Gespräch mit der Geliebten

[245] Schaust Du jemals auf der Speisekarte nach, wieviel eine Speise, die Du Dir bestellst, kostet, und bedenkst Du es jemals, ob ich in der Lage bin, es Dir zu bezahlen?! Schäme Dich! Du willst damit vor den Anderen beweisen, was für einen splendiden Freund Du hast!?! Sind Das deine wertvollen menschlichen Eigenschaften?! Pfui, schäme Dich, törichte Kind-Verbrecherin! Mir könntest Du tausendmal mehr von Deiner Menschlichkeit, nein, von Deiner Anständigkeit beweisen, wenn Du ihn ökonomisch schonen und berücksichtigen würdest, Tag und Nacht, wenn Das nämlich überhaupt in Frage kommt! Den Mann schonen, den man lieb hat, sei das »Schlagwort« der künftigen, bisher nur über bildeten, falsch gebildeten, ungezogenen, größenwahnsinnigen, völlig wertlosen, im Gegenteil in jeder Beziehung den Mann in seiner Entwicklung zu eventuellen möglichen Göttlichkeiten hemmenden Frauenseele! Sie[245] unterwerfe sich demütig seinen eventuell möglichen idealen Entwicklungen (Göttlichkeiten), und wenn nichts, mit ihrer geringen Kraft, daraus wird, hat sie noch immer Zeit, ihre eigenen Wege, die seit jeher in ihr Forderungen geheim-laut-verschwiegen-schauerlich-unentrinnbar an sie stellten, heldenhaft-melancholisch zu durchschreiten und sich »dem Fluch der alltäglichen Herde« zu entziehen!

Der Allein-Schreiter hat einen Heiligen-Schein, denn er hofft, die Anderen auf seine unbedingt richtigeren Wege zu bringen, vor allem durch sein Beispiel! Nie gelingt es ihm. Deshalb allein gibt man ihm den billigen unverständlichen Ehrentitel eines »Heiligen«, d.h. eines vollkommen Unverständlichen, obzwar er eigentlich noch nicht in die Kategorie »unheilbarer merkwürdiger Narr« einzureihen ist! Also bloß ein gewöhnlicher »Heiliger« vorderhand.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 245-246.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]