehm, ja es schmeichelt mir, wenn ich mich als den Mittelpunkt dieser heitern, von Geist und Witz funkelnden Kreise betrachte. Aber, – sie hielt einen Augenblick inne – aber, wenn sie gegangen, die Lichter ausgelöscht sind, überfällt mich doch wieder, ich weiß nicht was, ein inneres Gähnen, eine Hohlheit.«

»Verlangen Sie von einem Spiel ein Resultat?«

»Aber von all dem schwirrenden Geschwätz, von den Händedrücken, den zärtlichen Betheuerungen, was bleibt denn andres als – eine Lüge! Ich weiß recht gut, daß einige von den jungen Leuten, die am Tisch die Mäßigen gespielt, noch ins Weinhaus eilen, um sich zu restauriren. Es thun es auch noch Andere, Johannes Müller, Herr Dedel, auch vom Prinzen weiß ich es. In ihren Symposien machen sie sich herzlich über uns lustig. Und ich verdenke es ihnen nicht. Gährt und kocht es doch auch in mir, und wenn meiner Natur die erhitzenden Getränke nicht entgegen wären, könnte ich mit ihnen Vergessenheit trinken wollen. – Sie sehen mich verwundert an. Nein, nein, ich versichere Sie, ich empfinde das ganze Unbehagen, von dem man mir erzählt, daß es die Schwelger nach ihrem Rausche fühlen.«

Van Asten sah sie betroffen an. »Warum stürzen Sie sich denn in die Lüge, wenn Sie ihre Wirkungen kennen?« Er verschluckte es.

»Und wenn die Leute sich auch wirklich amüsirt haben,« fuhr sie nach einer Pause fort, »wie sie versichern, worüber war es! Die in der Ecke am lustigsten schienen, lachten vielleicht über mich, über mein Bestreben, ihnen einen angenehmen Abend zu bereiten. Vielleicht über den Geheimrath, unsre Bewirthung, Einrichtung, Gott weiß worüber. Alle sind meine Feinde, Neider, und ich musste doch beim[182] Abschied die Hand ihnen drücken, und sie versichern, wie unendlich ich mich gefreut, sie bei mir zu sehen, warum sie so schnell forteilten. Darum Embrassements, nachgewinkte Küsse, Betheuerungen, daß sie seit lange keinen so vergnügten Abend verlebt. Und wenn sie auf der Straße sind, kaum in den Wagen gestiegen, gähnen sie, wie ich gähne: Gott sei Dank, daß der langweilige Abend vorüber ist.«

Welcher Dämon war plötzlich in die seltsame Frau gefahren! Mit der Gefallsucht, über die er nicht Richter sein wollte, hatte sie begonnen, und aus ihrem Innersten quoll heraus, was sie ihm nicht hatte sagen wollen. War er der Magnet, der ihre verborgenen Gedanken und Qualen wider ihren Willen entlockte, oder welche unsichtbare Macht zwang sie, noch eben in der geschmückten Lüge sich schaukelnd, den hässlichsten Grund der Wahrheit herauszukehren! Es war eine Wahrheit der Empfindung; dieser verkniffene Zug um den Mund, dieser böslächelnde Blick konnten nicht heucheln.

»Es ist das Mysterium der Natur,« sagte er, »daß oft, wo wir nicht säen, wir Liebe ernten.«

»Und doch sind Liebe, Freundschaft, Entzücken und Begeisterung nur Masken für den Egoismus. Mit ihnen will Jeder so viel für sich herauspressen, als er kann. So lange es ihm gelingt ein Vergnügen sich zu verschaffen, so lange dauert die Freundschaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade so lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert. Ist der hin, das Thema erschöpft, wird uns die liebste Freundin, der beste Freund gleichgültig. Anstandshalber führen wir noch eine Weile die Täuschung fort, bis wir die Puppen fallen lassen, herzlich froh, wenn ein Zufall uns trennt.«

