Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Ein Mann von zu vielem Sentiment.

[475] »Was giebt es Neues?« rief der Geheimrath Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne sich im Frühstück stören zu lassen, durch eine Bewegung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die Zerlegung eines Kapaunenflügels schien ihm einige Anstrengung zu verursachen. Uebrigens sah Herr von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit; die Runzeln waren gewichen, das Gesicht glänzte, besonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas Charakteristisches, was sich in den Augen widerspiegelte, obgleich die Lippen erst der eigentliche Ausdruck waren. Herr von Bovillard gab heute kein Schauspiel für Andere, sonst würde er die Aermel des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den Zipfel der Serviette im Halstuch befestigt haben. Er war für sich, der Schmecker mit Bewusstsein, aber der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel, störte ihn nicht. Auch dieser nahm mit vollkommener Aisance einen Platz neben dem Esser.[475]

»Das Neueste hoffe ich von Ihnen zu erfahren.«

»Da,« sagte Bovillard und goß in ein vasenartiges Krystallglas aus der Weinflasche. »Prüfen Sie, wie schmeckt es Ihnen?« »Es schmeckt wie der beste Champagner, schäumt aber nicht.« »Non mousseux, neueste Erfindung. Eben aus Epernay mir zugeschickt. Es hat es noch Niemand hier. Darum Diskretion. Was sagen Sie dazu?« »Der Schaum dünkt mich doch die lockende Fahne, unter der der Champagner die Welt erobert hat. Man soll nie ohne Noth seine Fahne aufgeben.« »Ihre Säuren, Wandel, Ihre Chemie hat Ihnen den Geschmack verdorben. Ihre Zunge fühlt das Richtige heraus, aber über die Kritik ist Ihnen die petillirende Lust daran vergangen. – Sehen Sie mich an, ich kann mich über die Entdeckung wie ein Kind freuen. Woran auch sich halten, wenn man nicht bisweilen wieder zum Kinde würde!«

»Die Nachrichten lauten übel, Geheimrath. Napoleon ist ein Anderer geworden, seit unsere Truppen in ihre Kantonnements zurückgekehrt. Was er fordert ist nicht mehr der Schönbrunner Vertrag, heißt es. Ja, man spricht, daß Haugwitz wirklich am 15. Februar diesen neuen, noch demüthigerenden Vertrag abschloß. Er liege jetzt dem König zur Unterzeichnung vor.«

»Liebster, bester Freund, warum hören Sie darauf? Sie brauchen es doch wahrhaftig nicht. Ja, es steht schlimm, sehr schlimm, wir werden noch mehr nachgeben müssen, aber wer ändert es? Sie nicht, ich nicht, Niemand. Man muß laviren und abwarten, bis ein glückliches Changement kommt. Wir sind in einen Sumpf gerathen, je mehr wir strampeln, um so tiefer versinken wir. Nur nicht die gute Laune verloren. Hören Sie draußen den Leiermann:


Es kann ja nicht immer so bleiben

Hier unter dem wechselnden Mond.


Da, trinken Sie, oder wollen Sie schäumenden? Ich klingle.«

»Der Wein ist gut, aber er steigt zu Kopf.«

»Nun denken Sie an den armen Haugwitz, wie es in seinem aussehen muß. Kann er dafür? Verdenken Sie's ihm, daß er sich auch nicht beeilt aus Paris zurückzukehren? – Die schnaubende Koterie hier in Reiterstiefeln, die Rüchel, Blücher, die Prinzen! Und das Geschwätz, Gesinge, Gebrüll hinter ihnen.«

»Die Gnade Seiner Majestät wird, als schirmender Fittich, ihn vor Outrage bewahren.«

Herr von Bovillard schien bereits in einer behaglichen Weinlaune: »Gewiß. Der König lässt ihn nicht los. Wissen Sie, eigentlich – eigentlich kann er ihn auch nicht leiden, wie uns[476] Alle nicht, aber – das ist es eben. – Trinken Sie doch, Wandel, man kann jetzt nichts Besseres thun. C'est le mystère de notre temps, daß wir unentbehrlich sind. Von der Kanaille bis ins Schlafgemach Seiner Majestät, – sie können uns Alle nicht leiden, möchten uns köpfen, erwürgen, vergiften – von unsern Posten jagen –« »Wo findet Seine Majestät Staatsmänner –« Mit einem sehr pfiffigen Blick und einer eigenthümlichen Handbewegung fiel der Geheimrath ein: »Er findet sie schon, er braucht nur auf die Straße raus zu greifen –«

