De Natura Hominum

[85] Jeder Mensch hat einen »infernalen« Selbsterhaltungstrieb, der ihn zwingt, unerbittlich, zu jeglicher Stunde sich mit seinem eigenen armseligen und eigentlich für die Mit- und Umwelt ziemlich gleichgültigen Lebensschicksale und vor allem dessen eventueller Verbesserung ununterbrochen zu beschäftigen! Diejenigen, die Dieses aus irgend einem Grunde jedoch unterlassen, also verabsäumen diese rastlose Jagd nach eigener angeblicher Glückseligkeit, Die haben von Schicksals Gnaden oder Ungnaden einen »Knacks« und rangieren infolgedessen in die Sorte »Dichter«, »Philosophen«, »Träumer«, »Narren«, »allgemein Lebensunfähige«! Oder sogar »pathologisch Veranlagte«. Ein Mensch, sei es Mann oder Frau, der zu wenig Selbsterhaltungstrieb von Natur aus miterhalten hat als Kampfwaffe im täglichen Dasein, ist bereits dadurch aber allein schon von selbst in eine höhere Rangklasse befördert vom Schicksale, indem es ihm erspart bleibt, zu jeglicher Stunde um sein bißchen Wohlleben, oft gerade Unwohlleben, allzu emsig-wucherisch, also unanständig, zu feilschen und zu knickern! Der Selbsterhaltungstrieb des Einzelnen befördere eben die Mensch heit im Ganzen, sagt man leichthin. Ja, wenn er in »gesunden«, ich möchte fast sagen, in religiösen Grenzen ausgeübt wird. Aber so wie er heutzutage noch ausgeübt wird von der »Herde«,[85] ist er für die Gesamtheit und ihr Wohl ziemlich verhängnisvoll!

Altruismus ist eine »Gnade des Schicksals« für Den, der dessen teilhaftig zu werden die günstigen Nerven hat! Man kann damit sogar Stoffwechselerkrankungen heilen, da die Freude, einem Anderen zu helfen, zu dienen, den physiologischen Stoffwechsel befördert, während Selbstsucht die schauerlich-unmenschliche Darmträgheit erzeugt und unterstützt! Das Schicksal straft gerecht, nicht nur »im Gewissen«, sondern ausgiebiger, vernichtender, im Körper direkt selbst!


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Die Eifersucht eines »allgemein wertvollen Mannes«, bei Tag und Nacht, und zu jeglicher Stunde, berücksichtigen wollen, und stets, stets, stets auf der Hut zu sein, ihn nicht »seelisch-krank« zu machen, ihn nicht von seinen »wertvolleren Zielen« abzubringen,

sei der ehrlich verdiente Lorbeerkranz einer noch so begehrenswerten Frau in dieser »Schlacht des Lebens«! Man siegt nicht leicht über sich selbst und seine Eitelkeiten, seine Nerven, aber man siege zuletzt eben dennoch!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 85-86.
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