Vierundvierzigstes Kapitel.

Zwei subalterne Personen drohen den Gang der Geschichte zu ändern.

[389] »Kurz, es ist nicht erlaubt, hier auf den Steinen zu sitzen.«

So schloß der wohlbeleibte Mann mit wichtiger Miene eine Strafrede, die seinen Athem erschöpft und sein Gesicht gefärbt hatte. Trotzdem schien sie auf die Beiden keinen Eindruck gemacht zu haben, denn sie sahen sich lächelnd an, als der Beamte mit dem weißen feinen Taschentuch den Staub, oder ihre Berührung von den Steinen klopfte.

Ein Beamter war er, dafür sprach jeder Zoll an dem Mann: nur welche Charge er bekleidete, ist uns nicht aufbewahrt. Ein Beamter, nicht in Uniform, aber in Galastaat; einem feinen Rock, der gewiß einst geschmackvoll um den Leib schloß, nur hatte der Körper dem Fortschritt gehuldigt, während das Tuch konservativ geblieben war. Weiß waren die seidenen Strümpfe, weiß die Weste, und das Jabot stritt mit dem Zopf und der Frisur um die Wette, was glänzender sei; farbig war nur der Rock, roth nur das Gesicht. Sein Blick, als er sich umwandte, schien zu sprechen: »Und Sie sind doch noch hier?«

Walter stand im Schatten, auf das Gesicht des alten Majors glühte der rothe Abendstrahl. Es lag wieder Friede darüber ausgebreitet, als er lächelnd sprach:

»Vor zwanzig Jahren, als ich auf die Terrasse kam, führte mich der Wachthabende selbst zum großen König Ich sah ihn sterben. Nun weist man einen alten Soldaten fort, weil er kam, nur um seinen Geist zu sehen. – Freilich, es kann gefährlich werden, Friedrichs Geist zu sehen.«

Leicht den Hut gegen den jungen Mann lüftend, hatte sich der Invalide umgewandt und war die Treppe hinabgestiegen.[389]

»Aber was fällt Ihnen denn ein, Herr Pathe Nähtebusch,« sagte Walter plötzlich. »Einem alten Soldaten seinen Ruheplatz nicht zu gönnen!«

Als der Beamte die Hand vorm Gesicht, um die Sonnenstrahlen abzuhalten, den jungen Mann erkannt hatte, machte er eine lebhafte Bewegung. »Aber war ich denn blind!« Fast schien es, als wollte er ihn umarmen. »Herr Jemine, und das war Ihr Bekannter!« rief der Ober-Kastellan, um ihm doch einen Titel zu geben.

Herr Nähtebusch winkte und rief umsonst; der Major hörte nicht, oder wollte nicht mehr hören, und es wäre zuviel vom Ober-Kastellan verlangt gewesen, ihm nachzulaufen. Er hatte eine Konstitution, die das nicht ertrug, und er kam aus der Stadt! Was das sagen wollte, werden wir hören. Nicht der Aerger hatte sein Gesicht geröthet; es war die Freude, vielleicht auch der Wein. Herr Nähtebusch hielt auf Konnexionen. Sollte die Fama, die ihm nachsagte, daß er ihnen seinen Posten verdankte, jetzt von ihm sagen, daß er einen Bekannten vom Sohne des reichen van Asten fortgewiesen wie einen Vagabunden? Einigermaßen beruhigte es ihn, als er erfuhr, daß Walter den alten Offizier hier zum ersten Mal gesehen, es beruhigte ihn aber wieder nicht, daß Walter ihn nicht kannte, nicht einmal seinen Namen wusste, daß er aber vermuthete, er sei ein ausgezeichneter Offizier gewesen. Aber wieder beruhigte es ihn, daß er pensionirt sei. Ein Pensionirter hat selten noch viel Konnexionen!

