Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Mars mit dem Zopf.

[205] Eine Gesellschaft, zur Zeit als Gesellschaften die Blüthe des geistigen Lebens repräsentirten, mag man mit einem Sonnensystem vergleichen. Wenn aber viele Sonnen mit gleichen Ansprüchen da sind, kann sie uns wie ein Universum erscheinen, das, nicht fertig, noch nach einem Centralpunkt sucht. Ein solches meteorisches Wogen ist für Viele unbehaglich, für den Beobachter interessant, für den Maler aufzufassen unmöglich. Er muß sich mit Segmenten genügen lassen.

Die Wirthin wäre gern die Sonne gewesen. Aber eine Sonne muß nicht allein scheinen und leuchten, sie muß auch wärmen. Sie war eine Frau von Verstand und selbst Witz, eine Erscheinung, die nicht ohne Eindruck blieb, aber es war nicht der[205] Verstand und Witz, der fesselt, nicht die Erscheinung, die zugleich imponirt und anzieht. Sie durchdrang die Gespräche, sie wusste sie zu leiten, abzubrechen, aber ihnen nicht den Hauch und die Färbung zu geben, daß sie sich von selbst fortspannen. Sie war die liebenswürdige Wirthin, die für Jeden etwas Angenehmes in Bereitschaft hatte, aber es schien so spitz zugeschnitten, daß die Oekonomie dem Geschmeichelten nicht entging. Es blitzte wo sie erschien, die Konversation wogte in sanften Wellenlinien einer gewählten Sprache, aber sie stockte plötzlich, wenn sie zu anderen Kreisen sich wandte. Man fühlte sich genirt, wo sie hinzutrat, und frei, wenn sie den Rücken gedreht. Das wird freilich in allen Gesellschaftskreisen sein, wo eine an Geist und Bildung überragende Erscheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unsichtbare Joch, die Magie des Geistes, gegen die sie, ohne sich selbst bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, sie fühlen sie sogar doppelt, wo der Geist sich zu ihren Vorstellungen herablässt, und sie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Aber diese Gesellschaft war eine ungleich andere, als die gemischte, in der wir neulich die Geheimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle, sie wußte was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf sie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geistvolle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlverstanden das, was Zwei sich sagten, die sich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn sie sich verständigten, kamen einige »Aber« hinterher. »Aber sehr scharf.« – »Geistreich, sehr geistreich, aber ihr Geist schneidet.« – »Enfin,« sagte ein Dritter, »sie hat Alles, um eine Gesellschaft zu entzücken, nur fehlt ihr der Aplomb.«

Es waren Wandelsterne und Fixsterne. Zu jenen gehörten die Wirthin und ihre Pflegetocher. Wenn Jene mit ihrem leisen Tritt die Kreise durchwandelte, konnte man sie mit einer Geistererscheinung vergleichen. Das ist ein gewagtes Gleichniß; aber eben so gewagt ist es doch, wenn Andere Adelheid mit dem aufgehenden Morgenstern verglichen, oder gar mit einer Sonne, die Frohsinn und Lust verbreite. Wer schärfer gesehen, hätte vielleicht auch die Anstrengung des jungen Mädchens bemerkt, so zu erscheinen, wie die Pflegemutter es wünschte, immer munter, naiv, geistreich. Es war noch ein anderer weiblicher Stern von sehr verschiedener Natur, auf den wir später treffen werden. Jean Paul war noch nicht da, auch Herr von Wandel ließ noch auf sich warten. Dagegen schien an dem großen Ofen eines Nebenzimmers einer der Fixsterne zu stehen in der Person des französischen Gesandten Laforest. Der Diplomat brauchte seine Kreise sich nicht aufzusuchen,[206] oder er wollte es nicht, aber er zog magnetisch die kleinen Lichter an sich. Er war heute sehr aufgeräumt und liebeswürdig, behauptete man. Ein Bonmot ging schon durch die Zimmer. Auf eine unbescheidene Frage: was ihm in Berlin am besten gefalle, hatte er geantwortet: die Oefen. Andere hatten schon gehört, daß er gesagt: es sei das einzige Gute, was er in Berlin gefunden. Noch Andere, er habe gesagt: in einer Stadt, wo er nichts kalt und warm gefunden, sei eine Maschine, die man nach Belieben heizen und kühlen könne, der preiswürdigste Gegenstand.