»Die Lust haben Minister zu sein, ja, aber Männer Ihres Scharfblicks!«

»Wissen Sie, was Oxenstjerna an seinen Sohn schrieb: Mein Sohn, Du glaubst nicht, etcaetera. Liebster Wandel, warum denn nicht Wahrheit zwischen uns! Wenn wir uns in dem Spiegel sehen – und doch – in keinem Stande Freunde, und doch – wir bleiben, wir werden bleiben, und Sie und ich, wir wissen, warum wir bleiben. – Auf das Wohl Seiner Majestät des Königs! – Das begreifen Seine reichsfreiherrliche Gnaden, der Herr von Stein nicht. Voilà le miracle! Wie lange ists nun schon her, daß er uns Alle aus dem Sattel werfen wollte! Wenn wir doch Karikaturmaler hätten! Herr von Stein als Mauerbrecher! Herr von Stein legt den Widder an, erster Moment. Herr von Stein fährt fort am Bock zu drehen, zweiter Moment. Dritter, vierter, fünfter etcaetera, Herr von Stein steht noch immer am Bock. Finale: Herr von Stein schlägt hinten über, er hat einen Bock geschossen. – Aber Sie trinken ja nicht. Vive la bagatelle! – Schnell, was Neues aus der Stadt.«

»Das Duell hat endlich stattgefunden.« – »Beide maustodt?« – »Blut ist geflossen.« – »Hätte nichts geschadet. Warum zanken sie sich! Diese Militair- und Civilraufereien sind mir in der Seele zuwider.«

»Der junge van Asten hat sich eine Renommée gemacht. Die Officiere glaubten nicht, daß er den Kampf auf krumme Säbel annehmen werde. Der Kornet ist ein Schläger à merveille. Der Gelehrte ging aber drauf los, und die Herren von den Garde-du-Corps stecken jetzt wieder die Köpfe zusammen, denn er trieb seinen Gegner Schritt um Schritt bis in die Büsche.«

»Und das Ende vom Liebe?« – »Er war an der Schulter verwundet, cachirte es aber, und als die Sekundanten es merkten, hatte er den Kornet schon in eine verzweifelte Position gebracht. Auf einen Hieb flog der Säbel des Offiziers zu Boden.« – »Und der Kornet mit?« – »Nur ein Fetzen von seinem Aermel und etwas Fleisch und Blut. Gerade genug, um ihn kampfunfähig zu machen, wenn er nicht schon desarmirt gewesen wäre.«[477]

»Und der Held von der Feder versetzte ihm den Gnadenstoß?«

»Bewahre! Er senkte die Waffe, trat zurück, und fragte bescheiden die Sekundanten, ob nun der Ehre genug geschehen sei? Man hätte es für ritterlich gehalten, wenn –«

»Ein Roturier ein Kavalier sein könnte,« unter brach ihn Bovillard. »Qu'importe! Er hat gehandelt, wie man uns vorwirft, daß wir handeln, wir nutzen den Vortheil nicht, der uns in die Hände gespielt ward. – Wandel, Sie haben vielleicht Recht. Vive la générosité!«

»Die Sekundanten erklärten nach einer längeren Berathung die Sache für ausgeglichen. Der Fleck am Aermel, den die Hand gemacht, sei durch den Säbel reparirt.«

»Der ihn loshieb!« fiel Bovillard ein und gähnte. »Legationsrath, was wären wir ohne den Witz in Ehren- und Staatssachen! Die Welt wäre längst bankerott ohne die Kunst der Auslegung. Der Starke wirft sein Wort wie Brennus' Schwert auf die Goldwage; aber der Schwache muß das Körnchen Mutterwitz wie der Goldschläger breit schlagen, um die Risse in der Logik und die falschen Raisonnements zu überkleben.«

»Und das Volk gafft doch das Goldblech an, als wär's massiv.«

»Wozu wär's das Volk und wir die Gescheiten! – Um eine Liebschaft war ja wohl die Affaire? Das Mädchen kann gute Geschäfte machen, es kommt en vogue!–«

»Mehr Anwartschaft hätte der junge Gelehrte darauf, der, wie man sagt, aus Galanterie, oder wie einige behaupten, aus Gehorsam für seinen Vater zum Ritter an einer Dame ward, die er nicht liebt.« »C'est touchant!« sagte Herr von Bovillard und gähnte noch stärker als vorhin.