Herr Nähtebusch trocknete jetzt den Schweiß von seiner Stirn und athmete auf: »Lieber Herr Pathe, lassen Sie sich das eine Warnung sein. Man muß sich mit Niemandem in ein Gespräch einlassen, den man nicht kennt. Man weiß nicht, in welche Verlegenheiten es uns nachher bringt, und junge Leute, erlauben Sie mir's zu sagen, schließen gar zu gern ihr Herz auf.«

Man sah's dem Herrn Ober-Kastellan an, daß er das Bedürfniß fühlte, auch seines aufzuschließen; ja, er war in der Stadt gewesen, im Schlosse, man hatte ihn an die Thür gelassen, als die hohen Herrschaften speisten. »Nicht Jeder hatte das Glück gehabt,« sagte er mit einer stillzufriedenen Miene. Er hatte sie essen gesehen. Nach Tische, als der König mit dem Kaiser Arm in Arm umherging, und dieser vor Huld und Güte gegen Jeden strahlte, hatte der König ihn, den Glücklichen, dem Erhabenen vorgestellt. Denn war es das nicht, als er sagte: »Und das ist der Mann, der in Sanssouei zur Ordnung sieht!« Alexander hatte darauf etwas französisch erwidert, was, hatte Herr Nähtebusch nicht verstanden, aber es war gewiß etwas sehr Gnädiges; die Melodie der Worte summte ihm noch in den Ohren.[390]

Aufmerksamer hatte Walter dem Schluß der Mittheilungen zugehört. Herr Nähtebusch sprach viel. Wem verdanken Gesandte oft ihre wichtigsten Nachrichten? Nicht Räthen und Ministern, dem feinen Ohr der Kammerdiener.

»Sie glauben also, es ist Alles regulirt und abgeschlossen?«

»Alles!« entgegnete Herr Nähtebusch, und um sich vollständig zu erholen, nahm er eine lange Prise. »Bis aufs Kleinste. Morgen in der Vormittagsstunde fahren die hohen Herrschaften nach Berlin zurück in einem Ensemble. Im Rittersaal ist große Tafel. Wissen Sie wohl, es wird vom goldenen Service gespeist. Das kommt aber erst nachher in die Zeitungen. Abends besuchen Höchstdieselben im Nationaltheater die Vorstellung der Oper Armida. Bei ihrem Eintritt in die Mittelloge werden Höchstsie durch einen Tusch von Trompeten und Pauken aus den Balkonlogen begrüßt, und das ganze Publikum erhebt sich mit einem Vivat, das nicht enden will. Dasselbe wiederholt sich beim Schluß der Oper. Folgenden Tages ist große Wachtparade auf dem Lustgarten. Alsdann besehen Majestäten in zwei achtspännigen Equipagen die Stadt. Mittags ist Diner beim Prinzen Ferdinand in Bellevue. Eine Denkmünze auf die glorwürdige Zusammenkunft ist bereits unter dem Prägestock. Der Medailleur, Herr Loos, ist der Verfertiger, und wenn ich übermorgen in die Stadt komme, hat er versprochen, sie mir zu zeigen. Aber das, lieber Pathe, bleibt unter uns.« Sie waren dabei auf der Terrasse auf und ab gegangen. »Und nach dem Diner bei Prinz Ferdinand?«

»Reisen Seine Majestät Kaiser Alexander ab. Die Pferde sind schon bestellt.«

»Und weiter nichts?« Mit einem ungemein schlauen Lächeln klopfte Herr Nähtebusch auf seine Dose: »Man spricht auch noch von einer kleinen Attrape.«

»Einer kleinen –«

»Wie man's nehmen will! Wenn Majestät der Kaiser auf nächster Station, man sagt in Vogelsdorf, eine Erfrischung fordern, wird's im Kruge heißen: die Leute sind alle auf dem Felde und im Stalle. Der Kaiser wird sich dann in den Kuhstall zu begeben geruhen, um einen Trunk frisch gemolkener Milch anzunehmen. Und die Bäuerin, die eben melkt, wird sehr überrascht sein von den vornehmen Gästen, aber Seine Majestät der Kaiser werden noch weit mehr erstaunt sein, wenn sie der Bäuerin ins Gesicht sehen, die ihm die Schale reicht. Na, was sagen Sie dazu, mein lieber Herr Pathe? – Ich habe aber nichts gesagt, es sind ja nur Konjekturen,« sagte Herr Nähtebusch und rieb sich die Hände.