In einer Herrengruppe musterten Einige die Gesellschaft. Man wunderte sich, den Geheimrath Lupinus von der Voigtei unter den Gästen zu sehen.

»Was wundert Sie das,« sagte der Regierungsrath von Fuchsius. »Er ist völlig frei gesprochen und Alles bleibt ja beim Alten.«

»Aber sein Leben auch dasselbe. Es ist doch ein Skandal, wie ich hörte,« bemerkte ein Major noch in jüngeren Jahren; er hatte nicht den preußischen Pli.

»Wir bleiben Alle, was wir sind,« sagte aufseufzend Fuchsius. »Seit Lombard zurück, die Anstrengungen der Königin, neue Lebensgeister ins Ministerium zu bringen, gescheitert sind, ist es mit allen den guten Vorsätzen und den schönen Ansätzen vorüber. Welche treffliche Reden und Memoiren sind umsonst geschrieben.«

»Zum Teufel mit den Reden!« sagte ein General, den grauen Schnurrbart streichend; aber es leuchtete noch Feuer aus seinen lebhaften Augen.

»Das denkt vermuthlich der Geheimrath Lupinus auch,« fuhr der Rath fort. »Warum soll er sich geniren? Es schwimmt ja Alles wieder in diesem Sumpfe süßer Gewohnheit weiter. Und wenn der Staat selbst sich auf dem Lotterbrette weiter streckt und wiegt, was darf er vom Einzelnen fordern, daß er sich aufrafft! Der König, das gebe ich Ihnen zu, wünschte es –«

»Wenn er nur wenigstens die französischen Orden nicht angenommen hätte!« rief der General, der sich auf einen Stuhl gesetzt, und presste die Brust auf der Rabatte zusammen. »Schimpf und Schande! Mag er sie der Clique austheilen, aber der preußische Ehrenrock ist beschimpft, wenn auch Militairs sie tragen müssen!«

»Das kommt auf Ansichten an!« erlaubte sich der jüngere Militair zu entgegnen. »Der feindliche General, den Napoleon in seinen Bulletins lobt, fühlt sich doch mehr geschmeichelt, als selbst durch die Orden, die ihm sein eigener Fürst ertheilt.«

»Spitzfindigkeiten, mein Herr von Eisenhauch!« fiel der General ein. »Sie gerade würden sich am meisten schämen. – Alliancen, wo sie natürlich und möglich sind, ein Entschluß, wo die Ehre gebietet, und Krieg, wo es die Existenz gilt.«[207]

Fuchsins sagte, sich vorsichtig umblickend: »Nehmen Sie sich etwas in Acht. Man weiß in Saint Cloud, daß Sie ein militärischer Ideologe und ich weiß, daß Laforest Sie beobachten lässt. Aus Enghiens Beispiel wissen wir wenigstens, wie der neue Kaiser zu schrecken versteht.«

»Pah!« rief der General. »Wir sind nicht in Baden. Ich sage Ihnen, wer jetzt nicht herbeieilt, um am Brande mitzulöschen, ist so schlimm, als wer Feuer hinzuträgt. Wonach Bonaparte trachtet, liegt klar zu Tage. Oesterreich soll erdrückt, zermalmt werden. Ein Thor, wer jetzt noch glaubt, daß Oesterreichs Vernichtung Preußens Erhebung ist. Das Schicksal hat bestimmt, daß beide Feinde zusammen handeln. Nur darin sollen sie rivalisiren, wer am tüchtigsten losschlägt. Zaudern wir jetzt wieder –«

»So sind wir isolirt und – verloren!« rief Fuchsius.

Ein stolzer Kommandoblick des Generals traf den Sprecher: »Wer sagt das!«

»Wenn wir alle unsere Bundesgenossen von uns gestoßen –«

»Sind wir noch wir selbst.«

Der General hatte sich erhoben, die beiden Herren folgten, sie blickten sich bedeutungsvoll an.

