Der Hund

[219] Der Hund ist geistig-seelisch für den aufgeklärten, kultivierten, modernen Menschen die größte Gefahr. Von seiner minutiösen Lebens-Betrachtung aus sucht ihn das geschickte Vieh ununterbrochen als den »Gefährlichen Naiven« auf sich selbst ganz abzulenken und dieses aus tiefstem Egoismus entspringende Bedürfnis, die erste wichtigste, rührendste und unentbehrlichste Persönlichkeit zu sein, gegen die Alle eigentlich ihre[219] naturgemäße Niederlage erleiden, ohne Jemanden irgendwie direkt dafür beschuldigen zu können! Diese ewige pathologische Ablenkung der 10000 Tiere-Lebensenergieen für die kleinen wertvollen Interessen ihrer Welt, in Allem und Jeden, ist ein Verbrechen an seiner eigenen menschlich-göttlichen Seele. Wie bequem gewinnt man in seinem vollständigen bequemen pathologischen Größenwahn die Sympathie eines Hundes. Weder ökonomisch, noch sexuell, noch seelische Komplikationen spielen da mit, man ist eine Barbarina Campanini, eine Eleonora Duse, eine moderne Erna Morena jedem Tiere gegenüber, das die verruchte selbstlose Anhängliche zu seinem eigenen »ich hab' mein Frauerl halt gern«, und wie pathologisch mit einer Käserinde schamlos ausnützt, und der Frau zu ihrer echten Suche, ihrem Sehnsuchtsideale oder anderen Empfindungen gar nichts nützt. Die Frau versteht die Verehrung Eines nur ihrem Wesen nach, nicht wie die eines Hundes, der ihrem Menschen grausam-seelisch, fast absichtlich blöd Alles stiehlt! Der größte Egoist, weil er die schamlose Ausrede hat, ein Hund zu sein, gegenüber dem denkenden Menschen!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 219-220.
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