Damit war das Gespräch zu Ende. Statt eines eitlen geistvollen Weibes stand neben ihm eine Salzsäule. Es war eine Verwandlung, zu der sie so wenig gethan als Lots Frau zu der ihren, nur ein Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Convenienz, daß er nicht schweigend ging: »Wenigstens,« äußerte er, »werde die Tochter des Kriegsraths Alltag, davon sei er überzeugt, nie vergessen, was sie der Geheimräthin Lupinus verdankt.«

»Meinen Sie!« Die Salzsäule sah ihn mit einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Grade so lange wird sie mich als die Schöpferin ihres Glückes enthusiastisch lieben, als sie sich in meinem Hause amüsirt und vergöttert wird. Vielleicht auch nicht einmal so lange. Nur bis sie auf eigenen Füßen steht, und von mir nichts mehr profitiren kann.«

Er verbeugte sich: »Frau Geheimräthin haben sonst mir nichts zu befehlen?«[183]

»Adieu – doch! Warten Sie. Ich hatte ja einen Auftrag für Sie Richtig. – Springen Sie doch im Vorübergehen bei Alltags an. Die Kriegsraths werden sich vielleicht wundern, wenn sie von der Gesellschaft heut Abend hören und nicht eingeladen sind. Aber das geht doch nicht immer. Sie passen ja nicht.«

»Ihre Eltern –«

»Eben darum; nur Adelheid zu Liebe! – Wenn sie sehen, daß das Mädchen solche gewöhnliche Eltern hat!«

»Der Vater ist doch ein geachteter Mann –«

»Wer redet von solchen Aeußerlichkeiten. Sie passen nicht zu der gebildeten Gesellschaft. Wenn auch etwa Schadow und Hirt mit solchen Kern- und Naturmenschen sich zu unterhalten einen Spaß finden, so sind doch Andere, die daran keinen Spaß finden. Die Russische Fürstin hat zugesagt, und ich – Sie sehen mich in einer kleinen Aufregung und Spannung – ich hoffe auch, Jean Paul wird kommen.«

»Jean Paul Friedrich Richter!«

»Ich hoffe wenigstens. Man reißt sich so um ihn, daß man es wirklich einen glücklichen Augenblick nennen kann, wo man ihn frei trifft. – Indessen – wie gesagt also, gehen Sie zu den Eltern, und Sie werden schon die beste Art finden, es ihnen begreiflich zu machen. Es hätte sich erst heute so zufällig gemacht –«

»Es wird schwer sein, die Art zu finden, die nicht beleidigt.«

»So sagen Sie, nein sagen Sie, was Sie wollen, es ist mir im Grunde ganz gleichgültig. Was gehören Alltags zu Jean Paul!«

Van Asten verneigte sich wieder, aber an der Thür rief ihn die Geheimräthin wieder zurück: »A propos, ich habe doch vergessen, was ich Ihnen sagen wollte. Mein Kompliment dem Lehrer, sie lernt unbegreiflich schnell, aber sie müssen ihr etwas mehr ästhetischen Elan geben.«

Van Asten sah sie erstaunt an: »Ich finde in ihr ein Verständniß der Dichter –«

»Ja, ja, das ist schon recht – das ist es aber nicht –«

»Ihr Gedächtniß für alle wahrhaft schönen Stellen –«

»Ist bewunderungswürdig. Das Fischerlied von Goethe hörte sie nur ein Mal von Ihnen, und am Abend recitirte sie es mir vor dem Zubettegehen. Admirabel! Das ist alles recht schön, auch kann sie die Glocke beinahe auswendig. Schiller war enchantirt davon. Ich hatte es nämlich so einzurichten gewusst, daß er sich mit der Berg an der Thür im Nebenzimmer unterhielt, als sie von den jungen Mädchen wie zufällig aufgefordert, einige Partien daraus deklamirte. Aber Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen, als Schiller plötzlich in die Hände klatschte. Glauben Sie, daß, wenn ich sie vorher ihm vorgestellt, sie nur den Mund aufgethan hätte? Mit[184] Schiller passirte das noch, aber wie benahm sie sich gegen Jean Paul! Da von der Gesellschaft unter den Linden will ich nicht sagen. Es war ja ein Gedränge um ihn, beinahe ein Skandal.«

Walter lächelte. Der böse Leumund erzählte von zwei Freundinnen, die in derselben Absicht nach dem Sessel eilten, von dem der Dichter eben aufgestanden. Der Natur der Dinge nach konnte nur eine die glückliche sein und sitzen, wo der Dichter gesessen. Man behauptete, daß beide seitdem nicht mehr Freundinnen wären.

Die Geheimräthin las aus Walters Lächeln den Sinn: »So seid Ihr alle, und Keiner besser als der Andere. Die Huldigungen edler Frauen für eine Größe, wenn sie Euch selbst nicht gelten, sind nur gut für Euren Spott. Nicht wahr, das charmante Triolett, was durch die Stadt läuft, ist von einem Ihrer Freunde, von dem Herrn Tieck oder Bernhardy, oder einem der Herren Schlegel?«

»Unsere Freunde,« sagte er, »erkennen das echte Feuer, das aus diesem Genius in so wunderbaren Flammenwirbeln der Phantasie und des Humors gen Himmel prasselt, wenngleich der krause irdische Troß, den es mitnimmt, Vielen das Verständniß seiner Seelenaccorde erschwert.«

»Wir nun bemerken nicht diesen Troß und sind darin glücklicher als die Herren der Schöpfung, denen so oft der Sinn über die verletzte Form verloren geht. – Das aber ist es, ja, ja, Herr van Asten, Sie wollen Ihrer Schülerin einen zu klassischen Sinn einimpfen. Sie dämpfen ihre Entzückungen – aber was ich sagen wollte, – ich habe ihn nachher mit Adelheid besucht –«

»Jean Paul? – und mit Adelheid?«

»Die Russische Fürstin war eben fortgefahren. Wir trafen nur noch vier Damen, die ihm einen Teppich gebracht, denn der Fußboden ist sehr kalt, weil er über einem Stall wohnt. Sie ließen es sich nicht nehmen, ihn selbst anzunageln, und während dem hatten wir die schönsten Minuten. Ach wie ganz anders ist Jean Paul als Schiller! Jeden Moment, jedes Blitzen eines Sonnenstrahls weiß er zu benutzen, es sprüht immer etwas Sinnvolles, Angenehmes. Wenn eine der Damen sich auf die Finger klopfte, beneideten die Genien sie um den Schmerz, den eine edle Seele bei einem Liebeswerk empfindet.«

»Und die Damen erwiderten die Galanterien?«

»Es scheint wirklich ein Pfingstgeist in unsere Landsmänninnen gefahren. Denken Sie, selbst die Eitelbach, wie berauscht von seiner Nähe, ward witzig. Sie sprach etwas, was im Hesperus stehen könnte.«

»Oder vielleicht schon darin steht.«

»Gleich viel, es ist eine Magie, die alle in seiner Gegenwart[185] über sich selbst erhebt. Ich ließ ihm durch Adelheid ein Bouquet überreichen.«

»Gewiß mit Worten, die im Titan einen Ehrenplatz fänden.«

»Es war, meine ich, keine üble Phrase, eine Phantasie, die mir am Morgen eingefallen war. Sie hatte sie auch ganz gut auswendig gelernt, eine Art Streckvers. – Sie trug einen Kornblumenkranz im Haar.«

»Kornblumen! –«

»Natürlich künstliche; die Kornblumenzeit ist ja vorüber. Sie sollte mir recht natürlich kindlich aussehen. Aber sie sprach so hölzern, ich möchte sagen gedehnt. Mir ward schon ängstlich zu Muthe, und sie war kaum in der Mitte, als die Eitelbach den Schrei ausstieß. Sie nämlich war es, die sich mit dem Hammer auf den Finger geklopft hatte. Da sprang Jean Paul vom Sopha und küsste ihr das Blut vom Finger.«