Sie standen am anderen Ende der Terrasse: »Also auf eine Trianon-Scene läuft es aus; das ist ja alles recht schön und gut,«[391] sagte Walter. Herr Nähtebusch sah den jungen Mann mit einem eindringlichen Blick an. Fast war's ein durchdringender, indem er seine Hand fasste, und wir hatten uns in ihm geirrt. Die Purpurröthe des Echauffements verbarg nur den Psychologen. »Mein lieber Herr van Asten, als Ihr Herr Vater mir die Ehre erzeigte, mich bei Ihnen zum Pathen einzuladen, sagte ich's voraus, das ist ein Junge, der wird's zu was bringen. Ich hatte vorgestern wieder das Vergnügen, mit Ihrem Herrn Vater zu sprechen. Da müssten Ihnen die Ohren geklungen haben.«

»Mein Vater, wissen Sie –«

»S' ist ein kluger Mann. Die Jugend muß ihre tollen Hörner ablaufen, hat er gesagt. Ich Dummkopf glaubte, daß man seinen Sohn zum Studiren auf die Universität schickt, hielt meinen deshalb kurz. Und der Junge war nur zu gehorsam, er ›büffelte,‹ gab zu wenig aus, und nahm zu viel ein, nämlich fixe Ideen, sagte der Herr Vater. Nun haben wir die Bescherung. Das tolle Feuer, was 'raus schwären sollte, steckt noch drin, und 's bricht an der unrechten Stelle los. Dem Jungen mache ich keine Vorwürfe, mir mache ich sie.«

»Und der Herr Pathe legten gewiß ein freundlich Wort ein. Will man mich vielleicht noch ein Mal auf die Universität schicken, um das Versäumte nachzuholen?«

»Erlauben Sie mir, ich sagte ihm: das Leben ist ja auch eine Universität. Er kann ja auch hier seine Hörner abstoßen; je toller er drauf los geht, um so eher wird er stumpf. Wie ist er da beim Minister angelaufen. Wird auch noch öfters anlaufen! Sind nicht alle Minister so human, daß sie die Rappelköpfe nach Karlsbad schicken. 's ist Mancher eingesperrt worden, der sich die Zunge verbrannt hat. Schadet auch nichts. Der Sohn vom Geheimrath Bovillard, wie oft hat er gesessen! Man kann's gar nicht zählen. Der Vater war so klug, hat sich nicht um ihn gekümmert; nun ist er von selbst zu Kreuz gekrochen. Ist kirr geworden, um den Finger zu wickeln; lässt sich vom Vater parforce schicken, wohin es ist, und wenn er sich müde geritten hat, dann giebt ihm der Vater 'ne kleine Stelle, sucht ihm 'ne Frau aus, die ein bischen Geld hat. Zuerst in 'ner kleinen Stadt, wo er über den Akten schwitzen muß; ist froh, wenn er nach Hause kommt, 'ne Pfeife raucht bei 'nem Glase Bier, ein Partiechen; Kinder kommen dann auch, die schreien, ein Vater hat doch auch ein Herz. Ach Gott! darüber vergisst er alle krause Ideen; ist froh, wenn's nur bei ihm zu Hause gut geht, und denkt nicht mehr daran, den Staat besser machen zu wollen. Und geben wir Acht, mit dem Walter wird's auch so kommen.«[392]

»Verdanke ich das alles Ihnen, Herr Pathe?« rief Walter mit wachsendem Erstaunen.

»Wir saßen so traulich bei Herrn Kämper zusammen, wir sechs oder sieben, alles respektable Bürger.«

»Was! ein Kollegium, um über meine Besserung zu berathen!«

»Wo hat nicht Jeder 'nen faulen Fleck im eignen Hause! Wenn man so beim Bier sitzt, ein Pfeifchen im Munde, spricht man sich gegenseitig Trost zu. Der hat 'nen Sohn, der spielt. Das ist beinahe am allerschlimmsten. Da waren wir Alle einig. Das thut mein Pathe nicht; alles, was Recht ist. Er trinkt auch nicht, er läuft auch nicht den Mädchen nach. Na, Jugend hat keine Tugend, darüber sind wir weggegangen. Aber das Theater, was hat das ehrbaren Familien Kummer und Noth gebracht. Erst alle Abend der Herr Sohn ins Parterre. Das kostet Geld, die jungen Leute machen Schulden. Ist aber viel schlimmer, wenn's kein Geld mehr kostet, wenn sie's umsonst haben; dann haben sie Konnexionen hinter den Coulissen, das sind die schlimmsten und theuersten Konnexionen. Und die Truppe ist einmal abgereist, und der Herr Sohn ist verschwunden. Ja, ja, das ist manchen Eltern so gegangen. Den Kummer haben Sie Ihrem Herrn Vater nicht gemacht. Wissen Sie aber, Einige meinten, das wäre immer noch nicht so schlimm, als wenn ein Bürgersohn sich mit der Politik abgiebt. Da kann man noch mal Direktor werden, wie der Herr Iffland; der war auch anständiger Leute Kind. Auf dem großen Welttheater aber –«