»Ja meine Herren,« fuhr der General fort, »es wäre ein namenloses Unglück, man könnte uns der Frechheit, des Verrathes beschuldigen, wenn wir wieder die Gelegenheit entwischen lassen, wie vor sechs Jahren, aus Eigensinn oder Eigennutz. Ein Unglück ja, wenn wir nicht losschlagen, aber verloren sind wir nicht, wenn wir allein stehen.«

Die jüngeren Zuhörer senkten die Augen. Der Veteran aber fuhr mit leuchtenden Blicken und gehobener Stimme fort:

»Nein meine Herren, vielleicht fügt es das Schicksal so, damit wir noch größer einst dastehen. Sie sind kein Preuße, Herr von Eisenhauch, Herr von Fuchsius ist kein Militär, ich bin beides, und mein Herz pocht laut und froh bei dem Gedanken: wir allein ihm gegenüber! Dann Alles in die Wagschaale geworfen, und, ich sage Ihnen, wir schnellen nicht in die Luft! Braunschweig, Möllendorf, Hohenlohe, Kalkreuth! sind das nicht Namen, vor denen die Davoust und Bernadotte, und wie sie heißen, erbleichen! Einer genügte schon; denn welcher Ruhm und welche Erfahrung sind da aufgespeichert. Und nun denken Sie, alle diese Namen vor einer Armee, deren Offiziere zur Hälfte noch unter Friedrich siegten, vor graubärtigen Soldaten, die noch sein Auge anfunkelte. Und die Generale, die zum Felddienst zu alt, pflanzen ihre Fahnen auf die Mauern unserer stolzen Festungen. Denken Sie sich dies Corpus von altem Ruhm, unvergleichlicher Taktik, von preußischem Muthe beseelt, von Wuth entflammt, zehnjährige Unbilden zu rächen, und gegenüber –[208] die zusammengestoppelten, gepreßten Schaaren der windigen Franzosen, die nur siegten, weil sie schneller sich bewegen konnten, – dies räumen wir ihnen ein, – denken Sie ihn anpreschen mit solchen Schwärmen gegen ein Quarré, ein Quarré aus der ganzen Preußischen Armee, und fragen Sie sich dann, wie viel Napoleon Bonaparte's Name wiegen, wie viel Ueberzahl er haben muß, welche taktische Künste ausreichen, damit er diese Eisenmauer durchbricht. Er wird sie nicht durchbrechen, und wir, wir wollen sehen, wie Friedrichs Geist von Leuthen auf uns herabblicktt!«

Es war etwas Hinreißendes in dem Feuer, dem der alte Kriegsmann sich überlassen. Man wusste, als Kornet hatte er unter Friedrich seine Sporen erworben, der große König selbst hatte dm Jüngling mit seiner Gnade beglückt. Es war Wahrheit in der Rede, wenn auch nur die des Glaubens.

»Aber Herr General geben mir zu, –« was der Major sagen wollte, ward vom General unterbrochen.