»Man fängt überhaupt an von ihm zu sprechen, es wäre ein Charakter. Man spricht aber auch – von Ihrem Herrn Sohn.« Der Geheimrath, der wirklich müde schien, ward aufmerksamer. Er reckte sich in seinem Stuhl und goß ein frisches Glas Champagner ein, dessen Wirkungen er aber sofort durch ein Glas Wasser paralysirte.

»Wie befindet sich der Patient?«

»Mon pauvre fils! – Mein lieber Freund, wer macht die Erziehung? Ich habe oft darüber nachgedacht. An guten Beispielen – das war's eigentlich nicht, was ich sagen wollte, aber – das zweite Kind des Lupinus ist nun auch gestorben!«

»Ein merkwürdiges Unglück, was diesen Mann trifft! Doch meinen auch Viele, es wäre ein Glück, für die Kinder nämlich.[478] Bei der verkehrten Erziehung wäre nie aus ihnen etwas Gescheites geworden.«

»Der Mann! Er Kinder erziehen! Wenn sie nach ihm geschlagen hätten! – Mein Louis, was ich sagen wollte, Heim meinte, es sei keine Gefahr, wenn er sich nur vor Exaltationen hütet!« – »Das wird schwer sein.« – »Das befürchte ich auch. Das Blut seiner Mutter. Was die für Nerven hatte! Ich bin ja bereit, Alles zu thun, er hat excellente Gedanken, aber ich muß Ihnen sagen, ich habe keine Autorité. Im Disput gerathen wir immer an einander.«

»Der junge Herr von Bovillard ist noch in andere Dispute verwickelt.« Wandel sprach es mit kalter Stimme.

»Meinen Sie – die alte Geschichte!« Der Geheimrath warf dabei einen forschenden Blick auf ihn. »Mein Gott, ich glaubte die Kinderei längst beigelegt.«

»Nur reponirt, meine ich, bis Ihr Herr Sohn die Güte haben wird, einen neuen Termin anzusetzen.«

»Mann von Ihrer Klugheit und Philosoph! Ich bitte Sie –« Bovillard war jetzt aufgesprungen und ergriff die Hand, die Wandel halb zurückzog.

»Die Ehrengesetze dieser Welt gehen über die der Klugheit und Philosophie.« – »Er wird zur Einsicht kommen und Sie sind mein Freund.« – »Und gewiß der Freundschaft jedes Opfer zu bringen bereit, nur nicht meinen unbefleckten Namen.« – »Wer redet davon! Ueberlassen wir den Kavallerie-Offizieren den krummen Säbel; wozu sind wir Philosophen! Die diplomatische Kunst wird mildere Lösungsmittel finden, als ein Stück vom Aermel und vom Fleisch dazu! Liebster Legationsrath, das findet sich ja.« – »Wenn ich als Beleidigter den ersten Schuß hätte, versteht es sich, daß, wo der Sohn meines Freundes vor mir steht, ich in die Luft feuere. Ihrem Herrn Sohn bleibt dann überlassen zu zielen, wohin er will.«

Bovillard hatte Wandels Arm an seine Brust gedrückt: »Wir verstehen uns ja. Excentrisch ist er, aber Louis ist kein schlechter Mensch.«