»Ist für uns nichts zu holen,« fiel Walter ein. »Ihre ehrbaren Bürger haben Recht. Erfuhren Herr Pathe sonst noch etwas?« sprach er, zum Abschied die Hand reichend.

»Mancherlei! Man wird Heirathsannoncen lesen, über die man sich wundern soll. Mancher Herr Offizier lässt sich in aller Schnelligkeit kopuliren. Lieber Gott, wenn's ins Feld geht, will man den Kindern doch einen Vaternamen hinterlassen; das Gewissen schlägt auch unterm blauen Rock. Seine Majestät sind sehr damit zufrieden. – Ach, und wissen Sie schon vom Kriegsrath Alltag?«

»Was?«

»Wird Geheimer Tresorier des Königs, Titel Geheimrath. Da ist auch nur eine Stimme: Der hat's verdient! Mit seiner Demoiselle Tochter wird er nun auch höher hinaus wollen. Wer verdenkt es ihm?«

»Adieu. Herr Pathe!« Der Pathe hielt seine Hand fest. Sein schlaues Lächeln schien noch ein Geheimniß zu verstecken. »Heraus damit!«[393]

»Ich sehe einen verlornen Sohn –«

»Wo?«

»Im Comptoir seines Vaters.«

»Und was brachte ihn dahin?« Der Kastellan hielt beide Hände wie ein Sprachrohr an seines Pathen Ohr, daß es die Bäume nicht hören sollten, und schrie hinein: »Minchen Schlarbaum! Sechzigtausend Thaler!«

Ein Mann in mittleren Jahren war während dieses Gesprächs in der Seitenhalle auf und ab gegangen. Walter hatte ihn bemerkt, ohne auf ihn zu achten. Der Fremde, sichtlich von einem Gedanken bewegt, hatte die Beiden kaum gesehen. Als der Pathe nach jener, wie er meinte, sehr feinen Insinuation rasch fortgeeilt war, hatte sich Walter in die Allee gewandt. Der Sonnenball versank gerade hinter den Brauhausbergen. Walter fasste an seine Brust und aus der wunden Tiefe, machte sich das Wort Luft: »Er war müde über Sklaven zu herrschen!«

Der Fremde war hinter einem Baum hervorgetreten. In seinem festen, aber zuweilen stürmischen Schritt hielt er, wie frappirt, inne. Auf Walters Gesicht schien der letzte volle Sonnenschein, der Fremde stand beschattet; ein feingeschnittenes, charakteristisches Gesicht war noch zu erkennen.

»Ein Hiesiger?« fragte der Andere rasch. Die Frage war seltsam, es mochte auch ein Beamter sein, der den späten Besucher auf einem nicht erlaubten Wege ertappt zu haben glaubte. Walter antwortete eben so kurz. »Aus der Hauptstadt.« »Ein Angestellter?« warf der Andere in derselben Art hin. »Ein freier Mann,« sprach Walter jetzt mit fester Stimme.

Der Andere sah ihn groß an. Walter glaubte die Worte murmeln zu hören: »Das ist ja wunderbar.« Mehr hörte er nicht, denn Beide gingen an einander vorüber. Sie trafen sich zufällig noch einmal. Der Fremde hatte den Weg verfehlt, indem er einen Ausgang suchte, wo er nicht war. Walter wies ihn zurecht; es war auch sein Weg. Der Fremde schien durch eine leichte Bewegung zu danken, ohne es für nöthig zu halten, ein Wort zu verlieren. So machte es wieder der Zufall, daß sie neben einander gingen. Der Fremde war wirklich ein Fremder in der Mark, wie sein Accent dem kundigen Ohr verrieth, aber seine Kleidung, obgleich nur ein einfacher blauer Rock, die Sicherheit seiner Bewegungen, das aristokratische Gesicht, verriethen den vornehmen Mann. Er blieb stehen und betrachtete einen Gegenstand, der auch Walters Auge fesselte – die Mühle auf dem Berge. Ihr Dach war vom letzten Abendscheine schwach angeröthet, ein träger Wind trieb die Flügel. Der Begleiter verstand die stumme[394] Frage, die der Andere, über die Schulter blickend, an ihn richtete: »Ja, sie ist es.« Damit schien eine Verständigung eingetreten.