»Daß einige Reformen nothwendig sind. Ja, einige, Herr Major.« Er hatte ihn am Rock gefasst, und fuhr vertraulicher fort. »Die reitende Artillerie, das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung. In einem Lieblingskinde sehen die gescheidtesten Väter oft nicht die Fehler. Auch ein großer Mensch ist ein Mensch, und darum keinen Vorwurf auf den großen König! Ihre Konstruktion der Lafetten, ich sage es grade heraus, trotz Tempelhofs Autorität, ist admirabel; sie muß eingeführt werden, was auch der Kriegsminister opponirt. Auch Ihre Ideen über die Bespannung zeugen von dem Scharfsinn, den ich ästimire. Selbst zugeben will ich, daß in unserm Geschützgießen Verbesserungen möglich sind, aber ich denke, daß unsre Kanonen noch, wie sie sind, einen Preußischen Donner orgeln sollen, der die Franzosen an Roßbach erinnern wird. Nicht alles auf ein Mal! Gegen Ihre Propositionen hinsichts der Spontons bin ich; das sage ich Ihnen jetzt offen raus. Da Sponton-Exercitium mag immerhin andern närrisch erscheinen, Narren werden Sie in der Welt überall finden. Das Präsentiren mit dem Sponton ist das Präsentiren der Armee vor sich selbst. Der Fähnrich, der, vor die Front springend, es balancirt, jetzt senkrecht, nun verquer, macht die Honneurs vor dem Feldherrn, dem General, vor dem Bataillon, vor sich selbst, nicht vor dem Publikum. Das halten Sie fest. Der Franzos mag darüber sich moquiren, so viel er will, er hat Recht, für ihn ist's Narretheidung, weil er das nicht hat, was wir haben, – verstehen Sie mich recht – unsre Essenz, meinethalben Existenz. Das Sponton ist das Residuum des alten Rittergeistes im Preußischen Militär. Wenn ich so sagen darf, er betrachtet sich als eine geschlossene Zunft und ist das Symbolum des Respektes vor sich selbst. Und, meine Herren, schaffen Sie erst die[209] Spontons ab, so fällt auch der Ringkragen, warum nicht auch die Schärpe und der Federhut, und wo ist das Ende!«

Fuchsins und der Major hatten sich angesehen.

»Sie wollen auch gern die Kamaschen fort haben,« fuhr der General freundlich fort. »Der Preußische Soldat ohne die Kamasche sage ich Ihnen, ist nicht mehr der Preußische Soldat. So kennen sie uns, so sollen sie uns wieder kennen lernen, anders nicht. Weiß wohl, liebster Major, was Sie in Ihrem Memoire über die Massenbewegungen sagen. Charmant exprimirt, sein beobachtet. Durch diese schnellen Evolutionen, daß er gleichsam aus einem Sack die leichtfüßigen Massen schüttelte, seinen Feind flankirte, von allen Seiten scheinbar zugleich angriff, sofort die Geworfenen durch neue Massen ersetzte, dadurch hat Bonaparte in den meisten Bataillen gesiegt. Richtig! Aber gegen welche Feinde! Sehen Sie, offenherzig gesprochen, ich admirire auch seinen Erfolg und sein Genie, aber was sagt Friedrich in seinen Memoiren? Wenn sich zwei Feldherren in langen Campagnen gegenüberstanden, lernen sie sich dermaßen kennen, daß jeder die Manier und die Finten des andern auswendig weiß. Wir sind nun in der Lage, daß wir durch bald zehn Jahr ihn aus der Ferne beobachtet haben, und ich sage Ihnen, dieses großen Taschenspielers Kunststücke kennen wir nun, er aber kennt uns nicht und kann uns nicht überraschen. Seine Chocs werden an uns abprallen, wie die Schwärme der Parther an den Römischen Triariern, und was unsere Kavallerie anlangt, so braucht Niemand in Sorge zu sein. Die Ziethen und Seydlitze werden sich finden zur poursuite, wenn wir einmal die Kanaille geworfen. Freilich im Laufen kommen wir ihnen nicht gleich.«

Der General glaubte gesiegt zu haben. Der Major aber sah ihn wieder fragend an: »Indessen, mein General, es waren doch auch andere Punkte –«

Der Veteran lächelte mit der Freundlichkeit eines Gönners, der einen Clienten nicht zu derb in die Grenzen des Respektes zurückweisen will.

»Ich habe das auch wohl gelesen, und mich über die Intentionen, und die wohlarrangirte Explikation gefreut. Aber, meine Herren,« – er schien auch den Rath in seine Belehrung hineinziehen zu wollen – »mit Theorien hätte Friedrich Schlesien nicht erobert; unsere Armee ist nun einmal so und nicht anders, Herr von Eisenhauch. Und so war sie gut, und ob sie dann noch gut bleiben wird, wenn Ihr Rekrutirungssystem durchginge? Um Gottes Willen keine neuen Flicken auf ein alt Kleid. Draußen Unruhe, aber Ruhe, Ruhe, Ruhe im Innern. Nichts angerührt! Friedrichs Seele steckt in den Trommeln und den Grenadiermützen so gut als in dem point d'honneur der Offiziere und der Kanton[210] pflicht der Rekruten. Ich räume Ihnen ein, ein Etwas muß anders werden, das Verhältniß der Kapitäne mit Kompagnie zu den Kapitäns ohne Kompagnie. Diese sechshundert Thaler, und jene mit vielen Tausenden, mit Equipagen, Reitpferden, Fourgons, Dienerschaft. Das schadet der Disciplin. Das muß anders werden. Die Zahl der zu Beurlaubenden muß den Herrn Kompagniechefs genau bestimmt werden und kein Mann darüber.«