»Wenn ich die Freude erlebte, daß mein Freund Bovillard in seinem Sohne einen nützlichen Staatsbürger gewönne!« – »Er schwärmte auch einmal für die gloire Napoleons. Wer weiß, ob diese Phantasien nicht rediviv werden.« – »Er soll jetzt für einen anderen Gegenstand schwärmen. Die Fürstin Gargazin behauptete neulich confidentiell, die eigentliche Krankheit der schönen Mamsell Alltag sei nichts anderes als cachirte Liebe. Die Geheimräthin Lupinus ist in ihren Mittheilungen sehr diskret. Wenn ich indeß aus einigen hingefallenen Aeußerungen schließen darf –« »Sind[479] Sie neidisch, daß mein Junge Glück hat bei den Frauen?« – »Nur ein väterliches Erbtheil. Wie ich höre, frequentirt er auch die Cirkel der russischen Fürstin. Er ist gern aufgenommen. Sollte dies mit den Wünschen und Absichten seines Vaters konveniren?« »Was geht es mich an! – Aber was geht es Sie denn an? –« »Nicht das Geringste, wenn Ihr Sohn nicht den Namen seines Vaters trüge. Die Fürstin ist eine liebenswürdige, feine, geistreiche Dame, aber sie gilt, mit Recht oder Unrecht, als die geheime Agentin Rußlands, man behauptet, daß sie mit Alexander in intimeren Verhältnissen gestanden. Ich gebe nichts auf diese Insinuationen, aber wer ihren Umgang sucht, wer viel in ihrem Hause erscheint, entgeht dem Verdacht nicht. Das kann in diesem Augenblick bedenklich werden, da Napoleon –. Genug, ich weiß, die Besucher des Hotels werden an jedem Abend verzeichnet und dann nach Paris telegraphirt.«

Bovillard lachte auf, indem er jetzt erst die Serviette fortwarf: »Wissen Sie, wer am meisten bei der Gargazin gesehen wird? – Laforest! Konspirirt er vielleicht gegen Napoleon? Vielleicht aber ist er auch nur da um der Mamsell Alltag willen, oder um Comtesse Laura. Die ist jetzt auch ein Schooßkind der Fürstin. Duroc war auch bei ihr. Wissen Sie, was ich rausgebracht habe? Sie will die Alltag zu etwas machen, entweder zu einer Pompadour oder zu einer Heiligen. Sie erwartet nur Ordre deshalb aus Petersburg. Werther Freund, unter Freunden reinen Wein, was kümmert Sie mein Sohn bei der Gargazin?« – »Nicht der Sohn, nur die Auslegung, welche man seinen Schritten geben könnte.« – »Sind Sie so sehr um die Auslegung besorgt, welche die Leute den Schritten distinguirter Personen geben?« sprach Bovillard, ihn scharf fixirend. »Wissen Sie, wie man Ihre Schritte hier auslegt?« – »Ein unbedeutender Privatmann, der neben seinen wissenschaftlichen Studien nur als Dilettant in die politischen Kreise dringt, entgeht wohl der Ehre dieses Skrutiniums.« – »Haugwitz schreibt mir konfidentiell aus Paris. Für schweres Geld hat er eine Kopie der Personalbemerkungen über Berlin erwischt. Hören Sie, da sind doch Dinge drunter! – Haugwitz wird sich hüten und es drucken lassen. Laforest selbst weiß das nicht alles; es stecken Andere dahinter. Liaisons decouvrirt, die wir nicht ahnen konnten. Sie standen doch mit Eisenhauch in keiner Verbindung?« – »Es bedurfte keines Seherblicks, um die feuerfangende Nähe zu erkennen.« – »Man weiß in Paris, was er vorm Zubettgehen mit seinem Bedienten sprach, seine Lektüre vorm Zubettgehen, seine Briefe, die er schrieb und wieder zerriß. Ein wahres Glück, daß wir ihn los sind, aber – wissen Sie, was von Ihnen da steht?« fragte Bovillard mit einem schlauen, scharfen Blick.[480]