»Also Einer doch!« sagte der Herr im Weitergehen.

»Wenn man sie kennte, würde man mehrere wissen, die auch Muth gehabt,« warf Walter hin.

»Da man sie aber nicht kennt, so existiren sie nicht für die Geschichte,« entgegnete Jener.

»Es existirt manches nicht in der Geschichte, was aber doch lebte.«

»Was sich nicht geltend gemacht hat, lebt nicht,« entgegnete der Fremde scharf. »Es hat einmal vegetirt um zu faulen und Dung zu werden für Andere.«

Walter entgegnete: »Der Müller von Sanssouei vor seinem König wird aber leben bleiben; uns lebt er als Symbol, daß ein Rechtsbewusstsein auch damals im Volk war.« Er hatte das uns scharf betont.

»Wir aber,« entgegnete der Andere, »sehen in dem Aufheben, das man von der einen Geschichte machte, nur das Bekenntniß, daß der eine Mann nur eine Ausnahme von der Regel war.«

»Und wo ist die Regel,« fragte Walter, »nämlich im Deutschen Volke? Ich setze voraus, daß wir Landsleute sind.«

Der Fremde fixirte zum ersten Mal unsern Bekannten; es war ein scharfer, prüfender Blick, aber ohne Härte. Die Antwort schien ihm nicht zu mißbehagen. »Das macht die Sache nicht besser hier,« sagte er. »Die Müller von Sanssouei haben in Preußen keinen Fortgang gehabt.«

»Die Größe des Einen hat sie niedergedrückt. Das vergisst man so leicht im Auslande.«

»Man wundert sich nur, warum sie nicht wieder aufgetaucht sind, nachdem sie von der Größe nicht mehr zu leiden hatten. Sie wiederholten vorhin die Worte des großen Königs, als Sie sich allein glaubten, warum machen Sie ein point d'honneur draus, was Sie sich selbst bekennen, vor Andern zu verbergen! Wo Sie Ihrer Schwäche sich bewusst sind, warum es nicht auch vor Andern gestehen. Das würde Vertrauen wecken. Wenn Sie sich den andern Deutschen gegenüber immer in Parade aufs hohe Pferd setzen, so verlangen Sie nicht die brüderlichen Neigungen, um die es doch Einigen, den Bessern unter Ihnen wenigstens, zu thun ist. Wir sind Alle schwach, aber wenn wir es uns gegenseitig eingeständen, würden wir auch die Mittel finden, um wieder stark zu werden. Das ist's was Sie vom übrigen Deutschland trennt, meine Herren Preußen. Uebrigens bin ich jetzt selbst Einer.«

»Jetzt wird sich's zeigen!« rief Walter animirt.

»Was?«[395]

»Daß wir eine Schwäche zu bekennen den Muth haben, eine Schuld gegen unsere deutschen Brüder durch die That auszulöschen. Preußen radirt den Baseler Frieden mit seinem Blute aus den Tafeln der Geschichte.«

Die rauhe, heftige, fast dominirende Art, mit der der Fremde seine Aussprüche that, erweckten in Walter die Lust es in selber Art ihm wieder zu geben: »Ich hoffe, daß die kurze Zeit, seit Sie ein Preuße wurden, dem Ausländer nicht so viel Einblicke in unsre Angelegenheiten gegönnt hat, daß ich Ihren Ausspruch als ein Verdikt nehmen müsste.«

Der Andre war vielleicht betroffen, aber nicht erzürnt, vielmehr verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln: »Haben Sie Einblicke?«

»Keine als die Jedem frei stehen, der ein Herz und Augen hat für die Ehre seines Vaterlandes. Sie ist so auffällig verletzt, daß sie eben so auffällig Genugthuung heischt; der Hohn, den man uns zugefügt hat, den Napoleons Generale noch täglich in Anspach und Baireuth Preußen zufügen, könnte einen Stein ins Leben rufen. Das und noch vieles Andre, was hier nicht hergehört, ist mir Bürgschaft, daß endlich der stahlgeborne Entschluß ins Leben springt.«