»Würde diese Bestimmung genügen?«

»Für jetzt, Herr Major, wenn wir das durchsetzen, können wir zufrieden sein. Wenn Sie mich nicht verrathen wollen, in meinen Ideen gehe ich weiter. Es wird eine Zeit kommen, wo der Kapitän nichts mit dem Traktement seiner Leute zu schaffen haben darf, wo sie nur in einem Connex reiner Disciplin zu einander stehen. So muß es einst kommen, sag ich Ihnen, aber diese Zeit erleben nicht wir, vielleicht nicht unsere Kinder. Denn – der Mensch muß nicht zu klug sein wollen, oder es ist vorüber mit aller Autorité.«

Der General ging.

»Eine aus lauter Preußenthum konzentrirte Säure!« sagte der Major.

»Und doch immer noch einer der bessern,« entgegnete der Rath. »Er wird sich auch, wenn es gilt, in seiner verrosteten Rüstung noch mit einem gewissen Geschick rütteln.«

»Was hilft's den Andern!« rief der Major, der sich in den Armstuhl mit einem Schmerzensseufzer niederwarf. – »Ist dies die Haupstadt des großen Genius, von dem das Licht nicht über sein, nein, über unser Aller Deutschland aufging! Deutschland glaubt wenigstens noch, daß es hier hell sei; es ist der Anker, an den seine letzte, schmerzliche, krampfhafte Hoffnung sich anklammert.«

»Hat man es Ihnen draußen anders geschildert?«

»Nein! Aber den Tand, das Spiel und die Eitelkeit hielt ich für die Maske, unter der der männliche Entschluß, die Vorbereitung zur That sich verbirgt. Der blonde Arminius ließ auch die schönen Römerinnen lange mit seinen Locken spielen. Mit dieser Selbsttäuschung reiste ich durch Ihre Provinzen. Es sieht knöchern aus, überall ausgewaschene Kleider, schlotternde Glieder, eine Maschine, die klappert. Der Geist nur kann das zusammenhalten, tröste ich mich; der Nimbus um Friedrichs Thron flimmert noch in so wunderbarem Flammenglanz von fern gesehen. Und nun hier zur Stelle! Aus Kreisen in Kreise, aus Gesellschaften in Gesellschaften werde ich geschleppt. Irgendwo hoffe ich wird ein Vorhang sich lüften, die Stimme von Sais ertönen. Aber ein Vorhang nach dem andern reißt –«[211]

»Und Sie sehen nur Draht, Stricke und Kulissenschieber, der Dirigent fehlt.«

»Sie haben doch einen König, der nüchtern blieb unter den Taumelnden, der nicht blasirt ist, ein scharfes Auge hat für das Unziemliche, der nicht den Esprit fort spielen will, um seine Frivolität zu entschuldigen und seine Unwissenheit zu verbergen. Er will das Gute –«

»Gewiß! Und es überkommt ihn oft ein Schauer, in mancher Morgenstunde fühlt er, es kann so nicht mehr lange gehen. Aber von wem soll er erfahren, wie es gehen muß? – Keine Stände, keine Magnaten, kaum etwas, was einem Adel ähnlich sieht. Die Prinzen, was sind sie ihm? Die Polterer verträgt er nicht, die Genies sind seiner Natur zuwider. Unsere Minister kennen Sie, unsre Kabinetsräthe noch besser. Sie leben nur in den Tag hinein, zufrieden wenn sie bis Morgen gesorgt haben. Er ist friedfertig und alle Morgen präsentiren sie ihm einen Schüssel: Ruhe! mit Maaßlieb und Vergißmeinnicht geschmückt: ›So sieht es bei uns aus, Majestät, und sehen Sie, wie es draußen aussieht, wo sie alles bessern wollten.‹«

