Melancholie

[264] Wer nicht daran leidet, Dem kann sie kein Arzt, kein Patient, kein Dichter erklären oder auch nur irgendwie plausibel machen. Es ist das ununterbrochene Zehren am Gehirne, wie etwas Lebenskräfte wegfressendes, unterminierendes, vernichtendes: Wozu bin ich?! Wozu ist Alles um mich herum, Wachen, Schlafen, Sich-Reinhalten, Essen, Verdauen, Geld ausgeben und verdienen, die Anziehung schöner Frauen, die S . . . . . . . ., ja sogar das Wäschewechseln und das mit Fremden verhältnismäßige lächelnd liebenswürdig sein müssen?!?

Wozu ist das Alles?! Krankheit und Tod werden das Alles, ach, allzuspät, in schauerlich langen[264] Zeitläuften beenden?! Wozu also sich bemühen, da es keinerlei Entrinnen gibt?!? Melancholie ist die Unterminierung des gesunden, also blöd gesunden Selbsterhaltungstriebes durch krankhaftes Objektivieren seines unbedingt wertlosen Daseins!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 264-265.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]