Kleine Biographie der P. Sch.

vorläufig 21 Jahre alt

[91] Sie lebt tatsächlich, ohne Geld und besonderen Rang, wie eine Milliardärin, nur tausendmal besser, vermittelst ihrer Intelligenz, ihrer märchenhaften, Natur-Liebe, ihrer alleredelsten Anspruchslosigkeit, und ihrer nahezu pathologischen und grenzenlosen Verehrung für den alten kranken modernen Dichter! Seine »Broschen« zum Beispiel à 10–20 Kronen, die er zu Weihnachten, – zum Namenstage schenkt, sind ihr wertvoller als alle Juwelen dieser Erde! Ein gutes edel-gestricktes Woll-Leibchen, sagen wir in kornblumblauer oder kaffeebrauner oder lila Farbe, ersetzt ihr alle Pelze dieser Erde, nein, es freut sie mehr, denn, wie sie sagt, dafür hat ein schönes Tier nicht sein Leben lassen müssen, scheren tut nicht weh, sondern ist direkt angenehm! Die Natur, die Ruhe ihres geliebten Zimmerchens mit Aussicht auf den heißgeliebten Schnee-bedeckten Berg, ihr Ansichtskarten-Album, eine Art von photographiertem Tagebuche, die »Bibeln« ihres Dichters, ihre modernen Broschen, Halsketten, Blusen, Mäntel, Hüte, Alles, Alles, Alles empfindet sie als »Gnadengeschenk« dieses Lebens, als gänzlich unverdientes »gnädiges Schicksal«! »Wie komme gerade ich, gar nicht besonders hübsche oder besonders anmutige Person dazu, ohne Kreuzer Geld ein ›Milliardärinnen-Dasein‹ hienieden zu leben, während Millionen meiner scheinbar reichen Mitschwestern – – –?!?« Niemand gab je darauf eine richtige Antwort. Nur der alte kranke moderne, ja sogar höchstmoderne[92] Dichter fühlte: »Es kommt nur von Intelligenz, nämlich von der richtigen! Von der schlichten, naturgemäßen, die Gott sich seit Jahrtausenden von seinen ›Geschöpfen‹ erhofft! Aber nein, sie wollen ›Ihm‹ diese Freude nicht antun! Sie gehen lieber ›ihre eigenen Wege‹, pfui Teufel!«

Einmal sagte sie: »Ich möchte den Millionärinnen so gern dazu verhelfen, keine Bettlerinnen eigentlich zu sein!«

Da lächelte müde-tragisch der moderne, ja sogar höchstmoderne, ja sogar gefährlich-moderne alte kranke Dichter, berührte ihr Haupt mit den hellblonden kurzen Knabenlocken, und sagte leise und ergriffen: »Kindskopf!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 91-93.
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