Wandels blaßgelbes Gesicht verfärbte sich nicht, nur ein flüchtiger Glanz belebte das dunkle, kleine Auge, um sofort in ein moquantes Lächeln überzugehen: »Vielleicht ist es entdeckt, daß auch ich die Zirkel der Gargazin besuche?« – »Pah! Drei Reihen Chiffren, die Haugwitz's Sekretär nicht dechiffriren konnte, und dann mit anderer Hand imperatorisch flüchtig daneben geschrieben: ›Wie viel würde er kosten?‹« – »Sie wollen mich doch nicht stolz machen, Bovillard! Um die nackte Klippe des Ehrgeizes ist mein Lebensschiff gesegelt.« – »So lange sie nackt aussieht. Wenn man aber im Vorbeisegeln zwischen den Riffen eine fette Trift entdeckt, legte Mancher wieder bei.« – »Es ist für mich eine durchaus sterile Insel.« – »Wohin denn? Das ist die Frage.« – »Ich verstehe die Legitimation derselben nicht.« – »Ich frage als Freund. Wo hinaus. Man muß doch endlich mit Ihnen ins Reine kommen. – Ich wiederhole Ihnen: mich täuschen Sie nicht. Sie sind kein Saint Germain etcaetera. Sie sind von unserm Fleisch und Blut. Halb nur wie ein Lebemann, halb wie ein Karthäuser in einem Schneckenhaus. Das Leben in Berlin ist theuer, auf Gold sitzen Sie nicht und Gold machen Sie nicht. Sie mögen ein vortrefflicher Oekonom sein, aber Ihre Thüringischen Güter verbessern Sie nicht in der Apotheke des Herrn Flittner. Die Delicen der Wissenschaft gönne ich Ihnen; wer aber den Champagner wie Sie über die Zunge schlürft, will sie nicht wie die Pedanten um ihrer selbst, er will etwas daraus für sich präpariren. Sie greifen nicht nach dem Monde, aber Sie erscheinen wie er aus der Wolke, um wieder dahinter zu verschwinden. Das ist hübsch um Kinder zu erschrecken und zu amüsiren, ein Mann will etwas anderes, als Laterna-Magica-Bilder auf die Wand werfen.« – »Meine Vermögensumstände, die Niemand kennt, erlauben mir –« »Sie schweifen ab. Auch ein Krösus will noch mehr. Was wollen Sie? – Daß man das nicht weiß, wirft ienen Schatten auf Sie. Wie lange sind Sie schon in Berlin? Ihr parait et disparait verstärkt den Verdacht; glauben Sie mir, alle Ihre Gefälligkeiten werden um deshalb falsch ausgelegt, und das ist es, was Haugwitz, ich will nicht sagen zu Ihrem Feinde macht, aber er hat eine Scheu vor Ihnen, er fürchtet Sie. Mein Gott, wir sind ja unter uns. Wollen Sie sich Napoleon verkaufen, haben Sie sich schon verkauft? Tant mieux, er bezahlt gut. Auf meine Diskretion können Sie hoffen. Es sind viele erkauft und doch gute Patrioten. Sie haben nicht einmal eine Pflicht zu brechen, und – wie gesagt, mich geht's nichts an. L'amitié surpasse la trahison. Enfin, wir sind ja auch Napoleons Freunde.«

Der Legationsrath hatte die Stirn in Runzeln gelegt. Er stand wie in sich versunken, mit verschränkten Armen, den Blick,[481] der in weite Fernen zu streifen schien, von dem Manne abgewandt, welcher eben so eindringlich zu ihm gesprochen. Es schien ein Selbstgespräch: »Wer dieses Meteor ergründete! Ob er wirklich der Wandelstern, der im Kreislauf der Aeonen wiederkehrt, wenn seine Zeit kam, die unsere Schwäche nur nicht ermisst, oder – nur die blitzende Nachterscheinung, der Komet, der seinen Schweif betäubend über unsere Häupter rasselt. Wir stehen gebeugt unter dem Hagel seiner Meteorsteine und –« Er hielt inne und athmete tief. »Und wer sich selbst getreu blieb, wird auch hier sich nicht betäuben lassen. – Nein – nein – auch diese Sonne von Austerlitz hat trübe Flecke. Groß und strahlend, aber je mehr sie der Mittagshöhe sich nähert, um so mehr sehe ich sie schwanken, zittern vor sich selbst. Auch er wird untergehen, indem er sich selbst überhebt. Nur wer fest und bewusst –. Ach, mein Gott,« fuhr er fort, wie aus seiner Träumerei erwachend. »Ich vergaß mich da in Gedanken, die nicht hierher gehören. Groß ist er, aber – sicherer Der, der sich an keine Größe lehnt, nur auf sich selbst.«

Der Legationsrath hatte sich verrechnet, wenn er gemeint, auf den Geheimrath damit einen Eindruck zu machen. Dieser hatte sich ruhig ein neues Glas eingeschenkt, und mit derselben Behaglichkeit ließ er es über die Zunge gleiten, die er vorhin an Wandel gerügt oder gerühmt.