»Was eine unangenehme Unterbrechung gab.«

»Stellen Sie sich vor, Adelheid war nun so in Confusion, oder was war es, sie hatte den Streckvers vergessen, überreichte ihm, wie ein Bauermädchen, den Strauß und sagte: Die Blumen bleiben ja, was sie sind, auch ohne Worte.«

»Der Dichter wird durch ein Impromptu die Verlegenheit ausgeglichen haben.«

»Das ist es eben, er sprach so wunderschön, in lauter gewählten, ich möchte sagen selbst in Streckversen; aber sie antwortete ihm, als wäre er ein Mann wie andere, ganz offen, naiv, dreist. Es schnitt mir durch die Seele. Das Mädchen empfand so gar nichts von der Veneration. Jeder giebt sich doch Mühe, so viel er wenigstens kann, sie an den Tag zu legen.«

»Jean Paul wird ihr verziehen haben.«

»Ich aber nicht,« fiel die Geheimräthin, scharf ihn anblickend, ein. »Was soll er von mir denken, wenn nicht einmal meine Umgebung das Interesse an den Tag zu legen weiß, das er bei den unbedeutendsten Frauen erregt. Unbedeutend ist Adelheid nicht, es muß also doch etwas an ihren Lehrern liegen –«

»Oder an ihrem Charakter.«

»Den ich in diesem einen Punkt zu biegen mir erlauben werde, mein Herr van Asten. Uebrigens wird sie Gelegenheit haben, ihn in diesem Augenblick zu zeigen. Da ich heut Morgen durch Doktor Selle erfuhr, daß die Gesellschaft der Kurland ausfällt – sie ist an den Hof geladen – also Jean Paul frei ist, schickte ich Adelheid zu ihm, ihn zu invitiren.«

»Das junge Mädchen –«

»Mit dem Bedienten.«[186]

»Aber – er logirt – was man gewöhnlich eine Kneipe nennt.«

»Ich weiß es, unten ist eine Bierstube, auf dem Hofe eine Hufschmiede. Ist er darum weniger der Dichter?«

»Und in der frühen Stunde. In Pantoffeln und Schlafrock, die Pfeife im Munde –«

»Empfängt er Fürstinnen, denen die Stunde und das Kostüm nicht unanständig erscheint, wenn es gilt, dem Genius die Huldigungen darzubringen, würdig des Mannes, welcher so die wahre Frauenwürde erkannt hat. Adelheid wird davon nicht sterben, beruhigen Sie sich, wenn sie sich einmal selbst überwindet. Wir müssen uns Alle überwinden, das – ist die Aufgabe unseres Lebens. Morgen aber kommen Sie etwas später zur Lektion, Herr van Asten, wir müssen ausschlafen.«

Als er die Thür öffnen wollte, trat Adelheid ein.

»Kommt er?« rief die Geheimräthin.

»Er kommt!« Sie flog der Geheimräthin an den Hals, die ihre Locken streichelte und ihre Stirn küsste.

»Ich wusste es, einem so schönen Mädchen konnte er nichts abschlagen.«

»Ach, hätten Sie ihn gesehen, wie ich ihn sah, liebe – Mutter,« – das Wort kam etwas zögernd über die Lippen. »Mit welchem Herzklopfen ich die kleine, steile Treppe hinaufstieg, aber es war heut alles ganz anders. Wie er mir schon entgegentrat! Er ist ein herrlicher Mann! – Ach Herr van Asten, bald hätte ich Sie übersehen! O gehen Sie noch nicht fort, bleiben Sie, Sie müssen es auch hören –«