»Aber er ist Friedrichs Enkel!«

»Grade der ist sein Spukbild. Wo es ihm zu arg wird, wo er darunter fahren möchte, es anders haben, sagt man ihm: das hat doch unter Friedrich bestanden und es ging ganz gut! Oder gar: Majestät, das hat Friedrich selbst eingerichtet. Dann erschrickt er; in seiner Bescheidenheit getraut er sich nicht, es besser machen zu können. Und dies heilige Gespenst wird dem jungen Fürsten grade von Denen citirt, welche vor seinem Geist in Staub und Asche versinken müssten. Es sollte mich nicht wundern, wenn der König einen förmlichen Widerwillen gegen seinen Großoheim einsaugte, so störend wird sein Bild ihm überall vorgehalten, wo er etwas Selbsteigenes durchsetzen will.«

»Aber mein Gott, Ihr großer König nannte sich Rex Borusorum, König von Preußen! Wo sind denn seine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einst auf seinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf seinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde, über Sklaven zu herrschen?«

Der Rath zuckte die Achseln: »Das ist eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlassen.«

»Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Kontinent läuten, wo der nächtliche Feuerschein von allen Seiten, der Branstgeruch, den Siebenschläfer aufwecken muß, schläft das preußische Volk allein da fort, begreift es nicht, was selbst jener verrostete General ahnt, daß[212] es sich um Sein und Nichtsein handelt! – Wo der Geist schläft, wacht doch das Interesse. Für die Nothdurft, den Vortheil ist auch im Sklaven der Sinn rege.«

Der Eifer des Majors verwandelte das halblaute Gespräch oft in ein lautes. Der Regierungsrath hatte, mit vorsichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen versucht. Er setzte sich jetzt dicht neben ihn:

»Mein theuerster Freiherr, rufen Sie Alles hier an, nur nicht das Interesse. Wer soll denn wünschen, daß es anders wird? Sie befinden sich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch ineinander, wenn man nicht zu stark dran reißt. Der Ertrag der großen Güter steigt, ihre adeligen Besitzer zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt sich durch die bekannten Künste im Hypothekenbuch ins Enorme hinaufschrauben. Ein Krieg und dieser Werth sinkt. Und sollen die Junker ihn wünschen, denen im Heere, am Hofe, selbst in der Regierung die obersten Stellen nach wie vor reservirt sind! So viel Bürgerliche sich auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeschwungen, sie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben in die Klasse der Bevorzugten über. Sollen die Kaufleute einen Krieg wünschen, oder auch nur eine Aenderung? – Sie seufzen unter starken Abgaben, aber der Handel blüht und sie werden reich. Die übrigen Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünktlich. Wenn ein Krieg die Kassen leert, woher dann die Besoldung nehmen.«

»Ist das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht Künstler, Handwerker, Männer der Wissenschaft, kleinere Grundbesitzer, Bauern, die unter einer drückenden Eintheilung der Lasten seufzen?«

»Sie seufzen wohl, aber sie sprechen nicht mit. Und wenn sie zu sprechen Lust hätten, so haben sie noch nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußens Volkssinn steckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und nun betrachten Sie auf den Wachtparaden die schwerfälligen, alten Offiziere, die Pontacsnasen, diese Kapitäne, die kaum die Schärpe um den Leib pressen, in den sie drei Viertel ihrer Kompagnie verschluckten. Sollen die Besserung wünschen, nach Neuerung verlangen? Ich gebe Ihnen zu, es sind nicht alle so, die Armee zählt schon viel jüngere Offiziere, voll Feuer, Begeisterung –«

»Aber die Begeisterung ist eine Fuchtelklingenbegeisterung,« unterbrach der Major, »und ihr Herz schlägt nicht fürs Vaterland, nur für das point d'honneur und den esprit de corps –«