»Sie wollen also mit Napoleon nichts zu thun haben? Votre plaisir! Aber, merken Sie sich, Haugwitz ist ängstlich inquietirt. Er giebt Winke, wie man Sie beobachten soll. Wenn Sie also keinen Passe par-tout von Napoleon in der Tasche haben, –« »Die Aufmerksamkeit, welche Herr von Haugwitz meiner unbedeutenden Persönlichkeit schenkt, möchte mir schmeicheln, wenn –« »Sie keine andere Absichten hätten. Gehen Sie mit sich zu Rathe, entscheiden Sie sich, aber bald. Wir sind nun ganz wieder in unserer Aisance, wenn er zurück ist. – Haugwitz bleibt. – Der König ist seelenfroh, wenn er nichts zu ändern braucht. Es stiefelt sich fort, sagen die witzigen Berliner, und eines Morgens könnte Haugwitz etwas einfallen, – das passirt auch manchmal an einem Feiertage – der Polizeikommissarius klopft an Ihre Thür mit der Bitte, sich schnell anzuziehen, und Sie werden eingepackt. – Da haben Sie die Bescherung. Man titulirt's höhere Staatsrücksichten, im Grunde genommen ist's nur eine Indigestionslaune. Sie sind ein Mann von großer Klugheit –« »Der indeß bei Verbindlichkeiten, die er eingeht, den Charakter und sein Gewissen immer berücksichtigt –« »Etcaetera, bravo!« sagte der Geheimrath und klopfte ihm auf seine Schultern. »Wozu noch Flausen. Das Uebrige wird sich finden. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen – Excüs! – wenn er uns nicht hülfe, die Antipathie zu beschwören.[482] Haben Sie nicht sympathetische Tropfen? A propos! da fällt mir unser Mirakel ein, unser Liebespaar. Haben wir's da nicht durchgesetzt? Das verloren wir ganz aus den Augen. Wie steht es? – Das ist der Fluch eines Staatsmannes, sein Liebstes muß er opfern dem Dinge, was das dumme Volk – wie steht's, Legationsrath?«

»Der Dépit amoureux ist eine passagere Erscheinung. Die Gargazin, die uns aus Gefälligkeit beistand, ist der Sache überdrüssig.« – »Die gute Fürstin möchte alle Welt glücklich sehn. Aber Haugwitz – das ist's, was ich sagen wollte. Der arme Haugwitz muß jetzt eine Recreation haben, nach so viel Verdruß! Ein, zwei Fliegen stören uns nicht, aber das Fliegengebrumm, wenn wir schlafen wollen, ist fatal. Recht was Exquisites! Strengen Sie Ihren Scharfsinn an, etwas zum Todtlachen, bedenken Sie, es gilt fürs Vaterland. Also, theuerster Mann, Ihren ganzen Scharfsinn darauf, fädeln Sie was Neues ein. Man sagt, sie hätte Scheidungsgedanken.« – »Pfui! das ist unmoralisch. Ich meine, man könnte ihr das Unsittliche einer solchen Handlung vorstellen lassen.« – »Wenn nur ein Duell zwischen dem Rittmeister und dem Baron zu ermöglichen wäre!«

Der Legationsrath schüttelte den Kopf. »Wer dem Baron eine Kugel vor den Kopf schösse, was ich natürlich nur im Scherz sage, thäte übrigens dem Staate einen rechten Dienst.« – »Im Ernst?« – »Sein Tuch, 'sist ein Skandal. Wenn man solche Montur gegen die Sonne ausbreitet, können die Wespen durchfliegen. Ich sagte es ihm neulich. Was antwortete er? Er hätte's so eingerichtet, daß die Kugeln der Staatskasse keinen Schaden thäten. Ich liebe nicht solchen frivolen Witz in ernsten Dingen. – Sie sind nachdenklich, Wandel? Sie sehn nach der Uhr.« – »Einige nennen ihn einen schlechten Menschen.« – »Pah! Seine Maitressen bezahlt er gut, unser Tuch macht er schlecht. Aber im Grunde genommen, was geht's uns an; wir haben Friede. Noch keinen Einfall?« – »Doch – viel leicht. Bei ihm ist Hopfen und Malz verloren. Wie aber, wenn man sie eifersüchtig machte!« – »Auf ihres Mannes kleine Liaisons? Was hülfe uns das?« – »Nein, auf den Rittmeister. Er sah neulich die neue Choristin mit dem Operngucker sehr eifrig an. Wenn es gelänge, sie aus ihrer Seelenruhe aufzustacheln! Wenn sie außer sich geriethe, sich fortreißen ließe–« »Nun, was besinnen Sie sich?« – »Es ist nur ein flüchtiger Einfall – schwierig, aber möglich ist Alles – wenn sie in ihrer Verzweiflung ihren Mann zu Hülfe zöge.« – »Ça serait le comble du ridicule.« – »Aber nichts Neues. Wie gesagt, Alles noch embryonisch dunkel, aber sie muß jetzt mit dem Rittmeister aneinander. Das ist mir klar; es giebt kein ander Mittel.« – »Wenn es nur[483] zum Rechten führt.« – »Dafür lassen Sie mich sorgen.« – »Wohin so eilig?« – »Zur armen Geheimräthin! Ach, eine Unglückliche! Die bedarf des Trostes.«

