Leidenswege

[17] Der Arzt im Sanatorium sagte: »Ruhe, Ruhe ist das Haupterfordernis zur Gesundung!«

Aber seine Natur in ihm bat, flehte, forderte: »Anregung! Bewegung! Dezentralisation!«

Davon verstand der Arzt nichts, obzwar er es ihm gutmeinte. Seine Natur war eben anders geartet. Er hätte in diesem Falle der Ruhe bedurft. Wie konnte er wissen, daß der Andere andere Bedürfnisse in diesem Falle habe?! Ist er ein Herrgott, keineswegs!? Er ist ein anständiger Mensch,[17] der nach allgemeinen Gesichtspunkten Einzelnes beurteilt. Also eigentlich fast unanständig. Oder: eigenwillig, also bereits fast gefährlich!

Sich in jeden ihm fremden Organismus ganz, vorurteilsfrei hineinversetzen, Wer kann das, Wer will das?! Vielleicht ein Welt-fremder, eigentlich Welt-naher Dichter.

Aber der ist kein Arzt, keine protokollierte Firma durch Prüfungen! Niemand glaubt ihm, man bittet ihn um Autogramme oder ein Bild, wenn man ihn schon sehr braucht und sich dankbar erweisen möchte. Zahlen tut Niemand für seelen-ärztliche Konsultationen, das muß umsonst geliefert werden hienieden. Ernstliche menschenfreundliche Berater bezahlt man nicht, man würde sie nur kränken, also ein einfaches Mittel, man nütze sie aus! Das kränkt Niemanden.

Ich z.B. habe Vielen geholfen und genützt. Und alle diese vermeinen: der Dichter ist belohnt bereits durch unsere Anerkennung!

Glaubt Ihr Das wirklich, ernstlich?!

Wenn Ihr Das glaubtet! Ernstlich glaubtet!?

Es wäre eine, wenn auch fadenscheinige Entschuldigung, aber Ihr glaubt es ja hoffentlich nicht! Ihr glaubt es nicht!

Es ist nur ein Geschäft, ein günstiges,

Das Ihr mit der Dichter-Seele abschließt,

die Euch Alles gibt, was sie zu spenden überhaupt hat,

und Der Ihr eine leere bequeme Anerkennung bietet, pfui! Eure wirklichen Ärzte honoriert Ihr nicht!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 17-18.
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