»Halt, mein Herr, es giebt auch –«

»Ich sah, ich hörte sie auf meiner Reise. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf diesen Säulen allein ruht, und die Säulen sind unterspült und gelöst von der Erde, die sie tragen[213] soll. Ich schauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Thüren verschließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch sei das, mögen sie noch Leibeigene sein, nicht dem Vaterlande, ihrem Kapitäne. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache musste ich unter diesen hören, in den Wachtstuben der Herren Offiziere. Wäre das Deutschlands Adel, so wäre er verloren, nur schmählicher als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er stürbe an einem innern fressenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Wachtexercitium zusah, welche Urtheile! Sie gönnen es den Junkern, daß sie recht tüchtig mal von den Franzosen geklopft würden. Und das musste ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Ist man blind, taub, stumpf? Ist das nicht ein Zersetzungsprozeß, der den Blutlauf erstarrt?«

Der Major empfand einen Stoß an seinen Ellenbogen: »Pst! Laforest wirst schon lange von seinem Ofen her beobachtende Blicke.«

»Mag er es!« rief der Major aufstehend. »Lieber ihm in den Rachen, als da dem neuen Rhinoceros.«

Das neue Rhinoceros war der eben eingetretene Legationsrath von Wandel, eine Sonne, die sofort ihre Trabanten hatte.

»Ich kann den Menschen nicht leiden, ich weiß nicht warum,« sagte der Major.

»Das geht Anderen auch so, Herr von Eisenhauch, zum Exempel unserm Minister. Bovillard möchte ihn gar zu gern in unsern Staatsdienst ziehn, Excellenz haben aber eine unwiderstehliche Aversion.«

»Ist es denn wahr, daß er die sieben Adler von Napoleon hergebracht hat?«

»So ist es.«

»Dann ist's ja klar, er ist eine französische Kreatur.«

»An dem Herrn ist mir noch nichts klar.«

»Mir scheint er gefährlich.«

»Ist's Ihnen darum zu thun, Aufklärung über den Punkt zu erhalten, lassen Sie uns zu Laforest gehen. Der Kreis um ihn lichtet sich.«

»Sie warnten mich eben vor ihm.«

»In seinem Rayon ist man wenigstens vor seinen Spionen geschützt. Es ist sogar gut, daß Sie sich ihm arglos zeigen.«

»Wie sollte er aber dazu kommen, uns Aufschlüsse zu geben?«

»Er gehört nicht zu den zugeknöpften Diplomaten. Ueberdem ist er jetzt satt. Bonaparte's Gesandter hat, was er will, hier erreicht. Er kann den nonchalanten Plauderer spielen. Er kann nicht allein den Rock aufknöpfen, auch das Hemde aufreißen, damit wir seine Brust schlagen sehen. Die gewinnende Vertraulichkeit[214] wird auch wohl noch zum Leimstock für eine harmlose Fliege. Wie vergnügt Alle von ihm fortgehen! Trauen Sie keinem seiner Worte, und doch ist es möglich, daß er uns die reinste Wahrheit schenkt. Denn ob er mit ihr, oder mit der Lüge uns täuscht, ist ihm gleichgültig. Uebrigens weiß er alles, was hier geschieht und früher und genauer als der Polizeipräsident. Was der König beim Frühstück geäußert, läßt er schon am Mittag chiffriren. Er kennt die Anträge der Minister, die nicht bis zum Könige durchgedrungen sind, weil die Kabinetsräthe Widerstand leisten, und ehe noch Seine Majestät eine Sylbe davon erfahren, fliegt der Courier damit schon nach Paris.«

»Warum macht man Laforest nicht zum Minister des Auswärtigen?«

»Besser des Innern. Der russischen Fürstin ward vorgestern ein Brillanthalsband gestohlen. Die Polizei suchte umsonst. Er hat es gefunden. Gestern erhielt die Fürstin das Band, heut die Gerechtigkeit die Diebe.«

»O wer den Dieb, der Deutschlands Heiligthum gestohlen, der Gerechtigkeit überlieferte!« seufzte der Major. »Ob wir uns auch an die fremde Diplomatie werden wenden müssen?«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 205-215.
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