»Bleiben Sie mir mit der vom Leibe. Ich kriege Bauchgrimmen, wenn sie mich lange ansieht.« – »Das ist eine unglückliche Frau! Nun auch das zweite Kind!« – »Es waren doch rebutante Geschöpfe. Sie kann es unmöglich lieb gehabt haben.« – »Der Idealismus weiß von einer Liebe, die gerade das ihm Unangenehme mit zärtlichen Armen umfasst, einer Liebe, die ihre ganze Innigkeit und Wärme ausströmt auf die Subjekte, welche es am wenigsten empfinden und, statt es zu erwidern, mit Undank belohnen, eine Liebe, die sich gefällt, immer zu geben und zu opfern, ohne wieder zu nehmen, ja, die ihre höchste Befriedigung in der Empfindung sucht, von Verkennung und Undank heimgesucht zu sein.«

»Das ist nicht unsere Sorte von Liebe; nicht wahr, Wandel?«

»Die Welt ist mannigfalt. Bewundern darf man doch die Märtyrer, auch wenn man sich nicht berufen fühlt, ihnen nachzufolgen.« – »Par distance! – Warum nahm sie aber die Kinder zu sich!«

»Warum! – Warum nahm sie ihren Mann? Sie hat den Geheimrath nie geliebt. Um ihn zu pflegen. Warum nahm sie die Alltag zu sich? Aus Liebe doch nicht zu dem eigensinnigen Geschöpfe? Mein Herr Geheimrath, Männer wie wir sind über die Ungerechtigkeit der Welt hinaus, wir warten nicht auf Dank, aber erlauben Sie mir, wenn ich die Frau unglücklich nenne, die für die Anstrengungen ihres warmen Herzens, Andere glücklich zu machen, nichts erntete, als Verkennung.«

»Liebster Legationsrath,« entgegnete Bovillard, »erlauben Sie mir, nichts drauf zu sagen, als: les goûts sont différents!« – »Ich wünschte, Sie hätten sie am Schmerzenslager der kleinen Malwine gesehen. Weil sie nicht weinen konnte, das hat man auch getadelt.« – »Die Kinder sollten ihre Erben sein; wer kriegt's denn nun? In ihrer Familie ist Alles ausgestorben. Mit der einen Seitenbranche ist sie spinnefeind.« – »Unnatürliche Feindschaft in Familien! Vielleicht kann man da freundlich zu einer Verständigung einwirken.« – »Lieber vermacht sie's den Kapuzinern. Und fünfundneunzigtausend Thaler unter Brüdern.« – »Ich glaubte nur achtzigtausend!« – »Vor dem letzten Heimfall. Aber – fünfzehntausend in Obligationen – Sie können sich drauf verlassen, – fielen auf ihr Theil aus der Konkursmasse ihres Onkels. Und man muß doch auch rechnen, was vom Geheimrath dazu kommt, wenn er früher stirbt –«

»Wenn er früher stirbt.« Wandel hatte es so gedankenlos, oder in Gedanken versunken, gesagt, als er gedankenlos mit seinen[484] Handschuhen gespielt. Er reichte zum Abschied dem Geheimrath die Hand: »Wenn nicht mehr – ich wollte sagen, wenn Sie der verlassenen Isolirten nur ein stilles Plätzchen der Theilnahme in Ihrem Herzen schenken wollten!«

»Bleibt ein ehrenwerther Mann,« sprach Bovillard, als er fort war, »nur zu viel Sentiment.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 475-485.
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