Sie reichte ihm die Hand: »Ja, wie man sich in dem Menschen täuschen kann. Neulich kamen mir alle seine Reden so künstlich vor, und daß er das zuließ von den Damen. Mir fiel einer von den Götzen ein, von denen Sie mir aus Indien erzählt, die sich umherrollen lassen, und ihre Sklaven liegen auf der Erde. Verzeihen Sie mir, Mama, ich konnte mich kaum zurückhalten aufzulachen, er kam mir so unmännlich, albern vor, wie er auf dem Sopha ruhig die Huldigungen hinnahm, und nichts dafür gab, als blumigte Reden. Aber heut trat er mir mit einem frischen, kräftigen ›Herein!‹ entgegen, schon angekleidet. Er fasste meine Hand, als ich Ihre Bitte kurz aussprach, aber nicht so süß wie neulich, es war wie ein Mann dem andern die Hand schüttelt. Er hörte mich freundlich an, und sprach dann: ›Sagen Sie Ihrer Pflegemutter, ich nehme ihre Einladung mit Dank an und werde kommen, ich danke Ihnen aber, mein liebes Kind –‹ doch das thut nichts zur Sache –«

Aber die Geheimräthin wollte mehr, sie wollte alles wissen,[187] was Adelheid nicht wiedersagen wollte. Vor einem Genius verstummen alle Rücksichten.

»Er fuhr mit der Hand über meine Stirn. Dabei sah er mich ungemein freundlich an. ›Sie sind ein wahrhaftes deutsches Mädchen!‹ Das kann ich wohl wiedersagen ohne zu erröthen, aber was er nachher sprach, wie er sich ein deutsches Mädchen, und wie er sein großes Vaterland sich denke und es liebe, ach da müsste ich ja selbst eine Dichterin sein. Ich dachte an Sie, Herr van Asten, wissen Sie noch, als Sie bei der Geschichte der alten Kaiser aus Schwaben in Feuer geriethen, es war wie ein großes Bild, das Sie in die Luft malten, und ich sah alles leuchten wie Flammen und Abendroth, wenn Sie mit Ihrem Finger Kreise durch die Luft zogen: Da beginnt die deutsche Glorie auf dem Berge Hohenstaufen, dann fuhren Sie mit dem Finger im Zickzack durch ganz Deutschland, jetzt nach Italien, nach Asien, ich sah deutlich den reißenden Fluß mit den schönen Bäumen, in dem der Kaiser Barbarossa ertrank, dann fuhren Sie hinüber nach Sicilien, Sie zeigten das Blutgerüst, auf dem der edle Konradin verblutete, und endlich wiesen Sie nach dem Berge in Thüringen, und schlossen: Das war Deutschland und da ruht seine Zukunft! Und was Jean Paul sprach von der Auferstehung der freien, großen Nation, der wir freudig entgegen leben sollten, uns vorbereitend in Tugend und Sitte und reinem Natursinn, da stand mir Ihr Bild wieder klar vor meiner Seele.«

»Daß es Ihnen nie untergehe,« sprach rasch der junge Mann. »Ich irrte mich nicht in ihm. Leben Sie wohl!«

»Auf Wiedersehen, heute Abend. Ich selbst will Sie ihm vorstellen.«

Der Lehrer sprach einige undeutliche Worte. Die Geheimräthin stotterte: »Herr van Asten sei wohl heute behindert, da er von ihrem Manne so lange aufgehalten worden.«

»Mama, haben Sie ihn nicht eingeladen?« fragte Adelheid verwundert, als sich die Thür schloß.

»In die Gesellschaft passt er doch nicht.«

»Mein Lehrer den Sie selbst so hoch schätzen?«

»Es ist nicht deswillen. Aber er ist zu unansehnlich.«

»Unansehnlich!«

»Jean Paul freut sich an schönen Gesichtszügen. Van Asten ist doch eigentlich hässlich.«

»Hässlich!« rief Adelheid mit Schaudern und schien sich zu besinnen. »Das ist mir nie eingefallen, daß van Asten hässlich sei. Daran habe ich überhaupt nie gedacht.«

»Was auch recht gut ist, liebes Kind,« entgegnete lächelnd die Geheimräthin. »Und überdem ist er nichts in der Gesellschaft.«[188]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 180-189.
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