Der Andere ging eine Weile schweigend, dann sagte er ruhig: »Einen Gesandten wird man an Napoleon schicken, ihm Friedensbedingungen stellen und unterhandeln. Wenn Sie wissen was Unterhandlungen sind, wo preußische Diplomaten mitsprechen, so stellen Sie danach Ihre Hoffnungen.«

»Diesmal, nur diesmal nicht« – rief Walter in Eifer gebracht – »es geht nicht, es lässt sich nicht mehr zurückdrängen. Das Volk leidet es nicht.«

»Das Volk, mein Herr! Das weiß ich nicht; ich kenne es wenigstens noch nicht genug, und was ich von ihm kenne, doch – das gehört nicht hierher.«

Sie standen an einem Scheidewege. Der Fremde wenigstens nahm an, daß sie hier scheiden müssten, oder er wollte hier scheiden. Es waren seine Abschiedsworte:

»Dies Volk, mein Herr, mag gut sein, tapfer, treu, aber es ist noch zu klein für seine Traditionen. Es hat sich übernommen, und es ist nie gut, wenn man sich den Magen auch mit dem Besten füllt, wenn der Magen nicht Kraft hat es zu verdauen. Dies Volk ist zu Vielem gut, es hat auch gesunde Glieder, wenn nur der Kopf da ist, der sie regiert. Das aber bilden Sie sich nicht ein, daß diese Glieder schon reif sind für sich selbst zu stehen. Dafür vergaß der große Mann zu sorgen. Er führte sein Volk in die Weltgeschichte ein, und übersah, ihm die Erziehung zu geben,[396] daß es mit Ehren darin bestände. Mit der militärischen Tournure ist's nicht gethan; der Knebelbart imponirt nur auf den ersten Anblick, und selbst ist allein der Mann. Er war müde über ein Volk von Sklaven zu herrschen, ja, aber sie sind es geblieben, weil er ein Lehrmeister war, wie der Gelehrte in einer Bauernschule. Glänzende Schulaktus hat er mit ihnen aufgeführt, und sie deklamiren lassen, was sie nicht verstanden. Friede seiner Asche und Fluch dem, wer einen Stein auf sein Grab wirft, denn Deutschland hat keinen Größern geboren, aber sein Reich, mein Herr, ist die Schöpfung eines Zauberers. Wunderbar groß, zweckmäßig, in einander greifend, erscheint Alles, so lange sein Geist darüber waltet. Aber wenn der schlafen geht, vertrocknen die Palmen und Lilien zu Haidekraut und der Palast versinkt in ein Unkenmoor. Da sehen Sie diese Reihe von Statuen. Kunstwerke, so lange er unter ihnen wandelte, jetzt verwitterte, moosbedeckte Fratzen. Was ist aus seiner Gliederung geworden, in Civil und Militär, was aus dem angestaunten Mechanismus seiner Staatsorganisation? Ein schönes Lied auf einen Leierkasten gesetzt, aber die Melodie bleibt dieselbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert ist, die den Mechanismus der Drehorgel umsetzt. So leiert es hier fort, ins andere Jahrhundert die Melodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge verrostet und voll Staub sind. Dieser Staat Preußen, mein Herr, ist zum Popanz geworden, nicht weil sein Volk Sklaven sind, sondern weil der Zauberer fehlt, der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieser Staat Preußen ist ein Konglomerat von Kraft und gutem Willen, wie man sie selten in der Geschichte sah, aber eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geist hineinfährt.«

Der Mann wandte sich mit einem Kopfnicken rasch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal stehen: »Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adresse wissen – wenn ich wieder ein Mal einen so gefälligen Führer in Potsdam brauche,« setzte er halb lächelnd hinzu, um das Scharfe auszugleichen.

Walter hatte keinen Grund seinen Namen zu verschweigen. Er kannte aber genug von der Luft in den hohen Lebensregionen, um zu wissen, daß dieser Name, so laut er ihn aussprach und so deutlich der Andere ihn sich wiederholte, schon am Ende der Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet, daß Walter auch ihn bitten werde, den seinen zu nennen, Walter wollte aber nicht bitten.[397]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 389-398.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon